TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/08 E12 238019-2/2008

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Veröffentlicht am 08.09.2008
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Spruch

E12 238.019-2/2008-5E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Isabella Zopf als Vorsitzende und den Richter Dr. Markus Steininger als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Frau Auberger über die Beschwerde des H.C., geb. am 00.00.1969, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.07.2008, FZ. 02 13.298-BAS, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde vom 07.08.2007, wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. VERFAHRENSGANG:

 

1. Der erstinstanzliche Verfahrensgang ergibt aus dem Verwaltungsakt des Bundesasylamtes. Der Beschwerdeführer (nachfolgend: BF) stellte am 29.05.2008 den Antrag auf Verlängerung seiner bis 16.07.2008 befristeten Aufenthaltsberechtigung um fünf Jahre, in eventu, um eine der Sach- und Rechtslage angemessene Zeitdauer.

 

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung gem. § 8 Abs. 3 iVm § 15 Abs. 2 AsylG 1997 idF BGBl I. 2003/101 bis zum 16.07.2009 verlängert.

 

3. Dagegen wurde am 07.08.2008 fristgerecht Beschwerde erhoben.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Am 01. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF BGBl I. Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl I. Nr. 4/2008 idgF (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG), sind, soweit sich aus dem Bundesverfassungsgesetz B-VG, BGBl Nr. 1/1930 und dem Asylgesetz 2005, BGBl I. Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985/VwGG, BGBl Nr. 10 nichts anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG BGBl Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang auch das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG BGBl Nr. 51, zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die erkennende Behörde sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, im Spruch und in der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde (kraft oben zitierter Bestimmung auch der Asylgerichtshof; es bestehen diesbezüglich keine materiellrechtlichen Sondernormen) so der hier vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß Abs. 3 dieser Gesetzesstelle, kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21.11.2002, 2002/20/0315 und 2000/20/0084 grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat (nunmehr Asylgerichtshof) im besonderen getätigt. Dabei wurde insbesondere ausgeführt:

 

"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gem. § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16.04.2002, 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Artikel 129c Abs. 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, "auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse im Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen".

 

Im Erkenntnis vom 17.06.2006, (2005/20/0459), hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Abs. 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung / Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.

 

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche, detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Im vorliegenden Fall ist dies aus folgenden Erwägungen heraus unterlassen worden:

 

Mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 06.11.2007 wurde dem BF gem. § 15 AsylG 1997 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 16.07.2007 erteilt, welche mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.07.2007 bis zum 16.07.2008 verlängert wurde. Dem zweiten Verlängerungsantrag vom 29.05.2008 wurde mit dem angefochtenen Bescheid stattgegeben und die Aufenthaltsberechtigung bis 16.07.2009 erteilt. Begründet wurde dies damit, dass sich die allgemeine Menschenrechts- bzw. Sicherheitslage in der Türkei seit dem Zeitpunkt der Refoulementschutzgewährung nicht in einem Ausmaß verändert hat, dass dem BF die Rückkehr in die Türkei zumutbar wäre. Das Ausmaß der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung wurde dahingehend begründet, dass sich innerhalb dieses einen Jahres die Menschenrechts- bzw. Sicherheitslage der Türkei gerade auch vor dem Hintergrund der Bestrebungen der Türkei, sich der EU anzunähern oder dieser beizutreten, dahingehend verändern könnte, dass eine Rückkehr zumutbar würde. Die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens dazu ist zur Gänze unterblieben. Auch der BF wurde nicht einvernommen. Die Festsetzung der Dauer der Aufenthaltsberechtigung stellt eine Ermessensentscheidung dar, der jedenfalls ein einwandfreies Ermittlungsverfahren voranzugehen hat. Eine Ermächtigung zur Ermessensausübung darf die Behörde nicht zu Willkürakten verleiten, vielmehr ist die Freizügigkeit der Behörde dadurch eingeschränkt, dass sie "im Sinne des Gesetzes" (Artikel 130 Abs. 2 B-VG) vorzugehen hat. Die Behörde hat auch eine Begründung dazu zu geben, wenn sie das Ermessen zum Nachteil der Partei ausübt. Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt ist bei entsprechender Wahrung des Parteiengehöres festzustellen und in der Bescheidbegründung sind die für die Ermessensausübung maßgebenden Umstände und Erwägungen insoweit aufzuzeigen, als dies für die Rechtserfolgerung durch die Parteien des Verfahrens und für die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes auf seine Übereinstimmung mit dem Gesetz erforderlich ist (vgl. z.B. VwGH 24.04.1998, 96/21/0490, 17.09.1998, 98/18/0175).

 

Unabhängig davon wäre durch entsprechende Ermittlungen (z.B. aktuelle Erhebungen zur allgemeinen und politischen Situation in der Türkei unter Zugrundelegung konkreter Quellen, Gutachten etc.) zu prüfen gewesen, inwieweit das Refoulement - Verbot bezogen auf den konkreten Fall überhaupt noch zum Tragen kommt. In diesem Zusammenhang wurde im angefochtenen Bescheid nur lapidar festgestellt, dass im Hinblick auf die EU- Beitrittsbestrebungen der Türkei eine Rückkehr möglicherweise in einem Jahr möglich ist. Eine Begründung hiefür kann dem angefochtenen Bescheid allerdings nicht entnommen werden.

 

Insgesamt gesehen wäre es daher nötig gewesen, die angeführten Ermittlungen zu tätigen und im Sinne des § 45 Abs. 3 AVG auch eine Konfrontation der Partei mit diesem amtswegig zu ermittelten Sachverhalt und den diesbezüglichen Beweismitteln herbeizuführen. Die oben dargestellte mangelhafte Bescheidbegründung hat diesen Erfordernissen aber nicht Rechnung getragen.

 

4. Der angefochtene Bescheid der belangten Behörde und das diesem zugrundeliegende Verfahren sind im Ergebnis so mangelhaft, dass die Durchführung bzw. Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Sämtliche Erhebungen, welche grundsätzlich von der Erstbehörde durchzuführen sind, wären demnach durch den Asylgerichtshof zu tätigen; sohin verbietet sich unter Berücksichtigung der oben zitierten Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten eine Heranziehung des § 66 Abs. 3 AVG.

 

5. Die Rechtssache war daher spruchgemäß an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Erstbehörde wird im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten Mängel zu verbessern bzw. aufzuklären haben.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
28.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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