TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/11 D9 242263-0/2008

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Veröffentlicht am 11.09.2008
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Spruch

D9 242263-0/2008/9E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Kanhäuser als Vorsitzenden und den Richter MMag. Schärf als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Thurner über die Beschwerde der G.L., geb. 00.00.1953, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 5. September 2003, FZ. 02 13.081-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51 in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998, zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang

 

Die (nunmehrige) Beschwerdeführerin gelangte am 16. Mai 2002 aus der Tschechischen Republik kommend in das österreichische Bundesgebiet, wurde am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes angehalten und niederschriftlich einvernommen. Als Grund ihrer Reise nach Österreich gab die Beschwerdeführerin an, auf Grund gegen sie, als Inhaber eines Geschäftes, gerichteter Schutzgelderpressungen geflüchtet zu sein. Dezidiert zu allfälligen Krankheiten bzw. zur Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung befragt, wies die Beschwerdeführerin darauf hin, auf Grund starker Blutungen dringend der Konsultation eines Facharztes für Frauenheilkunde und Geburtshilfe zu bedürfen (Verwaltungsakt der belangten Behörde, Seite 1 bis 7).

 

In Folge einer Zuweisung erfolgte in der Krankenanstalt, Aö. Krankenhaus Gmünd, eine hämatologische Laboruntersuchung, auf Grund derer uterus myomatosus, Menometrorrhagie und Hypermenorrhoe diagnostiziert wurde (Verwaltungsakt der belangten Behörde, Seite 9 bis 11).

 

Dem Verwaltungsakt der belangten Behörde liegt weiters ein Protokoll des Journaldienstes vom 00.00.2002 bei, wonach um 16:05 Uhr eine Information des AÖ. Krankenhauses der Kurstadt Baden über eine stationäre Behandlung und eines voraussichtlichen operativen Eingriffes der Beschwerdeführerin einging (Verwaltungsakt der belangten Behörde, Seite 17).

 

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 2. September 2002 wurde die Beschwerdeführerin näher über ihren Aufenthalt in der Tschechischen Republik, ihren Reiseweg in das österreichische Bundesgebiet und die Vorkommnisse in Bezug auf die behauptete Schutzgelderpressung befragt (Verwaltungsakt der belangten Behörde, Seite 21 bis 29).

 

Mit Bescheid vom 5. September 2003, 02 13.081-BAT, wies die belangte Behörde den Asylantrag der Beschwerdeführerin vom 16. Mai 2002 unter Spruchpunkt I. gemäß § 7 Asylgesetz, BGBl I 1997/76 (AsylG) idgF, ab und erklärte mit Spruchpunkt II. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation für zulässig.

 

Verfahrensgegenständlicher Bescheid wurde der Beschwerdeführerin durch eigenhändige Übernahme am 17. September 2003 zugestellt (Verwaltungsakt der belangten Behörde, Seite 119).

 

Mit Telefax vom 1. Oktober 2008, eingelangt am selben Tag, erhob die Beschwerdeführerin Berufung (nunmehr: Beschwerde), welche mit Schreiben vom 14. Oktober 2003 ergänzt wurde.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Rechtslage:

 

1.1. Der Asylgerichtshof hat gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 (WV) in der Fassung BGBl. I Nr. 2/2008, ab 1. Juli 2008 die beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen.

 

Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I Nr. 77/1997, in der Fassung BGBl. I. Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 22 Abs. 1 Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in Fassung BGBl. I Nr. 4/2008, ergehen Entscheidungen des Bundesasylamtes über Anträge auf internationalen Schutz in Bescheidform. Entscheidungen des Asylgerichtshofes in der Sache selbst ergehen in Form eines Erkenntnisses, alle anderen in Form eines Beschlusses. Die Entscheidungen des Bundesasylamtes und des Asylgerichtshofes haben den Spruch und die Rechtsmittelbelehrung auch in einer dem Asylwerber verständlichen Sprache zu enthalten.

 

Der Asylgerichtshof entscheidet gemäß Art. 129c Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, in der Fassung BGBl. I Nr. 2/2008, in Verbindung mit § 61 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008 in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 leg. cit. vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

2. Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

Auf die Verfahren vor dem Asylgerichtshof sind gemäß § 23 AsylGHG, soweit sich aus dem B-VG, dem AsylG 2005, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nichts anderes ergibt, die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz - AVG, BGBl. Nr. 51, hat die Berufungsbehörde außer in dem in Abs. 2 erwähnten Fall, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzten und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Im gegenständlichen Fall handelt es sich um ein Beschwerdeverfahren, das gemäß § 61 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008 von dem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Senat zu entscheiden ist.

 

1.2. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008, sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Bundesasylamt oder der Asylgerichtshof zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs. 5 und 6 AsylG 2005 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76 in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003, werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002, geführt.

 

Gemäß § 44 Abs. 2 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76 in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003, werden Asylanträge, die ab dem 1. Mai 2004 gestellt werden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76 in der jeweils geltenden Fassung geführt.

 

Gegenständlicher Asylantrag wurde am 16. Mai 2002 gestellt, weshalb auf das Beschwerdeverfahren die Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG 1997), in der Fassung BGBl. I Nr. 126/2002, anzuwenden ist.

 

1. 3. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998, kann die Berufungsbehörde, so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß § 66 Abs. 3 AVG, BGBl. Nr. 51/1991, kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis 21. 11. 2002, 2002/20/0315, welches nunmehr auch für den seit 1. Juli 2008 eingerichteten Asylgerichtshof von Relevanz ist, ausgeführt:

 

"Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gemäß § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. dazu unter dem besonderen Gesichtspunkt der Auslegung der Entscheidungsbefugnis der belangten Behörde im abgekürzten Berufungsverfahren nach § 32 AsylG die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 23. 07. 1998, Zl. 98/20/0175, Slg. Nr. 14.945/A, die mehrfach vergleichend auf § 66 Abs. 2 AVG Bezug nehmen; zu diesem Erkenntnis siehe auch Wiederin, ZUV 2000/1, 20 f).

 

Der Verwaltungsgerichthof hat im Erkenntnis vom 27. 04. 1989, Zl. 86/09/0012, Slg. Nr. 12.917/A, aus einer in den Verwaltungsvorschriften angeordneten zwingenden und ohne Ausnahme bestehenden Verpflichtung zur Durchführung einer Berufungsverhandlung trotz Fehlens einer ausdrücklichen Ausnahme hinsichtlich der Geltung des § 66 Abs. 2 AVG die Unanwendbarkeit dieser Bestimmung in einem solchen Berufungsverfahren gefolgert. Das steht aber zu der hier - für das Verfahren vor der belangten Behörde - zu Grunde gelegten gegenteiligen Auffassung schon deshalb nicht im Widerspruch, weil eine derartige uneingeschränkte Verhandlungspflicht für den Unabhängigen Bundesasylsenat nicht besteht. (...) Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unvermeidlich erscheint. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14. 03. 2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG siehe auch die Nachweise im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084)."

 

Nach der grundsätzlichen Bejahung der Frage der Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG führte der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 21. 11. 2002, Zl. 2002/20/0315, zur Frage der Gesetzmäßigkeit der Ermessensübung im Sinne des § 66 Abs. 2 und 3 AVG Folgendes aus:

 

"Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht..."

 

2. In der Sache:

 

2. 1. Gemäß Art. 129c Z 1 B-VG, BGBl. I Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 2/2008, erkennt der Asylgerichtshof - und nicht mehr der Unabhängige Bundesasylsenat als "oberste Berufungsbehörde" - nach Erschöpfung des Instanzenzuges über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen. Der Asylgerichtshof sieht keinen Grund dafür, dass sich die o.a. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf die neue Rechtslage übertragen ließe. Es ist weiterhin in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren vorgesehen. In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz relevanten Sachverhalt zu ermitteln. Unterbliebe ein umfassendes Ermittlungsverfahren in erster Instanz, würde nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde verlagert werden, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, dass der Asylgerichtshof erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermitteln und beurteilen muss und damit seine umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst bei der letzten Instanz beginnen und zugleich enden (abgesehen von der mit BGBl. I Nr. 2/2008 geschaffenen Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art. 144a B-VG).

 

2. 2. Der Verwaltungsgerichtshof hat zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist.

 

Im hier zu beurteilenden Fall weist der angefochtene Bescheid sowohl Mängel im Bereich der Sachverhaltsermittlungen und -feststellungen als auch hinsichtlich der von der erstinstanzlichen Behörde durchgeführten Beweiswürdigung auf. Weiters ist das Verfahren mit wesentlichen Mängeln behaftet.

 

Bereits in der Ersteinvernahme vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes wies die Beschwerdeführerin auf starke Blutungen und die glaublich notwendige gynäkologische Behandlung hin. Dem Befundbericht des 16. Mai 2002 erscheint ein für die körperlichen Beschwerden ursächliches Uterusmyom nicht ausgeschlossen. Unbeschadet der erfolgten Erstdiagnose uterus myomatosus, Menometrorrhagie und Hypermenorrhoe unterließ es die belangte Behörde nähere Ermittlungen über den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin zu erheben; dies obwohl ihr aktkundig in weiterer Folge eine stationäre Behandlung zur Kenntnis gebracht wurde. In welchem Zusammenhang dieser stationäre Krankenanstaltenaufenthalt mit der erfolgten Erstdiagnose steht, wurde ebenso nicht erhoben. So wurde die Beschwerdeführerin selbst im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme weder zu ihrem körperlichen - noch psychischen - Empfinden befragt.

 

Soweit die belangte Behörde in ihrer Länderfeststellung allgemein darauf hinweist, dass die medizinische Versorgung in der russischen Föderation gewährleistet, bei aufwendigeren medizinischen Behandlungen jedoch ein Kostenersatz erforderlich sei (Bescheid, Seite 13), vermag dies eine Auseinandersetzung mit dem individuellen Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin durch entsprechende Ermittlungen, diesbezügliche Feststellungen sowohl zur Person und als auch in konkreten Bezug auf den Herkunftsstaat, nicht zu ersetzen. Die seitens der belangten Behörde im Rahmen der Prüfung des § 57 Fremdengesetzes 1997, BGBl. I Nr. 75/1997, getroffene Schlussfolgerung, wonach für die Beschwerdeführerin keine relevante Gefährdung im Falle einer Abschiebung in die Russische Föderation drohen würde, widerspricht einerseits dem Akteninhalt und erscheint eine solche auf Grund der getroffenen medizinischen Diagnose auch nicht denkunmöglich.

 

Der Asylgerichtshof übersieht in diesem Zusammenhang nicht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sowie der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zu Art. 3 MRK. Dennoch wird sich die belangte Behörde bei Vorliegen einer Erkrankung mit der Frage auseinanderzusetzen haben, inwiefern die Beschwerdeführerin auf Grund der allfälligen Notwendigkeit einer ständigen Überwachung und regelmäßiger Behandlungen - auch mangels möglicher Finanzierbarkeit oder staatlicher Unterstützung - in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten könnte und dies eine Gefahr für Leib und Leben im Sinne des Art. 3 EMRK bedeuten würde.

 

Die Erstbehörde ist ihren in § 28 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997, normierten Ermittlungspflichten auch in anderem Zusammenhang nicht ausreichend nachgekommen. Gemäß dieser Bestimmung hätte die Erstbehörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellungen oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken gehabt, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Dem Inhalt des Verwaltungsaktes ist nicht zu entnehmen, inwieweit die Beschwerdeführerin dezidiert befragt wurde, ob bzw. inwieweit sie aus Gründen des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention verfolgt worden wäre, weshalb der Asylgerichtshof vom Unterbleiben einer angeleiteten (§ 13a AVG) Befragung auszugehen hat.

 

Im vorliegenden Fall ist der angefochtene Bescheid bzw. das diesem zugrunde liegende Verfahren mit so schwerer Mangelhaftigkeit belastet, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die aufgezeigte Mangelhaftigkeit ist wesentlich, weil vorweg nicht ausgeschlossen werden kann, dass deren Vermeidung für die Beschwerdeführerin zu einem günstigeren Ergebnis hätte führen können. Die belangte Behörde hat es somit unterlassen, brauchbare Ermittlungsergebnisse in das Verfahren einzuführen. Sämtliche Erhebungen, welche grundsätzlich von der Erstbehörde durchzuführen sind, wären demnach durch den Asylgerichtshof zu tätigen; unter Berücksichtigung der Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten verbietet sich eine Heranziehung des § 66 Abs. 3 AVG. Das Bundesasylamt wird sich daher im fortgesetzten Verfahren mit den o. a. Fragen auseinanderzusetzen haben, dementsprechende Ermittlungen zu führen und diese Ergebnisse unter anderem mit der Beschwerdeführerin in einer Vernehmung zu erörtern haben.

 

In der Beschwerde nicht bekämpft, jedoch auf Grund der Aktenlage offenkundig, hat die belangte Behörde durch Unterlassen der Gewährung des Parteiengehörs zu den ermittelten Beweisaufnahmen (Länderfeststellungen) gemäß § 45 Abs. 3 AVG, BGBl. Nr. 51/991, Verfahrensvorschriften verletzt. Zwar kann nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 18. 2. 1986, 85/07/0205; 3. 9. 2001, 99/10/0011) ein solcher Verfahrensmangel durch die mit der Berufung verbundene Möglichkeit einer Stellungnahme saniert werden und obliegt es im Falle der Aufnahme dieser Tatsachenfeststellungen in die Begründung des unterinstanzlichen Bescheides der Partei den Tatsachenfeststellungen durch Geltendmachung ihrer Parteienrechte (zB Akteneinsicht) konkret entgegenzutreten (VwGH 21. 11. 2001, 98/08/0029), jedoch wird die belangte Behörde aus Anlass des vermehrten Auftretens der Verletzung von verfahrensrechtlichen Vorschriften unbeschadet des Umstandes, wonach gegen negative erstinstanzliche Entscheidungen regelmäßig Beschwerde an den Asylgerichtshof erhoben wird, darauf hingewiesen, dass die vollständige durch das Bundesasylamt durchzuführende Tatsachenermittlung einerseits eine umfassende Befragung, Rechtsberatung und Information des Asylwerbers und andererseits auch dessen umfassende Mitwirkung am Verfahren erfordert (Ausführung seitens des Gesetzgebers im Zuge der Asylgesetznovelle 2003). Die Kompetenz des Bundesasylamtes als Tatsacheninstanz schließt somit auch die Verpflichtung zur Gewährung der Parteienrechte im Sinne des AVG und der entsprechenden Materiengesetze (Asylgesetz 1997, AsylG 2005) mit ein, wobei in diesem Zusammenhang auf die Stellung des Asylgerichtshofes als verwaltungsgerichtliche Beschwerdeinstanz in Asylsachen hingewiesen wird.

 

Zusammenfassend war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
gesundheitliche Beeinträchtigung, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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