TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/15 E7 236895-0/2008

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Veröffentlicht am 15.09.2008
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Spruch

E7 236.895-0/2008-8E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde des K.V., geb. am 00.00.1977, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.04.2003, 02 04.937-BAL, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.05.2008 zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBl I Nr. 101/2003 als unbegründet abgewiesen.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

Der Beschwerdeführer (vormals: Berufungswerber; im Weiteren auch:

BF) stellte, nachdem er illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist war, am 20.02.2002 einen Asylantrag.

 

Am 07.11.2002 wurde der Beschwerdeführer vor der Außenstelle Linz des Bundesasylamtes niederschriftlich einvernommen.

 

Als Identitätsnachweise legte er einen türkischen Personalausweis, ausgestellt am 00.00.1993 in K., sowie einen türkischen Führerschein, ausgestellt am 00.00.1996 in K., vor.

 

Der Beschwerdeführer brachte in türkischer Sprache vor, er sei ein in R., Türkei, geborener türkischer Staatsangehöriger, der kurdischen Volksgruppe zugehörig, Moslem alevitischen Glaubens und ledig.

 

Sein Vater sei verstorben, seine Mutter lebe in der Provinz Erzincan, seine sechs Geschwister leben in der Provinz Istanbul.

 

Die Volksschule habe er von 1984 bis 1989 absolviert, den Militärdienst habe er von Februar 1997 bis November 1998 in Ankara abgeleistet.

 

Von 1998 bis Februar 2001 habe er in Istanbul sowie Izmir bei verschiedenen Dienstgebern gearbeitet, zuletzt - bis zu seiner Ausreise - sei er arbeitslos gewesen. Die Beschäftigung habe er aufgegeben, weil die letzten sechs Monate die Polizei nach ihm gesucht habe.

 

Er habe die Türkei in der Nacht von 15. auf 16.02.2002 in einem LKW versteckt verlassen und sei in der Nacht von 19. auf 20.02.2002 in der Nähe von Linz bei einer Tankstelle ausgestiegen.

 

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer zunächst an, im Februar 1995 mit vier Freunden eine Person verabschiedet zu haben, welche zum Militärdienst einrücken musste. Zuvor hätten sie Andenkenfotos machen lassen, als sie plötzlich von zehn bis 15 Polizisten umzingelt und zur Polizei gebracht worden seien. Dort seien sie bis zum Morgen befragt, beschimpft und auch geschlagen worden, ehe sie freigelassen worden seien.

 

Daraufhin habe sich der BF gedacht, dass er sich "gegen das Vorhaben der Republik wehren" müsse, und habe er in weiterer Folge die sogen. Pir Sultan-Vereine besucht. Am 21.03.1995 habe er in G. am Newrozfest teilgenommen und sei dort festgenommen, geschlagen und beschimpft worden.

 

1996 sei er gemeinsam mit seinem älteren Bruder beim Maiaufmarsch mitgegangen, dort sei er beschimpft und geschlagen, jedoch nicht festgenommen worden.

 

Im Februar 1997 sei er (gemeint wohl: zum Militärdienst) eingerückt und zunächst eingeschult worden. Dort habe man ihm einen Akt gezeigt und ihm gesagt, er sei der Bruder eines Terroristen, und habe ihn auch so behandelt; sein Bruder sei 1980 angeschossen worden.

 

Nach drei Monaten sei er nach Ankara gekommen und auch dort schlecht behandelt worden, ehe er im November 1998 abgerüstet habe und nach Istanbul zurückgekehrt sei.

 

Dort habe er die Vereinsbesuche und die Teilnahme am Maiaufmarsch fortgesetzt und am 21.03.1999 beim Newrozfest teilgenommen, wo er festgenommen worden sei. Dies sei in einer Ortschaft namens K. gewesen, wo die Kurden des Ortsteiles - maximal einhundert Personen - feierten. Es sei dann die Polizei gekommen, welche sagte, dass man das Fest nicht feiern dürfe, und habe sieben bis acht Personen, darunter den BF, mitgenommen. Am darauffolgenden Morgen sei er freigelassen worden.

 

Ende 1999, jedenfalls nach dem September 1999, habe er gemeinsam mit ca. siebzig bis achtzig weiteren Personen am Stadtplatz von K. an einer Protestveranstaltung gegen die Ereignisse im UULUCANER-Gefängnis in Ankara teilgenommen, wobei diese Veranstaltung gestürmt und die Teilnehmer beschimpft und geschlagen worden seien. Das Gleiche sei 1999 bei einer weiteren Protestveranstaltung geschehen.

 

Auch nachher habe er an Kurden- und Arbeiterfesten teilgenommen, was der Polizei aufgefallen sein dürfte, welche ihn daher als Terroristen angesehen haben dürfte.

 

Am 00.00.2001 sei in K. nach ihm gefragt worden und hätte er zum Polizeirevier kommen sollen, was er jedoch aus Angst, bestraft und geschlagen zu werden, nicht gemacht habe.

 

2001 habe er - gemeinsam mit 70.000 bis 100.000 anderen Personen - am Maiaufmarsch in S. teilgenommen. Er sei dort identifiziert und dies an die Polizei in K. weitergeleitet worden, welche ihn drei Tage später gesucht habe. Da er nicht zuhause gewesen sei, habe man ihn aber nicht festnehmen können.

 

Daraufhin habe er Istanbul verlassen und sei zunächst nach B. gezogen. Von dort sei er nach Ercincan gereist, wo er Kontakt mit seinem Bruder aufgenommen habe, welcher ihn bei der Ausreise unterstützt habe. Von Istanbul aus sei er nach Österreich gereist.

 

Man habe ihm vorgeworfen, sein Bruder, welcher 1980 angeschossen worden sei, sei ein Terrorist.

 

Für den Fall seiner Rückkehr in die Türkei befürchte er, am Flughafen verhaftet zu werden und eine 15- bis 20 jährige Haftstrafe zu erhalten. Befragt, weswegen dies der Fall sein sollte, antwortete der Beschwerdeführer wörtlich: "Wegen meiner Situation. Die finden irgendwas."

 

Der Beschwerdeführer bejahte weiters die Frage, ob er kurdisch spreche, was auch vom Dolmetscher bestätigt wurde.

 

Schließlich legte der Beschwerdeführer folgende Unterlagen in türkischer Sprache aus den Jahren 1980 bzw. 1984 vor, welche seine Brüder beträfen, diese wurden seitens der Erstbehörde einer Übersetzung zugeführt.

 

Mitteilung der Militärischen Staatsanwaltschaft vom 00.00.1980, wonach nach Durchführung einer Voruntersuchung von einer Strafverfolgung des K.M., geboren 1950, sowie des K.A., geboren 1955, abgesehen wurde. Dem weiteren Inhalt nach seien die Genannten die Brüder des K.I., der ehemals unter dem Aliasnamen E.G. Mitglied der illegalen Organisation TKP/ML-TIKKO gewesen sei und im September 1980 getötet wurde. Die beiden zuvor Genannten seien verdächtigt worden, Schilder mit Verweisen auf K.I. aufgehängt und in bewaffnete Zusammenstöße mit den staatlichen Sicherheitskräften involviert gewesen zu sein, was sich aber als nicht zutreffend herausgestellt habe.

 

Mitteilung der Militärischen Staatsanwaltschaft vom 00.00.1985, wonach von einer Strafverfolgung des K.M., geboren 1955, abgesehen wurde. Vorgeworfen worden seien diesem mehrere gegen den türkischen Staat gerichtete Delikte.

 

Ausschnitt aus einer unbekannten Zeitung mit unbekanntem Datum, wonach zwei Terroristen namens B.O. und E.G. (vgl. oben), welche in Izmir einen Polizisten umgebracht haben, getötet worden sind.

 

Mit dem angefochtenen Bescheid hat in der Folge das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 AsylG 1997 wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei für zulässig erklärt (Spruchpunkt II.).

 

Nach Wiedergabe der erstinstanzlichen Einvernahme stellte die Erstbehörde fest, dass der Beschwerdeführer türkischer Staatsangehöriger sei und der kurdischen Bevölkerungsgruppe angehöre.

 

Der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG 1997 glaubhaft gemacht und wäre ihm unabhängig davon auch eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung gestanden.

 

Es bestünden auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer im Falle der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung einer Gefahr iSd § 57 FrG ausgesetzt wäre.

 

Weiters traf die Erstbehörde verschiedene länderkundliche Feststellungen zur Türkei.

 

Beweis würdigend führt die Erstbehörde aus, dass die Identität des Beschwerdeführers aufgrund der vorgelegten unbedenklichen nationalen Dokumente feststehe. Auch die Angaben zu seinem Reiseweg seien als glaubwürdig anzusehen.

 

Die Behauptung des BF, während eines Maiaufmarsches in 2001 bei einer Teilnehmerzahl von ca. 100.000 Personen von der Polizei identifiziert worden zu sein, sei jedoch aufgrund der Masse der damals beteiligten Personen gänzlich unglaubwürdig und unplausibel.

 

Ebenso sei nicht schlüssig und nachvollziehbar, dass er wegen der Teilnahme an Kurden- und Arbeiterfesten von der Polizei als Terrorist angesehen worden sei.

 

Die vorgelegten Schriftstücke der Staatsanwaltschaft beträfen nicht seine Brüder, zumal die darin genannten Personen 22 bzw. 27 Jahre älter seien als der BF und der Vorname der Mutter nicht ident sei.

 

Durch die vorgelegten Zeitungsausschnitte könne wiederum wegen des fehlenden Datums und der unbekannten Herkunft dieser Artikel keine Verfolgungsgefahr dargelegt werden.

 

Auch divergierten die Angaben des BF zu seiner Beschäftigungsdauer zwischen der Datenaufnahme und der niederschriftlichen Einvernahme.

 

Die Erstbehörde gehe daher davon aus, dass die Probleme des BF darin lägen, dass dieser seit Februar 2001 bis zu seiner Ausreise im Februar 2002 in seinem Heimatland ohne Beschäftigung gewesen sei, was jedoch nicht zu einer Asylgewährung führen könne.

 

Ungeachtet der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers wäre diesem jedenfalls auch eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung gestanden, zumal er regionalbedingte Probleme ausgeführt habe.

 

Überdies mangle es der vorgebrachten Verfolgungsgefährdung an der nötigen Intensität und am zeitlichen Zusammenhang mit der Ausreise.

 

Schließlich sei eine Rückkehrgefährdung iSd § 57 FrG weder erkennbar noch wahrscheinlich und könne der BF anhand seiner Dokumente seine Identität beweisen.

 

Zu den Länderfeststellungen hielt die Erstbehörde fest, dass diese notorisch seien und aus verlässlichen, unbedenklichen und seriösen Quellen stammten.

 

In rechtlicher Hinsicht führte die Erstbehörde zu Spruchpunkt I. aus, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit abzusprechen gewesen sei, weshalb die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden könne.

 

Unabhängig davon rechtfertigten die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur kurdischen Volksgruppe alleine sowie allgemeine geringfügige Benachteilungen, welche nicht das Ausmaß einer Gruppenverfolgung erreichen, keine Asylgewährung.

 

Die vom Beschwerdeführer angesprochene Inhaftierung sei ohne Konsequenzen geblieben, was darauf schließen lasse, dass er seitens der staatlichen Stellen seines Heimatlandes nicht als politisch gefährlich eingestuft werde.

 

Der Beschwerdeführer sei zwar Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen, welche aber nicht bis zu seiner Ausreise gedauert hätten und welchen es daher am notwendigen zeitlichen Konnex zu seiner Ausreise mangle.

 

Überdies stehe dem BF eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.

 

Auch aus diesen Gründen sei der Asylantrag abzuweisen gewesen.

 

Betreffend Spruchpunkt II. hielt die Erstbehörde zusammengefasst fest, dass sich weder aus dem Amtswissen noch aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers eine Rückkehrgefährdung ergäbe. Außerdem seien keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Türkei in eine lebensbedrohende Notlage geraten würde, zumal ihm als soziales Auffangnetz die dort lebende Familie zur Verfügung stünde.

 

Der erstinstanzliche Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 15.04.2003 mittels Hinterlegung beim Postamt zugestellt.

 

Gegen diesen Bescheid richtete sich die fristgerecht am 28.04.2003 zur Post begebene Berufung (nunmehr: Beschwerde) gegen beide Spruchpunkte wegen "inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie wegen unrichtiger und fehlender Sachverhaltsfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung". Beantragt wurde die Abänderung des bekämpften Bescheides im Sinne einer Asylgewährung und Feststellung der Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei, in eventu wird die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres beantragt.

 

In dieser wird zusammengefasst ausgeführt, dass es sehr wohl möglich sei, dass der BF beim Maiaufmarsch identifiziert wurde, zumal er einerseits durch seine pro-kurdischen und regimekritischen Protestteilnahmen und seine mehrmaligen Festnahmen der Polizei bereits bekannt gewesen sei und andererseits aufgrund zu befürchtender Ausschreitungen ein Großaufgebot der türkischen Polizei- und Sicherheitskräfte von geschätzten 10.000 Personen anwesend gewesen sei.

 

Die Mitglieder seiner Familie hätten sich in der Arbeitergewerkschaft, der kommunistischen Partei sowie in pro-kurdischen und linken Bewegungen engagiert, weshalb sie vom türkischen Staat der Regimegegnerschaft und des Terrorismus verdächtigt würden.

 

Die in den Schriftstücken der Staatsanwaltschaft genannten Personen seien seine Halbbrüder, wobei sich der hohe Altersunterschied dadurch erkläre, dass sein Vater nach dem Tod seiner ersten Frau wieder geheiratet habe. Diese Ungereimtheiten hätte er leicht aufklären können, wenn er von der Erstbehörde dazu befragt worden wäre, wozu diese auch verpflichtet gewesen wäre. Als Beweis lege er eine Familienübersicht des Standesamtes vor.

 

Aus dem Schriftstück der Staatsanwaltschaft gehe auch hervor, dass sein Bruder K.I. unter dem Decknamen E.G. politisch aktiv gewesen und von den türkischen Behörden als Terrorist angesehen worden sei. Aus dem vorgelegten Zeitungsartikel gehe hervor, dass dieser gemeinsam mit O.Ü. 1980 angeschossen worden sei. Wäre die Erstbehörde ihrer Ermittlungspflicht nachgekommen, hätte sie diese Zusammenhänge leicht erkennen können.

 

Der Beschwerdeführer selbst habe an Protesten und kurdischen Kundgebungen im ganzen Land teilgenommen und stehe bei den türkischen Behörden unter dem Verdacht des Terrorismus, wobei er in keinem Landesteil der Türkei vor Verfolgung sicher sei.

 

Die Verfolgungshandlungen gegen ihn hätten bereits vor dem Maiaufmarsch 2001 durch mehrmalige Festnahmen und Folterungen eine asylrelevante Intensität erreicht. Da er nach dem Maiaufmarsch behördlich gesucht worden sei, habe er sich bei Freunden versteckt gehalten und daher keiner Beschäftigung mehr nachgehen können. Es mangle daher weder an zeitlichem Zusammenhang noch an der Intensität der von ihm geschilderten Verfolgungshandlungen.

 

Er stehe in der Türkei unter dem Verdacht pro-kurdischer oder links-politischer Aktivitäten und laufe daher Gefahr, bei einer Rückkehr neuerlich als Terrorist verhaftet, gefoltert oder gar getötet zu werden.

 

Gleichzeitig beantragte der Beschwerdeführer seine nochmalige Einvernahme unter Beiziehung eines Sachverständigen für die Türkei zum Beweis für seine Glaubwürdigkeit sowie die Einholung von Stellungnahmen von UNHCR und Amnesty International betreffend die Verfolgung von Kurden in der Türkei, die wegen pro-kurdischer oder links-politischer Aktivitäten verdächtig sind.

 

Es lägen auch die Abschiebungshindernisse des § 57 Abs 1 und 2 FrG vor, wobei sich der BF weiteres Vorbringen im Zuge des Berufungsverfahrens ausdrücklich vorbehielt.

 

Für den Fall der Abweisung seines Asylantrages ersuche er um Erteilung einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung.

 

Das gegenständliche Verfahren wurde mit 24.01.2006 wegen längerfristiger Erkrankung des vormals zuständigen Mitglieds des Unabhängigen Bundesasylsenats als Berufungsbehörde dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Richter des Asylgerichtshofs zugeteilt.

 

Mit Schreiben vom 11.04.2006 teilte das Amt der Oö. Landesregierung mit, dass der Beschwerdeführer seit fast einem Jahr in einem legalen Beschäftigungsverhältnis stehe.

 

Am 07.05.2008 führte der entscheidende Richter (noch als Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenats als bis 30.06.2008 bestehender Berufungsbehörde) eine mündliche Verhandlung in der Sache des Beschwerdeführers durch, an welcher der Beschwerdeführer gemeinsam mit einer von ihm für diese Verhandlung bevollmächtigten Vertreterin der Caritas Österreich teilnahm, von der sich die Erstbehörde jedoch entschuldigen ließ.

 

Der Beschwerdeführer gab einleitend an, bei seinem bisherigen Vorbringen zu bleiben und seine Berufung (Beschwerde) ausdrücklich aufrecht zu halten.

 

Zu einer Arbeitstätigkeit in Österreich befragt führte der BF aus, ab Dezember 2002 mittels Beschäftigungsbewilligung gearbeitet zu haben, und zwar zunächst zweieinhalb Jahre in einer Reinigungsfirma und zuletzt als Lagerarbeiter. 2007 hätte er einen Arbeitsunfall gehabt, seither arbeite er nicht mehr. Derzeit besuche er einen vom AMS bezahlten Computer- und Deutschkurs und bekomme auch Arbeitslosenunterstützung. Mittlerweile sei seine Beschäftigungsbewilligung abgelaufen und müsse er eine neue Stelle finden, um diese verlängern lassen zu können.

 

Zum Arbeitsunfall befragt gab der BF an, sich den Oberarm gebrochen zu haben und ein Platinimplantat bekommen zu haben. Die Heilung habe ca. sechs Monate gedauert.

 

Er sei in R., geboren und dort auch zur Schule gegangen. 1989 seien seine Eltern, zwei seiner Schwestern, nämlich R. und B., sein Bruder E. und er selbst nach Istanbul gezogen. E. sei dzt. in Istanbul verheiratet und arbeite auch dort, R. und B. seien ebenfalls dort verheiratet und arbeiteten in einer Reinigungsfirma.

 

Die erste Frau seines Vaters sei in den 50er-Jahren bei einem Erdbeben verstorben. 1968 habe sein Vater das zweite Mal, nämlich die Mutter des Beschwerdeführers namens M. geheiratet. Sein Vater wiederum sei 1989 bei einem Autounfall ums Leben gekommen, seine Mutter habe einige Jahre später wieder geheiratet und lebe nunmehr in Istanbul.

 

Seine Halbbrüder I., N., A. und H. seien ungefähr 1975 nach Istanbul gezogen und leben dort. Seine Halbschwester L. sei Anfang der 80er-Jahre nach Istanbul gezogen.

 

Er stehe in telefonischem Kontakt mit seiner Mutter und seinen Geschwistern, vermute jedoch, dass die Telefonate abgehört werden, zumal in den letzten drei bis vier Monaten Polizisten bei seinen Geschwistern nach ihm verlangt hätten.

 

Er selbst habe zwischen 1989 und seiner Ausreise - mit Unterbrechung durch den Militärdienst - großteils in Istanbul, gelebt. Zwischen 1999 und 2000 habe er ab und zu gearbeitet, zwischen 2000 und 2001 ca. vier bis sechs Monate in Izmir, die restliche Zeit, darunter auch die letzten zwei Monate vor seiner Ausreise, habe er sich in K., Istanbul, aufgehalten.

 

Über Vorhalt seiner davon abweichenden erstinstanzlichen Aussagen führte er aus, im Mai 2001 für ca. vier bis fünf Monate nach B. gereist zu sein, dann nach Erzincan, von dort nach Izmir und von dort wiederum nach Istanbul.

 

Als Kurde und Alevite sei er doppelt unterdrückt worden. Er habe an den 1.-Mai-Demonstrationen, bei den Newroz-Veranstaltungen sowie an Demonstrationen in Zusammenhang mit den Hungerstreiks gegen die schlechten Haftbedingungen in den sogenannten F-Typ-Gefängnissen teilgenommen.

 

Ab 1995 habe er Pir-Sultan-Vereine besucht, dies seien links-politische alevitische Vereine, welche für die Rechte der Aleviten in der Türkei und für die Menschrechte im Allgemeinen arbeiteten. Pir Sultan sei ein Alevit aus Sivas gewesen, welcher im osmanischen Reich mit seiner Lebensphilosophie, seinem Gesang und seinen Gedichten gewaltlosen Widerstand gegen Ungerechtigkeit, Reichtum und Unterdrückung ausgeübt habe und schließlich gesteinigt und aufgehängt worden sei.

 

Er selbst habe bei der Organisation von Demonstrationen geholfen, indem er etwa in seinem Wohnviertel Teilnehmer angeworben, Plakate getragen und Zeitungen sowie Flugblätter verteilt habe. Insgesamt habe er bei ca. 15 bis 20 größeren und kleineren Demonstrationen teilgenommen, hauptsächlich im Raum Istanbul, aber auch in Ankara.

 

Weiters konkretisierte der Beschwerdeführer den bereits erstinstanzlich geschilderten Vorfall aus dem Jahr 1995, bei welchem er einen Freund zum Militärdienst verabschiedet habe. Damals habe in H. eine Art Feierlichkeit stattgefunden auf einem Busbahnhof, von wo aus einige tausend Rekruten in die Türkei gefahren und von ihren Angehörigen und Freunden verabschiedet worden seien. Es seien auch sehr viele Polizisten anwesend gewesen, welche den BF und seine Freunde umzingelt hätten. Es sei ihnen vorgeworfen worden, die Parole "Der größte Soldat ist der kurdische Soldat" ausgesprochen zu haben und seien sie festgenommen und für eine Nacht in der Polizeistation angehalten sowie verprügelt worden. Schließlich seien sie freigelassen worden, zumal die Polizei zu dem Schluss gekommen sei, dass sie die genannte Parole nicht ausgesprochen hätten.

 

Am 00.00.1996 sei er gemeinsam mit vier anderen Personen festgenommen worden, zumal sie zu Newroz-Feierlichkeiten Reifen in Brand gesetzt hätten. Am Polizeirevier seien sie einvernommen und dabei auch geschlagen worden, weiters sei ihnen Angst eingejagt worden, damit sie so etwas nicht mehr machten. Nach vier bis fünf Stunden seien sie freigelassen worden.

 

Er habe weiterhin an Demonstrationen teilgenommen, sei jedoch sehr vorsichtig gewesen, um nicht mehr mit der Polizei konfrontiert zu werden. Falls er nochmals festgenommen worden wäre, hätte er mit drei bis sechs Jahren Freiheitsstrafe zu rechnen gehabt.

 

Nach 1996 sei er nicht mehr festgenommen worden, sondern sei er davongelaufen, wenn er bei Demonstrationen Polizei gesehen hätte.

 

Beim Militär sei er diskriminiert und sonderbehandelt worden, zumal man dort gewusst hätte, dass sein Halbbruder I. von der Polizei erschossen worden sei. Deshalb habe er keine Waffe tragen dürfen und sei der Militärdienst für ihn wie ein Gefängnis gewesen.

 

Sein Halbbruder I. sei am 00.00.1980 erschossen worden und habe für die Organisation TKP/ML (auch Partican genannt) gearbeitet.

 

Seine Halbrüder N. und A. seien gemeinsam mit I. aktiv und überdies bei der Gewerkschaft Maden-Is gewesen. Sie seien revolutionäre Persönlichkeiten und mehrmals festgenommen und gefoltert worden. Derzeit seien sie bei der Gewerkschaft Tuzla Deri-Is.

 

1980 sei ein Verfahren gegen diese beiden Halbbrüder zwar eingestellt worden, zuvor seien sie jedoch brutal, sogar mit Strom gefoltert worden.

 

Über Vorhalt, dass er seinen nunmehrigen Angaben nach seit 1995 bzw. 1996 keine Behördenkontakte mehr gehabt habe, gab der Beschwerdeführer an, jedoch ein grundsätzliches Problem mit dem türkischen Staat zu haben. In den letzten sechs Monaten vor seiner Ausreise sei auch intensiv nach ihm gesucht worden. Aufgrund seiner Teilnahme bei Demonstrationen, welche er auch mitorganisiert habe, sei er bei der Polizei bekannt gewesen.

 

Ein Freund von ihm sei politisch gesehen in der gleichen Lage wie er selbst gewesen. Dieser Freund sei 2001, als der Beschwerdeführer in Izmir gewesen sei, entweder nach Newroz oder nach dem 1. Mai, verhaftet und zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Aus dessen Gerichtsunterlagen gehe hervor, dass er mit dem Beschwerdeführer zusammengearbeitet habe. Dies sei ihm von anderen Freunden berichtet worden.

 

Bei den Demonstrationen habe die Polizei auch Fotos vom Beschwerdeführer gemacht und jede seiner Aktionen registriert. Dies schließe er daraus, dass sowohl uniformierte Polizisten als auch solche in Zivil und Journalisten die im Vordergrund befindlichen Personen, welche Plakate getragen hätten, fotografiert hätten.

 

Diesen Aspekt habe er erstinstanzlich nicht angegeben, weil ihm der Beamte gesagt habe, dass er nur ihn persönlich betreffende Dinge angeben solle.

 

Die Suche nach ihm habe ab 00.00.2000 angefangen, er sei nach einer Demonstration in U. gesucht worden, und zwar bei seiner Schwester und bei seinen Brüdern. Auch in den letzten Monaten vor der Verhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat habe die Polizei bei seinem Bruder A. nach dem Beschwerdeführer gefragt und gemeint, wer müsse vor dem Polizeirevier K. eine Aussage machen.

 

Befragt, weshalb die Polizei sechs Jahre, nachdem er die Türkei verlassen habe, plötzlich wieder Interesse an ihm haben sollte, antwortete der Beschwerdeführer wörtlich: "Wegen der Schilderungen, die ich heute gemacht habe."

 

Auch in Österreich beteilige er sich an pro-kurdischen Aktivitäten, und zwar sei er Mitglied des Vereins Atigf und nehme an dessen Aktivitäten teil. Diesbezüglich legte der BF eine Bestätigung des UMUT Kulturzentrums in OÖ vor, wonach dieser Verein Mitglied der Föderation ATIGF (Föderation der Arbeiter und Jugendlichen aus der Türkei in Österreich) sei und akademisch-politisch-soziale und kulturelle Ereignisse durchführe. Der BF sei Vereinsmitglied.

 

Der Beschwerdeführer gab an, zuletzt bei der vom mesopotamischen Verein organisierten Demonstration gegen den Einmarsch der Türkei in den Nordirak teilgenommen zu haben.

 

Befragt, wie es der türkischen Polizei möglich gewesen sein solle, bei Demonstrationen mit tausenden Teilnehmern einzelne Leute zu identifizieren, gab der Beschwerdeführer an, dass radikalere Gruppierungen, wie etwa Anhänger der HADEP, und Leute, welche Plakate tragen, von der Polizei auf Video aufgenommen bzw. fotografiert würden und dadurch aus der Masse heraus identifiziert werden könnten. Überdies mischten sich auch Zivilpolizisten unter die Demonstranten, welche man daran erkenne, dass sie Provokationen erzeugen, bzw. würden sie sich auch zu erkennen geben.

 

Abschließend legte die Vertreterin des Beschwerdeführers folgende Urkunden vor:

 

ai, Jahresbericht 2007, Auszug Länderbericht Türkei

 

U.S. State Department Countryreport, Turkey 2007

 

Entscheidung des UBAS vom 30.11.2006, GZ 243.869/0-XIV/39/03 zur Frage der Sippenhaftung bzw. des Durchschlagens der Verfolgung auf Angehörige eines AW

 

SFH, Länderbericht Türkei vom Oktober 2007, Zur Lage der Aleviten

 

Als aktuelle länderkundliche Informationsquellen von Amts wegen dem gegenständlichen Verfahren zugrunde gelegt, mit dem Beschwerdeführer im Wesentlichen erörtert und zum Akt genommen wurden:

 

diverses Kartenmaterial aus dem Internet;

 

Angaben aus wikipedia/Internet zur Person des Pir Sultan Abdal;

 

Dt. Auswärtiges Amt, Bericht zur aktuellen Lage in der Türkei vom 25.10.2007.

 

Dazu führte der Beschwerdeführer aus, dass der EU die Situation der Aleviten und Kurden in der Türkei sehr wohl bewusst sei, nämlich dass diese bis heute verfolgt und ermordet würden. Die Türkei sei ein schönes Land mit sehr viel Reichtum und sei es dort auch lebenswert, nur das politische System mache es für Kurden und Aleviten unmöglich ein Leben in Würde zu führen.

 

II. Der zur Entscheidung berufene Richter des Asylgerichtshofs hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird festgestellt und der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, ist am 00.00.1977 geboren, Staatsangehöriger der Türkei der kurdischen Volksgruppe sowie Moslem alevitischen Glaubens. Er ist in R., geboren und dort auch zur Volksschule gegangen.

 

Der Vater des Beschwerdeführers, F., war in zweiter Ehe mit der Mutter des Beschwerdeführers, M., verheiratet und hatte mit dieser gemeinsam neben dem Beschwerdeführer noch einen Sohn namens E. sowie zwei Töchter namens R. und B..

 

Mit seiner ersten Ehefrau, G., welche verstorben ist, hatte der Vater des Beschwerdeführers eine Tochter namens L. sowie vier Söhne, nämlich N., A., C. und I., wobei letzterer 1980 verstorben ist.

 

1989, nach Absolvierung der Volksschule, ist der Beschwerdeführer mit seinen Eltern und seinen drei Geschwistern nach Istanbul gezogen, kurze Zeit später ist der Vater verstorben. Die Mutter des BF ist heute wieder verheiratet und lebt ebenso wie die Geschwister und die Halbgeschwister des BF (ausgenommen der verstorbene Halbbruder I.) nach wie vor in der Türkei.

 

Der Beschwerdeführer hat den Wehrdienst von Februar 1997 bis November 1998 in Ankara abgeleistet. Nach seiner Militärzeit bis zu seiner Ausreise hat der Beschwerdeführer gearbeitet, wobei jedoch die genauen Orte sowie die genaue Dauer seiner Beschäftigung und somit auch die Orte seines gewöhnlichen Aufenthalts vor der Ausreise nicht dezidiert festgestellt werden konnten.

 

1.2. Zu den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Ausreisegründen wird festgestellt:

 

Der Halbruder des BF namens K.I. ist 1980 zu Tode gekommen, nachdem er seinerseits einen Polizisten angegriffen hatte.

 

Gegen zwei andere Halbbrüder des BF, N. und A., wurde Ende 1980 eine Voruntersuchung seitens der Militärischen Staatsanwaltschaft eingeleitet, weil diese in Verdacht standen, in einen bewaffneten Zusammenstoß mit Sicherheitskräften verwickelt gewesen zu sein. Es wurde jedoch in weiterer Folge von einer Strafverfolgung der Beiden abgesehen.

 

Der Halbbruder N. wurde überdies verdächtigt, im Zeitraum 00.00.1978 bis 00.00.1980 die Delikte der (laut im Akt befindlicher Übersetzung) "Gewalterzeugung einer sozialen Klasse gegen eine andere soziale Klasse, Gründung eines Wirtschaftszweiges im Staat und Führung einer legalen Gewerkschaft, um die sozialen Elemente zu stürzen, Betreibung der kommunistischen Propaganda für die Teilung des Staates" begangen zu haben. Auch diesbezüglich wurde 1985 von der Militärischen Staatsanwaltschaft auf eine Strafverfolgung verzichtet.

 

Der Beschwerdeführer wurde im Februar 1995 anlässlich der Verabschiedung von Rekruten zum Militärdienst von der Polizei festgenommen, eine Nacht lang angehalten und misshandelt. Am nächsten Tag wurde er wieder freigelassen.

 

Anlässlich der Newroz-Feierlichkeiten am 21.03.1996 wurde der BF neuerlich von der Polizei festgenommen, am Polizeirevier einvernommen und ebenfalls mißhandelt, ehe er wieder freigelassen wurde.

 

Ab diesem Zeitpunkt hat der Beschwerdeführer zwar weiterhin an Demonstrationen, Newroz-Feierlichkeiten und Maiaufmärschen teilgenommen, es kam jedoch seither zu keinem Kontakt mehr mit den Polizeibehörden seines Heimatstaates.

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer der Polizei als Terrorist bekannt und im Jahr 2001 polizeilich gesucht worden sei.

 

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass ein Freund des Beschwerdeführers, mit welchem er gemeinsam an Demonstrationen teilgenommen habe, 2001 verhaftet und zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, weshalb auch der BF selbst in diesem Verfahren aktenkundig geworden sei.

 

Ebenso wenig konnte festgestellt werden, dass Polizisten Anfang des Jahres 2008 bei den Verwandten des BF nach diesem gefragt hätten.

 

Der Beschwerdeführer ist in Österreich bloßes Mitglied des Vereins "Umut Kultur Zentrum" in Linz, welcher Verein wiederum Mitglied der Föderation ATIGF (Föderation der Arbeiter und Jugendlichen aus der Türkei in Österreich) ist.

 

Im Lichte dieser Feststellungen war insgesamt eine begründete Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung aus den von ihm behaupteten oder aus anderweitigen Gründen oder eine Gefährdung des BF, die ein Abschiebehindernis darstellen würde, im Falle einer Rückkehr in die Türkei nicht feststellbar.

 

1.3. Der Beschwerdeführer kann sich im Falle der Rückkehr auf seine bereits vor der Ausreise gezeigte Selbsterhaltungsfähigkeit stützen. Darüber hinaus verfügen die verschiedenen Angehörigen des Beschwerdeführers, nämlich seine Eltern und seine Geschwister, in seiner Heimat über offenbar hinreichende Existenzmöglichkeiten. Allenfalls kann er bei anfänglichen materiellen Schwierigkeiten nach der Rückkehr auf die Unterstützung seiner Verwandten zurückgreifen. Er hat demnach, soweit es die notwendige Existenzgrundlage für sich angeht, in diesem Fall - auch vor dem Hintergrund der allgemeinen Lage in der Türkei - in materieller Hinsicht keine aussichtlose Lage zu gewärtigen.

 

1.4. Zur Lage in der Türkei:

 

Im Hinblick auf die aktuelle Situation in der Türkei wird auf die aktuellen Feststellungen im oben angeführten länderkundlichen Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes verwiesen.

 

Im Hinblick auf das Vorbringen des Beschwerdeführers ist zum einen dahin gehend von Bedeutung, dass es bei einem dzt. Anteil der Kurden von etwa einem Fünftel an der Gesamtbevölkerung der Türkei, d.h. etwa 14 Mio. Kurden, der sich auf die gesamte Türkei verteilt und zum größten Teil in die türkische Gesellschaft integriert ist, zu keinen systematischen und weit verbreiteten Repressionen gegen Staatsbürger kurdischer Herkunft kommt. Festzuhalten ist weiters, dass sich der in der Türkei zu findende Anteil an der alevitischen Glaubensrichtung zugehörigen Einwohner (ca. 15 Millionen) sowohl aus Mitgliedern der türkischen als auch der kurdischen Volksgruppe zusammensetzt.

 

Im Hinblick auf die politischen Aktivitäten der Halbbrüder des BF wird festgestellt, dass es in der Türkei generell keine "Sippenhaft" in dem Sinne gibt, dass Familienmitglieder für die Handlungen eines Angehörigen strafrechtlich verfolgt oder bestraft werden. Die nach türkischem Recht aussagepflichtigen Familienangehörigen - etwa von vermeintlichen oder tatsächlichen PKK-Mitgliedern oder - Sympathisanten - können allerdings zu Vernehmungen geladen werden. Werden solche Ladungen nicht befolgt, kann es zur zwangsweisen Vorführung kommen.

 

Die Teilnahmen des BF an Newroz-Feierlichkeiten, Maiaufmärschen sowie Demonstrationen betreffend wird festgestellt, dass die türkische Verfassung die Vereins- und Versammlungsfreiheit garantiert. Diese kann eingeschränkt werden, soweit Interessen der öffentlichen Sicherheit betroffen sind. Am 30.07.2003 wurde das Versammlungsgesetz u.a. dahingehend geändert, dass eine Demonstration nicht mehr allein bei Bedrohung der öffentlichen Ordnung, sondern nur bei "Vorliegen einer direkten und unmittelbaren Gefahr der Verübung eines Verbrechens" verboten werden kann. Hiervon wird zurzeit auch bei Vereinigungen und Versammlungen mit pro-kurdischer oder islamistischer Zielsetzung kaum Gebrauch gemacht.

 

Seit Inkrafttreten des Gesetzes hat es Fälle von polizeilichen Ingewahrsamnahmen gegeben, die, soweit bekannt, im Zusammenhang mit der Anwendung von Gewalt durch Demonstranten standen. Nicht genehmigte Versammlungen werden in aller Regel aufgelöst.

 

Im Hinblick auf das (neue) Vorbringen des Beschwerdeführers im Rahmen der Berufungsverhandlung, dass er in Österreich Mitglied des Vereins Umut Kultur Zentrum ist, wird festgestellt, dass nur türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind / waren und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, Gefahr laufen, dass sich die türkischen Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Es ist davon auszugehen, dass sich eine mögliche strafrechtliche Verfolgung durch den türkischen Staat insbesondere auf Personen bezieht, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie die Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind nach türkischem Recht nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen gemäß der gültigen Fassung des türkischen Strafgesetzbuches gewertet werden können. In der Regel haben die türkischen Strafverfolgungsbehörden nur ein Interesse an der Verfolgung im Ausland begangener Gewalttaten bzw. ihrer konkreten Unterstützung, dazu gehört auch die Mitgliedschaft in der PKK. (vgl. Dt. Auswärtiges Amt, Bericht zur aktuellen Lage in der Türkei vom 25.10.2007, Kap.1.9., S. 25-26)

 

2. Beweiswürdigung:

 

Als Beweismittel wurden herangezogen:

 

das erstinstanzliche Verfahrensergebnis

 

die persönlichen Angaben des Beschwerdeführers vor der Berufungsbehörde und die von ihm vorgelegten Urkunden

 

die oben angeführten länderkundlichen Feststellungen anhand der angeführten Informationsquellen

 

2.1. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich nach Maßgabe folgender Erwägungen:

 

2.1.1. Die Feststellungen zur Situation in der Türkei stützen sich auf den auszugsweise zitierten länderkundlichen Bericht. Angesichts der Seriosität dieser Quelle und der Plausibilität dieser Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln.

 

2.1.1.1. Was den seitens des Beschwerdeführers bzw. seiner Vertreterin vorgelegten Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe betrifft, so geht aus diesem zwar hervor, dass die Aleviten nach wie vor Probleme im Hinblick auf den zwingenden Religionsunterricht an den Schulen und die Errichtung von "Cem"-Häusern hätten. Auch der Pir-Sultan-Abdal-Vereinigung wurde seitens der Stadtverwaltungen in Istanbul verboten, solche "Cem"-Häuser zu errichten.

 

Auch aus dem Bericht des Auswärtigen Amtes geht hervor, dass die Religionsbehörde DIYANET den Status alevitischer Gebetshäuser (Cemevi) nicht als mit den Moscheen vergleichbar anerkennt.

 

Dies ist jedoch in rechtlicher Hinsicht nicht von Relevanz, zumal darin - wie noch aufgezeigt wird - keine asylrelevante Verfolgung (von Aleviten schlechthin) zu erblicken ist.

 

2.1.1.2. Zu den Berichten des U.S. Department of State und von Amnesty International, wonach es im Jahr 2007 zu gewaltsamen Zerschlagungen von Demonstrationen gekommen ist und es erhebliche Einschränkungen der freien Meinungsäußerung gibt, ist festzuhalten, dass derartige Vorfälle damit zwar vereinzelt berichtet wurden, der Beschwerdeführer persönlich laut seinen eigenen Aussagen aber seit 1996 keine Probleme mehr mit der Polizei gehabt hat, weshalb diese Berichte keine Relevanz den BF betreffend entfalteten.

 

2.1.1.2. Auch hinsichtlich des - in der vom BF bzw. seiner Vertreterin vorgelegten Entscheidung des UBAS dargelegten - "Durchschlagens" einer Verfolgung auf Familienangehörige ist zu anzumerken, dass laut dem aktuelleren Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes eine "Sippenhaftung" in der Türkei generell nicht besteht. Selbst wenn es derartige Vorfälle geben sollte, so ist nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer deshalb die Gefahr einer Verfolgung droht, zumal die - im Übrigen schon in den 1980er Jahren eingeleiteten - Voruntersuchungen gegen die Halbbrüder des BF von der Staatsanwaltschaft damals in der Form beendet wurden, dass von einer Strafverfolgung abgesehen wurde. Und obwohl die Halbbrüder des BF laut dessen eigenen Aussagen nach wie vor gewerkschaftlich tätig sind, war er in den Jahren vor der Ausreise und waren offenbar auch die Verwandten des BF vor diesem Hintergrund in den letzten Jahren in der Türkei unbehelligt geblieben.

 

2.1.2. Die Feststellungen zur Identität, ethnischen und regionalen Herkunft des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Akteninhalt, insbesondere den vorgelegten Identitätsdokumenten und der vorgelegten Familienübersicht des Standesamtes, sowie dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung, ebenso die Feststellungen zu den genaueren Lebensumständen des Beschwerdeführers vor der Ausreise und denen seiner Angehörigen und Verwandten damals wie heute.

 

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer der kurdischen Volksgruppe angehört und Moslem alevitischen Glaubens ist, ergibt sich aus dem Umstand, dass er die kurdische Sprache spricht und entsprechende Kenntnisse, insbesondere auch zu Pir Sultan Abdal, hat.

 

Dass hinsichtlich der genauen Orte und Zeiträume der Berufstätigkeit des BF ab 1999 keine Feststellungen getroffen werden konnten, resultierte aus seinen diesbezüglich widersprüchlichen Angaben, wobei aus diesen Divergenzen zu schließen ist, daß er sein Vorbringen offenbar einem behaupteten, wenn auch zuletzt nicht feststellbaren Verfolgungsszenario anzupassen versuchte. Darüber hinaus war dies letztlich auch nicht von Entscheidungsrelevanz, zumal sich - wie bereits dargelegt - weder aus in der Person des BF selbst gelegenen Gründen noch wegen der Aktivitäten seiner Verwandten irgendwelche gegen den BF gerichtete Verfolgungshandlungen der türkischen Behörden für diesen Zeitraum feststellen ließen noch aus anderen Gründen eine etwaige Verfolgungsgefahr den BF betreffend feststellbar war. Ableiten ließ sich aus den divergierenden Aussagen des BF lediglich, daß er offenbar bis 2001 an verschiedenen Orten der Türkei erwerbstätig war.

 

Die getroffenen Feststellungen zum Tod seines Halbbruders I. sowie zu den Voruntersuchungen gegen seine Halbbrüder A. und N. ergeben sich aus den vorgelegten Urkunden.

 

Die Feststellungen zu den kurzfristigen Festnahmen des Beschwerdeführers bis 1996 stützen sich auf dessen zumindest diesbezüglich übereinstimmende Angaben, wobei er in der mündlichen Verhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat ausdrücklich angegeben hat nach 1996 nicht mehr festgenommen worden zu sein. Grundsätzlich waren etwaige konkrete und gegen den BF gerichtete Verfahrensschritte der türkischen Behörden im Sinne eines Strafverfahrens aus politischen Gründen für den gesamten Erhebungszeitraum nicht feststellbar.

 

Eben aus diesem Grund war es aber nicht nachvollziehbar und daher auch nicht glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer wie von ihm behauptet in besonderer Weise der Polizei bekannt gewesen sei und vor allem von dieser in den Folgejahren bis zur Ausreise bzw. auch dzt. als "Terrorist" eingeschätzt worden wäre bzw. werden würde, ebenso wie deshalb mangels Schlüssigkeit nicht glaubwürdig war, dass der BF in den Monaten unmittelbar vor der Ausreise (wieder) mehrmals polizeilich gesucht worden sei.

 

Dass nicht festgestellt werden konnte, dass die Polizei - wie vom Beschwerdeführer behauptet - in den letzten drei bis vier Monaten vor der Verhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat bei seinen Geschwistern nach ihm gesucht habe, ergibt sich daraus, dass vor dem Hintergrund des eben Gesagten auch nicht nachvollziehbar ist, weshalb der Beschwerdeführer sieben Jahre nach seiner Ausreise aus der Türkei plötzlich wieder "ins Visier" der Behörden seines Heimatlandes geraten sein sollte. Diese Aussage stellt sich im Lichte dessen als bloße Schutzbehauptung dar.

 

Die Negativfeststellung betreffend die Verurteilung eines Freundes des Beschwerdeführers im Jahre 2001 zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe sowie die angebliche Aktenkundigkeit der Person des BF in diesem Verfahren war deshalb zu treffen, weil nicht nachvollziehbar ist, dass der Beschwerdeführer im Falle der Richtigkeit dessen diesen Umstand im erstinstanzlichen Verfahren 2002 verschwiegen hätte, zumal er damals mehrfach gefragt wurde, ob er noch etwas zu ergänzen habe.

 

Der Beschwerdeführer ist nach Österreich gekommen um hier Asyl zu beantragen und dadurch Schutz vor Verfolgung zu erlangen. Es würde daher der allgemeinen Lebenserfahrung entsprechen, dass er diesbezüglich schwerwiegende Ereignisse bereits bei seiner erstinstanzlichen Einvernahme vorbringt und keine Gelegenheit auslässt ein solches Vorbringen zu erstatten.

 

Gegenständlich wurde die Verhaftung und Verurteilung des Freundes jedoch erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat vorgebracht und ist davon auszugehen, dass es sich dabei um ein im Laufe des Verfahrens gesteigertes Vorbringen bzw. ein Nachschieben von Fluchtgründen handelt, was gegen die Glaubwürdigkeit des BF in diesem Punkt spricht.

 

Die Feststellungen hinsichtlich der Vereinszugehörigkeit des BF in Österreich stützen sich auf die von ihm vorgelegte Bestätigung dieses Vereins. Aus diesem Sachverhalt ließ sich aber nicht ableiten, dass der BF im Rahmen seines Engagements bei diesem Verein die oben dargestellten Kriterien einer besonders exponierten Position und / oder eines daraus resultierenden Interesses der türkischen Behörden am BF wegen der Propagierung oder Unterstützung terroristischer oder separatistischer Umtriebe in der Türkei erfüllen würde.

 

Die Feststellungen oben zum Fehlen einer aktuellen Rückkehrgefährdung in Form einer eventuell nicht hinreichenden Lebensgrundlage in der Türkei stützen sich auf das eindeutige Ermittlungsergebnis in Form der persönlichen Darstellung des Beschwerdeführers.

 

III. Rechtlich folgt:

 

1. Gemäß § 75 Abs 1 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005, sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes (AsylG 2005) sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Bundesasylamt oder der Asylgerichtshof zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31.12.2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31.12.2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.

 

Gemäß § 44 Abs 1 AsylG idF BGBl I Nr. 101/2003 werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt. Die §§ 8, 15, 22, 23 Abs 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a sind gemäß § 44 Abs 3 leg cit idF BGBl I Nr. 101/2003 auch auf Verfahren gemäß Abs 1 anzuwenden.

 

Nachdem der Beschwerdeführer seinen Asylantrag am 20.02.2002 gestellt hat, ist das gegenständliche Verfahren somit nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997, in den Fassungen BGBl. I Nr. 126/2002 sowie BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) zu führen.

 

Gemäß § 38 Abs 1 AsylG 1997 entschied der unabhängige Bundesasylsenat über Rechtsmittel gegen Bescheide des Bundesasylamtes.

 

Gemäß § 75 Abs 7 AsylG 2005, diesem hinzugefügt durch Art 2 Z 54 Asylgerichtshofgesetz AsylGHG 2008, sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen. Im Rahmen einer verfassungskonformen Interpretation des § 75 Abs 7 AsylG 2005 ist iSd Art 151 Abs 39 Z 1 B-VG von einer Anhängigkeit der Verfahren beim Unabhängigen Bundesasylsenat mit 30.6.2008 auszugehen. Gemäß § 75 Abs 7 Z 1 haben Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofs ermannt wurden, alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in den bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen. Im gegenständlichen Fall war daher vor dem Hintergrund des oben dargestellten Verfahrensverlaufs der unten zeichnende Richter des Asylgerichtshofs als Einzelrichter zur Fortsetzung des vor dem 1. Juli 2008 begonnenen Verfahrens und zur Entscheidung über die gegenständlichen Anträge des Beschwerdeführers berufen.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem B-VG, den AsylG 2005 und dem VwGG nichts anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG sinngemäß mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt. Nach den Gesetzesmaterialien (AB 371 XXIII. GP) gilt dies auch für zusammengesetzte Begriffe, die den Wortbestandteil "Berufung" enthalten (zB "Berufungsbehörde" oder "Berufungsantrag" in §§ 66 und 67 AVG).

 

2. Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde (der Asylgerichtshof), sofern die Berufung (Beschwerde) nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

3. Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht und keiner der in Art 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt der dem § 7 AsylG 1997 zu Grunde liegenden, in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334). Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sei, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (vgl. VwGH 25.1.2001, 2001/20/0011; VwGH 21.09.2000, 2000/20/0241; VwGH 14.11.1999, 99/01/0280). Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 19.04.2001, 99/20/0273; VwGH 22.12.1999, 99/01/0334). Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233; VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).

 

Die zu befürchtende Verfolgungsgefahr muss zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Asylantrag bestehen.

 

Die Voraussetzung wohlbegründeter Furcht wird in der Regel nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (VwGH 19.10.2000; 98/20/0430). Der erforderliche zeitliche Zusammenhang zwischen der Verfolgungshandlung und dem Verlassen des Landes für die Annahme einer aktuellen Verfolgungsgefahr besteht bei länger zurückliegenden Ereignissen auch dann, wenn sich der Beschwerdeführer während seines bis zur Ausreise noch andauernden Aufenthaltes im Lande verstecken konnte. Bei welcher Dauer eines derartigen Aufenthaltes Zweifel am Vorliegen einer wohlbegründeten Furch vor (noch aufrechter) Verfolgung begründet erscheinen, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (VwGH 23.07.1998, 96/20/0144).

 

3.1. Aus dem oben festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass der Beschwerdeführer zuletzt 1996 wegen seiner politischen Aktivitäten im Rahmen von öffentlichen Kundgebungen für einige Stunden von der Polizei festgehalten, einvernommen und in offenbar nicht schwerwiegendem Maße misshandelt worden ist, ehe man ihn wieder ohne weitere Verfahrensschritte freigelassen hat. Ungeachtet der Frage, ob diese Behandlung überhaupt die für eine Asylgewährung erforderliche Intensität aufweist, fehlt es diesbezüglich am zeitlichen und kausalen Zusammenhang mit einer fünf Jahre später erfolgten Ausreise aus der Türkei. Während dieses Zeitraumes hat sich der Beschwerdeführer auch nicht versteckt gehalten, sondern zum einen seinen Militärdienst abgeleistet, zum anderen hat er auch weiterhin an Demonstrationen und dergleichen teilgenommen und war er auch erwerbstätig.

 

Nachdem somit weder festgestellt werden konnte, dass er in den letzten Jahren vor seiner Ausreise irgendwelchen Verfolgungshandlungen der türkischen Behörden unterlegen wäre, noch glaubwürdig war, dass er deshalb von behördlichem Interesse gewesen wäre, weil ein - angeblich mit ihm politisch tätiger Freund - 2001 zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden sei und der BF deshalb aktenkundig geworden wäre, fehlte es zum Zeitpunkt seiner Ausreise an der Aktualität wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung.

 

Auch konnte der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt den oben getroffenen Feststellungen gemäß keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung wegen etwaiger Nachfluchtgründen glaubhaft machen, zumal einerseits nicht feststellbar war, dass er auch heute noch bzw. wieder polizeilich gesucht würde, und andererseits aus seiner Vereinsmitgliedschaft in Österreich in Zusammenschau mit den getroffenen Länderfeststellungen für ihn keine Gefährdung resultiert.

 

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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