TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/30 D5 219711-0/2008

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Veröffentlicht am 30.09.2008
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Spruch

D5 219711-0/2008/23E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Christine AMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde des A.H., geb. 00.00.1973, StA. von Armenien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.10.2000, FZ. 00 07.552-BAE, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.5.2008 und am 30.5.2008 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und A.H. gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg. cit. wird festgestellt, dass A.H. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Der Beschwerdeführer, armenischer Staatsangehöriger, reiste gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinem ältesten Sohn am 15.6.2000 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Der Berufungswerber stellte am 21.6.2000 einen Asylantrag und seine Ehegattin sowie sein ältester Sohn stellten Asylerstreckungsanträge gemäß § 10 AsylG in Bezug auf seinen Asylantrag. Am 13.7.2000 und am 10.8.2000 fanden seine niederschriftliche Einvernahmen vor dem Bundesasylamt statt. Im Oktober 2000 (AS 95f des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes) langte beim Bundesasylamt ein Antwortschreiben der Österreichischen Botschaft für Armenien ein, welches am 11.10.2000 auf Anfrage des Bundesasylamtes erstellt worden war. Mit Bescheid vom 23.10.2000, Zahl: 00 07.552-BAE, wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 ab (= Spruchteil I.) und stellte fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien gemäß § 8 leg. cit. zulässig ist (= Spruchteil II.). Nachdem dieser Bescheid am 25.10.2000 zugestellt worden war, erhob der Beschwerdeführer dagegen am 7.11.2000 fristgerecht eine Berufung (nunmehr im Folgenden Beschwerde genannt).

 

Am 1.6.2005, Zahl: 219.711/11-VII/20/05, fand im anhängigen Beschwerdeverfahren eine mündliche Verhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat (Senatsmitglied VII/20) statt, in welcher die Ehefrau des Beschwerdeführers als Beteiligte in seinem Verfahren erstmals angab, eigene Fluchtgründe zu haben, die in einem Zusammenhang mit der Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers stünden. Gemäß § 27 Abs. 3 letzter Satz AsylG idF BGBl. I Nr. 126/2002 war mit Verfügung des Vorsitzenden des Unabhängigen Bundesasylsenates das anhängige Beschwerdeverfahren als Annexmaterie am 6.6.2005 an das weibliche Senatsmitglied VII/19 zugeteilt worden. Die Ehefrau des Beschwerdeführers zog in weiterer Folge aus freien Stücken am 7.12.2005 ihre (am 8.11.2000 erhobene) Berufung durch Verzicht ausdrücklich mit der Begründung zurück, dass sie aufgrund eigener Fluchtgründe beim Bundesasylamt nun einen Asylantrag gemäß § 3 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 gestellt habe (siehe Aktenvermerk des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 13.12.2005, Zl. 219.710/8-VII/19/05).

 

Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahmen im Jahr 2000 schilderte der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe im Wesentlichen folgendermaßen:

 

Er sei Mitglied der "Armenischen Volksbewegung" (im Original "Armensky Vsenarodni Dvizenie" genannt) gewesen (von ihm an anderen Stellen auch "Pan-Nationale Bewegung Armeniens" und "Armenische Revolutionäre Bewegung" genannt). Er sei im Juni 1998 von der hinter - dem damaligen Präsidentschaftskandidaten und späteren Präsidenten Armeniens - Kotcharian stehenden "Landesverteidigungsgruppe" zu deren Unterstützung angeheuert worden. Da er sich aber geweigert habe, sei er (und seine Frau) durch diese Partei bzw. parteiähnliche Organisation verfolgt worden. Seine Probleme hätten auch daraus resultiert, dass die Organisation von Kotscharian seine Unterschrift gefälscht hätte und dadurch Geld vom Konto der Organisation, der er angehört hätte, gefehlt habe. Da zur fraglichen Zeit nur er selbst die Befugnis gehabt habe, Geld vom Konto seiner Organisation abzuheben, hätten die Leute um den Präsidenten Kotscharian ihm dafür die Schuld gegeben und ihn dafür ins Gefängnis bringen wollen. Seine Eltern hätten den Generalsstaatsanwalt um Hilfe ersucht, dieser wäre jedoch am 00.00.1998 erschossen worden.

 

Die"Landesverteidigungsgruppe" des Präsidenten Kotscharian hätte auch seine ganze Familie bedroht. Von Seiten der Leute um den Präsidenten sei ihm nämlich auch unterstellt worden, dass seine Ehefrau, die in Wirklichkeit Christin sei, Muslimin wäre. Es sei auch deshalb seiner Familie gegenüber gedroht worden, dass seine Frau umgebracht würde.

 

Zur Zeit (gemeint wohl: im Juli 2000) sei seine Partei nur illegal existent. Seine Partei sei eine politische Partei, deren letzter Führer der Partei Vano Siraderjan geheißen habe. Dieser sei von Mai 1998 bis heute (August 2000) der Vorsitzende seiner Partei gewesen.

 

Das Bundesasylamt stellte im o.a. Bescheid vom 23.10.2000 zunächst fest:

 

Die Identität und die Nationalität des Beschwerdeführers stünden fest. Der Beschwerdeführer sei am 15.6.2000 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist.

 

Daran anschließend traf das Bundesasylamt auf Seite 10 des o.a. Bescheides folgende Länderfeststellungen zu Armenien:

 

"In Armenien sind zurzeit die (ehemaligen) Unterstützer des ehemaligen Staatspräsidenten generell keinerlei Repressionen ausgesetzt. Die Landesverteidigungstruppe (in der Folge: LVT) hat derzeit in Armenien enorm an Bedeutung verloren, da sie im innenpolitischen Ränkespiel nicht mehr auf der Seite von Staatspräsident Kotscharian zu finden ist.

 

Bei der LVT handelt es sich um ¿Veteranenverbände' aus den Bergkarabach-Konflikt. Nach diesem Konflikt hatte die LVT eine parteiähnliche Stellung.

 

Nach Angaben von in Armenien ansässigen NGOs als auch der deutschen Botschaft in Armenien gibt es in Armenien praktisch kaum triftige Gründe für die Gewährung politischen Asyls durch einen westlichen Staat."

 

Beweiswürdigend führte das Bundesasylamt im Wesentlichen folgendes aus:

 

"Sie haben vorgebracht, dass die LVT die Partei des Präsidenten Kotscharian sei. Diese Angabe entspricht nicht den tatsächlichen Gegebenheiten in Armenien, da der LVT nur eine parteiähnliche Stellung zugekommen ist. Es wäre gerade von Ihnen - einem ehemaligen Parteimitarbeiter - zu erwarten gewesen, dass Sie diese Partei richtig benennen können.

 

Bei der Einvernahme am 13.7.2000 haben Sie behauptet, dass Ihre Partei, die Pan-Nationale Bewegung, illegal tätig sei, und Sie daher Ihr Parteibuch, welches sich bei Ihrer Partei befindet, dem Bundesasylamt nicht vorlegen können. Bei der Einvernahme am 10.8.2000 haben Sie angegeben, dass Ihre Partei legal arbeiten würde. Auf diesen Widerspruch aufmerksam gemacht, haben Sie vorgebracht, dass Sie nie gesagt hätten, Ihre Partei arbeite im Untergrund und dass es falsch übersetzt worden wäre. Dazu ist zu sagen, dass Sie vom Bundesasylamt am 13.7.2000 nicht gefragt worden sind, ob Ihre Partei legal oder illegal arbeitet. Sie haben von sich aus dezidiert angegeben, dass Ihre Partei zurzeit illegal existent sei, und sie es deshalb nicht versprechen können, Ihr Parteibuch beizuschaffen. (...)

 

Ihre Angaben, dass der Generalstaatsanwalt am 00.00.1998 ermordet worden ist, entspricht nicht den Tatsachen (s. Süddeutsche Zeitung vom 00.00.1998).

 

Ihre Behauptung, dass die armenische Bevölkerung von der LVT vor den Präsidentschaftswahlen im März 1998 bestochen worden wäre und diese Wahlen nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden seien, haben sich als nicht richtig herausgestellt (s. Hausmann Hartmuth: Bei aller Skepsis - ein demokratischer Neuanfang scheint gelungen, in: Das Parlament vom 10.4.1998). Diese Behauptungen sind lediglich Vermutungen Ihrerseits, die von der erkennenden Behörde nicht nachvollzogen werden können. (...)

 

Es ist zwar richtig, dass der letzte Führer ihrer Partei Vano Siraderjan gewesen ist, aber er ist zurzeit nicht - wie von Ihnen behauptet - verschollen, sondern ist gegen Ihn vom Bezirksgericht in Jerewan ein Haftbefehl erlassen worden, welcher erst nach Aufhebung seiner Immunität als Parlamentsabgeordneter vollzogen werden kann (s. BFF, Chronologie Armenien, Berichtzeit 10.3.2000 bis 12.5.2000). Aufgrund der Widersprüche in Ihrem Vorbringen und Ihres mangelnden Wissens über die Parteienlandschaft in Armenien bzw. über wichtige politische Ereignisse zweifelt die erkennende Behörde an der Glaubwürdigkeit Ihres Vorbringens und geht davon aus, dass Sie kein Mitarbeiter der Pan-Nationalen Bewegung gewesen sind.

 

Die erkennende Behörde hatte den Grund für Ihre angebliche Verfolgung durch die LVT nicht nachvollziehen können und ist Ihr diesbezügliches Vorbringen auch nicht schlüssig und plausible. (...) Gründsätzlich ist davon auszugehen, dass Parteimitglieder, die Ihre Arbeit zur Zufriedenheit der Partei erledigen sollen, diese Tätigkeit freiwillig machen. Es ist für das Bundesasylamt nicht nachvollziehbar, dass man jemanden mit Gewalt, mit Erpressung, mit falschen Anschuldigungen, mit Einschüchterungen, mit Drohungen bzw. mit Misshandlungen zur Mitarbeit bei einer Partei zwingt und dann noch erwartet, dass dieser loyal zur Partei steht und sehr gute Arbeit leistet bzw. Propaganda für die Partei machen soll, obwohl er durch diese Vorgangsweise in eine solche Furcht und Unruhe versetzt worden ist, dass er ernsthaft glaubt, deswegen in Armenien umgebracht zu werden, und aus diesem Grund - mit samt seiner ganzen Familie - sein Heimatland verlassen hat.

 

Auch ist nicht glaubhaft, dass die LVT einen solchen Aufwand betrieben hat und sich dadurch auch gerichtlich strafbar gemacht haben soll, nur aus dem einen Grund und zwar weil sie jemanden als Mitarbeiter haben möchte, der zuvor bei der gegnerischen Partei hervorragende Arbeit geleistet haben soll. Sogar nach eineinhalb Jahren sie LVT innerhalb von 4 Tagen über Ihren neuerlichen Aufenthalt informiert gewesen.

 

Dieses Vorbringen ist in sich nicht schlüssig, nicht plausibel und stimmt mit den Tatsachen der allgemeinen Erfahrung nicht überein, weshalb Ihnen von der erkennenden Behörde die Glaubwürdigkeit betreffend Ihres gesamten Vorbringens abzusprechen gewesen ist.

 

(...) Weiters haben Sie vorgebracht, man hätte Ihnen vorgeworfen, dass Sie mit einer Moslemin verheiratet seien und deshalb in Armenien Probleme gehabt hätten. Da Ihre Gattin keine Moslemin ist - sie ist zwar iranischer Abstammung, aber armenisch-christlichen Glaubens - ist es für die erkennende Behörde objektiv nicht nachvollziehbar, dass Sie deshalb in Armenien ernsthafte Probleme iSd GFK gehabt haben.(...)

 

Bezüglich Ihres Vorbringens gelangt das Bundesasylamt im Rahmen der Beweiswürdigung sohin zur Ansicht, dass Sie hiermit der erkennenden Behörde eine begründete Furcht vor Verfolgung, ausgehend von staatlich bzw. quasi-staatlicher Stellen, aus einem der im Art. 1 Abschnitt A Zif. 2 GFK genannten Gründe nicht glaubhaft darzulegen vermocht haben."

 

Bei der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes nahm das Bundesasylamt Bezug auf zuletzt Zitiertes und kam sohin zur Ansicht, dass der Asylantrag gemäß § 7 AsylG idF BGBl. I Nr. 126/2002 abzuweisen sei (= Spruchteil I. des o.a. Bescheides).

 

In Bezug auf die Entscheidung über den subsidiären Schutz gemäß § 8 AsylG idF BGBl. I Nr. 126/2002 (= Spruchteil II. des o.a. Bescheides) führte das Bundesasylamt im Wesentlichen aus: Das Bundesasylamt vertrete die Auffassung, dass der Beschwerdeführer während des gesamten asylrechtlichen Verfahrens keinerlei glaubhafte Indizien oder Anhaltspunkte aufzuzeigen vermocht habe, welche die Annahme rechtfertigen hätten können, dass der Beschwerdeführer mit hoher Wahrscheinlichkeit konkret Gefahr laufen würde, für den Fall der Rückkehr nach Armenien, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht eine Beschwerde, in welcher er Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des bekämpften Bescheides geltend machte.

 

Der Beschwerdeführer stellte darin die Anträge,

 

eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens aufgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens anzuordnen;

 

eine mündliche Verhandlung anzuberaumen;

 

ihm Asyl gemäß § 7 AsylG 1997 zu gewähren;

 

gemäß § 8 AsylG 1997 festzustellen, dass die Unzulässigkeit seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien ausgesprochen und ihm in eventu ein befristetes Aufenthaltsrecht erteilt werde.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Die zuständige Einzelrichterin des Asylgerichtshofes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

 

1.1.1. In der mündlichen Verhandlung vom 28.5.2008 und am 30.5.2008 wurde der Beschwerdeführer persönlich einvernommen und ergibt sich daraus im Besonderen:

 

Der Beschwerdeführer hat als seine Fluchtgründe - wie bereits beim Bundesasylamt - angegeben, von 1993 bis 1998 für die HHSCH (Hajoz Hamasgajin Scharschum) tätig gewesen zu sein, von der Gruppe um Kotscharian Bedrohungen ausgesetzt gewesen zu sein, um ihn anzuwerben, er sei deshalb im Jahr 1998 von der Gruppe um Kotscharian dadurch verfolgt worden, dass ihm einerseits die Unterschlagung einer Geldsumme von 3.000 US-Dollar unterstellt worden sei und dass er andererseits im Jahr 1998 - trotz bereits vollständig abgeleisteten Militärdienstes - noch 6 weitere Monate Militär ableisten hätte sollen und dazu auch schon geladen gewesen wäre.

 

Der Beschwerdeführer hat sich in der Verhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat zum Einen in zahlreiche Widersprüche in inhaltlicher (z.B. hat er erstmalig in seinem schon jahrelang anhängigen Asylverfahren behauptet, in Armenien wegen seiner Probleme per "Haftbefehl" gesucht zu werden;) und in zeitlicher Hinsicht verstrickt, zum Anderen hat er die Fragen oftmals völlig lapidar, wenig detailreich und inhaltsleer beantwortet. Die Verhandlungsleiterin hat folglich den Eindruck gewinnen müssen, dass der Beschwerdeführer ein politisch nicht interessierter Mensch ist, der nicht einmal weiß, wer die HHSCH gegründet hat, und der auch keinerlei Interesse gezeigt hat, sich über den weiteren Fortgang der HHSCH nach seiner Ausreise aus Armenien im Jahre 1998 zu erkundigen. Dieser Eindruck bestätigt für die Verhandlungsleiterin, dass er auch in Armenien niemals derart aktiv für die HHSCH tätig gewesen wäre, dass er für irgendwelche Gegner wirklich von Interesse gewesen wäre.

 

Mit dem Vorbringen, von der Gruppe um den damaligen Präsidentschaftskandidaten Kotscharian Bedrohungen ausgesetzt gewesen zu sein, um ihn anzuwerben, und aufgrund seiner Weigerung deshalb im Jahr 1998 von der Gruppe um Kotscharian dadurch verfolgt worden zu sein, dass ihm einerseits die Unterschlagung einer Geldsumme von 3.000 US-Dollar unterstellt worden sei und dass er andererseits im Jahr 1998 - trotz bereits vollständig abgeleisteten Militärdienstes im Dezember 1997 - noch 6 weitere Monate Militär ableisten hätte sollen, hat der Beschwerdeführer nach Meinung der Verhandlungsleiterin eine Verfolgungs- bzw. Bedrohungssituation in Armenien zum Zeitpunkt seiner Ausreise konstruiert, die nicht den Tatsachen entspricht.

 

Der Organwalter des Bundesasylamtes hat dieses vom Beschwerdeführer (als seine Fluchtgründe geltend gemachte) Vorbringen bereits im Rahmen der Beweiswürdigung mit einer völlig schlüssigen Begründung als unglaubwürdig gewertet (siehe obiges Zitat auf S 4f) und ist insofern von der Verhandlungsleiterin zur Gänze bestätigt worden.

 

1.1.2. Der Organwalter des Bundesasylamtes hat das vom Beschwerdeführer sozusagen am Rande erwähnte Vorbringen, mit einer Muslimin verheiratet zu sein und deshalb Probleme in Armenien gehabt zu haben, im Rahmen der Beweiswürdigung mit dem Argument als objektiv nicht nachvollziehbar bzw. nicht glaubwürdig gewertet, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers - zwar iranischer Abstammung, aber armenisch christlichen Glaubens - überhaupt keine Muslimin sei.

 

Diese Argumentation des Bundesasylamtes ist der Verhandlungsleiterin auf den ersten Blick einleuchtend bzw. schlüssig erschienen, doch hat sich in der Verhandlung der Ehefrau des Beschwerdeführers am 30.5.2008 als glaubwürdig herausgestellt, dass diese aufgrund ihrer iranischen Abstammung am 00.00.1998 von armenischen Polizisten in massiver Weise zusammengeschlagen worden ist. Die Verhandlungsleiterin hat - im Gegensatz zum Bundesasylamt - als glaubwürdig werten müssen, dass gegenüber der Ehefrau tatsächlich eine Verfolgungshandlung gesetzt wurde und dass die Täter mit dem Umbringen der ganzen Familie gedroht haben, falls der Vorfall vom 00.00.1998 zur Anzeige gebracht würde, was natürlich auch eine reale Bedrohung für den Beschwerdeführer selbst bedeutet hat.

 

Somit ist die Verhandlungsleiterin zu dem Schluss gelangt, dass der Grund für die Ausreise des Beschwerdeführers und seiner Familie im Jahr 1998 im Zusammenschlagen der Ehefrau am 00.00.1998 und den dazu ausgesprochenen Bedrohungen zu sehen ist.

 

1.2.1. In den Asylverfahren des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau wurden von Amts wegen folgende Dokumente als weitere Beweismittel herangezogen, welche mit folgenden Nummern der Verhandlungsschrift mit der GZ. 219.711/0/20Z-VII/19/05 angeschlossen sind:

 

Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien, Stand: 2007, Beilage Nr. 2;

 

Österreichisches Rotes Kreuz, ACCORD-Anfragebeantwortung vom 19.1.2007, betreffend HHSCH-Partei in Armenien , Beilage Nr. 3;

 

ACCORD, Anfragebeantwortung vom 14.5.2004, betreffend Ex-Innenminister Siraderian, Beilage Nr. 4;

 

Deutsche Welle, Armenische Opposition ruft Verfassungsgericht an wegen Präsidentschaftswahlen, 18.3.2003, Beilage Nr. 5;

 

Beantwortung einer Anfrage vom Dezember 2000, Sachverständigengutachten von K.A., betreffend die ARF, Beilage Nr. 6;

 

Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien, Stand: 2001, Beilage Nr. 7;

 

SFH, Armenien - Analysen und Hintergründe, von Dr. T.H. im Oktober 2002, Beilage Nr. 8;

 

Bundesasylamt, Bericht zur Fact Finding Mission betreffend Armenien, Georgien, Aserbaidschan, vom November 2007, Beilage Nr. 9;

 

US-Department of State, Armenia, Stand: März 2008, Beilage Nr. 10;

 

Bundesasylamt, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur HHSCH-Partei, 5.11.2007, Beilage Nr. 11;

 

Dr. T.H., Anfragebeantwortung an den UBAS betreffend die armenische Volkspartei vom 20.2.2007, Beilage Nr. 12;

 

Bericht der österreichischen Botschaft über Armenien, Beilage Nr. 13.

 

Weitere vom Vertreter RA Dr. Blum vorgelegte Berichte wurden als Beweismittel in den Asylverfahren des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau herangezogen, welche mit folgenden Nummern der Verhandlungsschrift mit der GZ. 219.711/0/20Z-VII/19/05angeschlossen sind:

 

International Crisis Group, Armenia: Picking up the Pieces, vom 8.4.2008, Beilage Nr. 14;

 

Zeitungsmeldung von Radio Free Europe vom 9.5.2008, Beilage Nr. 15;

 

Human Rights Watch betreffend Armenia, vom März 2008, Beilage Nr. 16;

 

ACCORD-Anfragebeantwortung vom 19.4.2006, Beilage Nr. 17;

 

ACCORD-Anfragebeantwortung vom 7.5.2008, betreffend Lage alleinstehender Frauen in Armenien, Beilage Nr. 18;

 

ACCORD-Anfragebeantwortung vom 25.4.2007, Beilage Nr. 19;

 

ACCORD-Anfragebeantwortung vom 10.3.2008, Beilage Nr. 20;

 

Human Rights Watch betreffend Armenia, vom Januar 2008, Beilage Nr. 21;

 

US-Department of State, Armenia, International Religious Freedom Report 2007, Beilage Nr. 22;

 

AI-Deutschland, Armenien, Jahresbericht 2007, Beilage Nr. 23;

 

ACCORD-Anfragebeantwortung vom 10.4.2008, betreffend Mischehen zwischen Yeziden und Armeniern, Beilage Nr. 24;

 

Nach den Verhandlungen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau sind von Amts wegen folgende Dokumente als weitere Beweismittel herangezogen worden, auf deren Übermittlung zur schriftlichen Stellungnahme der Vertreter der Beschwerdeführer in der Verhandlung vom 30.5.2008 verzichtet hat:

 

Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien, Stand: Mai 2008 (vom 18.6.2008);

 

APA-Meldung vom 21.2.2008, betreffend das Ergebnis von der armenischen Präsidentenwahl;

 

ACCORD-Anfragebeantwortung vom 1.2.2007, betreffend Situation alleinstehender Frauen in Armenien;

 

Dr. T.S., Sachverständigengutachten vom 29.5.2006, erstellt im Auftrag des UBAS zur Frage "Was kann Allgemeines zum Verhältnis zwischen Armenien und dem Iran sowie Allgemeines zum Verhältnis der armenischen Bevölkerung zu iranischen Staatsangehörigen (nicht-armenischer Volkszugehörigkeit) gesagt werden?".

 

1.2.2. Aus diesen Beweismitteln ergibt sich für das Asylverfahren des Beschwerdeführers erstens, dass Präsident Kotscharian und seine Leute nicht mehr an der Macht sind (siehe insbesondere APA-Meldung vom 21.2.2008: "Laut amtlichen Ergebnis gewann der bisherige Regierungschef Sergej Sarkisian die Wahl am Dienstag mit fast 53 Prozent."). Daher zählt die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgergruppe überhaupt nicht mehr zu den staatlichen Organen und ist diesbezüglich schon eine wesentliche Änderung der Lage im Herkunftsstaat Armenien eingetreten.

 

Aus diesen Beweismitteln ergibt sich zweitens für das Asylverfahren des Beschwerdeführers im Wesentlichen Folgendes:

 

In Armenien unterliegen alle Männer armenischer Staatsangehörigkeit vom 18. bis 27. Lebensjahr der allgemeinen Wehrpflicht (24 Monate). Die Einberufung von Wehrdienstleistenden wird jeweils im Frühjahr und im Herbst auf der Basis eines Dekrets des Präsidenten nebst Regierungserlass durchgeführt. Es besteht die Möglichkeit der Rückstellung wegen sozialer Gründe (Hochschulstudium, pflegebedürftige Eltern, ab 2 Kindern ETC). (...) Ab dem 18. Lebensjahr muss entweder der Wehrdienst abgeleistet werden oder eine Rückstellung erfolgen. (...)

 

Verfassung und Gesetze schreiben die Gleichberechtigung von Männern und Frauen fest. Die Rolle der Frau in Armenien ist gleichwohl von dem in der Bevölkerung verankerten patriarchalischen Rollenverständnis geprägt. (Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien, Stand: Mai 2008, S 9f).

 

Der Bericht der parlamentarische Versammlung des Europarates (CoE-PACE, The situation of women in the South Caucasus) vom Februar 2007 bezeichnet die Situation der Frauen im Südkaukasus (Armenien, Aserbaidschan, Georgien) als "wahrhaft besorgniserregend"; Auf ihre Gesundheit würde kein Augenmerk gelegt und Gewalt gegen Frauen würde oftmals vertuscht (= Beilage Nr. 18, S 2).

 

Dr. T.S. hat als Sachverständige im Gutachten vom 29.5.2006 festgehalten:

 

"Verhältnis der armenischen Bevölkerung zu Iranern:

 

Während auf offizieller zwischenstaatlicher Ebene die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen Armeniens und der Islamischen Republik Iran ungeachtet aller religiösen, kulturellen, sowie politischen Unterschiede unproblematisch bis gut verlaufen, stellen sich die Beziehungen im Alltag und auf privater Ebene anders dar. Als Regel kann man voraussetzen, dass sie umso komplizierter werden, je näher sich Armenier und Iraner einander kommen.

 

Dabei geht es nicht um eine irgendwie ethnisch begründete Gegensätzlichkeit oder Animosität, sondern gänzlich um die Abgrenzung der armenischen Gesellschaft vom Islam. (...) Hinsichtlich der Eheschließung mit Muslimen verhalten sich Armenier/Innen dagegen ähnlich anderen kleineren ethno-religiöse Gruppen im Nahen und Mittleren Osten - zum Beispiel Jeziden oder Juden -, die eine Exogamie als Bedrohung für die eigene Gemeinschaft empfinden und mit sozialem Ausschluss bestrafen.

 

(...)Armenische Gemeinschaften empfinden das als erhebliche Bedrohung ihrer eigenen Ethnizität und versuchen, durch Erziehung, aber auch durch massiven sozialen Druck muslimisch-armenischen Partnerschaften und Ehen entgegenzuwirken. In Diasporagemeinschaften kann derartiger Druck bis zur Ausgrenzung bzw. zum Ausschluss eines Armeniers/Armenierin aus einer armenischen Gemeinde gehen, wenn nicht der oder die Betreffende sich selbst vorbeugend zurückzieht.

(...)

 

Auch muss bei dem komplexen Thema berücksichtigt werden, dass die Verarmung der postsozialistischen Gesellschaft Armeniens zur Aufweichung vieler traditioneller Normen und Verhaltensweisen, vor allem im Geschlechterverhältnis, geführt hat. So hat unter dem Eindruck der sozialen Not die Zahl von Eheschließungen von Armenierinnen mit ¿Fremden' (Arm. ¿otar(ner'; wörtlich ¿fremd') - umgangssprachliche generelle Bezeichnung für Nichtarmenier), erheblich zugenommen, darunter auch Muslime. Viele Armenier/Innen empfinden diese Entwicklung als Schande, erkennen aber auch ihre Unausweichlichkeit unter den obwaltenden Verhältnissen.

 

(...) Auf einer Internetseite ¿Leben in Armenien' (2002), die von Armeniern aus Armenien gestaltet wurde, wird (...) die Feindseligkeit der armenischen Gesellschaft gegenüber binationalen Ehen kritisiert. (...)

 

Viele Armenier scheinen solchen mit binationaler Abstammung mit einer gehörigen Portion Skepsis oder Verdacht zu begegnen, anstatt sie aufzunehmen und zu einem Bestandteil ihrer Gemeinschaft zu machen. (...)

 

Mir sind keine Beispiele gewaltsamer Ausschreitungen gegen iranische Staatsbürger in Armenien bekannt, womit ich Einzelfälle nicht ausschließe. Sie haben aber anscheinend kein

 

statistisch oder für die kritische Berichterstattung relevantes Maß erreicht."

 

1.3. Folgendes ist als glaubwürdiges Vorbringen der Beschwerdeführer und als maßgebender Sachverhalt festzustellen:

 

Der Beschwerdeführer ist armenische Staatsangehörige. Er ist verheiratet mit einer Frau iranischer Abstammung, die aus diesem Grund von der armenischen Bevölkerung als Muslimin angesehen und als solche im Alltag diskriminiert worden ist.

 

Als Fluchtgrund hat der Beschwerdeführer glaubwürdig angegeben:

Seine Ehefrau sei aufgrund ihrer iranischen Abstammung am 00.00.1998 von Polizisten massiv zusammengeschlagen worden. Da diese Polizisten mit dem Umbringen der ganzen Familie gedroht hätten, habe sie aus Furcht den Vorfall vom 00.00.1998 nicht zur Anzeige gebracht. Aufgrund dieses Vorfalles und den in diesem Zusammenhang ausgesprochenen Bedrohungen habe die Familie des Beschwerdeführers aus Armenien fliehen müssen.

 

In Armenien ist Gewalt gegen Frauen - auch aufgrund kultureller Akzeptanz - weit verbreitet und wird so gut wie nie strafverfolgt (siehe obige Länderfeststellungen 1.2.). Vor diesem Hintergrund muss realistisch davon ausgegangen werden, dass die Familie des Beschwerdeführers vor der Ausreise aus Armenien und auch im Falle einer Rückkehr nach Armenien nicht mit wirksamer behördlicher Hilfe bzw. polizeilichem Schutz rechnen hätte können.

 

2. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich für die zuständige Einzelrichterin des Asylgerichtshofes rechtlich Folgendes:

 

2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (Art. 1 BGBl. I Nr. 4/2008; im Folgenden: AsylGHG) tritt dieses Bundesgesetz mit 1.7.2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind - soweit sich aus dem B-VG, dem AsylG und dem VwGG nichts anderes ergibt - auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 sind am 1.7.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, vom Asylgerichtshof mit der Maßgabe weiterzuführen, dass Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, als Einzelrichter entscheiden.

 

Im gegenständlichen Fall handelt es sich um ein Beschwerdeverfahren nach leg. cit. gegen einen abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes, in dem am 30.5.2008 eine Verhandlung stattgefunden hat. Daher ist das Verfahren der Beschwerdeführer von der zuständigen Einzelrichterin des Asylgerichtshofes, die die genannte Verhandlung durchgeführt hat, weiterzuführen.

 

2.2. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 100/2005 sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen; § 44 AsylG 1997 (BGBl. I Nr. 101/2003) gilt.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30.4.2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002, geführt.

 

Gemäß § 44 Abs. 3 AsylG 1997 sind auf Verfahren gemäß Abs. 1 auch die §§ 8, 15, 22, 23 Abs. 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 anzuwenden.

 

2.3. Gemäß § 7 AsylG 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht und keiner in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt der dem § 7 AsylG 1997 zugrunde liegenden, in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334). Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (vgl. VwGH 25.1.2001, Zl. 2001/ 20/0011; VwGH 21.9.2000, Zl. 2000/20/0241; VwGH 14.11.1999, Zl. 99/01/ 0280). Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 19.4.2001, Zl. 99/20/0273; VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334). Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; VwGH 9.3.1999, Zl. 98/01/0318). Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative bzw. Schutzalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH 24.3.1999, Zl. 98/01/0352; VwGH 21.3.2002, Zl. 99/20/0401; VwGH 22.5.2003, Zl. 2001/20/ 0268, mit Verweisen auf Vorjudikatur).

 

Im Fall des Beschwerdeführers ist davon auszugehen, dass ihm aufgrund der Verfolgungshandlung, der seine Ehefrau im Jahr 1998 ausgesetzt war, und den damit zusammenhängenden Bedrohungen gegenüber der ganzen Familie eine asylrelevante Verfolgung in Armenien droht. Zu dieser Schlussfolgerung gelangt man, wenn man sich Folgendes vor Augen führt:

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 14.1.2003, Zl. 2001/01/0508, ausgeführt, dass die Rechtsgrundlage für das Absehen vom Erfordernis einer dem Asylwerber selbst zumindest unterstellten politischen Gesinnung seiner Ansicht nach in der Anerkennung des Familienverbandes als "soziale Gruppe" gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK iVm § 7 AsylG 1997 zu sehen ist. Verfolgung kann daher schon dann Asylrelevanz zukommen, wenn ihr Grund in der bloßen Angehörigeneigenschaft des Asylwerbers, somit in seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, etwa jener der Familie, liegt.

 

Bei der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Verfolgung handelt es sich im obigen Sinne um eine Verfolgung wegen der "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe", nämlich aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe seines Familienverbandes, d.h. seiner "Familie", die aus seiner Ehefrau und den drei (gemeinsamen) minderjährigen Söhnen besteht.

 

Es steht aufgrund obiger Länderfeststellungen (siehe 1.2.) fest, dass in Armenien Gewalt gegen Frauen weit verbreitet und dass Korruption in den Polizei- bzw. Sicherheitskräften nach wie vor ein signifikantes Problem darstellt. Vor diesem Hintergrund ist realistisch zu erwarten, dass der Beschwerdeführer als Familienangehöriger im Falle seiner Rückkehr nach Armenien denselben Bedrohungen wie seine Ehefrau ausgesetzt wäre und dass er im Falle einer Rückkehr nach Armenien nicht mit wirksamer behördlicher Hilfe bzw. polizeilichem Schutz vor den Bedrohungen rechnen hätte können.

 

Da keine Umstände ersichtlich sind, wonach es den Personen, welche die Verfolgungshandlung gegenüber der Ehefrau des Beschwerdeführers gesetzt haben, nicht möglich sein sollte, diese gegebenenfalls im gesamten Staatsgebiet ausfindig zu machen, kann nicht erkannt werden, dass der Familie des Beschwerdeführers eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stünde. Infolgedessen ist im Fall des Beschwerdeführers ebenso das Bestehen einer aktuellen Verfolgungsgefahr im gesamten Staatsgebiet Armeniens zu bejahen.

 

Somit bleibt festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer aus Gründen der "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" in Armenien asylrelevante Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

 

Da sich im Verfahren überdies keine Hinweise auf Asylausschluss- oder Asylendigungsgründe ergeben haben, ist der Beschwerdeführer Asyl zu gewähren. Gemäß § 12 AsylG 1997 ist die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem betroffenen Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
ethnische Verfolgung, familiäre Situation, Glaubwürdigkeit, Mischehen, soziale Gruppe, soziale Verhältnisse
Zuletzt aktualisiert am
28.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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