TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/02 D8 304580-1/2008

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Veröffentlicht am 02.10.2008
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Spruch

D8 304580-0/2008/9E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Gollegger als Vorsitzende und den Richter Mag. Kanhäuser als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Gubitzer über die Beschwerde der M.S., geb. 00.00.1981, StA. Ukraine, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 27. Juli 2006, FZ 03 29.951-BAW, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23. September 2008 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und M.S. gemäß § 7 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgestz 1997-AsylG), BGBl. I Nr. 76/1997, Asyl gewährt. Gemäß § 12 AsylG leg. cit. wird festgestellt, dass M.S. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang

 

1. Die Beschwerdeführerin, Staatsangehörige der Ukraine, Angehörige der Minderheit der Krim-Tataren und moslemischen Glaubens, stellte am 30. September 2003 in Österreich einen Asylantrag. Sie gab an, den Namen M.S. zu führen, Staatsangehörige der Ukraine und am 00.00.1981 geboren zu sein. Die Beschwerdeführerin wurde am

 

9. März 2004 und am 27. Juli 2006 im Beisein eines von der Behörde bestellten Dolmetschers der Sprache Russisch vor einem Organwalter des Bundesasylamtes einvernommen.

 

Die Beschwerdeführerin stellte als gesetzliche Vertreterin für ihre Tochter am 10. September 2004 beim Bundesasylamt einen Asylantrag gemäß § 10 AslyG 1997, einen Antrag auf Gewährung desselben Schutzes, da ihre Tochter keine eigenen Fluchtgründe hätte, sondern sich die Fluchtgründe auf die ihrer Mutter beziehen würden.

 

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 27. Juli 2006, Z 03 29.951-BAW, den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl. I 76/1997, ab (Spruchpunkt I). Gemäß Spruchpunkt II. stellte es die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Ukraine gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997, BGBl. I 76/1997 (AsylG) idF BGBl. I 126/2002 fest und wies die Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Ukraine aus (Spruchpunkt III.)

.

 

Mit Bescheid vom selben Tag, Z 04 18.288-BAW, wies die Behörde den Asylantrag der minderjährigen Tochter der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl. I 76/1997 idF BGBl. I 101/2003 (Spruchpunkt I.) ab und stellte die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung von M.E. in die Ukraine gemäß

 

§ 8 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBl. I 101/2003 fest. Auf Grund des Familienbezuges zu dem in Österreich lebenden leiblichen Vater der minderjährigen Tochter und österreichischem Staatsangehörigen der Beschwerdeführerin sprach das Bundesasylamt im Bescheid der minderjährigen Tochter nicht über eine Ausweisung ab.

 

Die Beschwerdeführerin brachte gegen die Bescheide des Bundesasylamtes,

 

Zlen. 03 29.951 BAW und 04 18.288-BAW, für sich und ihr minderjährige Tochter fristgerecht Berufung ein. Sie beantragt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die Behörde erster Instanz zurück zu verweisen; in eventu den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass ihr Asyl gewährt werde; in eventu den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass die Unzulässigkeit ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in ihr Heimatland ausgesprochen und ihr ein befristetes Aufenthaltsrecht erteilt werde; in eventu den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass der Bescheid im Spruchpunkt betreffend die Ausweisung ersatzlos behoben werde oder zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die Behörde erster Instanz zurück verwiesen werde. Sie brachte in der Berufung vor, dass sie mit ihrem unehelichen Kind nicht mehr in ihr Heimatland könne, da sie ihr Vater töten werde. Als alleinstehende Mutter mit unehelichem Kind, die noch dazu der Minderheit der Krim-Tataren angehöre, hätte sie keine Existenzgrundlage. Weiters bringt sie Auszüge aus dem USDOS, Country Report Ukraine 2005, eines Berichtes von Amnesty International 2004 und einer Anfragebeantwortung von ACCORD von 2004 betreffend die Lage der Frauen in der Ukraine vor. Da sie der Minderheit der Krim-Tataren angehöre, würde sie keine Arbeit finden. Sie wäre eine alleinstehende Mutter ohne Wohnmöglichkeit und Arbeit. Weiters gehöre sie der sozialen Gruppe der alleinstehenden Mütter mit unehelichem Kind an und die ukrainische Gesellschaft könne ihr weder Schutz vor ihrem gewaltbereiten Vater noch finanzielle Unterstützung bieten. Auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu der Volksgruppe der Tartaren sei sie Diskriminierung am Arbeitsmarkt ausgesetzt. Sie bringt vor, dass ein Entzug der Lebensgrundlage als Asylrecht anzusehen sei, wie dies auch vom UBAS im Verfahren zu

 

Z 242.526 am 10. Jänner 2006 festgestellt worden sei.

 

2. Der Asylgerichtshof führte am 23. September 2008 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der die Beschwerdeführerin teilnahm. Ein Vertreter des Bundesasylamtes ist entschuldigt der Verhandlung ferngeblieben.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungs-verfahrens Beweis erhoben durch Einsicht in den dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesasylamtes, Einvernahme der Beschwerdeführerin in der am 23. September 2008 durchgeführten mündlichen Verhandlung und der Erörterung der in der Verhandlung eingeführten Länderdokumente.

 

2. Der Asylgerichtshof geht von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:

 

Die Identität der Beschwerdeführerin steht fest. Sie trägt den Namen M.S., ist am 00.00.1981 geboren, Staatsangehörige der Ukraine, moslemischen Glaubens und Angehörige der Minderheit der Krim-Tataren. Die Beschwerdeführerin lernte in ihrem Herkunftsland einen (noch) verheirateten Mann kennen, ging mit ihm eine Beziehung ein und wurde schwanger. Ihr Vater und ihre gesamte Familie, welche streng muslimischen Glaubens sind, bedrohten die Beschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerin flüchtete nach Österreich. Die Beschwerdeführerin, die mit ihrem Lebensgefährten und Kindsvater gemeinsam mit ihrer minderjährigen Tochter zusammenlebt, ist weiterhin ständiger Bedrohung durch ihre Familie, nämlich dass sie sie, sobald sie in die Ukraine zurückkehrt, töten werden, ausgesetzt.

 

Zur Lage der Angehörigen der Krim-Tataren und der Frauen in der Ukraine:

 

Auf der Halbinsel Krim sind 12% der Bevölkerung Tataren. Tataren sind im dortigen Parlament und Regierung vertreten. In den Stadträten und der Stadtverwaltung sind Tartaren unterrepräsentiert. Ukrainische und tatarische Minderheiten beklagen Diskriminierungen durch die russische Mehrheit in Krim. Auf der Krim leiden Tataren dem Europarat zufolge unter anderem unter hoher Arbeitslosigkeit (60%), was auf Diskriminierung zurückzuführen ist (U.S. Department of State, Ukraine, Country Reports on Human Rights Practices 2007, http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2007/100590.htm, 11. März 2008;; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 11. Juli 2008).

 

Discrimination against Women in Employment

 

Although Ukraine has adopted legislation designed to ensure gender equality in employment, including the Law on Equal Rights and Opportunities for Men and Women and amendments to the labor Code prohibiting gender discrimination in employment and remuneration, Human Rights Watch research has determined that women do not enjoy equal access to employment opportunities as a result of discriminatory attitudes among both public and private employers, including discriminatory recruitment practices. (Universal Periodic Review of Ukraine

 

Human Rights Watch's Submission to the Human Rights Council, 5. Mai 2008)

 

Der Bericht der UHHRU enthält weiters Informationen über Anzeigen von Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt wurden. Diese würden häufig durch Anwälte und Polizei unter Druck gesetzt, sich mit ihren Ehemännern wieder zu versöhnen. Einige Staatsanwälte hätten die Aufnahme von Fällen häuslicher Gewalt abgelehnt, auch bei schweren Verletzungen der Opfer. Eine Umfrage aus dem Jahr 2000 unter Richtern und Anwälten habe laut UHHRU ergeben, dass Viele häusliche Gewalt als Privatsache ansehen würden, nicht als Straftat. In Fällen, in denen Frauen bereit waren, Anzeige zu erstatten, hätten es Exekutivorgane häufig abgelehnt einzuschreiten, mit dem Hinweis auf die Verfassung, wonach eine Einmischung in das Privat- oder Familienleben verboten sei (Accord, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 5. Mai 2006)

 

Frauen, die Täter wegen häuslicher Gewalt vor Gericht bringen wollten, wurden durch die im Justizwesen grassierende Korruption oder wegen der überaus geringen Strafen, die von Gerichten für gewöhnlich gegen die Täter verhängt wurden, von ihrem Vorhaben abgebracht. (Amnesty International Deutschland, Jahresbericht 2007, http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/Druck/AF443F7C9F6D6CDDC12573010034C061vom 29. August 2007)

 

3. Die Identität der Beschwerdeführerin konnte aufgrund der Vorlage eines Reisepasses festgestellt werden.

 

Die Feststellungen zum Ausreisegrund der Beschwerdeführerin beruhen auf ihrem glaubhaften Vorbringen im Rahmen des Asylverfahrens.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in mehreren Erkenntnissen betont, dass die Aussage des Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt und daher der persönliche Eindruck des Asylwerbers für die Bewertung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben von Wichtigkeit ist (VwGH 24.06.1999, 98/20/0453; 25.11.1999, 98/20/0357).

 

Nachdem das Vorbringen der Beschwerdeführerin insgesamt glaubwürdig war, mit dem vorliegenden Länderdokumentationsmaterial übereinstimmte und keine groben Ungereimtheiten aufwies, waren die Angaben der Beschwerdeführerin vom zur Entscheidung berufenen Senat des Asylgerichtshofes als glaubwürdig zu werten.

 

Im vorliegenden Fall ist es der Beschwerdeführerin gelungen, (drohende) Verfolgung glaubhaft zu machen.

 

Die Feststellungen bezüglich der aktuellen Situation im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin beruhen auf dem in der mündlichen Berufungsverhandlung zitierten Dokumentationsmaterial.

 

4. Rechtlich folgt daraus:

 

4.1 Gemäß § 28 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG), Art. 1 Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetzes, BGBl. I 4/2008, tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I. 100/2005, außer Kraft.

 

Der Asylgerichtshof hat gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B°VG), BGBl. 1/1930 (WV) idF BGBl. I 2 /2008, ab 01. Juli 2008 die beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiter zu führen. An die Stelle des Begriffs "Berufung" tritt gemäß § 23 des Asylgerichtshofgesetzes (AsylGHG), BGBl. I 4/2008, mit Wirksamkeit ab 01. Juli 2008 der Begriff "Beschwerde". Der Asylgerichtshof tritt in sämtlichen Verfahren, somit auch in jenen Verfahren, die nach dem AsylG 1997 weiterzuführen sind, an die Stelle des unabhängigen Bundesasylsenates (vgl. dazu AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).

 

Gemäß § 22 Abs. 1 des Art. 2 des Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetzes, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 4/2008 (AsylG 2005 idF der AsylG-Nov. 2008), ergehen Entscheidungen des Asylgerichtshofes in der Sache selbst in Form eines Erkenntnisses, alle anderen in Form eines Beschlusses. Die Entscheidungen des Bundesasylamtes und des Asylgerichtshofes haben den Spruch und die Rechtsmittelbelehrung auch in einer dem Asylwerber verständlichen Sprache zu enthalten.

 

Gemäß § 61 Abs. 1 AsylG 2005 idF der AsylG-Nov 2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 AsylG 2005 idF der AsylG-Nov 2008 entscheidet der Asylgerichtshof durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

zurückweisende Bescheide

 

wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4;

 

wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5;

 

wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG und

 

die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG,

 

BGBl. 1/1930 dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. 10, nichts anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt. Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG 2005 tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 2006 in Kraft. Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 1997 - AsylG), BGBl. I 76/1997 tritt mit Ausnahme des § 42 Abs. 1 mit Ablauf des 31. Dezember 2005 außer Kraft

 

(§ 73 Abs. 2 AsylG 2005).

 

Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I 4/2008, sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen.

 

§ 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Bundesasylamt oder der Asylgerichtshof zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs. 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen. Gemäß § 44 Abs. 1 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76/1997 idF BGBl. I 101/2003, werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I 76/1997 idF BGBl. I 126/2002 geführt.

 

Gemäß § 44 Abs. 2 AsylG 1997, BGBl. I 76/1997 idF BGBl. I 101/2003, werden Asylanträge, die ab dem 1. Mai 2004 gestellt werden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I 76/1997 in der jeweils geltenden Fassung geführt.

 

Im gegenständlichen Fall handelt es sich um ein Beschwerdeverfahren, das gemäß §°61°Abs.°1°AsylG 2005 idF der AsylG-Nov 2008 von dem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Senat zu entscheiden ist.

 

4.2 Gemäß § 3 Abs. 1 1. Satz AsylG 1997, BGBl. I 76/1997, begehren Fremde, die in Österreich Schutz vor Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) suchen, mit einem Asylantrag die Gewährung von Asyl.

 

Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich infolge von vor dem 01. Jänner 1951 eingetretenen Ereignissen aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl. I 76/1997, hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung

 

(Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in

 

Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Zentraler Aspekt der dem § 7 AsylG 1997 zugrundeliegenden, in

 

Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 19.04.2001, 99/20/0273).

 

Im Fall der Beschwerdeführerin kommt ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe als Ursache des drohenden Eingriffs eine herausragende Bedeutung zu. Generell wird eine soziale Gruppe durch Merkmale konstituiert, die der Disposition der betreffenden Personen entzogen sind, beispielsweise das Geschlecht. Frauen stellen beispielsweise eine "besondere soziale Gruppe" im Sinne der GFK dar (vgl. etwa Köfner/Nicolaus, Grundlagen das Asylrechts in der Bundesrepublik Deutschland, II, 456). Im "Gemeinsamen Standpunkt" des Rates der Europäischen Union vom 4. März 1996 betreffend die harmonisierte Anwendung der Definition des Begriffs "Flüchtling" in Art. 1 des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge wird zum Begriff der "sozialen Gruppe" ausgeführt: "Eine bestimmte soziale Gruppe umfasst in der Regel Personen mit ähnlichem Hintergrund, ähnlichen Gewohnheiten oder ähnlichem sozialen Status." Der kanadische Oberste Gerichtshof (Supreme Court) qualifizierte in den von Goodwin-Gill, The Refugee in International Law², 1996, S. 359f, dargestellten Entscheidungen Frauen aus China, die bereits (mehr als) ein Kind haben und deshalb mit zwangsweise Sterilisierung rechnen müssen, als soziale Gruppe. Dieser Gerichtshof fand eine Definition des Begriffes der sozialen Gruppe, die drei Personenkreise umfasst, wobei einer dieser Kreise von Personen gebildet wird, die sich durch ein gemeinsames angeborenes oder unabänderliches Merkmal, wie z.B. Geschlecht, sprachliche Zugehörigkeit oder sexuelle Orientierung, auszeichnen. (vgl. VwGH 20.10.1999, 99/01/0197).

 

Der Begriff der geschlechtsspezifischen Verfolgung umfasst unter anderem die Anwendung von physischer Gewalt gegenüber Frauen im häuslichen Umfeld bzw. in der lokalen Umgebung sowie drakonische Strafen gegen Frauen bei Verstößen gegen religiöse, sittliche oder gesellschaftliche Gebote. Die für die Begründung der Flüchtlingseigenschaft erforderliche Intensität der Verfolgung ist jedenfalls bei (drohenden) Eingriffen in die physische Integrität gegeben. In Fällen nichtstaatlicher Verfolgung ist entscheidend, ob der betreffenden Person die Möglichkeit offensteht, angesichts der drohenden Verfolgung Schutz im Herkunftsstaat in Anspruch zu nehmen und ob die Inanspruchnahme solchen Schutzes der Person zumutbar ist (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0170; 6.3.2001, 2000/01/0056, u.a.)

 

Die Furcht der Beschwerdeführerin vor Verfolgung ist begründet:

 

Aufgrund der Länderfeststellungen und dem glaubhaften Vorbringen der Beschwerdeführerin wird anschaulich, dass die Beschwerdeführerin, als Angehörige der Minderheit der Krim-Tataren, moslemischen Glaubens mit einem unehelichen Kind de facto einer Verletzung grundlegender Rechte ausgesetzt ist. Den Feststellungen zufolge bestehen nach wie vor gesellschaftliche Normen dahingehend, dass derartige Frauen bei Verstößen gegen religiöse oder gesellschaftliche Verbote mit Diskriminierung und Bedrohungen zu rechnen haben bzw. sind sie der Gefahr willkürlicher Übergriffe ausgesetzt. Der Beschwerdeführerin ist es daher auch derzeit nicht möglich, sich ungehindert und sicher in der Öffentlichkeit zu bewegen.

 

Im Fall einer Rückkehr in die Ukraine wäre die Beschwerdeführerin zunächst mit einer für sie prekären Sicherheitslage konfrontiert. Das bedeutet, dass für sie in fast allen Teilen der Ukraine einschließlich der Krim ein erhöhtes Risiko besteht, Eingriffen in ihre physische Integrität und Sicherheit ausgesetzt zu sein. Den Feststellungen zu Folge ist dieses Risiko sowohl als generelle Gefährdung zu sehen (Risiko, Opfer eines sonstigen Übergriffs bzw. Verbrechens zu werden) als auch als spezifische Gefährdung, bei non-konformem Verhalten (d.h. bei Verstößen gegen gesellschaftliche oder religiöse Normen wie beispielsweise ihr uneheliches Kind von einem verheirateten Mann) einer "Bestrafung" ausgesetzt zu sein. Aus diesen Aspekten resultierend ist die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr in die Ukraine mit einer Situation konfrontiert, in der sie in der Ausübung grundlegender Menschenrechte beeinträchtigt ist.

 

Darüber hinaus ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt, dass es der Beschwerdeführerin, als nunmehr de facto alleinstehender Frau (ihr Lebensgefährte, der (noch) verheiratet ist, ist österreichischer Staatsangehöriger und lebt in Österreich) und Angehörige der Minderheit der Tataren kaum möglich wäre zu überleben, geschweige denn ihr Kind zu ernähren, zumal sie auch nicht mit familiär bedingter Hilfe rechnen kann, sondern im Gegenteil, ihre Familie ihr nach dem Leben trachtet. Auf der Krim leiden Tataren unter sehr hoher Arbeitslosigkeit (60%), was auf Diskriminierung zurückzuführen ist. Angehörige der Krim-Tataren werden am Arbeitsmarkt diskriminiert und ist der Zugang zum Arbeitsmarkt sowohl im öffentlichen als auch privaten Bereich für diese Personen erschwert. Insbesondere erfahren Frauen eine starke Diskriminierung am Arbeitsmarkt. Für die Beschwerdeführerin wirkt sich die derzeitige Situation als alleinstehende Mutter, Angehörige der Krim-Tataren und muslimischen Glaubens in der Ukraine so aus, dass sie im Fall einer Rückkehr einem Klima ständiger latenter Bedrohung, struktureller Gewalt und unmittelbaren Einschränkungen und durch das Bestehen dieser Situation einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt ist, der die Asylrelevanz nicht abgesprochen werden kann.

 

Durch die ukrainische Regierung ist eine umfassende Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Beschwerdeführerin nicht ersichtlich. Das die Berufungswerberin treffende Sicherheitsrisiko durch die angedrohte Ermordung durch ihre Familie und Verwandten ist als nicht-staatliches Verfolgungsrisiko zu qualifizieren. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt auch von privaten Personen oder Gruppierungen ausgehender Verfolgung asylrechtliche Relevanz zu. Für die Beurteilung der asylrechtlichen Relevanz ist dabei lediglich auf die Möglichkeit, angesichts einer bestehenden Gefährdung ausreichenden Schutz im Herkunftsland in Anspruch zu nehmen. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist zur Feststellung, ob ein solcher ausreichender Schutz vorliegt - wie ganz allgemein bei der Prüfung des Vorliegens von wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung - ein "Wahrscheinlichkeitskalkül" heranzuziehen:

 

Im vorliegenden Fall ist es der Beschwerdeführerin angesichts des sie betreffenden Sicherheitsrisikos nicht möglich, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat in Anspruch zu nehmen bzw. ist der Eintritt des zu befürchtenden Risikos - trotz Bestehens von Schutzmechanismen im Herkunftsstaat - wahrscheinlich. Eine solche Wahrscheinlichkeit ist deshalb zu bejahen, weil - den Feststellungen zu Folge - in der Ukraine Gewalt gegen Frauen weiterhin ein schwerwiegendes Problem ist, und kaum verfolgt wird. Häusliche Gewalt wird in vielen Fällen als Privatsache angesehen und nicht als Straftat verfolgt. In Fällen, in denen Frauen bereit waren, Anzeige zu erstatten, haben Exekutivorgane bzw. Staatsanwälte die Aufnahme von Fällen abgelehnt; dies mit der Begründung, dass die Verfassung die Einmischung in das Privat- oder Familienleben verbiete. Den Feststellungen zu Folge ist nicht davon auszugehen, dass effektive Mechanismen zur Verhinderung der vom streng muslimisch gläubigen Vater und der gesamten Familie und Verwandtschaft angedrohten Übergriffe bestehen. Für die Beschwerdeführerin ist damit nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie angesichts des sie betreffenden Risikos, Opfer von Übergriffen und Verletzung betreffend Leib und Leben zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann.

 

Bei der Berufungswerberin liegt jedenfalls das Verfolgungsrisiko wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (muslimische Angehörige der Krim-Tataren mit unehelichem Kind) vor. Den Feststellungen zu Folge ist für die gesamte Ukraine von einer Situation auszugehen, in der die Beschwerdeführerin einem erhöhten Sicherheitsrisiko und Diskriminierung ausgesetzt wäre. Eine interne Fluchtalternative für die Berufungswerberin besteht nicht.

 

Die Beschwerdeführerin hat somit glaubhaft machen können, dass ihr in ihrem Herkunftssaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK aktuell und intensiv droht. Es sind keine Hinweise hervorgekommen, wonach einer der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigung- oder Ausschlusstatbestände eingetreten sein könnte.

 

Gemäß § 12 AsylG 1997 ist die Entscheidung, mit der Fremden von Amts wegen, auf Grund Asylantrages oder auf Grund Asylerstreckungsantrages Asyl gewährt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
aktuelle Bedrohung, Diskriminierung, gesamte Staatsgebiet, häusliche Gewalt, Lebensgrundlage, Minderheiten-Zugehörigkeit, private Verfolgung, Religion, Sicherheitslage, soziale Gruppe
Zuletzt aktualisiert am
26.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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