TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/03 E8 268006-0/2008

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Veröffentlicht am 03.10.2008
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Spruch

E8 268.006-0/2008-6E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. DIEHSBACHER als Vorsitzenden und den Richter Dr. BRACHER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Frau Schwarz über die Beschwerde des Y.Y., geb. 00.00.1980, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.01.2006, FZ. 04 26.037-BAW, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

Entscheidungsgründung

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

 

1. Der BF, ein Staatsangehöriger der Türkei und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe sowie moslemischen Glaubens, reiste am 24.12.2004 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 27.10.2004 mittels Telefax einen Antrag auf Asylgewährung (AS 3).

 

2. Mit Schreiben des Bundesasylamtes vom 12.01.2005 (zugestellt am 14.01.2005) wurde der BF gemäß § 24 Abs 2 AsylG aufgefordert, sich innerhalb von drei Wochen ab Erhalt dieses Schriftstückes in einer der darin angeführten Erstaufnahmestellen des Bundesasylamtes persönlich einzufinden (AS 13).

 

3. Am 25.01.2005 erschien der BF beim Bundesasylamt, Außenstelle Wien, und füllte ein Formular zur Stellung eines Asylantrages bzw. eines Asylerstreckungsantrages in seiner Muttersprache aus. Eine Übersetzung, insbesondere der 21 Zeilen umfassenden Angaben zu seinen Ausreisegründen (AS 23), geht aus dem gegenständlichen Akt jedoch nicht hervor.

 

4. Am 28.01.2005 (AS 45 ff), am 31.01.2005 (AS 67 ff) und am 29.09.2005 (AS 109 ff) wurde der BF vor dem Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen. Dabei brachte der BF im Wesentlichen vor, von der PKK bedroht worden zu sein, weil er sich Anfang 2004 dieser Organisation anschließen habe wollen, sich nach der Tötung von vier PKK-Kämpfern im Sommer 2004 aber dann doch anders entschieden habe und nicht beigetreten sei. Diese vier PKK-Kämpfer seien auf dem Weg zum BF gewesen, um diesen abzuholen, weshalb nun von der PKK vermutet werde, dass der BF diese verraten habe und die PKK-Kämpfer deshalb von der Gendarmerie ermordet worden seien.

 

5. Mit Schreiben vom 14.04.2005 teilte die Grundsatz- und Dublinabteilung dem Bundesasylamt mit, dass das Konsultationsverfahren gemäß der VO Nr. 343/2003 (EG) des Rates keine Zuständigkeit eines anderen Staates zur Prüfung des Asylantrages ergeben habe und das Asylverfahren demnach zu finalisieren sei (AS 71).

 

6. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.01.2006, Zahl: 04 26.037-BAW, wurde der Asylantrag in Spruchteil I unter Berufung auf § 7 AsylG abgewiesen; in Spruchteil II stellte es fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in die Türkei gemäß § 8 Abs 1 AsylG zulässig sei; unter einem wurde der BF in Spruchteil III des Bescheides unter Berufung auf § 8 Abs 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen. Das Bundesasylamt begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass das Vorbringen des BF aus näher dargelegten Gründen unglaubwürdig sei (AS 163 f). Im Rahmen der Refoulementprüfung führte die Erstbehörde begründend aus, dass der BF seine Fluchtgründe nicht glaubhaft machen habe können, weshalb auch keine Gefährdung iSd Art. 3 EMRK bestehe. Auch aufgrund der getroffenen Feststellungen könne nicht davon ausgegangen werden, dass in der Türkei eine nicht sanktionierte ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechtsverletzungen herrschen würde, weshalb auch von Amts wegen keine Gefährdung iSd Art. 3 EMRK erkannt werden könne (AS 171). Die Zulässigkeit der Ausweisung des BF aus dem österreichischen Bundesgebiet in dessen Herkunftsstaat begründete die Erstbehörde insbesondere damit, dass zwar eine Schwester des BF in Österreich aufhältig sei, diese jedoch als volljährige Person nicht der Kernfamilie des BF zuzurechnen sei und damit kein Bezug zu einem Mitglied der Kernfamilie vorliegen würde. Ein Eingriff in das Recht auf Familienleben iSd Art 8 EMRK sei aufgrund der Tatsache, dass die Schwester des BF nicht der Kernfamilie des BF angehöre, als gerechtfertigt anzusehen. Weiters sei die Ausweisung dringend zu Erreichung der in Art. 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele geboten (AS 177).

 

7. Gegen diesen am 23.01.2006 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 06.02.2006 fristgereicht Beschwerde erhoben (AS 193 ff). Darin wird ausgeführt, dass die Erstbehörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe und sehr wohl ein Abschiebungshindernis iSd Art 3 EMRK vorliege. Erläuternde Ausführungen dazu sind der Beschwerde jedoch nicht zu entnehmen (AS 193 ff).

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1.1. Der Bescheid des Bundesasylamtes erweist sich insofern mangelhaft, als es die Erstbehörde unterlassen hat, das vom BF am 25.01.2005 vor dem Bundesasylamt in seiner Muttersprache ausgefüllte Formular zur Stellung eines Asylantrages bzw. eines Asylerstreckungsantrages (AS 19 ff), insbesondere die darin ausführlich dargestellten Fluchtgründe (AS. 23), übersetzen zu lassen. Die Erstbehörde geht im bekämpften Bescheid von der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des BF aus, obwohl dem Bundesasylamt der Inhalt dieses Antragsformulars nicht bekannt sein konnte und somit ein wesentlicher Bestandteil für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des BF fehlte.

 

1.2. Weiters ist festzuhalten, dass es das Bundesasylamt generell verabsäumt hat - bezogen auf den Zeitpunkt der erstinstanzlichen Bescheiderlassung (19.01.2006) - dem erstinstanzlichen Bescheid aktuelle Länderfeststellungen zu Grunde zu legen, da die Länderfeststellungen überwiegend aus dem Jahr 2002, 2003 und 2004 stammen, der Bescheid aber nahezu vier, drei bzw. zwei Jahre jüngeren Datums ist. Angemerkt sei weiters, dass sich im bekämpften Bescheid in offensichtlich irrtümlicher Weise umfangreiche Feststellungen zum Militärdienst (einschließlich konkreter Schlussfolgerungen [!]) befinden, hat der BF doch zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens den Militärdienst erwähnt.

 

Zudem hat es das Bundesasylamt im erstinstanzlichen Verfahren zur Gänze unterlassen, dem BF das Parteiengehör zu den Länderfeststellungen zu gewähren. Dem BF wurde weder jener Sachverhalt vorgehalten, von welchem das Bundesasylamt hinsichtlich der allgemeinen Lage in der Türkei ausgeht, noch wurden ihm die Quellen vorgehalten, woraus das Bundesasylamt jene Feststellungen bezieht.

 

1.3. Zur Ausweisungsentscheidung führte das Bundesasylamt lediglich aus, dass die Schwester des BF nicht der Kernfamilie des BF angehöre und somit ein Eingriff in das Familienleben iSd Art. 8 Abs 2 EMRK gerechtfertigt sei. Das Bundesasylamt traf jedoch keinerlei Feststellungen zur Intensität der Beziehung des BF zu seiner Schwester und blieb die Tatsache, dass auch ein Cousin des BF in Österreich aufhältig ist, gänzlich unerwähnt und unterblieben zu dieser Beziehung jegliche Feststellungen. Derartige Feststellungen wären jedoch im Rahmen der Abwägungsentscheidung nach Art 8 EMRK notwendig, zumal auch das sog. "erweiterte Familienleben" (vgl Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, 343) unter bestimmten Voraussetzungen (zB die Führung eines gemeinsamen Haushaltes oder das Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses) vom Schutzbereich des Art. 8 EMRK umfasst sein kann.

 

Der Vollständigkeit halber ist noch darauf hinzuweisen, dass der BF mittlerweile offensichtlich geheiratet hat, zumal aus der ZMR-Anfrage vom 03.10.2008 hervorgeht, dass der BF über eine Heiratsurkunde verfügt. Auch damit wird sich das Bundesasylamt im fortgesetzten Verfahren auseinanderzusetzen haben.

 

1.4. Zusammenfassend wird das Bundesasylamt daher das vom BF am 25.01.2005 ausgefüllte Formular einer Übersetzung zuzuführen und in die Beweiswürdigung einfließen zu lassen haben; weiters werden aktuelle Quellen zum Herkunftsstaat heranzuziehen und diese dem BF zur Wahrung des Parteiengehörs vorzuhalten und daraus die entsprechenden Schlüsse abzuleiten sein. Darüber hinaus werden im Rahmen der Ausweisungsentscheidung Feststellungen hinsichtlich der Intensität der Beziehung zur Schwester sowie zum Cousin des BF zu treffen sein, welche im Anschluss daran der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen sind; ebenso wird sich das Bundesasylamt damit zu befassen habe, ob der BF mittlerweile geheiratet hat.

 

2. Rechtlich folgt:

 

2.1. Am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

2.2. Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

2.3. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde (kraft oben zitierter Bestimmung auch der AsylGH; es bestehen diesbezüglich keine materiellrechtlichen Sondernormen), wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH v. 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" i. S.d. § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).

 

2.4. Im Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 führte der VwGH zur Frage der Gesetzmäßigkeit der Ermessungsübung im Sinne des § 66 Abs. 2 und 3 AVG folgendes aus:

 

"Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.

 

2.5. Zur Verletzung des Parteiengehörs wird auf folgenden Umstand hingewiesen:

 

In verschiedenen Erkenntnissen geht der VwGH davon aus, dass die Verletzung des Parteiengehörs durch die Möglichkeit der Einbringung der Berufung in diesem konkreten Fall als saniert anzusehen ist (vgl. für viele: VwGH vom 11.9.2003, 99/07/0062; VwGH vom 27.2.2003, 2000/18/0040; VwGH vom 26.2.2002, 98/21/0299). Soweit im erstinstanzlichen Asylverfahren das Parteiengehör verletzt wurde, wird angeführt, dass in diesem Fall der BF die Gelegenheit hat, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid Stellung zu nehmen und es dem BF aufgrund der durch die Verletzung des Parteiengehörs hervorgerufenen Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens im Beschwerdeverfahren weiters frei steht, zulässigerweise einen neuen Sachverhalt vorzubringen bzw. neue Bescheinigungsmittel vorlegen. Hierdurch mag zwar gegenüber dem BF die Verletzung des Parteiengehörs durch die Möglichkeit der Einbringung der Beschwerde als saniert anzusehen sein, dies ändert aber nichts daran, dass dieser Umstand in weiterer Folge die Verpflichtung zur Durchführung einer Verhandlung und somit die Rechtsfolgen des § 66 (2) AVG auslösen kann, insbesondere falls der BF aufgrund der oben ausgeführten Mangelhaftigkeit des Verfahrens zurecht einen neuen Sachverhalt vorbrachte. Im gegenständlichen Fall brachte der BF zwar keinen neuen Sachverhalt vor, es wird aber darauf hingewiesen, dass die Gewährung des Parteiengehörs mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Stellungnahme des BF zur Folge hat, welche wiederum ein wesentliches Bescheinigungsmittel zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes darstellen kann und von der Behörde amtswegig herbeizuschaffen sein wird.

 

3. Abschließend ist festzuhalten, dass im vorliegenden Fall der dem Asylgerichtshof vorliegende Sachverhalt - wie oben unter Punkt 1.1. bis Punkt 1.3. ausgeführt - iSd § 66 Abs 2 AVG mangelhaft ist, sodass der angefochtene Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesasylamt zurückzuverweisen war

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
29.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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