TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/07 D4 244690-0/2008

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Veröffentlicht am 07.10.2008
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Spruch

D4 244690-0/2008/10E

 

Schriftliche Ausfertigung des am 22.09.2008 mündlich verkündeten

 

ERKENNTNISSES

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Ulrike SCHERZ als Vorsitzende und die Richterin Dr. Christine AMANN als Beisitzerin im Beisein der Schriftführerin Marianne KIENAST über die Beschwerde der T.N., geb. 00.00.1970, StA. Kirgisistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.11.2003, ZI. 03 27.934-BAL, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.09.2008 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und T.N. gemäß § 7 AsylG 1997BGBI. I Nr. 126/2002 Asyl gewährt. Gemäß § 12 AsylG leg. cit. wird festgestellt, dass T.N. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang

 

Die beschwerdeführende Partei führt nach eigenen Angaben den im Spruch genannten Namen, ist kirgisische Staatsangehörige, gehört der russischen Volksgruppe an, ist orthodoxen Bekenntnisses, war im Heimatstaat zuletzt in B. wohnhaft, reiste am 12.9.2003 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 15.9.2003 einen Asylantrag.

 

Vom Bundesasylamt, Außenstelle Linz am 14.10.2003 im Beisein eines Dolmetschers der russischen Sprache einvernommen, wurde als Fluchtgrund Folgendes angegeben:

 

Die Beschwerdeführerin hätte mit ihrem Ehemann gemeinsam ein gut gehendes Geschäft geführt.. Im Jahr 2000 hätten zwei muslimische Männer versucht Schutzgeld zu erpressen und den Ehemann der Beschwerdeführerin aufgefordert dafür zu sorgen, dass seine Ehefrau den traditionell muslimischen Gebräuchen entsprechend leben würde.

 

Am 00.00.2000 sei der Ehemann der Beschwerdeführerin vor dem eigenen Haus im Rahmen einer Schlägerei mit den beiden Männern verletzt worden, im Krankenhaus behandelt und danach von ihr zu Hause einen Monat gepflegt worden. Die Beschwerdeführerin hätte versucht, ihren Mann zu verteidigen, wäre jedoch mit Gewalt ins Haus gebracht, beschimpft und auch eingesperrt worden. Sie sei von der Nachbarin befreit worden.

 

Am 00.00.2000 sei der Mann der Beschwerdeführerin verschwunden. Sie hätte bei der Polizei Anzeige erstattet, mit den Schwiegereltern gesprochen und in allen Spitälern nach ihm gesucht. In weiterer Folge sei es zu Auseinandersetzungen mit ihrem Schwiegervater gekommen, da dieser bei der Suche nach dem Ehemann nicht hätte helfen wollen. Der Schwiegervater selbst hätte die Obsorge über die Tochter der Beschwerdeführerin erhalten wollen.

 

Er hätte auch im Innenministerium Anzeige gegen die Beschwerdeführerin wegen Prostitution, Schwarzhandel und Mord erstattet. Mitarbeiter des Innenministeriums hätten daraufhin die Nachbarn befragt und auch die Beschwerdeführerin selbst verhört. Ihr Schwiegervater hätte die Ermittler bestochen, damit diese sie zu einem Geständnis über den Mord an ihrem Ehemann zwingen. Die beiden Beamten der Kriminalpolizei hätten der Beschwerdeführerin selbst von den Bestechungsversuchen des Schwiegervaters erzählt. Am 00.00.2002 sei sie mit ihrer Tochter auf der Straße um 17 Uhr von Ermittlern der Kriminalpolizei aufgehalten worden. Diese hätten sie aufgefordert, das Kind dem Schwiegervater zu übergeben und zu verschwinden, da sie selbst zu ihrem Geld kommen wollten. Sie hätte geschrien, die beiden hätten sie jedoch auf offener Straße vor den Augen ihrer Tochter verprügelt. Einer der Männer hätte ihre Tochter festgehalten, als diese zu schreien begonnen hätte. Eine von der Tochter kontaktierte Freundin der Beschwerdeführerin hätte die Rettung verständigt. Sie selbst hätte 3 Wochen im Krankenhaus bleiben müssen und danach bis Ende April 2002 bei ihrer Freundin gelebt.

 

Zu diesem Zeitpunkt hätte sie schließlich einen Rechtsanwalt bevollmächtigt, weshalb sich zwischen März 2002 und November 2002 die Situation beruhigt hätte. Im November 2002 hätte sie in ihrem Haus den Schwiegervater angetroffen, als dieser das Haus auf das Grundstück betreffende Dokumente durchsucht hätte. Er hätte die Beschwerdeführerin geschlagen, beschimpft und hätte auch den Hund erschlagen. Sie hätte daraufhin eine Wohnung in der Stadt gemietet und dort bis zur Flucht gelebt. Der Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin hätte ihr zur Anzeige gegen den Schwiegervater geraten. Dies hätte sie aus familiären Gründen ursprünglich nicht vorgehabt, hätte die Anzeige jedoch dann verspätet erstattet.

 

Eines Tages hätte ein ihr unbekannter Mann asiatischer Herkunft vorgetäuscht, in ihrer Wohnung Strom ablesen zu wollen. Er hätte sich schließlich als Mitglied einer für den Bereich "organisierte Kriminalität" zuständige Polizeiabteilung ausgewiesen. Er hätte sie samt Kind in seinem Büro 30 Minuten lang befragt und ihr nahegelegt, ein Geständnis über den Mord an ihrem Mann abzulegen. Der Beamte hätte ausgeführt, dass er vom Schwiegervater bestochen worden sei.

 

Seit diesem Zeitpunkt hätte sie nur noch bei Bekannten übernachtet. Der Kriminalbeamte hätte sie weiter verfolgt und es sei für sie kein ruhiges Leben mehr möglich gewesen. Auch das Haus sei angezündet worden und abgebrannt. Ein neuer von ihr beauftragter Rechtsanwalt hätte ihr mitgeteilt, dass dieser Beamte der Abteilung OBOP - ebenfalls zuständig für organisierte Kriminalität - angehören würde. Ein guter Freund hätte ihr zur Ausreise und Flucht ins Ausland geraten. Folglich hätte sie sowohl ihr Geschäft als auch ihr Grundstück verkauft und Kirgisistan verlassen. Im Falle ihrer Rückkehr würde sie zu einem Geständnis erpresst werden.

 

Im oben angeführten Bescheid vom Bundesasylamt vom 11.11.2003 wurde der Asylantrag im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass die von der Beschwerdeführerin angegebenen Gründe, welche sie zum Verlassen Kirgisistans bewogen hätten, keine asylrechtlich relevanten Aspekte beinhalten würden. Eine Überprüfung der Glaubwürdigkeit der Angaben der Beschwerdeführerin hätte somit entfallen können. Aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin würde sich nicht ergeben, dass in ihrem konkreten Fall der kirgisische Staat nicht willens oder fähig sei, ihr Schutz zu gewähren. Aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin würde sich weiters ergeben, dass sich die von ihr geschilderten Anfeindungen auf ihren unmittelbaren Lebensbereich bzw. den Lebensbereich ihres Schwiegervaters einschränken würden. Durch einen Wohnsitzwechsel hätte sie sich der Verfolgung durch den Schwiegervater bzw. der Mafia entziehen können.

 

Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die Feststellungen der Erstbehörde zum Herkunftsstaat im angefochtenen Bescheid verwiesen.

 

Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde samt Beschwerdeergänzungen, in welchen ausgeführt wurde, dass sehr wohl Verfolgung im Sinne der GFK vorliegen würde. Inhaltlich wurde nochmals auf die Einvernahme vor dem Bundesasylamt verwiesen und konkretisiert, dass gewalttätige, radikale Moslems gegen die Beschwerdeführerin und ihren Mann vorgegangen seien, sowie dass der Sicherheitsapparat korrupt und kriminell sei. Ebenso wurde eine Bestätigung des von der Beschwerdeführerin in Kirgisien bevollmächtigten Rechtsanwaltes über die Anwaltstätigkeit vorgelegt.

 

Anlässlich der öffentlichen mündlichen Verhandlungen am Asylgerichtshof am 22.9.2008, zu der sich ein Vertreter der Erstbehörde entschuldigen ließ, führte die Beschwerdeführerin zu ihrer Flucht im Wesentlichen Folgendes aus:

 

Sie hätte gemeinsam mit ihrem Mann ein Familienunternehmen geführt. In Kirgisistan seien allmählich ernste Probleme zwischen den Volksgruppen entstanden. Ihr Ehemann sei im Jahr 2000 von zwei muslimischen Nachbarn zusammengeschlagen worden, da die Beschwerdeführerin nicht traditionell muslimisch gekleidet gewesen sei. Sie selbst sei nur geringfügig körperlich attackiert worden. Ziel der beiden Männer wäre der Erhalt von Schutzgeld gewesen.

 

Am 00.00.2001 sei der Ehemann der Beschwerdeführerin verschwunden. Sie hätte bei der Polizei (ROWD) Anzeige erstattet, die erst nach mehrfacher Urgenz entgegengenommen worden sei. Mit der Sache seien zwei Untersuchungsbeamte kirgisischer Volksgruppenzugehörigkeit betraut worden, welche sie oft aufgesucht und auch das Haus und den privaten Hof ohne Durchsuchungsbefehl durchsucht hätten. Ihre Schwiegereltern hätten ihr unterstellt einen Liebhaber zu haben. Aus diesem Grund hätte der Schwiegervater mehrmals beim ROWD gegen sie Anzeige wegen Prostitution, Schwarzhandel und auch wegen des Mordes an ihrem Ehemann erstattet. Der Schwiegervater hätte den Untersuchungsbeamten das Auto der Beschwerdeführerin und 5000 USD versprochen, wenn diese von der Beschwerdeführerin ein Geständnis erhalten würden. Ihr Vater hätte auch gemeinsam mit den Untersuchungsbeamten sämtliche Bewohner der Umgebung befragt. Ziel des Schwiegervaters sei gewesen, die Tochter der Beschwerdeführerin und somit in weiterer Folge auch das Erbe seines Sohnes zu erhalten. Die Beschwerdeführerin selbst hätte herausgefunden, dass ihr Mann drogensüchtig gewesen sei und über Zeitungsinserate Kontakt zu Prostituierten aufgenommen hätte. Auch das Auto ihres Mannes sei nach dessen Verschwinden nicht mehr auffindbar gewesen.

 

Der Schwiegervater hätte mehrmals beim ROWD vorgesprochen, damit sich die Beamten intensiver mit der Beschwerdeführerin beschäftigen würden. Wenn eine Angelegenheit vom ROWD in einer bestimmten Frist nicht erledigt werden könne, würde die Angelegenheit zur nächst höheren Abteilung namens OBOP weiter geleitet werden. Die Untersuchungsbeamten des ROWD hätten aufgrund des nahen Fristablaufs versucht, die Beschwerdeführerin zu einem Geständnis zu zwingen. Deshalb sei sie im Winter 2002 auf offener Straße in Anwesenheit ihrer Tochter zusammen geschlagen worden. Eine Freundin der Beschwerdeführerin hätte sie ins Krankenhaus gebracht und sie hätte eine Zeit lang bei dieser Freundin gelebt. Sie hätte einen Rechtsanwalt mit der Angelegenheit betraut. Dieser hätte sich bei der nächsten Instanz über die gesetzwidrigen Handlungen beschwert.

 

Im Herbst 2002 hätte ihr Schwiegervater ihren Rottweiler erschlagen und in ihrem Haus nach Papieren über das Grundstück, das Haus und das Auto gesucht. Die Beschwerdeführerin sei von ihm auch beschimpft und geschlagen worden. Aufgrund dieses Vorfalls sei sie mit ihrer Tochter in eine Mietwohnung in der Stadt übersiedelt - das Haus sei leer gestanden. Eine Anzeige gegen den Schwiegervater hätte sie ursprünglich nicht erstattet, sei jedoch dann von ihrem Anwalt dazu überredet worden. Die Ermittlungen seien in weiterer Folge aufgrund des Fristablaufes nicht mehr vom ROWD sondern vom OBOP geführt worden. Im Frühling 2003 hätte ein Mitarbeiter der OBOP namens "R."

vorgetäuscht, in der Wohnung der Beschwerdeführerin Strom ablesen zu wollen. Sie sei gemeinsam mit ihrer Tochter mit diesem zur Einvernahme in sein Büro gefahren. R. hätte die Beschwerdeführerin bedroht - hätte er ausreichend Geld von ihr erhalten, wäre das Ermittlungsverfahren eingestellt worden. Sie hätten direkt darüber gesprochen. Sie hätte drei Alternativen - entweder hätte sie den Geldforderungen entsprechen oder ein Geständnis ablegen müssen oder sie wäre für 3 Tage in U-Haft genommen worden. Dort wäre sie gefoltert worden und hätte alles unterschrieben und auf ihre Tochter verzichtet. Zu diesem Zeitpunkt hätte die Beschwerdeführerin den Ernst der Lage realisiert. R. hätte ihr Bedenkzeit gewährt und sie nach Hause gebracht. Ein bekannter ehemaliger Staatsanwalt hätte ihr auf ihre Bitte um Beratung mitgeteilt, dass R. Mitglied des OBOP sei. Er selbst könne ihr nicht helfen und es würde sich auch niemand in diese Angelegenheit einmischen.

 

Sie sei immer wieder von R. oder dessen Kollegen angehalten und befragt worden, ob sie bereits eine Entscheidung im Hinblick auf die geforderte Summe getroffen hätte. Sie hätte immer wieder versucht, Zeit zu gewinnen. Schließlich sei ihr Haus abgebrannt (Brandstiftung), der Täter hätte jedoch nicht eruiert werden können. Zu diesem Zeitpunkt hätte sie darüber nachgedacht, Kirgisistan zu verlassen. Binnen einer Woche hätte sie das Grundstück und das Lager des Geschäfts verkauft und sei in weiterer Folge geflohen.

 

Ihrer Ansicht nach seien die meisten dieser Probleme auch darauf zurück zu führen, dass sie der russischen Volksgruppe angehören würde. Da sie sich schriftlich dazu verpflichtet hätte weder die Stadt B. noch den Staat Kirgisistan zu verlassen, würde sie bei einer Rückkehr auf dem gesamten kirgisischen Territorium gefunden werden. Sie hätte Kirgisistan keineswegs aus wirtschaftlichen Gründen verlassen.

 

Nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung war das Erkenntnis zugleich öffentlich verkündet worden.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens steht nachstehender entscheidungs-wesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest.

 

Zur Person der Beschwerdeführerin:

 

Die beschwerdeführende Partei ist kirgisische Staatsangehörige, gehört der russischen Volksgruppe an, ist orthodoxen Bekenntnisses, war im Heimatstaat zuletzt in B. wohnhaft, reiste am 12.9.2003 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 15.9.2003 einen Asylantrag

 

Die Beschwerdeführerin wurde am 00.00.1970 in K. geboren und lebte gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter in B.. Sie führte gemeinsam mit ihrem Ehemann bis 00.00.2001 einen Familienbetrieb. Im Jahr 2000 wurde das Ehepaar von 2 muslimischen Nachbarn insofern bedroht, als diese das Ehepaar zwingen wollten, einen muslimischen Lebensstil zu führen (keine Mitwirkung der Frau im Unternehmen, Tragen von muslimischer Kleidung...), sowie als diese versuchten, vom Ehepaar Schutzgeld zu erpressen. Der Ehemann der Beschwerdeführerin wurde im Jahr 2000 in Anwesenheit seiner Ehefrau und Tochter zusammen geschlagen. Die Beschwerdeführerin selbst wurde aufgrund ihrer Hilfeleistung geringfügig attackiert und von einem der Täter ins Haus gesperrt.

 

Der Ehemann der Beschwerdeführerin verschwand am 00.00.2001. Die Beschwerdeführerin selbst erstattete darüber bei der Polizei Anzeige, die erst verspätet entgegengenommen wurde. Den beiden Untersuchungsbeamten des ROWD wurde vom Schwiegervater der Beschwerdeführerin 5000 USD sowie das Auto der Beschwerdeführerin versprochen, wenn diese von der Beschwerdeführerin ein Geständnis über den an ihrem Mann verübten Mord erreichen könnten. Das Haus bzw. das Grundstück der Beschwerdeführerin wurde ohne Durchsuchungsbefehl durchsucht. Der Grund des Schwiegervaters für seine Handlungen war, dass dieser im Fall der Verurteilung der Beschwerdeführerin die Obsorge über seine Enkeltochter erhalten würde und somit an das hinterlassene Erbe seines Sohnes gelangen würde. Im Winter 2002 wurde die Beschwerdeführerin von den beiden Untersuchungsbeamten des ROWD zusammen geschlagen und verbrachte anschließend 3 Wochen im Krankenhaus. Die Beamten hatten der Beschwerdeführerin auch angeboten, das Verfahren einzustellen, wenn sie einen höheren Betrag als ihr Schwiegervater zahlen würde.

 

Im Herbst 2002 durchsuchte der Schwiegervater der Beschwerdeführerin ihr Haus nach Papieren über das Grundstück, das Haus und das Auto. Er erschlug den hauseigenen Rottweiler und beschimpfte und schlug seine Schwiegertochter. Aufgrund dieses Vorfalls verlegte die Beschwerdeführerin ihren Wohnsitz in eine Mietwohnung in die Stadt B.. Eine Anzeige über diesen Vorfall erstattete die Beschwerdeführerin erst verspätet.

 

Nach Ablauf der vom Gesetzgeber dem ROWD zur Durchführung von Ermittlungen gesetzten Frist ging das Ermittlungsverfahren an den OBOP über. Im Frühjahr 2003 kam ein als Stromableser verkleideter Mann, ein Ermittlungsbeamter des OBOP, namens "R." zur Beschwerdeführerin, um "Strom" abzulesen. Im Zuge dessen wies er sich als Mitglied des OBOP aus, fuhr mit der Beschwerdeführerin und deren Tochter in sein Büro zur Einvernahme der Beschwerdeführerin. Im Rahmen des Besuches und der Einvernahme erpresste er die Beschwerdeführerin: Sie müsste ein Geständnis ablegen oder eine bestimmte Bestechungssumme zahlen müsste oder sie würde für 3 Tage in U-Haft genommen werden. Dort würde er sie foltern und sie dort alles unterschreiben und auf ihre Tochter verzichten. Auch in diesem konkreten Fall hat der Schwiegervater den Ermittlungsbeamten USD 5000 für die Erlangung eines Geständnisses der Beschwerdeführerin versprochen. Von einem ehemaligen Staatsanwalt erfuhr die Beschwerdeführerin, dass es sich bei R. um ein Mitglied des OBOP handelt. Die Beschwerdeführerin wurde weiterhin von R. bzw. seinen Kollegen verfolgt und mit Anrufen belästigt.

 

Kurz vor der Flucht der Beschwerdeführerin aus Kirgisistan wurde ihr Haus angezündet. Es handelte sich um Brandstiftung.

 

Die Beschwerdeführerin spricht fließend deutsch. Die Tochter besucht die Handelsakademie. Die Familie ist in Österreich ausgesprochen gut integriert.

 

Zur Lage in Kirgisistan wird Folgendes festgestellt:

 

Ethnische Russen machen 10,3 % und ethnische Kirgisen 67,4 % der Bevölkerung Kigisistans aus. Nichtkirgisische Bürger werden diskriminiert, insbesondere von den Behörden. Betroffen sind die Bereiche Arbeitsmarkt, Wohnungsvergaben und Beförderungen. Seit dem Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1991 hat sich die Lage der Russen in Kirgisistan verschlechtert. Die meisten Russen haben ihre privilegierte Stellung verloren, auch ihr politischer Einfluss ist geschwunden. Seit März 2005 (Sturz der Regierung Akajew) haben ethnische Minderheiten - besonders die Russen - Befürchtungen über gesteigerten kirgisischen Nationalismus geäußert. Russen und Usbeken sind in der Regierung unterrepräsentiert. Während der Plünderungen nach der Stürmung des Gebäudes der Präsidentenverwaltung im März 2005 haben Geschäfte, die Angehörigen ethnischer Minderheiten gehörte, überproportionale Verluste erlitten. Seither verlassen immer mehr Russen auf Grund der instabilen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Situation, der unsicheren Zukunft des Landes und der Angst vor einem Bürgerkrieg sowie inter-ethnischer Spannungen Kirgisistan. Der Anteil der Russen an der Gesamtbevölkerung ist seit 1991 von 22% auf 10,3% gefallen. Im Bereich der Polizei und Justiz herrscht Korruption. Kriminelle können sich durch die Zahlung von Bestechungen der Strafverfolgung entziehen.

 

Der Präsident, Kurmanbek Bakijew, wurde direkt für einen Zeitraum von fünf Jahren gewählt (Datum der letzten Wahl: 17.12.2007). Er ernennt den Premierminister, der vom Parlament gebilligt werden muss.

 

Das Parlament, Jogorku Kenesh, hat seit 2003 eine Kammer und 75 Mitglieder, die direkt in Einmandat-Wahlkreisen für einen Zeitraum von fünf Jahren gewählt wurden. Da viele Bürger und auch politische Führungspersönlichkeiten, wie Rosa Otunbajewa, weiterhin davon überzeugt sind, dass die derzeitigen Mitglieder kein echtes Mandat zur Vertretung des Volkes haben, ist die Position des Parlaments geschwächt. Weit verbreitet ist auch die Ansicht, die Abgeordneten seien stark darauf bedacht, persönliche und Interessen des "Clans" zu fördern, statt im nationalen Interesse zu handeln. Derzeitiger Parlamentspräsident ist Marat Sultanow.

 

Im Frühjahr 2006 gründete die Opposition die gemeinsame Plattform Za Reformy ("Für Reformen") und veranstaltete große Demonstrationen. Nach anderthalb Jahren politischer und verfahrensrechtlicher Streitigkeiten kam es im November 2006 zu einem Machtkampf zwischen Exekutive und Parlament. Die regierungsfeindlichen Demonstrationen im Zentrum der Hauptstadt B. nahmen zu und wurden mit der Veranstaltung regierungsfreundlicher Demonstrationen beantwortet. Tausende Angehörige der Truppen des Innenministeriums und der Bereitschaftspolizei wurden mobilisiert, um das Weiße Haus zu schützen und eine Wiederholung der "Tulpenrevolution" zu verhindern.

 

Während die Demonstrationen andauerten, zeigte sich einige Tage später, dass das Parlament weder in der Lage war, einen von Präsident Bakijew eingebrachten Verfassungsentwurf zu erörtern noch einen konkurrierenden Verfassungsentwurf anzunehmen. Die Spannungen auf der Straße eskalierten, die Bereitschaftspolizei löste die Menge mit Schockgranaten und Tränengas auf. Angesichts der Gefahr eines Abdriftens in unkontrollierbare Gewalt und Chaos einigten sich Präsident Bakijew und seine Kontrahenten rasch auf eine neue Verfassung und Präsident Bakijew nutzte diese Gelegenheit, um einige der früheren Befugnisse des Präsidenten wieder einzusetzen, die dem Parlament überlassen worden waren.

 

Aus nicht ganz erkennbaren Gründen gab Premierminister Kulow seinen Rücktritt bekannt, offenbar entsprechend einer Abmachung mit Präsident Bakijew, deren Ziel darin bestand, die Zustimmung des Parlaments zu den Änderungen an der Verfassung zu vereinfachen. Die Änderungen wurden angenommen, und Präsident Bakijew unterzeichnete im Januar 2007 die neue Verfassung.

 

Das Parlament lehnte danach zweimal die vom Präsidenten vorgeschlagene Ernennung von Kulow zum Premierminister ab. Den späteren Aussagen Kulows zufolge hatte Bakijew versprochen, ihn auch ein drittes Mal zu nominieren, wodurch das Parlament gezwungen gewesen wäre, entweder zuzustimmen oder sich aufzulösen. Bakijew entschied sich jedoch, einen unauffälligen, loyalen Gefolgsmann namens Azim Isabekow zu nominieren, der gebilligt wurde, jedoch bereits zwei Monate später zurücktrat. Danach wurde der gemäßigte Oppositionspolitiker Almazbek Atambajew Premierminister.

 

Kulow steht heute an der Spitze der Partei Ar-Namys ("Würde"). Im Februar 2007 gab er die Gründung einer neuen Oppositionsbewegung, "Vereinte Front für eine würdige Zukunft Kirgisistans", bekannt. Diese Bewegung drängt auf den sofortigen Rücktritt von Präsident Bakijew und hat die Opposition gespalten. Mitte April 2007 kam es wieder zu regierungsfeindlichen Protesten in B.. Die Opposition forderte erneut Änderungen der Verfassung, um die Befugnisse des Präsidenten einzuschränken. Nachdem es bei den Protesten zu Gewalttätigkeiten gekommen war, griffen die Sicherheitskräfte ein und räumten den Ala-Too-Platz in der Nähe des Weißen Hauses, der als Ausgangspunkt für die Demonstrationen gedient hatte. Später folgten Razzien in einer Druckerei, die mit Unterstützung der USA eingerichtet worden war, und in der Dokumente der Opposition konfisziert wurden, sowie Durchsuchungen im Hauptquartier der Vereinten Front Kulows. Die Partei Ar-Namys konnte im Rahmen der letzten Wahl keinen Parlamentssitz erringen.

 

Die Judikative gilt in weiten Kreisen der Öffentlichkeit als äußerst korrupt und weit davon entfernt, unabhängig zu sein. Vorwürfe, die Judikative habe ebenso wie die politische Elite enge Beziehungen zum organisierten Verbrechen, werden im Land immer wieder laut, Experten stimmen dem zumindest teilweise zu. Es herrscht allgemein Übereinstimmung darüber, dass seit der Revolution das organisierte Verbrechen durch die Spaltungen und Schwächen begünstigt wurde, die heute kennzeichnend für die Staatsbehörden sind. Eine Reihe von Morden steht in Zusammenhang mit dieser Entwicklung. Mehrere Abgeordnete wurden erschossen, was das Parlament dazu veranlasste, Rechtsvorschriften zu erlassen, um seinen Mitgliedern das Tragen von Waffen zu gestatten.

 

Die weit verbreitete Desillusionierung scheint auch das Interesse am radikalen Islamismus zu erhöhen, der sich selbst als Alternative zu Korruption, Kriminalisierung und fehlender Ordnung darstellt. Dieses Interesse und die Schwäche der staatlichen Sicherheitsstrukturen scheinen auch zu einer Zunahme der Tätigkeiten gewalttätiger Gruppen geführt zu haben.

 

Als Folge der schwierigen Wirtschaftslage nimmt die Kriminalität stark zu. Korruption, Amtsmissbrauch, Übergriffe durch Staatsorgane, Fehlverhalten und Polizeigewalt sind ein weit verbreitetes Problem. Insbesondere auch aufgrund der herrschenden Unterbezahlung stellt Bestechung und Korruption ein großes Problem in Kirgisistan dar. Seitens der Regierung werden aber auch Schritte zur Bekämpfung der Korruption im Privaten- wie auch im Öffentlichensektor gesetzt, trotzdem stellt Korruption auf allen Ebenen der Gesellschaft weiterhin ein Problem dar.

 

Die Lage der Menschenrechte ist in vieler Hinsicht besorgniserregend, zu den größten Problemen gehören politisch motivierte Morde, Folter, sehr schlechte Bedingungen in den Gefängnissen und Gewalt gegen Frauen. Die Durchsetzung der Menschenrechte wird auch durch mangelnde rechtsstaatliche Tradition und eine fehlende unabhängige Justiz erschwert. Es gibt weder eine rechtstaatliche Tradition noch eine unabhängige Justiz. In der Praxis ist die Folter nicht abgeschafft. Die Zustände auf Polizeistationen, in der Untersuchungshaft und in Gefängnissen sind in vielen Fällen menschenwidrig.

 

Die patriarchalische Organisation der kirgisischen Gesellschaft wirkt sich negativ auf die Rechte von Frauen (wachsende Armut unter Frauen, zunehmende Arbeitslosigkeit und die Stellung von Frauen am Arbeitsmarkt) aus. Trotz gleicher Rechte ist die wirtschaftliche Situation von Frauen empfindlich schlechter als jene von Männern. Die Durchschnittslöhne für Frauen sind bedeutend niedriger als jene von Männern. Gerade am Land wird Frauen die Rolle der Ehefrau und Mutter aufgezwungen, Ausbildungsmöglichkeiten sind eingeschränkt.

 

Beweis wurde erhoben durch die Einvernahme der Beschwerdeführerin durch die Behörde erster Instanz am 14.10.2003 sowie durch die Befragung des Beschwerdeführers im Rahmen der öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung des Asylgerichtshofes vom 22.09.2008, weiters durch Einsicht in die ACCORD-Anfragebeantwortungen vom 15.2.2007 (betreffend die Situation der russischen Minderheit; Korruption, vor allem bei Polizei und Justiz; Verbindung der Polizei oder der Justiz zum organisierten Verbrechen), vom 27.09.2006 (betreffend die Diskriminierung von Angehörigen der Russischen Volksgruppe) und vom 17.9.2008 (betreffend die Situation von alleinstehenden Frauen mit Kind - Diskriminierung, sozialer Status, Gewalt gegen Frauen) sowie in die Mitteilung über die kirgisische Republik des EU-Parlaments vom 09.05.2007.

 

III. Beweiswürdigung:

 

Der VwGH hat in zahlreichen Erkenntnissen betont, wie wichtig der persönliche Eindruck, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde - nunmehr des Asylgerichtshofs - im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt, ist (siehe z. B. VwGH vom 24.6.1999, 98/20/0435, VwGH vom 20.5.1999. 98/20/0505, u. v.a.m.)

 

Die Beschwerdeführerin erweckt in der mündlichen Berufungsverhandlung einen persönlich glaubhaften Eindruck. Die zentralen fluchtauslösenden Ereignisse vermochte die Beschwerdeführerin in der Verhandlung vor dem Asylgerichtshof detailreich, engagiert und anschaulich zu schildern. Sie antwortete auf die ihr gestellten Fragen gewissenhaft, detailreich und überzeugend, sodass in einer Zusammenschau sämtlicher Angaben ein detailreiches nachvollziehbares und geschlossenes Bild der fluchtauslösenden Vorfälle entstand. Ungereimtheiten in den Angaben konnten während der Beschwerdeverhandlung nicht festgestellt werden. Zentrales Thema ist die Verfolgung durch bestechliche, korrupte Mitarbeiter des Sicherheitsapparates - dies auch vor allem aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur russischen Volksgruppe.

 

Zu den Ausführungen des Bundesasylamtes, dass die von der Beschwerdeführerin angegebenen Gründe keine asylrechtlich relevanten Aspekte im Sinne der GFK aufweisen würden, wird auf die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin, die Länderdokumentation und die daraus resultierenden Feststellungen verwiesen. Weiters wird von der Erstbehörde verkannt, dass die Verfolgung nicht ausschließlich durch Privatpersonen, sondern großteils durch den Polizeiapparat selbst erfolgt.

 

Die Feststellungen zur Lage in Kirgisistan ergeben sich aus den zuvor zitierten Unterlagen.

 

Da die Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Situationsdarstellungen zu zweifeln. Auch seitens der Parteien wurden hinsichtlich der herangezogenen Quellen keine Einwände erhoben.

 

IV. Rechtliche Beurteilung:

 

Gemäß § 61 AsylG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes, soweit nicht etwas anders in § 61 Abs 3 AsylG vorgesehen ist.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG sind beim Unabhängigen Bundesasylsenat am 01.07.2008 anhängige Verfahren in denen bis zu diesem Zeitpunkt keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, vom dem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Senat des Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gemäß Abs. 2 leg. cit. sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetztes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt.

 

Da gegenständlicher Asylantrag am 15.09.2003 gestellt wurde, war er nach der Rechtslage des AsylG 1997 idF 126/2002 unter Beachtung der Übergangsbestimmungen, woraus sich die gegenständliche Zuständigkeit ergibt, zu beurteilen.

 

Gemäß § 7 Asylgesetz 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "begründete Furcht vor Verfolgung."

 

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in

 

dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen.

 

Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (zB VwGH vom 19.12.1995, 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998, 98/01/0262).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, dass als Fluchtgründe unter dem Gesichtspunkt der Schwere des Eingriffes nur solche Maßnahmen in Betracht kommen, die einen weiteren Verbleib im Heimatland aus objektiver Sicht unerträglich erscheinen lassen (VwGH vom 16.09.1992, 92/01/0544, VwGH vom 07.10.2003, 92/01/1015, 93/01/0929, u.a.).

 

Die vom Asylwerber vorgebrachten Eingriffe in seine vom Staat zu schützende Sphäre müssen in einem erkennbaren zeitlichen Zusammenhang zur Ausreise aus seinem Heimatland liegen. Die fluchtauslösende Verfolgungsgefahr bzw. Verfolgung muss daher aktuell sein (VwGH 26.06.1996, Zl. 96/20/0414) - Verfolgung von 2000 bis Ende Juni 2003 sowie weiterhin drohende Verfolgung - Flucht Anfang September 2003. Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194).

 

Trotz der äußerst problematischen Situation von Angehörigen der russischen Volksgruppe insbesondere in Kirgisistan kann aus der Sicht des Asylgerichtshofes nicht von einer ganz pauschalen, generellen Verfolgung nur allein wegen der Zugehörigkeit zur russischen Ethnie ("Gruppenverfolgung") gesprochen werden, sondern ist weiterhin jeder konkrete Einzelfall umfassend an Hand der in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Verfolgungsgründe zu prüfen (z.B. UBAS vom 24.1.2007, Z. 254.119/0-VIII/22/04, UBAS vom 27.1.2007, Zl. 256.753/5E-VIII/22/05 u.a.).

 

Die Beschwerdeführerin hat eine Verfolgung durch ihren Schwiegervater mit Unterstützung des korrupten kirgisischen Polizeiapparates geltend gemacht.

 

Ein Zusammenhang zu den in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Verfolgungsgründen ergibt sich bei der Beschwerdeführerin aus der Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur russischen Minderheit, welche ihr zum Zeitpunkt der Flucht jedenfalls drohte.

 

Die Würdigung der Erstbehörde, die Beschwerdeführerin hätte keine Verfolgung im Sinne der GFK glaubhaft machen können, ist jedenfalls verfehlt und kann auch hinsichtlich der getroffenen Länderfeststellungen von keiner hinreichenden Schutzfähigkeit bzw. -willigkeit des kirgisischen Staates ausgegangen werden.

 

Im Hinblick darauf, dass die Beschwerdeführerin, wie ausgeführt, keinesfalls mit einem effektiven staatlichen Schutz rechnen kann - im Gegenteil wird die Verfolgung durch Vertreter staatlicher Einrichtungen verursacht - ist nicht davon auszugehen, dass für die Beschwerdeführerin die Möglichkeit besteht in irgendeinem Teil der Republik Kirgisistan Schutz vor der gegenständlichen Verfolgung zu finden, weshalb die Annahme einer innerstaatlichen Flucht- bzw. Schutzalternative ausscheidet.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung, gesamte Staatsgebiet, Korruption, Minderheiten-Zugehörigkeit, Schutzunfähigkeit, Schutzunwilligkeit
Zuletzt aktualisiert am
02.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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