TE Vfgh Erkenntnis 1998/6/25 G32/98, G66/98, G67/98, G68/98, G87/98

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Veröffentlicht am 25.06.1998
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art118 Abs3 Z9
Bgld Naturschutz- und LandschaftspflegeG §9
Bgld RaumplanungsG §20 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinde durch eine raumordnungsrechtliche Bestimmung über die Zulässigkeit von baurechtlichen Maßnahmen nur unter Bedachtnahme auf landesgesetzliche Vorschriften; keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Berücksichtigungspflicht raumplanerischer Gesichtspunkte durch die Naturschutzbehörde; bloße Vorfragenbeurteilung

Spruch

Den Anträgen wird nicht Folge gegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a)aa) Beim Verwaltungsgerichtshof ist zu Zl. 97/10/0099 das Verfahren über eine Beschwerde anhängig, die sich gegen den Bescheid der Burgenländischen Landesregierung (Bgld. LRg.) vom 11. Feber 1997 wendet. Mit Spruchpunkt 2 dieses Bescheides wurde unter Berufung auf §9 Abs1 des Burgenländischen Natur- und Landschaftspflegegesetzes, LGBl. 27/1991, (im folgenden kurz: Bgld. NG) das Ansuchen der Beschwerdeführerin um Erteilung der naturschutzbehördlichen Bewilligung für die Änderung des Verwendungszweckes des mit Bescheid der Burgenländischen Landesregierung vom 24. Mai 1995 bewilligten Zubaues zu einem bestehenden Kellergebäude auf dem Grundstück Nr. 3180 der KG Hannersdorf, der nunmehr als Wohnhaus genutzt werden soll, abgewiesen.

Begründet wurde diese Entscheidung damit, die Naturschutzbehörde sei an den Flächenwidmungsplan gebunden; da eine Verwendungsänderung des Kellerzubaues - von einer Nutzung als Keller in eine Nutzung als Wohnhaus - mit dem Flächenwidmungsplan in Widerspruch stehe, könne die beantragte Verwendungsänderung nicht bewilligt werden.

bb) Beim Verwaltungsgerichtshof sind weiters zu den Zlen. 97/10/0246, 97/10/0116, 98/10/0052 und 97/10/0218, Verfahren über Beschwerden anhängig, die sich gegen Bescheide der Bgld. LRg. vom 17. Oktober 1997, 14. Mai 1997, 20. November 1997 und 6. Oktober 1997 wenden. Mit diesen Bescheiden waren Anträge der nunmehrigen Beschwerdeführer auf Erteilung der (nachträglichen) naturschutzbehördlichen Bewilligung zur Errichtung bestimmter Bauten abgewiesen oder wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden; die Vorhaben entsprächen nicht den jeweiligen Flächenwidmungsplänen oder es habe sich die maßgebende Rechtslage nach Erlassung eines Bescheides in derselben Rechtssache nicht geändert (G87/98). Die Bescheide werden (explizit oder der Sache nach) u.a. auf §20 Abs1 Bgld. RPG gestützt.

b) Aus Anlaß dieser Beschwerden stellt der Verwaltungsgerichtshof mit Beschlüssen vom 26. Jänner 1998, Zl. A10/98, vom 9. März 1998, Zl. A23/98, A21/98, A22/98 und A27/98 gemäß Art140 Abs1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof die Anträge, in §20 Abs1 des Burgenländischen Raumplanungsgesetzes, LGBl. 18/1969, idF der Novelle LGBl. 20/1981 (im folgenden kurz: Bgld. RPG) die Wortfolge "sowie Bewilligungen von sonstigen sich auf das Gemeindegebiet auswirkenden Maßnahmen auf Grund landesgesetzlicher Vorschriften" aufzuheben.

2. Die Bgld. LRg. erstattete aufgrund ihres Beschlusses vom 22. März 1998 (zu G32/98) eine Äußerung, in der sie begehrt, die Anträge des Verwaltungsgerichtshofes abzuweisen.

II. 1. Den §§5 ff. Bgld. NG zufolge bedürfen bestimmte Vorhaben zum Schutz der freien Natur und Landschaft einer naturschutzbehördlichen Bewilligung. Nach §9 Abs1 leg. cit. ist auch für jede Änderung des Verwendungszweckes von bewilligungspflichtigen Anlagen im Sinne dieses Gesetzes oder den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen eine Bewilligung der Behörde erforderlich.

2. §20 Abs1 Bgld. RPG lautet (Die zur Aufhebung beantragte Wortfolge ist hervorgehoben):

"Der genehmigte Flächenwidmungsplan hat neben der Wirkung auf den Bebauungsplan (Teilbebauungsplan) auch die Folge, daß Bauplatzerklärungen und Baubewilligungen nach der Bgld. Bauordnung sowie Bewilligungen von sonstigen sich auf das Gemeindegebiet auswirkenden Maßnahmen auf Grund landesgesetzlicher Vorschriften nur zulässig sind, wenn sie dem Flächenwidmungsplan nicht widersprechen."

III. Der Verfassungsgerichtshof

hat erwogen:

A. Zur Zulässigkeit

1.a) Der Verwaltungsgerichtshof erachtet in dem zu G32/98 gestellten Antrag, Zl. A10/98, die Präjudizialität der angefochtenen landesgesetzlichen Bestimmung deshalb als gegeben, weil sich die belangte Behörde in der Begründung des bei ihm bekämpften Bescheides erkennbar auf §20 Abs1 Bgld. RPG gestützt habe, auch wenn diese Bestimmung im Bescheid nicht ausdrücklich genannt werde. In der Gegenschrift führe die belangte Behörde diese Bestimmung ausdrücklich als jene an, auf die sich ihr Bescheid stützt. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei ein Bescheid nicht schon dann rechtswidrig, wenn er eine der Normen, auf die er sich stützt, nicht angibt, sondern nur dann, wenn eine solche überhaupt nicht vorhanden ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 18. September 1990, 90/05/0092, vom 16. Juni 1992, 92/05/0029, u.a.).

Der angefochtene Bescheid stütze sich erkennbar (auch) auf §20 Abs1 Bgld. RPG. Er sei daher auch an dieser Bestimmung zu messen. Der Verwaltungsgerichtshof habe §20 Abs1 Bgld. RPG anzuwenden. Diese Bestimmung sei damit präjudiziell.

b) Auch in den weiters gestellten Anträgen nimmt der Verwaltungsgerichtshof die Präjudizialität der angefochtenen Wortfolge an; die bei ihm bekämpften Bescheide würden explizit oder der Sache nach u.a. auf §20 Abs1 Bgld. RPG gegründet.

In dem zu G87/98 gestellten Antrag meint der Verwaltungsgerichtshof, er habe zu beurteilen, ob nach Erlassung des ersten Bescheides eine Änderung der Rechtslage eingetreten ist; hiebei habe er auch §20 Abs1 Bgld. RPG anzuwenden.

2. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich nicht veranlaßt, an der Richtigkeit dieser Überlegungen zu zweifeln.

Da außer der Präjudizialität auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Anträge zulässig.

B. In der Sache

1.a) Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 26. September 1996, G59/96 u.a. Zlen., ausgesprochen, daß die Wortfolge "oder dem rechtswirksamen Flächenwidmungsplan der Gemeinde" in §50 Abs6 Bgld. NG verfassungswidrig war.

§50 Abs6 lautete:

"(6) Widerspricht die beantragte Bewilligung dem Landesraumordnungsplan (§2a Raumplanungsgesetz 1969 in der jeweils geltenden Fassung) oder dem rechtswirksamen Flächenwidmungsplan der Gemeinde, ist das Ansuchen ohne Durchführung eines Verfahrens abzuweisen."

Der Verfassungsgerichtshof begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt:

"a) Die vom Verfassungsgerichtshof geäußerten und vom Verwaltungsgerichtshof übernommenen Bedenken gingen u.a. dahin, der Landesgesetzgeber habe dadurch, daß er mit dem Vollzug von Agenden der örtlichen Baupolizei und der örtlichen Raumplanung Naturschutzbehörden (staatliche Behörden) betraute, in das den Gemeinden durch Art118 Abs3 Z9 B-VG gewährleistete Selbstverwaltungsrecht eingegriffen.

b) Die Bgld. LRg. wendet dagegen ein, daß es sich bei der zu prüfenden Norm um eine naturschutzrechtliche Regelung handle. Im übrigen bedeute die in Prüfung gezogene Bestimmung nur, daß - wenn ein Widerspruch zum Flächenwidmungsplan bestehe - eine weitere Prüfung nach dem NG 1990 nicht zu erfolgen habe. Schließlich verweist die Bgld. LRg. noch auf das Erk. VfSlg. 4640/1964; darin habe der Verfassungsgerichtshof eine ähnliche Bestimmung wie die in Prüfung gezogene als verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet.

c) Diese Ausführungen widerlegen die geäußerten Bedenken nicht. §50 Abs6 NG 1990 hat - wie dargetan - ausschließlich eine Regelung auf dem Gebiet der örtlichen Raumplanung und der örtlichen Baupolizei zum Gegenstand. Diese Bestimmung erfaßt dem §5 lita Z1 leg.cit. zufolge jegliche Errichtung und Erweiterung von Gebäuden und anderen hochbaulichen Anlagen, sofern diese auf Flächen errichtet werden sollen, die im Flächenwidmungsplan nicht als Baugebiet ausgewiesen sind. Daraus ergibt sich, daß die Naturschutzbehörde auch zur Beurteilung ermächtigt ist, ob ausnahmsweise die Errichtung von Bauten zulässig ist (vgl. §20 RPG 1969); diese Frage kann durchaus strittig sein. Schon dies weist nach, daß die Naturschutzbehörde nicht bloß an raumplanerische Aspekte anzuknüpfen und auf sie Rücksicht zu nehmen, sondern eine ausschließliche raumplanerische Frage zu entscheiden hat. In der naturschutzbehördlichen Entscheidung liegt deshalb in solchen Fällen die Entscheidung, ob eine Bebauung aus raumordnungsrechtlichen Gründen zulässig ist.

Dadurch unterscheidet sich der vorliegende Fall von jenem, der mit Erk. VfSlg. 4640/1964 entschieden wurde. Verfassungswidrig ist nicht die Einordnung der Bestimmung in das Naturschutzgesetz, sondern der Umstand, daß damit staatlichen Behörden (der Bezirksverwaltungsbehörde und im Berufungsweg der Landesregierung) Agenden übertragen werden, deren Besorgung im eigenen Wirkungsbereich den Gemeinden verfassungsgesetzlich (Art118 Abs3 Z9 B-VG) gewährleistet ist.

Am festgestellten Verstoß gegen das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden ändert nichts, daß aufgrund der (gemäß Art118 Abs7 B-VG erlassenen) Übertragungsverordnung der Bgld. LRg., LGBl. 26/1992, auch über baubehördliche Bewilligungen staatliche Behörden zu entscheiden haben."

b) Mit Erkenntnis vom 2. Oktober 1997, G294/97, hob er aufgrund gleichartiger Überlegungen §14 des O.ö. Natur- und Landschaftsschutzgesetzes 1995 (O.ö. NG) als verfassungswidrig auf.

2. Der Verwaltungsgerichtshof äußert in den vorliegenden Anträgen das Bedenken, daß §20 Abs1 Bgld. RPG aus denselben Gründen wie §50 Abs6 Bgld. NG und §14 O.ö. NG verfassungswidrig sei:

"§20 Abs1 (Bgld.) RPG erfaßt auf Grund seines umfassenden, alle in (irgendeinem) Landesgesetz vorgesehene Bewilligungen erfassenden Wortlautes auch Bewilligungen nach dem Burgenländischen Natur- und Landschaftspflegegesetz. Dies bedeutet, daß die Naturschutzbehörde in einem naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahren eine beantragte Bewilligung nicht erteilen darf, wenn dies dem Flächenwidmungsplan widerspräche. Ein Widerspruch einer Maßnahme zum Flächenwidmungsplan stellt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht nur im baubehördlichen, sondern auch im naturschutzbehördlichen Bewilligungsverfahren einen Versagungsgrund dar. Damit werden durch §20 Abs1 RPG staatlichen Behörden Agenden übertragen, deren Besorgung den Gemeinden im eigenen Wirkungsbereich verfassungsgesetzlich gewährleistet ist."

3. Der Verfassungsgerichtshof vermag diesen Bedenken nicht beizutreten:

a) Der tragende Gedanke der zitierten Vorerkenntnisse G59/96 und G294/97, auf die sich der antragstellende Verwaltungsgerichtshof beruft, war der, daß nach §50 Abs6 Bgld. NG und §14 O.ö. Natur- und Landschaftsschutzgesetz 1995 die Naturschutzbehörde nicht bloß an raumplanerische Aspekte anzuknüpfen und auf sie Rücksicht zu nehmen, sondern eine ausschließlich raumplanerische Frage zu entscheiden hatte, dies endgültig und ohne Bindung an einen allfälligen im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde ergangenen baubehördlichen Bescheid. Den Naturschutzbehörden war mit jenen Vorschriften, die für die zitierten Vorerkenntnisse maßgebend waren, aufgetragen, über die Zulässigkeit eines Bauvorhabens im Hinblick auf den Flächenwidmungsplan zu entscheiden; sie hatten dies also nicht etwa bloß als Vorfrage im Rahmen der Entscheidung einer anders gearteten Hauptfrage zu beurteilen; der Gegenstand ihrer Entscheidung war damit identisch mit jenem, der aufgrund der Bauordnung von der Baubewilligungsbehörde zu entscheiden war. Im Erkenntnis G294/97 wird mit dieser Begründung - unter Ablehnung einer damals ins Spiel gebrachten rechtswissenschaftlichen Meinung, die am Erkenntnis G59/96 Kritik geübt hatte - hervorgehoben, daß bei der seinerzeit gegebenen Rechtslage von einer Vorfrage schon begrifflich nicht die Rede sein konnte; dies käme nämlich nur dann in Betracht, wenn über diese Frage von einer anderen Behörde als Hauptfrage zu entscheiden wäre.

b) Wenngleich die nunmehr bekämpfte Regelung ähnlich formuliert ist wie die soeben in der vorstehenden lita besprochene, so hat die angefochtene Bestimmung bei näherer Betrachtung doch einen essentiell anderen Inhalt, nämlich einen solchen, der dem §13 Abs1 litb des Kärntner Landesplanungsgesetzes, LGBl. 47/1959, gleicht; gegen diese landesgesetzliche Vorschrift hegte der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 4640/1964 keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

§20 Abs1 Bgld. RPG zufolge ist zwar eine der Voraussetzungen für die Erteilung der naturschutzbehördlichen Bewilligung etwa eines Bauvorhabens, daß dieses nicht dem Flächenwidmungsplan widerspricht. Dieses Erfordernis ist aber lediglich ein solches, das zusätzlich zu den (genuin) naturschutzrechtlichen Voraussetzungen tritt.

Ebenso wie der seinerzeit für den Fall VfSlg. 4640/1964 maßgebende §13 Abs1 litb des Kärntner Landesplanungsgesetzes erlaubt also §20 Abs1 Bgld. RPG - anders als die in der vorstehenden lita erörterten Rechtsvorschriften - eine verfassungskonforme Auslegung derart, daß die Naturschutzbehörde lediglich als Vorfrage zu beurteilen hat, ob das von ihr zu entscheidende Projekt dem Flächenwidmungsplan widerspricht oder nicht. Sie ist daher an eine allenfalls von der (kommunalen) Baubehörde ergangene, über die Vereinbarkeit desselben Vorhabens mit dem Flächenwidmungsplan entscheidende Erledigung gebunden; falls ein solcher Bescheid erst nach Abspruch der Naturschutzbehörde erlassen würde und in Widerspruch zur naturschutzbehördlichen Beurteilung stünde, bildete dies einen Wiederaufnahmsgrund. Damit wird gewährleistet, daß die zuständigen Behörden in den von ihnen zu entscheidenden Fragen jeweils das letzte Wort haben.

Dagegen, daß die Naturschutzbehörde - auch - raumplanerische Gesichtspunkte zu berücksichtigen hat, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. z.B. VfSlg. 12174/1989, beteffend die Verpflichtung der Gewerbebehörde, bei Betriebsanlagegenehmigungen raumordnungsrechtliche Bestimmungen zu berücksichtigen).

c) Die vom Verwaltungsgerichtshof geäußerten Bedenken treffen also nicht zu. Den Anträgen war daher nicht Folge zu geben.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Raumordnung, Flächenwidmungsplan, Gemeinderecht, Wirkungsbereich eigener, Raumplanung örtliche, Selbstverwaltungsrecht, Naturschutz, Landschaftsschutz, Vorfrage, Berücksichtigungsprinzip

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:G32.1998

Dokumentnummer

JFT_10019375_98G00032_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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