TE AsylGH Beschluss 2008/10/16 C5 260726-0/2008

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Veröffentlicht am 16.10.2008
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Spruch

C5 260.726-0/2008/23E

 

BESCHLUSS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Schaden als Einzelrichter über die Beschwerde des Herrn L.K., geb. 00.00.1958, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 4.5.2005, 04 20.568-BAE, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 5.4.2007 beschlossen:

 

Die Beschwerde wird gemäß § 63 Abs 5 AVG iVm § 23 AsylGHG als unzulässig zurückgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

1.1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte am 7.10.2004 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Zu diesem Antrag wurde er vom Bundesasylamt am 13.10.2004 und am 18.10.2004 (Erstaufnahmestelle Ost in Traiskirchen) und am 15.12.2004 (Außenstelle Eisenstadt) niederschriftlich vernommen.

 

Mit der angefochtenen Erledigung wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 BGBl. I 76 (in der Folge: AsylG) ab (Spruchpunkt I); gemäß § 8 Abs. 1 AsylG stellte es fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation sei zulässig (Spruchpunkt II); gemäß § 8 Abs. 2 AsylG wies es ihn aus dem Bundesgebiet aus. Ob diese mit "Bescheid" überschriebene Erledigung wirksam erlassen und daher tatsächlich ein Bescheid ist, dies ist Gegenstand dieses Verfahrens. (Soweit daher im Folgenden - der Einfachheit halber - von einem Bescheid die Rede ist, wird damit vorläufig keine Aussage über den Bescheidcharakter getroffen.) Sie weist als Bescheidadressaten den Beschwerdeführer aus und wurde ihm am 9.5.2005 durch Hinterlegung beim Postamt zugestellt.

 

1.1.2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, fristgerechte, nun als Beschwerde (vgl. Pt. 2.2.1.2) zu behandelnde (und daher in der Folge so bezeichnete) Berufung vom 20.5.2005, die vom Beschwerdeführer selbst unterschrieben worden ist.

 

1.1.3. In der Folge erhob der Beschwerdeführer eine Säumnisbeschwerde; mit Schreiben vom 1.2.2007 (beim unabhängigen Bundesasylsenat eingelangt am 16.2.2007) forderte der Verwaltungsgerichtshof den unabhängigen Bundesasylsenat auf, binnen drei Monaten den versäumten Bescheid zu erlassen und eine Abschrift des Bescheides dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege, und dazu die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen. Mit Verfügung vom 6.6.2007 erstreckte er diese Frist bis zum 10.11.2008.

 

1.2.1. Am 5.4.2007 führte der unabhängige Bundesasylsenat eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, seine Ehefrau L.N. und seine Söhne V. und L.M. teilnahmen; das Bundesasylamt hatte auf die Teilnahme verzichtet. Da sich beim Verhandlungsleiter (di. dem nunmehr erkennenden Richter) Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Beschwerdeführers ergaben, ersuchte der unabhängige Bundesasylsenat am 7.5.2007 einen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, als Sachverständiger ein Gutachten aus psychiatrisch-neurologischer Sicht ua. zu der Frage zu erstatten, ob der Beschwerdeführer handlungs- und prozessfähig sei und ob dies seit dem 7.10.2004 (als er seinen Asylantrag gestellt hatte) der Fall gewesen sei.

 

1.2.2. Am 26.7.2007 erstattete der Sachverständige sein Gutachten. Er kam zum Ergebnis, beim Beschwerdeführer bestehe eine chronische paranoide Psychose. Zum Untersuchungszeitpunkt finde sich ein maniformes Bild. Die Störung sei geprägt von multiplen Wahnideen im Sinne von Erfindungswahn, aber auch von paranoiden Wahnideen im Sinne von Verfolgungsideen. Weiters fänden sich eine auffallend parathyme Affektlage, eine inadäquat gehobene Stimmung, ein Rededrang, ein stark sprunghafter, häufig nicht nachvollziehbarer paralogischer, durch Wahnideen gekennzeichneter Sprach- und Gedankengang mit einer deutlichen Verminderung des Realitätsbezuges und eine Verminderung der Kritikfähigkeit insbesondere im Bereich der Wahnthemen. Diagnostisch - so der Sachverständige - dürfte die Störung am ehesten einer schizoaffektiven Psychose zuzuordnen sein. Die Prozessfähigkeit sei als eingeschränkt zu betrachten. Der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage, sich selbständig entsprechend im Verfahren zu vertreten, er sei aber "sehr wohl verhandlungs- und vernehmungsfähig". Teile seiner Angaben entsprächen jedoch möglicherweise nicht der Realität, sondern seien Ausdruck des wahnhaften Geschehens. Es sei anzunehmen, dass das beschriebene Wahngeschehen bereits seit längerem bestehe, der Beschwerdeführer habe auch vor dem Bundesasylamt realitätsferne Angaben gemacht, die vermutlich dem Wahngeschehen entsprächen.

 

Mit Schreiben vom 14.8.2007 übermittelte der unabhängige Bundesasylsenat dieses Gutachten dem Bezirksgericht Eisenstadt als Pflegschaftsgericht mit dem Ersuchen, die Bestellung eines Sachwalters zu prüfen.

 

1.2.3. Mit Schreiben vom 28.11.2007 übermittelte ein Rechtsanwalt den Beschluss des Bezirksgerichtes Eisenstadt vom 00.00.2007, mit dem er zum Verfahrenssachwalter für den Beschwerdeführer in dem Verfahren bestellt wurde, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters geprüft wurde.

 

Mit Schreiben vom 11.4.2008 gab der Beschwerdeführer, vertreten durch den Sachwalter, bekannt, dass dieser mit Beschluss des Bezirksgerichtes Eisenstadt vom 00.00.2008, gemäß § 268 ABGB zum Sachwalter des Beschwerdeführers bestellt worden sei und iSd § 268 Abs. 3 Z 2 ABGB folgende Aufgaben zu besorgen habe: "Vertretung vor Gerichten, Ämtern und Behörden". Begründend wird ausgeführt, auf Grund der Wahrnehmungen des Gerichtes bei der Erstanhörung und des Gutachtens eines Sachverständigen (eines anderen als jenes, den der unabhängige Bundesasylsenat bestellt hatte) stehe fest, dass beim Beschwerdeführer eine chronische paranoide Psychose bestehe. - In der Folge übermittelte auch das Bezirksgericht Eisenstadt diesen Beschluss, versehen mit der Bestätigung der Rechtskraft und der Vollstreckbarkeit vom 13.5.2008.

 

2. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

2.1.1. Beim Beschwerdeführer besteht eine chronische paranoide Psychose, die es ihm unmöglich macht, sich ohne Gefahr eines Nachteils vor Gerichten und Behörden selbst zu vertreten. Daher wurde ihm mit Beschluss des Bezirksgerichtes Eisenstadt vom 00.00.2008 ein Sachwalter als gesetzlicher Vertreter bestellt. Diese Störung bestand schon am 7.10.2004 und besteht seither.

 

2.1.2. Diese Feststellungen stützen sich auf den Akteninhalt und auf das Gutachten des Sachverständigen vom 26.7.2007, das durch den Beschluss des Pflegschaftsgerichtes - es stützt sich auf ein weiteres Gutachten - bestätigt wird.

 

2.2.1.1. Gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 erster Satz B-VG sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig waren, vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (Art. 2 BG BGBl. I 100/2005, in der Folge: AsylG 2005) sind "[A]lle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."

 

Gemäß § 44 Abs. 2 AsylG 1997 (in der Folge: AsylG) idF der Asylgesetznovelle 2003 BGBl. I 101 (AsylGNov. 2003) sind Verfahren über Asylanträge, die ab dem 1.5.2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG in der jeweils geltenden Fassung, di. nunmehr die Fassung der AsylGNov. 2003, zu führen.

 

Der Beschwerdeführer hat seinen Asylantrag nicht vor dem 1.5.2004 gestellt; das Verfahren war am 31.12.2005 anhängig; das Beschwerdeverfahren ist daher nach dem AsylG idF der AsylGNov. 2003 zu führen. Da es am 1.7.2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig war, ist es vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

2.2.1.2. Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (in der Folge: AsylGHG, Art. 1 Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz BGBl. I 4/2008 [in der Folge: AsylGH-EinrichtungsG]) ist auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof grundsätzlich das AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt. Gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 23 AsylGHG hat der Asylgerichtshof, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Er ist berechtigt, im Spruch und in der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener des Bundesasylamtes zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Die Zuständigkeit des Asylgerichtshofes stützt sich auf Art. 151 Abs. 39 Z 4 erster Satz B-VG und auf § 38 AsylG. § 38 AsylG spricht zwar vom "unabhängigen Bundesasylsenat" und ist durch das AsylGH-EinrichtungsG nicht geändert worden; auch die Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 ergeben insoweit nichts. Da jedoch gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 1 B-VG der unabhängige Bundesasylsenat am 1. Juli 2008 zum Asylgerichtshof geworden ist und dieses Gericht gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 B-VG die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen hat, ist davon auszugehen, dass sich § 38 AsylG nunmehr auf den Asylgerichtshof bezieht. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich jene Bestimmungen des AsylG, die von "Berufungen" sprechen, nunmehr auf Beschwerden beziehen.

 

Gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 5 B-VG gilt das beim Verwaltungsgerichtshof anhängige Verfahren wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch den unabhängigen Bundesasylsenat mit Ablauf des 30.6.2008 als eingestellt; das Verfahren, auf das sich die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht bezieht, ist vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Die Zuständigkeit des Einzelrichters ergibt sich aus § 75 Abs. 7 Z 1 AsylG 2005.

 

2.2.2.1. Gemäß § 9 AVG hat die Behörde die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten - wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist - nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Damit wird die prozessuale Rechts- und Handlungsfähigkeit an die materiellrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit geknüpft. Gemäß § 280 Abs. 1 ABGB kann eine Person, der ein Sachwalter bestellt wurde, innerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters ohne seine ausdrückliche oder stillschweigende Einwilligung rechtsgeschäftlich weder verfügen noch sich verpflichten. Diese Regelung statuiert die beschränkte Geschäftsfähigkeit von Personen, denen ein Sachwalter bestellt wurde, in der Art des § 151 Abs. 1 ABGB.

 

Der Beschluss über die Sachwalterbestellung hat zwar konstitutive Wirkung nur für die Zeit ab seiner Erlassung. Für die Zeit davor ist aber zu prüfen, ob der Beschwerdeführer schon damals nicht mehr prozessfähig und somit nicht mehr in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich darin ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen derartiger Verfahren entsprechend zu verhalten (VwGH 30.8.2007, 2006/19/0480).

 

Aus dem erwähnten, unbedenklichen Sachverständigengutachten, das der unabhängige Bundesasylsenat eingeholt hat, ergibt sich, dass der Beschwerdeführer auf Grund der beschriebenen psychischen Leiden nicht (mehr) fähig ist, sich ohne die Gefahr eines Nachteils insbesondere auch im Asylverfahren zu vertreten. Als derartiges Leiden führt der Sachverständige vor allem eine schizoaffektive Psychose an; der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage, sich selbständig entsprechend im Verfahren zu vertreten. Es sei anzunehmen, dass das beschriebene Wahngeschehen bereits seit längerem bestehe, der Beschwerdeführer habe auch vor dem Bundesasylamt (Erstaufnahmestelle Ost in Traiskirchen) - somit bald nach seiner Antragstellung - realitätsferne Angaben gemacht, die vermutlich dem Wahngeschehen entsprächen. Aus all dem lässt sich nur schließen, dass der vom Sachverständigen am 4.7.2007 erhobene Geisteszustand des Beschwerdeführers nicht erst zu diesem Zeitpunkt, sondern jedenfalls bereits bei der am 9.5.2005 bewirkten Zustellung des angefochtenen Bescheides bestanden hat. Der Asylgerichtshof geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage war, die Bedeutung und Tragweite des ihm zugestellten Bescheides zu erkennen, ihn zu verstehen und sich dementsprechend zu verhalten.

 

2.2.2.2. Daraus folgt, dass die - entgegen § 11 AVG durchgeführte - Zustellung des angefochtenen Bescheides an den unvertretenen Beschwerdeführer ihm gegenüber nicht zu einer rechtswirksamen Erlassung dieses Bescheides führen konnte (VwGH 30.8.2007, 2006/19/0480). Anders als etwa im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist dieser Mangel im vorliegenden - vom AVG beherrschten - Verfahren auch nicht durch Genehmigung des Prozessgeschehens durch den nunmehr bestellten gesetzlichen Vertreter heilbar (VwGH 30.8.2007, 2006/19/0480, der zu einer Aufhebung des dort angefochtenen Bescheides wegen Unzuständigkeit gelangte - die Behörde hatte unzuständigerweise die Berufung in der Sache erledigt - und nicht zu einer Aufhebung infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, wie sie bei der Annahme einer grundsätzlichen Möglichkeit der Heilung zu erwarten gewesen wäre).

 

2.2.3. Da die angefochtene Erledigung somit keinen Bescheidcharakter hat, ist die Beschwerde zurückzuweisen (VwGH 30.8.2007, 2006/19/0480; dieses Erkenntnis stellt auf die mangelnde Bescheidqualität der Erledigung und nicht darauf ab, ob der Beschwerdeführer eine - dort fallbezogen: - Berufung unvertreten einbringen durfte). Ist der erstbehördliche Bescheid nicht rechtswirksam erlassen worden, so ist es der Berufungsbehörde und daher auch gemäß § 23 AsylGHG dem Asylgerichtshof verwehrt, meritorisch über die Berufung bzw. über die Beschwerde abzusprechen. Ihre Zuständigkeit reicht in solchen Fällen nur so weit, das Rechtsmittel wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen (vgl. die Nachweise bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I² [1998] E13, 18 zu § 63 AVG).

 

2.3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Bescheidcharakter, Bescheidqualität, gesundheitliche Beeinträchtigung, Prozessfähigkeit, Zustellung
Zuletzt aktualisiert am
05.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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