TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/22 D9 302252-1/2008

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Veröffentlicht am 22.10.2008
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Spruch

D9 302252-1/2008/6E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Kanhäuser als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Stark als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Gubitzer über die Beschwerde der K.R., geb. 00.00.1978, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22. Mai 2006, FZ. 05 13.168-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51 in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998, zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang

 

Die (nunmehrige) Beschwerdeführerin gelangte unter Umgehung der Grenzkontrolle in das österreichische Bundesgebiet und brachte am 23. August 2005 verfahrensgegenständlichen Asylantrag ein.

 

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahmen vor der belangten Behörde am 2. September 2005 und 9. November 2005 wurde die Beschwerdeführerin über ihren Reiseweg in das österreichische Bundesgebiet und die Vorkommnisse in Bezug auf den behaupteten Fluchtgrund befragt. Im Wesentlichen brachte die Beschwerdeführerin vor, gemeinsam mit ihrem Kind nach Österreich gereist zu sein, da sich hier ihr Ehegatte aufhielte. Sie sei nach Österreich gekommen, um den gleichen Schutz wie ihr Mann zu erhalten. Dieser hätte aus politischen Gründen aus der Heimat fliehen müssen. Er werde von der Polizei verfolgt und verdächtigt, an irgendwelchen kriminellen Machenschaften beteiligt gewesen zu sein.

 

Der Ehegatte der Beschwerdeführerin gab im Rahmen seiner erstinstanzlichen Einvernahmen an, auf Grund seiner Hochzeit mit der Beschwerdeführerin, die islamistischen Glaubens sei, und seines hiedurch geänderten religiösen Lebens in ungerechtfertigter Weise verdächtigt worden zu sein, als Wahhabit für Anschläge, Morde und Überfälle auf Polizeistationen verantwortlich gemacht worden zu sein und im Zuge dessen sein Name in eine Liste, welche er "Wahhabiten-Liste" nenne, aufgenommen worden wäre. Nach seiner Hochzeit, nach moslemischer Tradition am 00.00.1998 und standesamtlich am 00.00.1998 (diese Daten wurden durch die Beschwerdeführerin gleichlauten angegeben), sei er beginnend mit März 1999 bis zu seiner Ausreise regelmäßig von der Polizei unter dem Vorwurf, er sei Wahhabit, angehalten worden. Fluchtauslösend sei schließlich gewesen, dass Personen, welche auf dieser Liste aufschienen, spurlos verschwunden seien; innerhalb der Russischen Föderation hielt er einen Aufenthalt für unmöglich, da er vermeinte, dass diese Personen nicht nur im Informationszentrum in Dagestan, sondern föderationsweit gespeichert wären. (Verwaltungsakt der belangten Behörde zu Zl. 05 06.695-BAT, Seite 67 bis 71, 97 bis 103).

 

Mit Bescheid vom 22. Mai 2006, FZ. 05 13.168-BAT, wies die belangte Behörde den Asylantrag der Beschwerdeführerin vom 23. August 2005 unter Spruchpunkt I. gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl I Nr. 76/1997 (AsylG 1997) idF BGBl. I Nr. 101/2003, ab und erklärte mit Spruchpunkt II. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003, für zulässig. Unter Spruchpunkt III. wurde die Beschwerdeführerin in Anwendung des § 8 Abs. 2 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003, aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

 

Verfahrensgegenständlicher Bescheid wurde der Beschwerdeführerin durch eigenhändige Übernahme am 26. Mai 2006 zugestellt (Verwaltungsakt der belangten Behörde, Seite 161).

 

Mit Telefax vom 2. Juni 2006, eingelangt am selben Tag, erhob die Beschwerdeführerin Berufung (nunmehr: Beschwerde) und machte Rechtswidrigkeit in Folge der Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Rechtslage:

 

1. 1. Der Asylgerichtshof hat gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 (WV) in der Fassung BGBl. I Nr. 2/2008, ab 1. Juli 2008 die beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen.

 

Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I Nr. 77/1997, in der Fassung BGBl. I. Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 22 Abs. 1 Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in Fassung BGBl. I Nr. 4/2008, ergehen Entscheidungen des Bundesasylamtes über Anträge auf internationalen Schutz in Bescheidform. Entscheidungen des Asylgerichtshofes in der Sache selbst ergehen in Form eines Erkenntnisses, alle anderen in Form eines Beschlusses. Die Entscheidungen des Bundesasylamtes und des Asylgerichtshofes haben den Spruch und die Rechtsmittelbelehrung auch in einer dem Asylwerber verständlichen Sprache zu enthalten.

 

Der Asylgerichtshof entscheidet gemäß Art. 129c Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, in der Fassung BGBl. I Nr. 2/2008, in Verbindung mit § 61 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008 in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 leg. cit. vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

2. Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

Auf die Verfahren vor dem Asylgerichtshof sind gemäß § 23 AsylGHG, soweit sich aus dem B-VG, dem AsylG 2005, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nichts anderes ergibt, die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz - AVG, BGBl. Nr. 51, hat die Berufungsbehörde außer in dem in Abs. 2 erwähnten Fall, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzten und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Im gegenständlichen Fall handelt es sich um ein Beschwerdeverfahren, das gemäß § 61 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008 von dem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Senat zu entscheiden ist.

 

1. 2. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008, sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Bundesasylamt oder der Asylgerichtshof zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs. 5 und 6 AsylG 2005 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76 in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003, werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002, geführt.

 

Gemäß § 44 Abs. 2 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76 in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003, werden Asylanträge, die ab dem 1. Mai 2004 gestellt werden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76 in der jeweils geltenden Fassung geführt.

 

Gegenständlicher Asylantrag wurde am 23. August 2005 gestellt, weshalb auf das Beschwerdeverfahren die Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76 in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003, anzuwenden ist.

 

1. 3. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998, kann die Berufungsbehörde, so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß § 66 Abs. 3 AVG, BGBl. Nr. 51/1991, kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis 21. 11. 2002, 2002/20/0315, welches nunmehr auch für den seit 1. Juli 2008 eingerichteten Asylgerichtshof von Relevanz ist, ausgeführt:

 

"Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gemäß § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. dazu unter dem besonderen Gesichtspunkt der Auslegung der Entscheidungsbefugnis der belangten Behörde im abgekürzten Berufungsverfahren nach § 32 AsylG die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 23. 07. 1998, Zl. 98/20/0175, Slg. Nr. 14.945/A, die mehrfach vergleichend auf § 66 Abs. 2 AVG Bezug nehmen; zu diesem Erkenntnis siehe auch Wiederin, ZUV 2000/1, 20 f).

 

Der Verwaltungsgerichthof hat im Erkenntnis vom 27. 04. 1989, Zl. 86/09/0012, Slg. Nr. 12.917/A, aus einer in den Verwaltungsvorschriften angeordneten zwingenden und ohne Ausnahme bestehenden Verpflichtung zur Durchführung einer Berufungsverhandlung trotz Fehlens einer ausdrücklichen Ausnahme hinsichtlich der Geltung des § 66 Abs. 2 AVG die Unanwendbarkeit dieser Bestimmung in einem solchen Berufungsverfahren gefolgert. Das steht aber zu der hier - für das Verfahren vor der belangten Behörde - zu Grunde gelegten gegenteiligen Auffassung schon deshalb nicht im Widerspruch, weil eine derartige uneingeschränkte Verhandlungspflicht für den Unabhängigen Bundesasylsenat nicht besteht. (...) Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unvermeidlich erscheint. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14. 03. 2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG siehe auch die Nachweise im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084)."

 

Nach der grundsätzlichen Bejahung der Frage der Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG führte der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 21. 11. 2002, Zl. 2002/20/0315, zur Frage der Gesetzmäßigkeit der Ermessensübung im Sinne des § 66 Abs. 2 und 3 AVG Folgendes aus:

 

"Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht..."

 

2. In der Sache:

 

2. 1. Gemäß Art. 129c Z 1 B-VG, BGBl. I Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 2/2008, erkennt der Asylgerichtshof - und nicht mehr der Unabhängige Bundesasylsenat als "oberste Berufungsbehörde" - nach Erschöpfung des Instanzenzuges über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen. Der Asylgerichtshof sieht keinen Grund dafür, dass sich die o.a. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf die neue Rechtslage übertragen ließe. Es ist weiterhin in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren vorgesehen. In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag bzw. Antrag auf internationalen Schutz relevanten Sachverhalt zu ermitteln. Unterbliebe ein umfassendes Ermittlungsverfahren in erster Instanz, würde nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde verlagert werden, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, dass der Asylgerichtshof erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermitteln und beurteilen muss und damit seine umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst bei der letzten Instanz beginnen und zugleich enden (abgesehen von der mit BGBl. I Nr. 2/2008 geschaffenen Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art. 144a B-VG).

 

2. 2. Der Verwaltungsgerichtshof hat zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist.

 

Im hier zu beurteilenden Fall weist der angefochtene Bescheid sowohl Mängel im Bereich der Sachverhaltsermittlungen und -feststellungen als auch hinsichtlich der von der erstinstanzlichen Behörde durchgeführten Beweiswürdigung auf. Weiters ist das Verfahren mit wesentlichen Mängeln behaftet.

 

Die belangte Behörde geht in ihrer getroffenen Entscheidung von der Unglaubwürdigkeit des erstatteten Vorbringens des Ehegatten der Beschwerdeführerin aus und führt in ihrer zu dessen Verfahren aus zwei Absätzen bestehenden Beweiswürdigung aus, dass die geschilderte eklatante Intensität und Häufigkeit der Schwierigkeiten mit der dagestanischen Polizei nicht nachvollziehbar sei, zumal doch selbst bei höchster Anspannung der allgemeinen Lage ein gewisses Kosten-Nutzen-Kalkül der staatlichen Verfolger zu erwarten sei. Andererseits begründete die belangte Behörde die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens mit unterschiedlichen Aussagen der Beschwerdeführerin und deren Ehegatten in Bezug auf Nachfragen hinsichtlich seiner Person nach der Ausreise aus dem Herkunftsstaat (Bescheid des Ehegatten der Beschwerdeführerin, Seite 38).

 

Die seitens der belangten Behörde angewandte Kosten-Nutzen-Analyse des Einschreitens staatlicher Verfolgung stellt für sich allein lediglich selbst eine Vermutung dar, erscheint ein diesbezügliches Vorbringen - auch und insbesondere auf Grundlage der seitens der belangten Behörde getroffenen Länderfeststellungen - jedoch nicht denkunmöglich.

 

Soweit der Ehegatte der Beschwerdeführerin in der Berufung (nunmehr: Beschwerde) darauf hinweist, bei der Suche nach seiner Person ja nicht mehr anwesend gewesen zu sein, sondern sich bereits außerhalb seines Herkunftsstaates befunden zu haben und deshalb keine exakten Angaben machen zu können, ist ihm und somit auch der Beschwerdeführerin in Bezug auf gegenständliches konkretes Verfahren Recht zu geben; beschränkt sich doch die belangte Behörde in ihrer Entscheidungsfindung ausschließlich auf diesbezügliche unterschiedliche Aussagen um zu ihrer kurzen Feststellung zu gelangen, wonach "[I]m Fall des AST. war die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nicht festzustellen. Weiters war in diesem Fall kein Abschiebungshindernis festzustellen. Schließlich konnte mit der Ausweisung kein Eingriff in Art. 8 EMRK festgestellt werden." (Bescheid des Ehegatten der Beschwerdeführerin, Seite 37).

 

Unbeschadet der Mitwirkungspflicht der Asylwerber/Asylwerberin hat es die Behörde unter Verstoß des Grundsatzes der Offizialmaxime unterlassen, sich mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ausreichend inhaltlich auseinanderzusetzen. Insbesondere wären relevante Sachverhaltsermittlungen, wie beispielsweise Erhebungen bezüglich der seitens des Beschwerdeführers genannten Liste und deren mögliche Abspeicherung im gesamten Gebiet der Russischen Föderation durchzuführen gewesen. Jedenfalls wäre der Entscheidungsfindung auch das vom Ehegatten der Beschwerdeführerin erstattete Vorbringen, an welchem er unmittelbar beteiligt war - somit nicht nur die behauptete Suche seiner Person nach der Ausreise - der Beweiswürdigung, somit den Feststellungen und schließlich dem Bescheid zu Grunde zu legen gewesen.

 

Die Erstbehörde ist ihren in § 28 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76, normierten Ermittlungspflichten somit nicht ausreichend nachgekommen.

 

Im vorliegenden Fall ist der angefochtene Bescheid bzw. das diesem zugrunde liegende Verfahren mit so schwerer Mangelhaftigkeit belastet, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die aufgezeigte Mangelhaftigkeit ist wesentlich, weil vorweg nicht ausgeschlossen werden kann, dass deren Vermeidung für die Beschwerdeführerin zu einem günstigeren Ergebnis hätte führen können. Die belangte Behörde hat es somit unterlassen, brauchbare Ermittlungsergebnisse in das Verfahren einzuführen. Sämtliche Erhebungen, welche grundsätzlich von der Erstbehörde durchzuführen sind, wären demnach durch den Asylgerichtshof zu tätigen; unter Berücksichtigung der Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten verbietet sich eine Heranziehung des § 66 Abs. 3 AVG. Das Bundesasylamt wird sich daher im fortgesetzten Verfahren mit den o. a. Fragen auseinanderzusetzen haben, dementsprechende Ermittlungen zu führen und diese Ergebnisse unter anderem in einer Vernehmung zu erörtern haben.

 

In der Beschwerde nicht bekämpft, jedoch auf Grund der Aktenlage offenkundig, hat die belangte Behörde durch Unterlassen der Gewährung des Parteiengehörs zu den ermittelten Beweisaufnahmen (Länderfeststellungen) gemäß § 45 Abs. 3 AVG, BGBl. Nr. 51/1991, Verfahrensvorschriften verletzt. Zwar kann nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 18. 2. 1986, 85/07/0205; 3. 9. 2001, 99/10/0011) ein solcher Verfahrensmangel durch die mit der Berufung verbundene Möglichkeit einer Stellungnahme saniert werden und obliegt es im Falle der Aufnahme dieser Tatsachenfeststellungen in die Begründung des unterinstanzlichen Bescheides der Partei den Tatsachenfeststellungen durch Geltendmachung ihrer Parteienrechte (zB Akteneinsicht) konkret entgegenzutreten (VwGH 21. 11. 2001, 98/08/0029), jedoch wird die belangte Behörde aus Anlass des vermehrten Auftretens der Verletzung von verfahrensrechtlichen Vorschriften unbeschadet des Umstandes, wonach gegen negative erstinstanzliche Entscheidungen regelmäßig Beschwerde an den Asylgerichtshof erhoben wird, darauf hingewiesen, dass die vollständige durch das Bundesasylamt durchzuführende Tatsachenermittlung einerseits eine umfassende Befragung, Rechtsberatung und Information des/der Asylwerbers/Asylwerberin und andererseits auch dessen/deren umfassende Mitwirkung am Verfahren erfordert (Ausführung seitens des Gesetzgebers im Zuge der Asylgesetznovelle 2003). Die Kompetenz des Bundesasylamtes als Tatsacheninstanz schließt somit auch die Verpflichtung zur Gewährung der Parteienrechte im Sinne des AVG und der entsprechenden Materiengesetze (Asylgesetz 1997, AsylG 2005) mit ein, wobei in diesem Zusammenhang auf die Stellung des Asylgerichtshofes als verwaltungsgerichtliche Beschwerdeinstanz in Asylsachen hingewiesen wird.

 

Abschließend verbleibt festzuhalten, dass in Folge der Beschwerden des zur Kernfamilie gehörenden Ehegatte und der Kinder mit gesonderten Erkenntnissen vom heutigen Tag deren bekämpfte Bescheide ebenfalls in Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheiten zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung neuer Bescheide zurückverwiesen wurden.

 

Zusammenfassend war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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