TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/29 D3 303111-1/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.10.2008
beobachten
merken
Spruch

D3 303111-0/2008/19E

 

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG

 

des am 10.10.2008 mündlich verkündeten

 

ERKENNTNISSES

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Kuzminski als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Scherz als beisitzende Richterin im Beisein der Schriftführerin Thurner in Stattgebung des Devolutionsantrages vom 07.07.2006 gemäß § 73 Abs. 2 AVG iVm

 

§ 61 Abs. 1 Ziffer 2 AsylG nach Durchführung einer Verhandlung am 10.10.2008 zu Recht erkannt:

 

Dem Asylantrag vom 03.04.2004 wird stattgegeben und B.S. alias B.K. gemäß §7 AsylG 1997 idF I 126/2002 Asyl gewährt.

 

Gemäß § 12 leg.cit. wird festgestellt, dass B.S. alias B.K. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

Entscheidungsgründe:

 

Der Antragstelller, ein Staatsbürger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, gelangte am 02.04.2004 auf legalem Wege von Tschechien aus nach Österreich und stellte am 03.04.2004 einen Asylantrag. Bei der am 26.07.2005 erfolgten Einvernahme durch das Bundesasylamt, Außenstelle Innsbruck gab er zunächst an, dass sein richtiger Name B.S. sei, wie dies auch in dem vorgelegten Führerschein vermerkt sei. Der ebenfalls vorgelegte Inlands- und Auslandsreisepass sei jedoch gekauft worden und auf den Namen B.K., geb. 00.00.1977 ausgestellt worden, zumal er unter diesem Namen seit 2003 in Tschetschenien gelebt und auch geheiratet habe. Auch die vorgelegte Heiratsurkunde auf diesen Namen sei echt. Zum Reiseweg befragt gab er an, dass er über Weissrussland nach Polen gereist sei und dort einen Asylantrag gestellt habe und für drei Wochen in einem Flüchtlingslager sich aufgehalten habe. Eine Woche nach der Einvernahme habe er seinen Asylantrag zurückgezogen und sei mit einem Taxi nach Tschechien weitergereist. Es sei ihm ein Visum für zwei Tage für Tschechien ausgestellt worden und habe er sich noch während der Gültigkeit dieses Visums zur österreichischen Grenze begeben und sei er daraufhin legal eingereist. Zu den Fluchtgründen gab er zunächst an, dass er die letzten drei Monate vor seiner Ausreise im Dorf S. verbracht habe, wobei er teilweise bei Verwandten genächtigt habe, manchmal in einem leeren Haus und manchmal sogar in einem Auto. Bis zum Jahr 2002 habe er in einer Erdölraffinerie gearbeitet. Danach sei er von seiner Familie unterstützt worden. Er habe in Tschetschenien an kämpferischen Handlungen teilgenommen, und zwar habe er sich im ersten Tschetschenienkrieg zu dem freiwilligen Regiment G. gemeldet. Er sei diesem Ende 1994 beigetreten und bis zum Ende des Krieges 1996 habe er mitgekämpft. Nach dem Krieg habe er unter der tschetschenischen Regierung Maschadow bei einem Bewachungsdienst gearbeitet. Im zweiten Tschetschenienkrieg sei er wiederum der tschetschenischen Armee beigetreten und zwar der X Abteilung. Nach der (Rück) Eroberung Tschetscheniens durch Russland sei dieses aufgelöst worden und habe er anschließend bei einer privaten Erdölfirma gearbeitet. Im März 2003 sei sein Bruder von Uniformierten abgeholt und für 2 Wochen mitgenommen worden, wobei er ein Dokument habe unterschreiben müssen, dass er mit den Russen kooperieren würde. Anschließend sei er in die Berge geflüchtet und dort anscheinend umgebracht worden. So habe er dies zumindest erzählt erhalten. Ab Ende April 2003 seien regelmäßig Hausdurchsuchungen durchgeführt worden, er sei auch manchmal weggelaufen und es sei ihm nachgeschossen worden. Er habe sich häufig versteckt, sei aber nie festgenommen oder verhaftet worden. Er glaube, dass er deswegen verfolgt worden sei, weil er für die Unabhängigkeit Tschetscheniens gekämpft habe, dies sei seine Überzeugung. Als er bei seiner Schwester in Inguschetien auf Besuch gewesen sei, sei auf ihn geschossen worden, und zwar sei während des Morgengebetes eine Militärstreife gekommen, habe auf ihn geschossen und sei es ihm jedoch gelungen davonzulaufen, ohne dass er getroffen wurde, es sei ihm jedoch nachgeschossen worden. Er habe zwei Fotos vorgelegt, welche ihn in russischer Uniform zeigten und gab dazu an, dass er diese Uniform bei der tschetschenischen Armee getragen habe, da diese keine eigenen Uniformen gehabt hätten, auch bei den Waffen würde es sich um solche russischer Produktion handeln. Die vorgelegten Personaldokumente wurden der Kriminaltechnik Österreich zur Untersuchung übergeben und lässt sich aus dem Untersuchungsbericht vom 13.12.2006 zusammenfassend entnehmen, dass keine Anhaltspunkte für eine Totalfälschung bestünden und keine Abänderungen oder Hinzufügungen und auch keine Lichtbildauswechslungen vorgenommen worden seien. Zu den Stempelabdrücken fehle jedoch entsprechendes Vergleichsmaterial.

 

Da keine bescheidmäßige Erledigung des Asylantrages erfolgte, stellte der Asylwerber, nunmehr vertreten durch den SPRAKUIN Integrationsverein, mit Schreiben vom 07.07.2006 einen Antrag, dass die Zuständigkeit zur Entscheidung auf den Unabhängigen Bundesasylsenat übergehen möge. Zu den Gründen der Verzögerung der Entscheidung bemerkte die Behörde erster Instanz, dass diese auf Grund des Berichtes der KTZ über den Verbindungsbeamten bzw. die Österreichische Botschaft in Moskau versuchen wollte herauszufinden, welche Dokumente dem Antragsteller zuzuordnen sei und ob seine Ehe Gültigkeit habe. Der Unabhängige Bundesasylsenat holte in der Folge eine schriftliche Zustimmung bei dem Antragsteller ein, Auskünfte über sein Asylverfahren in Polen einzuholen. Mit Eingabe vom 23.05.2007 erteilte der Antragsteller Herrn RA Dr. Peter ZAWODSKY Vollmacht und dieser erhob im Namen des Asylwerbers eine Säumnisbeschwerde, worauf der Verwaltungsgerichtshof eine Frist zur Erlassung des versäumten Bescheides bis zum 17.09.2007 setzte, welche jedoch mit Verfügung vom 20.08.2007, ZI 2007/20/0844, bis zum 13.08.2008 erstreckt wurde.

 

Der Asylgerichtshof als nunmehr zuständige Berufungsbehörde beraumte eine mündliche Verhandlung für den 10.10.2008 an, zu der der Beschwerdeführer in Begleitung seines ausgewiesenen Vertreters erschien.

 

Der Beschwerdeführer gab über Befragen durch den vorsitzenden Richter und die beisitzenden Richterin, sowie anschließend durch den Antragstellervertreter Folgendes an:

 

VR: Vorhalt: Sie haben bei der Behörde erster Instanz eine Reihe von Dokumenten vorgelegt, die nach einer Untersuchung durch die KTZ alle als echt qualifiziert wurden, diese Dokumente weisen allerdings unterschiedliche Namen auf: Der Pass und die Heiratsurkunde den Namen B.K. und der Führerschein den Namen B.S.. Wie können Sie sich das erklären?

 

AW: Mein richtiger Name ist B.S.. Weil ich Probleme hatte, habe ich mir von den Behörden gegen Schmiergeld Dokumente auf einen falschen Namen ausstellen lassen.

 

VR: Welcher Volksgruppe und Religion gehören Sie an?

 

AW: Ich bin Tschetschene und Moslem.

 

- VR: Wann und wo sind Sie geboren.

 

AW: Am 00.00.1977 in XY.

 

VR: Der 00.00.1974 ist folglich nicht Ihr Geburtsdatum?

 

AW: Nein.

 

VR: Wo haben Sie im Laufe Ihres Lebens vor Ihrer Ausreise gelebt?

 

AW: In XY, die letzten Monate vor meiner Flucht habe ich in S. gelebt. Als ich geboren wurde, haben wir 2 Jahre im S.R. im Dorf H. gelebt. Das ist das Heimatdorf des Taips meiner Mutter. Wir sind dann übersiedelt. Mein Vater hat in N. in Inguschetien gearbeitet, an der tschetschenischen Grenze. Dort habe ich auch die Schule abgeschlossen, und zwar mit der 8. Klasse.

 

VR: Haben Sie irgendeinmal (vor Ihrer Flucht) mehr als einige Wochen außerhalb von Tschetschenien gelebt?

 

AW: Nein.

 

VR: Welche schulische oder sonstige Ausbildung haben Sie?

 

AW: Nach 8 Jahren Grundschule habe ich 1 Jahr lang in S. eine technische Lehranstalt besucht. 1998 habe ich ein Jahr lang am Erdölinstitut in Grosny studiert. Nach der Lehranstalt habe ich einen Abschluss gemacht. Ich habe keine weitere Ausbildung erhalten.

 

VR: Wovon haben Sie in Tschetschenien nach der Schulausbildung bis zur Flucht gelebt?

 

AW: Meine Mutter hat gearbeitet, wir hatten auch eine kleine Landwirtschaft. Bei uns ist es nicht so, dass alle Familienmitglieder arbeiten. Ich habe auch bei der Erdölgewinnung gearbeitet.

 

VR: Haben Sie Militärdienst geleistet?

 

AW: Einen richtigen Armeedienst habe ich nicht geleistet.

 

VR: Haben Sie sich in Tschetschenien politisch betätigt?

 

AW: Nein. Aber die Politik hat mich interessiert.

 

VR: Haben Sie an Demonstrationen teilgenommen?

 

AW: Nein. Nur in Österreich am Tag der Aussiedlung des tschetschenischen Volkes habe ich einmal demonstriert.

 

VR: Haben Sie im 1. Tschetschenienkrieg selbst gekämpft?

 

AW: Ja. Ich habe mich an Kampfhandlungen beteiligt.

 

VR: Von wann bis wann?

 

AW: Ganz genau kann ich das nicht sagen, Es war Ende 1994, Anfang 1995. Ich habe bis zum Ende des Krieges 1996 bis zur Eroberung der Stadt Grosny gekämpft.

 

VR: Wo haben Sie gekämpft?

 

AW: Zuerst gab es eine Kompanie für Freiwillige. Dann wurden wir im Dorf B. stationiert. Dort haben wir die Stellungen gehalten, bis B. von den Russen erobert wurde. Danach gingen wir nach Grosny und eroberten Grosny. Am 6. August 1996, die russischen Soldaten waren schon in der Stadt. Die Kampfhandlungen dauerten 1 Woche oder ein bisschen länger. Danach wurden Friedensgespräche in Chasawjurt zwischen Lebed und Maschadow geführt. Dann war der Krieg zu Ende. Ich habe in XX-Bezirk gekämpft.

 

VR: Wer war Ihr Kommandant?

 

AW: Er kam aus S. und hieß H.H..

 

VR: welche militärischen Aufgaben hatten Sie?

 

AW: Zu diesem Zeitpunkt war ich noch recht jung. Zuerst als wir in B. waren, und auch in N. war es so, dass ich mich sehr gut auskannte. Ich kannte dort alle Wälder. Deswegen bestand meine erste Aufgabe, die Leute durch die Wälder zu führen. Ich war der "Schlepper", weil ich ortskundig war. Später war ich ein einfacher Soldat. Wir hatten eine nicht so große Auswahl an Waffen. Wir hatten ein automatisches Gewehr, Marke Kalaschnikow.

 

VR: Wurden Sie im Zuge des ersten Tschetschenienkrieges verwundet?

 

AW: Ja, ich hatte eine leichte Splitterverletzung am linken Unterschenkel.

 

VR: Wurden Sie im Zuge des ersten Tschetschenienkrieges irgendwann gefangen genommen?

 

AW: Nein.

 

VR: Was haben Sie nach dem Zuge des ersten Tschetschenienkrieges gemacht?

 

AW: Ich habe in einem Bataillon gearbeitet, das für den Schutz der staatlichen Objekte zuständig war.

 

VR: Wurden Sie in dieses Bataillon deswegen aufgenommen, weil Sie bereits im ersten Tschetschenienkrieg Kampferfahrung hatten?

 

AW: Sicher kann das eine Rolle gespielt haben. Aber nach dem ersten Krieg war es so, dass jene Männer, die sich am ersten Krieg beteiligt haben, irgendwie bei den tschetschenischen Behörden tätig waren.

 

VR: Wie standen Sie zum tschetschenischen Präsidenten Maschadow?

 

AW: Ich habe ihn gewählt. Er war unser Präsident. Ich habe ihn gesehen, aber ich kannte ihn nicht weiter persönlich. Es gibt keine persönliche Verbindung. Ich habe aber seinen Mitarbeiter gut gekannt.

 

VR: Von wo kannten Sie diesen?

 

AW: Als wir im Zuge des ersten Tschetschenienkrieges die Stadt Grosny eroberten, war er der Kommandant des Frontabschnittes, bei dem ich auch kämpfte.

 

VR: Wie lange haben Sie diese Tätigkeit bei diesem Objektschutzbataillon ausgeübt?

 

AW: Genau kann ich das nicht mehr sagen. Damals war U.A. der stellvertretende Leiter und ich war bei seiner Bewachung tätig.

 

VR: Waren Sie einer seiner Leibwächter?

 

AW: Ja.

 

VR: Welche Aufgabe hatten Sie dort?

 

AW: Sehr viele. Ich kann Beispiele nennen. Die Abteilung erfüllte ähnliche Aufgaben wie die Cobra in Österreich, den Kampf gegen Terroristen und Banditen.

 

VR: Wie kamen Sie zu dieser Spezialabteilung?

 

AW: Ich hatte einen Bekannten, ich habe mit ihm gesprochen und wurde dann aufgenommen. Natürlich war das offiziell. Man musste die notwendigen Papiere vorlegen und musste sich untersuchen lassen. Man musste auch dort jemand kennen, mit dem man sich auch verstanden hat.

 

VR: Können Sie Näheres über U.A. sagen?

 

AW: Ich habe gehört, dass er irgendwo in Europa ist, Näheres weiß ich nicht. Am Beginn des Krieges hat er seine Gruppe versammelt und gekämpft.

 

VR: Sie kamen dann nahtlos von dieser Spezialeinheit der tschetschenischen Garde zu tschetschenischen Kämpfern im 2. Tschetschenienkrieg?

 

AW: Ja.

 

VR: Wo haben Sie im 2. Tschetschenienkrieg gekämpft?

 

AW: Zuerst in Grosny dann in den Bergen in Schatoj.

 

Haben Sie im Zuge des 2. Tschetschenienkrieges schon eine Kommandantenfunktion innegehabt?

 

AW: Nein.

 

VR: Welche militärischen Aufgaben hatten Sie im 2.

Tschetschenienkrieg?

 

AW: Wir bekamen Positionen zugeteilt und mussten Positionen halten. Bei Vorrücken der russischen Truppen haben wir unsere Positionen aufgegeben und mussten in die Berge flüchten. Besondere Aufgaben gab es nicht. Wir blieben aber in den Bergen, aber nicht lange, ca. 1 Monat lang. Wir haben zugewartet.

 

VR: Unter welchen Umständen haben Sie Ihre Tätigkeit als Kämpfer im

2. Tschetschenienkrieg beendet.

 

AW: Nach der Eroberung der Stadt Grosny, ging ich in die Berge und dann ging ich ohne Uniform und ohne Waffe zurück in die Stadt Grosny.

 

VR: Welche Uniformen hatten Sie? Im erstinstanzlichen Akt sind Fotos, die Sie in russischer Uniform zeigen.

 

AW: Die Fotos sind noch vom 1. Krieg, wir hatten russische Uniformen.

 

VR: Wurden Sie im Zuge des 2. Tschetschenienkrieges verletzt oder gefangen genommen?

 

AW: Gefangen genommen wurde ich nicht, ich hatte aber leichte Verletzungen am rechten Oberschenkel und am linken Unterarm.

 

VR Vorhalt: Häufig wird gesagt, dass beim 1. Tschetschenienkrieg für die tschetschenische Unabhängigkeit gekämpft wurde, im 2. Krieg aber für die Errichtung einer islamischen Republik. Haben Sie für eine solche gekämpft?

 

AW: Es war tatsächlich so, dass der 1. Tschetschenienkrieg für die tschetschenische Unabhängigkeit war, das war aber auch für den 2. Krieg so. Erst später wurde erst darüber gesprochen, dass ein islamischer Staat gegründet werden sollte. Als die tschetschenische Grenze, genauer gesagt die tschetschenischen Dörfer bombardiert wurden, erklärte Maschadow, dass eine islamische Republik gegründet werden sollte. Ich hatte die Idee einer unabhängigen Republik und kämpfte dafür.

 

VR: Was haben Sie nach Ihrer Rückkehr nach Grosny gemacht?

 

AW: Ich begann bei der Erdölförderung zu arbeiten.

 

VR: Gab es konkrete Suchmaßnahmen gegen Sie persönlich?

 

AW: Ja, aber erst später, nach dem Tod meines Bruders.

 

VR: Können Sie über den Tod Ihres Bruders Näheres sagen?

 

AW: Er wurde mitgenommen. Die Beschuldigungen gegen ihn waren falsch. Es war im März 2003. Es war so, dass das 10. Revier an das

12. gegrenzt hat. Dort kam es zu einem Schusswechsel zwischen tschetschenischen Kämpfern und Soldaten. Es gab zu diesem Zeitpunkt Kämpfe zwischen Partisanen, es kam zu Schießereien. Meinem Bruder wurde vorgeworfen, dass er an den Schießereien beteiligt war. Er wurde nach 2 Wochen frei gelassen und hat irgendetwas unterschrieben, dass er mit den Russen zusammen arbeiten würde. Das wollte er aber nicht. Er sagte, dass es für ihn eine Schande wäre, und ging in die Berge. Es kam ein Mann dann zu uns und er sagte, dass 7 Personen ums Leben kamen, darunter auch mein Bruder.

 

VR: Welche Auswirkungen hatte der Tod Ihres Bruders auf Sie?

 

AW: Natürlich habe ich das menschlich genauso wie andere empfunden. Ich denke, dass die Behörden mich nach dem Tod meines Bruders gesucht haben und dass es da einen Zusammenhang gab. Ich kann aber nicht sagen, dass ich ausschließlich wegen meines Bruders gesucht wurde. Das Problem bestand darin, dass mich alle Leute kannten und dass man mich früher oder später auch holen würde. Ich hatte ständig Furcht vor einer Festnahme.

 

VR: Haben Sie sich irgendwo versteckt?

 

AW. Ja. Ich habe mich an verschiedenen Orten versteckt gehalten, z. B. bei Verwandten habe ich übernachtet. Die letzten 3 Monate habe ich eine Wohnung in S. gemietet gehabt. Manchmal übernachtete ich auch im Auto. Es war unterschiedlich.

 

VR: Beim BAA sagten Sie, dass Sie mehrmals vor russischen Soldaten davon gelaufen sind und dass Ihnen nachgeschossen wurde?

 

AW: Ja, das war so. Einmal war das in N., da habe ich einige Tage bei meiner Schwester übernachtet. Wir sind wie immer in der Früh aufgestanden und haben das Morgengebet verrichtet. Man sollte das vor dem Sonnenaufgang tun. Ich ging in den Hof. Ich wollte aufs Klo gehen. Ich hörte das Geräusch von den russischen Jeeps, Marke UAZ. Es gab neben dem Hof einen Durchgang in den Garten. Ich lief gleich dorthin. Ich habe gehört, dass jemand Halt geschrien hat und danach begann man zu schießen. Ich lief über die Gärten in einen anderen Hof. Sie schossen nach mir persönlich. In Tschetschenien war das einige Male so. Bei einem Vorfall waren wir zu dritt. Dort war ein alter, still gelegter Betrieb, wir wollten durchgehen, aber es stellte sich heraus, dass dort russische Soldaten waren. Wir haben sie 10 m vor uns gesehen, sie deuteten, dass wir herkommen sollen. Wir blieben kurz stehen. Bis dahin hatten wir keinen persönlichen Kontakt mit Soldaten. Einer von uns ging zuerst und ich hinter ihm nach. Im Gebäude waren zerschlagene Fenster, ich kann mich genau daran erinnern. Unter dem Fensterbrett wurden einige Ziegel herausgezogen. Das war recht niedrig. Ich machte zwar einige Schritte Richtung Soldaten, hechtete aber dann durch das Fenster in das Gebäude hinein. Ich lief durch das Gebäude und hörte die Schüsse hinter mir. Ich lief durch den Hinterausgang aus dem Gebäude hinaus und flüchtete.

 

VR: Waren Sie persönlich von allgemeinen Säuberungsaktionen betroffen?

 

AW: Ja. Ich habe mich versteckt gehalten. Trotzdem habe ich verschiedene Säuberungsaktionen wahrgenommen. Ich wurde aber nie kontrolliert. Einmal gab es eine Säuberungsaktion den ganzen Tag lang im Dachgeschoß eines Gebäudes. Ich versteckte mich im letzten Winkel des Dachbodens unter der Dachschräge, bis die Säuberungsaktion vorbei war. Als ich im Jahre 2002 im Bezirk Z. gearbeitet habe, gab es folgenden Vorfall. Damals wurde der ganze Bezirk eingekreist und ich versteckte mich in einem Kanalisationsrohr. Es war sehr unangenehm dort. Aber es war ein gutes Versteck.

 

VR: Wie kam es zur Ausstellung von Dokumenten auf verschiedene Namen und Geburtsdaten?

 

AW: Ich wollte ein neues Leben beginnen und in Ruhe gelassen werden. Ich wollte neue Dokumente mit einem neuen Namen bekommen.

 

AW: Damals konnte man gegen Geldzahlungen alles bekommen. Das war 2003.

 

Vorhalt: Der eine von Ihnen vorgelegte Auslandsreisepass mit dem Namen B.K. trägt das Ausstellungsdatum 00.00.2004.

 

AW: Das ist nicht möglich, zeigen Sie mir bitte den Pass.

 

AW bei Vorlegen des Passes: Ja, das ist der Auslandsreisepass. Ich ließ ihn erst ausstellen, als ich beschloss, das Land zu verlassen.

 

BR: Wann haben Sie Tschetschenien verlassen?

 

AW: Am 27.02.2004.

 

VR: Was war der unmittelbare Anlass für die Ausreise?

 

AW: Ich hatte keine Kraft mehr, ich konnte nicht mehr weiterleben, ich konnte mich nicht mehr verstecken. Ich wusste, dass man mich früher oder später erwischt. Abgesehen davon bestanden alle Verwandten darauf, sie baten mich sogar, auszureisen.

 

VR Vorhalt: Sie haben gerade gesagt, dass Sie sich in Tschetschenien eine neue Identität verschafft haben, um der Verfolgung zu entgehen. Warum sind Sie trotzdem - nach Ausstellung von Dokumenten auf einen falschen Namen - ausgereist?

 

AW: Ich habe mir zwar neue Dokumente verschafft, aber ich konnte mein Gesicht nicht ändern lassen.

 

VR: Auf welchem Weg kamen Sie nach Österreich?

 

AW: Über Weißrussland, Polen, Tschechien. Dann bin ich nach Gmünd.

 

VR: Haben Sie gearbeitet oder Kurse besucht?

 

AW: Ich habe schon Deutschkurse und Computerkurse besucht. Ich mache jetzt einen Metallbasiskurs. Ich habe einen Berufsdeutschkurs gemacht und arbeite in der Nachbarschaftshilfe, z.B. Rasen mähen.

 

VR: Haben Sie gesundheitliche oder psychische Probleme?

 

AW: Nein. Ich weiß zumindest nichts davon.

 

BR: Wissen Sie, in welchem Stadium sich das Asylverfahren Ihrer Frau befindet?

 

AW: Ich kann dazu nichts sagen. Wir sind gemeinsam zur Einvernahme nach Innsbruck geladen worden. Meine Frau wurde lediglich gefragt, ob sie wegen ihrem Mann gekommen ist. Sie sagte, ja. Sonst hat man ihr keine Fragen gestellt. Ich habe auch 3 Söhne. Wir haben auch jeweils nach der Geburt des Kindes einen Asylantrag gestellt.

 

VR: Leben Sie mit Ihrer Frau und Ihren Kindern zusammen?

 

AW: Ja.

 

VR: Haben Sie noch Verwandte in Tschetschenien?

 

AW: Mein Bruder ist tot. Eine Schwester ist in Inguschetien, die zweite Schwester wohnt in Linz. Sie hat schon Asyl bekommen. Nähere Verwandte habe ich nicht in Tschetschenien. Mein Vater ist schon früher gestorben. Meine Mutter kam vor ca. 3 Monaten nach und lebt jetzt bei mir.

 

VR: Hat Ihnen Ihre Mutter irgendetwas darüber erzählt, dass Sie nach Ihrer Ausreise aus Tschetschenien gesucht wurden?

 

AW: Ja, sie hat mir viel darüber erzählt. Man hat das Haus in Brand gesetzt, das war auch nach meiner Ausreise. Mein Auto wurde zerschossen, als ich noch zu Hause war. Sie durchsuchten das Haus, fanden das Auto in der Garage und zerschossen es. Meine Mutter hatte auch ständig eine oder zwei Kühe. Es war noch dunkel, als sie kamen, sie kreisten unser Haus ein. Sie hörten Geräusche aus dem Stall und schossen sofort durch die Tür auf den Stall. Die Kühe waren dann tot. Sie glaubten, dass sich jemand dort versteckt, sie suchten mich, aber ich war nicht zu Hause.

 

VR: Wann wurden Sie Ihrer Mutter zufolge zuletzt gesucht?

 

AW: Meine Mutter sagte, dass sie dauernd nach mir suchten; es waren Russen und Kadirowski, manchmal kamen auch nur die Kadirow-Anhänger. Meinetwegen wurde auch ein Cousin von mir mitgenommen und zusammengeschlagen. Er hat gegenüber von uns gewohnt.

 

VR: Haben Sie irgendwo außerhalb von Tschetschenien aber innerhalb der russischen Föderation Freunde oder Verwandte?

 

AW: Meine Schwester in Inguschetien; sonst fällt mir niemand ein.

 

VR: Was würde mit Ihnen geschehen, wenn Sie in die Russische Föderation zurückkehren würden?

 

AW: Das kann ich nicht sagen, ich versuche nicht, daran zu denken.

 

VR: Möchten Sie noch etwas zur Begründung Ihres Asylantrages sagen, was Sie noch nicht angeführt haben?

 

AW: Ich weiß nicht.

 

Über Befragen durch den AWV.

 

AWV: Ist es richtig, dass die Suche ständig bis zur Ausreise andauerte?

 

AW: Ja. Meine Mutter ist vor drei Monaten in Österreich angekommen. Sie ist ohne größere Zwischenaufenthalte von Tschetschenien bis Österreich gereist.

 

AWV: Ist außer Ihrem Bruder noch ein anderes Familienmitglied in Tschetschenien umgekommen?

 

AW: Ja. Vor dem Tod meines Bruders wurden noch zwei Cousins getötet. Wann das genau war, kann ich nicht sagen.

 

AWV: Keine weiteren Fragen.

 

Dolmetscherin bestätigt, dass der AW wie ein Tschetschene russisch spricht.

 

AW spricht schon gut deutsch.

 

In der Folge wurde gemäß § 45 Abs. 3 AVG dem Antragsteller (und seinem Vertreter) die Feststellungen zur Lage in Tschetschenien und zur internen Fluchtalternative von Tschetschenen in Russland, Stand September 2008 (unter Nennung der Primärquellen), zur Kenntnis gebracht. Der Antragstellervertreter äußerte sich dahingehend, dass das Dokument die Lage in Tschetschenien richtig wiedergebe. Sodann schloss der Vorsitzende Richter gemäß § 39 Abs. 3 AVG das Ermittlungsverfahren und verkündete gemäß § 41 Abs. 9 Z 1 Asylgesetz das Erkenntnis mündlich.

 

Der Asylgerichtshof hat wie folgt festgestellt und erwogen:

 

Zur Person des Antragstellers wird Folgendes festgestellt:

 

Er ist Staatsbürger der Russischen Föderation und gehört der tschetschenischen Volksgruppe sowie der islamischen Religion an. Sein richtiger Name ist B.S., er wurde am 00.00.1977 in XY/Tschetschenien geboren. Seine Kindheit und Jugend hat er zum Teil in Inguschetien verbracht, wo sein Vater arbeitete. Nach 8 Jahren Grundschule hat er ein Jahr eine technische Lehranstalt besucht. Seine Eltern betrieben eine kleine Landwirtschaft, seine Mutter arbeitete überdies. Er meldete sich Ende 1994 Anfang 1995 freiwillig zu den tschetschenischen Rebellen und kämpfte mit ihnen (als einfacher Kämpfer) bis zum Ende des ersten tschetschenischen Krieges, wobei er durch eine leichte Splitterverletzung am linken Unterschenkel verletzt wurde, er wurde jedoch während des ersten Tschetschenienkrieges nicht gefangen genommen. Nach Ende des Krieges arbeitete er in einem Bataillon, das für den Schutz der staatlichen Objekte zuständig war im Rahmen der tschetschenischen Verwaltung unter Präsident MASCHADOV. Später wurde er Leibwächter, wobei die X Abteilung aus der Sicht des Antragstellers mit der österreichischen Cobra zu vergleichen ist. Mit Beginn des Tschetschenienkrieges kämpfte der Antragsteller wiederum und ging zunächst nach der Eroberung der Stadt Grosny in die Berge, dann jedoch ohne Uniform und Waffe zurück in die Stadt Grosny. In der Folge arbeitete er bei der Erdölförderung.

 

Im März 2003 wurde sein Bruder festgenommen, weil ihm vorgeworfen wurde, an Schießereien (nach Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen) beteiligt gewesen zu sein. Nachdem er unterschrieben habe, mit den Russen zusammen zu arbeiten, wurde er frei gelassen und ging in der Folge in die Berge, wo er umkam.

 

Der Antragsteller wurde in der Folge (offenbar wegen seiner Zugehörigkeit zu den tschetschenischen Rebellen, aber auch wegen des Todes seines Bruders) gesucht und hielt sich an verschiedensten Orten versteckt. Mehrmals lief er russischen Soldaten davon, wobei ihm nachgeschossen wurde. Einmal, als er bei seiner Schwester in Inguschetien war, gelang ihm nur durch das Verborgenhalten in ausgeklügelten Verstecken (zB in einem Kanalrohr) einer Verhaftung durch russische bzw. mit diesen verbündete Kräfte zu entgehen. Im Jahre 2003 konnte er durch Geldzahlungen falsche Papiere (Inlands- und Auslandsreisepass und Heiratsurkunde) auf den Namen B.K., geb. 00.00.1974, erhalten. Er wollte mit dieser neuen Identität untertauchen, was ihm jedoch nicht gelang. Immer wurde ihm von Verwandten geraten auszureisen. Am 27.02.2004 verließ er Tschetschenien und gelangte über Weißrussland, Polen und Tschechien - auf legalem Wege - am 02.04.2004 nach Österreich und stellte am 03.04.2004 einen Asylantrag. Auch seine Ehefrau und seine drei Söhne befinden sich in Österreich, er ist in Österreich nicht strafrechtlich negativ in Erscheinung getreten, er leidet auch nicht unter gesundheitlichen oder psychischen Problemen. Seine Mutter kam vor ca. 3 Monaten nach Österreich. Nach den Erzählungen seiner Mutter wurde nach seiner Ausreise das Haus in Brand gesteckt und der Antragsteller mehrfach gesucht, wobei auch Schüsse fielen und die Kühe im Stall getötet wurden. Seinetwegen sei auch sein Cousin von ihm mitgenommen und zusammengeschlagen worden, wobei sich an der Suche nicht nur russische Kräfte, sondern auch Kadirowz, beteiligten.

 

Zur Lage in Tschetschenien und zur internen Fluchtalternative von Tschetschenen in Russland wird Folgendes festgestellt:

 

Die Tschetschenische Republik ist eines der 89 Subjekte der Russischen Föderation. Die Tschetschenen sind bei weitem die größte der zahlreichen kleinen Ethnien im Nordkaukasus. Tschetschenien selbst ist (kriegsbedingt) eine monoethnische und monoreligiöse Einheit (93% der Bevölkerung sind Tschetschenen, fast alle sunnitische Moslems).

 

In Tschetschenien hatte es nach dem Ende der Sowjetunion zwei Kriege gegeben. 1994 erteilte der damalige russische Präsident Boris Jelzin den Befehl zur militärischen Intervention. Fünf Jahre später begann der zweite Tschetschenienkrieg, russische Bodentruppen besetzten Grenze und Territorium der Republik Tschetschenien. Die Hauptstadt Grosny wurde unter Beschuss genommen und bis Januar 2000 fast völlig zerstört. Beide Kriege haben bisher 160.000 Todesopfer gefordert. Zwar liefern sich tschetschenische Rebellen immer wieder kleinere Gefechte mit tschetschenischen und russischen Regierungstruppen, doch seit der Ermordung des früheren Präsidenten Tschetscheniens, Aslan Maschadow, durch den russischen Geheimdienst FSB im März 2005 hat der bewaffnete Widerstand an Bedeutung verloren.

 

Laut Präsident Putin ist mit der tschetschenischen Parlamentswahl am 27.11.2005 die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in Tschetschenien abgeschlossen worden. Dabei errang die kremlnahe Partei "Einiges Russland" die Mehrheit der Sitze. Beobachter stellten zahlreiche Unregelmäßigkeiten fest. Hauptkritik an der Wahl war u.a. die anhaltende Gewaltausübung und der Druck der Miliz (sog. "Kadyrowzy") gegen Wahlleiter und Wahlvolk. Nach dem Rücktritt seines Vorgängers Alu Alchanow im Februar 2007 hat der bisherige Ministerpräsident Ramzan Kadyrow am 05.04.2007 das Amt des tschetschenischen Präsidenten angetreten.

 

Der von Russland unterstützte Präsident Ramzan Kadyrow verfolgt offiziell das Ziel, Ruhe, Frieden und Stabilität in Tschetschenien zu garantieren und den Einwohnern seines Landes Zugang zu Wohnungen, Arbeit, Bildung, medizinischer Versorgung und Kultur zu bieten.

 

Neben der endgültigen Niederschlagung der Separatisten und der Wiederherstellung bewohnbarer Städte ist eine wichtige Komponente dieses Ziels die Wiederbelebung der tschetschenischen Traditionen und des tschetschenischen Nationalbewusstseins. Kadyrow fördert das Bekenntnis zum Islam, warnt allerdings vor extremistischen Strömungen wie dem Wahabismus. Er hat Kleidervorschriften eingeführt, die den Tschetscheninnen Kopftuch und mindestens knielange Röcke beim Betreten von staatlichen Institutionen verordnen. Medienkampagnen warnen vor Alkohol, Drogen und Tabak. Ein Kulturrat beurteilt neue Werke im Bereich Musik, Literatur, Theater u. ä. vor ihrer Publikation. Medien, die den Erziehungsauftrag nicht nach Kadyrows Vorstellungen erfüllen, werden kurzerhand geschlossen. Sufi Bruderschaften und tariqas verfügen über großen Einfluss in Tschetschenien.

 

Asylmagazin, Schwerpunkt: Tschetschenien - Tschetschenien Anfang 2008 - Eine Auswertung aktueller Informationen, März 2008

 

Bundesasylamt, Chechen Republic: Information about the country and situation of Chechens in the Russian Federation Part I, Februar 2008

 

Bescheid des UBAS vom 17.4.2008, 377-1/5E-VIII/22/07

 

US State Department, Russia, Country Reports on Human Rights Practices 2007 vom 11.03.2008

 

1. Allgemeine Sicherheitssituation

 

Auch wenn von offizieller russischer Seite betont wird, dass es in Tschetschenien zu einem "politischen Prozess" gekommen ist, finden laut neuestem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13.1.2008 in Tschetschenien weiterhin die schwersten Menschenrechtsverletzungen in der Russischen Föderation statt. Diese Einschätzung wird von einer großen Anzahl von Klagen von Tschetschenen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gestützt (20.350 anhängige Klagen gegen Russland insgesamt zum Zeitpunkt Februar 2008, bisher 24 Verurteilungen der Russischen Föderation wegen Tschetschenien).

 

Den Machthabern in Russland ist es gelungen, den Konflikt zu "tschetschenisieren", das heißt es kommt nicht mehr primär zu offenen Kämpfen zwischen russischen Truppen und Rebellen, sondern zu Auseinandersetzungen zwischen der Miliz von Ramzan Kadyrow und anderen "pro russischen" Kräften/Milizen - die sich zu einem erheblichen Teil aus früheren Rebellen zusammensetzen - einerseits sowie den verbliebenen, eher in der Defensive befindlichen Rebellen andererseits. Die bewaffneten Auseinandersetzungen konzentrieren sich auf entlegene Bergregionen Die Ramzan Kadyrow unterstellten Bataillone "Ost" (Jamadajew) und "West" (Kakiew), umbenannt in "Süd" und "Nord", sind zwar formell den Bundesstrukturen untergeordnet, sie terrorisieren die Bevölkerung jedoch nicht weniger als die auswärtigen Einheiten. Den pro russischen Kräften ist es, auch durch Erpressung/Entführung von Familienangehörigen etc gelungen, die Sicherheitslage im allgemeinen (jedenfalls in einigen Teilen Tschetscheniens, insbesondere Grosny) zu stabilisieren; auch ein wirtschaftlicher Aufschwung ist eingetreten (finanziert durch zT missbräuchlich verwendete russische Hilfe/Erpressungsgelder), der in der Regel aber nur einigen, insbesondere den pro russischen Kräften, zugute kommt.

 

Der verkündete Frieden müsste eigentlich eine deutliche Verbesserung der Sicherheitslage mit sich bringen. Ob das tatsächlich der Fall ist, lässt sich aber nicht eindeutig bestätigen.

 

Asylländerbericht Russland, 04.09.2007

 

Asylmagazin, Schwerpunkt: Tschetschenien - Tschetschenien Anfang 2008 - Eine Auswertung aktueller Informationen, März 2008

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, einschließlich Tschetschenien, vom 13.01.2008

 

Bundesasylamt, Chechen Republic: Information about the country and situation of Chechens in the Russian Federation Part I, Februar 2008

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Russische Föderation Menschenrechtslage und Politik, Tschetschenienkonflikt, Juli 2008

 

Bescheid des UBAS vom 17.4.2008, 377-1/5E-VIII/22/07

 

US State Department, Russia, Country Reports on Human Rights Practices 2007 vom 11.03.2008

 

2. Verfolgungsgefahr

 

2.1 Zivilbevölkerung

 

Durch vielerlei Umstände kann es etwa möglich sein, ins Fadenkreuz der pro russischen Kräfte zu kommen (etwa auch durch private Streitigkeiten). Der russische Geheimdienst verfügt selbst weiterhin über zahlreiche Informationsquellen. Durch Bestechung kann es in seltenen Fällen aber sogar möglich sein, dass durch den Geheimdienst gesuchte Personen das Land verlassen können.

 

Nichtregierungsorganisationen, internationale Organisationen und die Presse berichten, dass sich auch nach Beginn des von offizieller Seite festgestellten "politischen Prozesses" erhebliche Menschenrechtsverletzungen durch russische und pro-russische tschetschenische Sicherheitskräfte gegenüber der tschetschenischen Zivilbevölkerung fortgesetzt haben. Dies sei häufig darauf zurückzuführen, dass reales Ziel der in Tschetschenien eingesetzten Zeitsoldaten, Milizionäre und Geheimdienstangehörigen Geldbeschaffung und Karriere sei. Zwar hat sich die Sicherheit der Zivilbevölkerung in Tschetschenien mittlerweile stabilisiert. Razzien, "Säuberungsaktionen", Plünderungen und Übergriffe durch russische Soldaten und Angehörige der tschetschenischen Sicherheitskräfte, aber auch Guerilla-Aktivitäten und Geiselnahmen der Rebellen haben nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen und internationalen Organisationen deutlich abgenommen. Doch weisen Nichtregierungsorganisationen zugleich darauf hin, dass es nach wie vor zu willkürlichen Überfällen bewaffneter, nicht zuzuordnender Kämpfer, Festnahmen und Bombenanschlägen kommt.

 

Noch immer kommt es im Zuge der bewaffneten Auseinandersetzungen auch zu Angriffen auf die Zivilbevölkerung. Am 24.03.2007 kam es nach Berichten des US Departement of State dazu, dass drei Frauen durch einen lokalen Militärkommandanten im Bezirk Shatoy beschossen wurden. Erst Ende Jänner 2008 geriet ein Dorf unter Beschuss, als die russische Artillerie auf der Jagd nach Rebellen deren Zufluchtsort angriffen. Berichten zufolge sollen die Soldaten betrunken gewesen sein und Präsident Kadyrow hat diesen Vorfall als kriminellen Verstoß gegen die Militärdisziplin verurteilt, aber dennoch kann derartiges offensichtlich immer noch vorkommen.

 

Generell behauptet Kadyrow, dass bei der "Neutralisierung" der Rebellen keine Zivilisten behelligt werden. Im Gegenteil, gerade der Schutz der Zivilbevölkerung dient ihm als wichtiges Argument für eine verstärkte Konzentration der Sicherheitskräfte auf die Verfolgung von Mitgliedern illegaler bewaffneter Gruppierungen und ihrer Unterstützer. Es sind aber gerade die von Ramzan Kadyrow persönlich kommandierten "Kadyrowzy", denen besonders viele Folter- und Misshandlungsvorwürfe, auch von Zivilisten, gelten. Im April 2007 übergab Kadyrow die Kontrolle dem föderalen Innenministerium und löste das Antiterrorzentrum auf. Menschenrechtsgruppierungen kritisieren jedoch, dass die Truppen nach wie vor Kadyrow treu seien. Weiters werden die Bataillone "Wostok" und "Sapad" für Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus verantwortlich gemacht, sowie die Untersuchungshaftanstalt des ORB-2, eine Abteilung des russischen Innenministeriums für Operationen bzw. Ermittlungen in den südlichen Regionen der Föderation.

 

Seit Anfang 2007 hat sich laut Angaben der Menschenrechtsorganisation Memorial die Menschenrechtslage in Tschetschenien gebessert, insbesondere haben die Fälle des "Verschwindenlassens" erheblich abgenommen. Wurden 2006 noch 187 Entführungen von Memorial registriert, ist die Zahl seit Anfang 2007 bis Mitte September 2007 auf 25 Fälle zurückgegangen. Diese Tatsache wird auch in offiziellen Statistiken bestätigt, was nicht weiter verwundert. Memorial erklärt diese Tatsache damit, dass Präsident Kadyrow seinen Sicherheitskräften, den "Kadyrowzy", die Anweisung gegeben habe, mit den Entführungen aufzuhören. Dies bestätigt die Annahme von Human Rights Watch, nach der seit 2004/2005 diese Gruppe die Hauptverantwortung für Verschleppungen trägt. Die Regierung sieht dies als einen Erfolg ihrer 2004 gestarteten Initiativen zur Verbesserung der Sicherheitslage und Maßnahmen, die das Vorgehen der Truppen nachvollziehbarer machen sollten. Das US State Department berichtet jedoch, dass Menschenrechtsorganisation davon ausgehen, dass die Angehörigen von verschwundenen Personen aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen keine Anzeige erstatten. So gebe es zahlreiche Vorfälle, bei denen maskierte, bewaffnete Männer in Wohnungen eingebrochen seien und Zivilisten verschleppt hätten.

 

Der tschetschenische Parlamentspräsident Abdurchachmanow bestätigte am 01.07.2007, dass die Zahl der verschwundenen Personen ursprünglich bei etwa 5.500 gelegen habe, doch habe nach erfolgten Überprüfungen das Schicksal von über 1.000 Personen geklärt werden können. Nach Angaben des tschetschenischen Ombudsmanns Nuchaschijew galten am 11.07.2007 noch 2.700 Personen als offiziell vermisst. Man gehe davon aus, dass viele der vermissten Personen tot und in anonymen Gräbern bestattet worden seien. Um die Identität der Toten klären zu können, soll nach Angaben des tschetschenischen Ombudsmanns Nuchaschijew Präsident Kadyrow im Juli 2007 den Kauf eines Speziallabors angeordnet haben.

 

Zu Folge von Berichten von Memorial kam es 2007 wiederum zu Sicherheitskontrollen, bekannt als "zachistik". Im April und Mai 2007 führten sowohl föderale als auch lokale Truppen derartige Kontrollen in Malgobek und in den benachbarten Republiken durch.

 

Folter bleibt ein drängendes Problem. Sie erfolgt willkürlich und unvorhergesehen, ein Muster ist nicht erkennbar. Der Menschenrechtskommissar des Europarats Thomas Hammarberg kritisierte nach einem Besuch in Tschetschenien Ende Februar/Anfang März 2007 Folter im ORB-2 (Operatives Fahndungsbüro 2, Teil des Föderalen Innenministeriums). Auch Präsident Kadyrow gab Mitte März 2007 öffentlich Folter im ORB-2 zu. Memorial werden weiterhin aktuelle Fälle von Folter sowohl im ORB-2 als auch durch eine spezielle Einheit des tschetschenischen Innenministeriums gemeldet. Wenn auch die Zahl der Verschleppungen und extralegalen Tötungen im letzten Jahr deutlich abgenommen hat, hat sich an deren Stelle eine neue Rechtsverletzung verbreitet - die künstliche Konstruktion von Straftatbeständen, zu denen dann mittels Folter Geständnisse erzwungen werden. Unter Folter unterschriebene Geständnisse werden nach Erkenntnissen von Memorial regelmäßig in Gerichtsverfahren als Grundlage von Verurteilungen genutzt.

 

Schwere Verbrechen und Vergehen werden auch von Seiten verschiedener Rebellengruppen begangen. Neben den Aufsehen erregenden Terroranschlägen gegen die Zivilbevölkerung (Beslan) werden bei vielen Aktionen gegen russische Sicherheitskräfte Opfer unter der Zivilbevölkerung bewusst in Kauf genommen. Auch werden den Rebellen Exekutionen und Geiselnahmen von Zivilisten in den von ihnen beherrschten Gebieten und Ortschaften vorgeworfen. Außerdem verüben die Rebellen gezielt Anschläge gegen Tschetschenen, die mit den russischen Behörden zusammenarbeiten.

 

Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend, sodass nach Ansicht von Nichtregierungsorganisationen ein "Klima der Straflosigkeit" entstanden sei. Bisher gibt es nur sehr wenige Fälle von Verurteilungen. Im April 2006 verurteilte ein Gericht in Rostow den Vertragssoldaten Kriwoschenok zu 18 Jahren Haft wegen der Erschießung dreier tschetschenischer Zivilisten im November 2005. Im Juni 2007 verurteilte dasselbe Gericht vier Offiziere in der "Sache Ulman" zu 9, 11, 12 und 14 Jahren Haft wegen Erschießung von sechs tschetschenischen Zivilisten im Dezember 2002. Drei der Verurteilten sind allerdings untergetaucht. Personen, die den Staat wegen Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung ziehen wollten, wurden weiterhin belästigt. Kläger vor dem EGMR verschwanden spurlos bzw wurden getötet, was den EGMR zu einer kritischen Äußerung in seiner Entscheidung im Fall Alikhadzhiyeva gg. Russland vom 5.7.2007 veranlasste.

 

Asylländerbericht Russland, 04.09.2007

 

Asylmagazin, Schwerpunkt: Tschetschenien - Tschetschenien Anfang 2008 - Eine Auswertung aktueller Informationen, März 2008

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, einschließlich Tschetschenien, vom 13.01.2008

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Russische Föderation Menschenrechtslage und Politik, Tschetschenienkonflikt, Juli 2008

 

Bundesasylamt, Mitschrift des Besuches von Frau L.D. (Mitarbeiterin von VESTA)

 

Bescheid des UBAS vom 17.4.2008, 377-1/5E-VIII/22/07

 

US State Department, Russia, Country Reports on Human Rights Practices 2007 vom 11.03.2008

 

2.2 Rebellen und deren Familienangehörige

 

Innerhalb der Rebellen ist es zu einer Spaltung in zwei Gruppen gekommen. Während einige Gruppierungen nach wie vor am Ziel der Ausrufung der tschetschenischen Republik Itschkerien festhalten, kämpft die Mehrheit für die Errichtung des im Herbst 2007 durch Dokka Umarow ausgerufenen Emirats und eines islamischen Staates.

 

Nach wie vor sind die Rebellen bzw. Personen, die für Rebellen oder deren Sympathisanten gehalten werden, einem sehr hohen Risiko ausgesetzt, in bewaffnete Auseinandersetzungen zu geraten, festgenommen, verschleppt, verhört, gefoltert und ermordet zu werden.

 

Trotz der Tötung der Separatistenführer Aslan Maschadow im März 2005 und Abdelchalim Saidullajew im Juni 2006 sowie des "Top-Terroristen" Schamil Bassajew im Juli 2006 gibt es laut Schätzungen der lokalen tschetschenischen Sicherheitskräfte weiterhin einige hunderte Rebellen in den Bergregionen Tschetscheniens, die vor allem Anschläge auf Sicherheitskräfte verüben. Der russische Armeegeneral Krivonos nannte am 11.05.2007 eine Zahl von noch 300 aktiven Kämpfern. Eine dauerhafte Befriedung der Lage in Tschetschenien ist somit noch nicht eingetreten. Die Aktivitäten der tschetschenischen und föderalen Sicherheitskräfte gegen die Rebellen, insbesondere in den tschetschenischen Grenzgebieten zu den nordkaukasischen Nachbarrepubliken, wurden auch 2007 fortgesetzt. Seit 1999 forderte der Konflikt erhebliche Opfer: 10.000-20.000 getötete Zivilisten (Angaben der russischen Menschenrechtsorganisation "Memorial"), 5.000 bis 7.000 getötete und ca. 18.000 verletzte Angehörige der Sicherheitskräfte (Zahlen des Verteidigungsministeriums, die teilweise widersprüchlich sind).

 

Die Rebellen und ihre Unterstützer werden im Zuge von Spezialoperationen "neutralisiert", die von den unter direktem Befehl von Ramzan Kadyrow stehenden Sicherheitskräften sowohl in den Bergregionen, als auch in städtischen Gebieten durchgeführt werden. In der Zeit um den Jahreswechsel 2007-2008 wurden bei solchen Operationen mindestens 16 Rebellen und Sicherheitskräfte getötet, mindestens 49 Personen in Grosny verhaftet, zwei sind verschwunden. Es kam zu sechs bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Rebellen und Sicherheitskräften, sowie zu Anschlägen auf letztere.

 

Im gesamten Jahr 2007 wurden laut tschetschenischem Innenministerium über 70 Rebellen getötet und 325 verhaftet, 139 Bandenmitglieder haben sich freiwillig ergeben, und die Zahl der Anschläge hat sich um 72% reduziert. Das Innenministerium hat 82 seiner Mitarbeiter verloren.

 

Nach Beobachtungen des Berichterstatters der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ist die Geiselnahme von Familienangehörigen mutmaßlicher Rebellen, um sie zur Aufgabe zu zwingen, eine neue besorgniserregende Entwicklung. Ein prominentes Beispiel ist der Fall des Feldkommandeurs und ehemaligen tschetschenischen Verteidigungsministers Magomed Chambijew, welcher sich am 03. März 2004 in die Hände der Sicherheitskräfte Ramzan Kadyrows begab, nachdem etwa 20 seiner Angehörigen zuvor festgesetzt worden waren. Im Dezember 2004 wurden acht Verwandte des früheren Präsidenten Aslan Maschadow, darunter eine Schwester und zwei Brüder, entführt, vermutlich von Angehörigen der Sicherheitstruppe von Ramzan Kadyrow. Sieben von ihnen wurden am 31. Mai 2005 wieder freigelassen; ein Neffe befindet sich noch wegen angeblicher Zugehörigkeit zu einer illegalen bewaffneten Gruppe in Haft. Ramzan Kadyrow, damals erster stellvertretender Ministerpräsident Tschetscheniens, hat sich öffentlich für gesetzliche Regelungen ausgesprochen, die die Strafverfolgung von Familienangehörigen mutmaßlicher Rebellen ermöglichten.

 

Nach Informationen von Frau L.D., Mitarbeiterin von VESTA (NGO), werden Familienangehörige von früheren Kämpfern (des ersten Tschetschenienkrieges) nicht mehr verfolgt. Es gibt jedoch private Fälle von Blutrache, von der alle männlichen Verwandten betroffen sein können. Frauen, Kinder und ältere Menschen seien davon jedoch ausgenommen. Mit Ausnahme eines vorsätzlichen oder besonders brutalen Mordes ist auch der Freikauf von der Blutrache möglich.

 

Am 22.09.2006 beschloss die Duma eine neue Amnestieverordnung. Sie erfasst Vergehen, die zwischen dem 13.12.1999 und dem 23.09.2006 im Nordkaukasus (Dagestan, Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Tschetschenien, Nordossetien, Karatschajewo-Tscherkessien, Gebiet Stawropol) begangen wurden. De facto wurde die Amnestie jedoch durch Präsident Kadyrow bis zum 15.06.2007 verlängert. Die Amnestie gilt sowohl für Rebellen ("Mitglieder illegaler bewaffneter Formationen", sofern sie bis zum 15.01.2007 die Waffen niederlegen) als auch für Soldaten, erfasst aber keine schweren Verbrechen (u.a. nicht Mord, Vergewaltigung, Entführung, Geiselnahme, schwere Misshandlung, schwerer Raub; für Soldaten: Verkauf von Waffen an Rebellen). Nach Mitteilung des Nationalen Antiterror-Komitees haben sich bis zum Stichtag insgesamt 546 Rebellen gestellt. Etwa 200 Rebellen waren angeblich an Sabotage und Terroraktionen beteiligt, nahezu alle sollen einer illegalen bewaffneten Gruppe angehört haben. Es handelt sich jedoch um keine Amnestie im westeuropäischen Verständnis. Die Leute ergeben sich alle aus mehr oder minder großem Zwang, aber nicht, weil es Bemühungen um Versöhnung und Reintegration gibt.

 

"Memorial" kritisierte jedoch, dass wegen der zahlreichen Ausschlussgründe nur diejenigen in den Genuss der Amnestiebestimmungen kommen werden, die "in den Bergen Herbarien angelegt oder Grütze gekocht haben", nicht jedoch Personen, die effektiv an den Kämpfen teilgenommen haben. Zudem drohe selbst Amnestierten eine spätere strafrechtliche Verfolgung, wenn neue Elemente auftauchen. Unabhängige Medien befürchten auch im Hinblick auf Chambijew und andere ehemalige Funktionsträger, dass erneut nur "große Fische" begnadigt und in die staatlichen Strukturen integriert würden, Kleine aber leer ausgingen. Ramzan Kadyrow nutzte die Amnestie, um sich als Garant persönlicher Sicherheit und Zentrum einer tschetschenischen Sammlungsbewegung zu profilieren. Folgerichtig wurde er nach Abschluss der Kampagne auch zum Präsidenten der Teilrepublik ernannt. Er trägt somit persönlich Verantwortung nicht nur für den Wiederaufbau der Infrastruktur und die Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern auch für die weitaus schwierigere gesellschaftliche Erneuerung.

 

Asylländerbericht Russland, 04.09.2007

 

Asylmagazin, Schwerpunkt: Tschetschenien - Tschetschenien Anfang 2008 - Eine Auswertung aktueller Informationen, März 2008

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, einschließlich Tschetschenien, vom 13.01.2008

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Russische Föderation Menschenrechtslage und Politik, Tschetschenienkonflikt, Juli 2008

 

Bundesasylamt, Mitschrift des Besuches von Frau L.D. (Mitarbeiterin von VESTA)

 

Bescheid des UBAS vom 17.4.2008, 377-1/5E-VIII/22/07

 

US State Department, Russia, Country Reports on Human Rights Practices 2007 vom 11.03.2008

 

3. Versorgungslage

 

Die humanitäre Situation in Tschetschenien hat sich in den letzen Jahren verbessert, in den Nachbarrepubliken jedoch eher verschlechtert. Die EU Kommission unterstützt den Wideraufbau im April 2008 mit 11 Millionen Euro.

 

Dennoch gibt es insbesondere in der Strom- und Wasserversorgung große Defizite - die Stromversorgung fällt oft aus, Wasser ist zumeist nur an einem Zentralhahn für das gesamte Gebäude verfügbar. Zumindest ebenso problematisch, wenn nicht sogar ein größeres Problem stellt die Müll- und Abwasserentsorgung (und allgemein die Umweltverschmutzung z.B. durch die primitive Gewinnung von Erdölprodukten) dar. Die Situation außerhalb des Großraumes von Grosny gestaltet sich noch schwieriger.

 

Accord und UNHCR, Summary of the Accord-UNHCR country of origin information seminar, 18.10.2007

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, einschließlich Tschetschenien, vom 13.01.2008

 

Bundesasylamt, Chechen Republic: Information about the country and situation of Chechens in the Russian Federation Part I, Februar 2008

 

3.1 Wohnsituation

 

Mit der Machtübernahme durch Präsident Kardyrow begann eine Wiederaufbauwelle in Tschetschenien. In rasantem Tempo werden vor allem Grosny und andere größere Städte wie Argun und Gudermes erneuert. Häuser und Straßen, insbesondere entlang der Hauptstraßen in Grosny, Strom- und Gasleitungen, Schulen, Krankenhäuser und Moscheen werden gebaut, auch der Flughafen ist wieder in Betrieb. Hinsichtlich der Frage, ob dabei bloß die Fassaden erneuert wurden oder die Gebäude tatsächlich baulichen Standards entspre

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten