TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/03 E8 308750-1/2008

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Veröffentlicht am 03.11.2008
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Spruch

E8 308.750-1/2008-11E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. DIEHSBACHER als Vorsitzenden und den Richter Dr. BRACHER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Frau Schwarz über die Beschwerde des H.C., geb. 00.00.1966, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.12.2006, FZ. 05 22.482-BAG, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 23.10.2008 zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG 1997, BGBl I Nr. 76/1997 idgF (AsylG) als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden kurz: "BF"), ein Staatsangehöriger der Türkei, Angehöriger der Volksgruppe der Kurden und moslemischen Glaubens, reiste am 18.12.2005 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 20.12.2005 einen Asylantrag, den er zunächst schriftlich damit begründete (AS. 19, Übersetzung in der Verhandlungsschrift des Asylgerichtshofes auf Seite 9), dass er "vor der Unterdrückung des türkischen Staates gegen die Kurden" geflüchtet und nach Österreich gekommen sei, da Österreich die Menschenrechte respektiere. Am 05.01.2006 wurde der BF vor der EAST OST (AS. 35 ff) sowie am 07.12.2006 (AS. 69 ff) vor der Außenstelle Graz des Bundesasylamtes niederschriftlich einvernommen. Dabei brachte er im Wesentlichen vor, er sei auf Grund seiner kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit sowie auf Grund der Unterstützung von DEHAP/HADEP vom türkischen Militär über Jahre hinweg mehrmals abgeholt und geschlagen worden. Beinahe allen Kurden würde es in der Türkei so ergehen.

 

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.12.2006, Zahl: 05 22.482-BAG, wurde der Asylantrag des nunmehrigen BF gem. § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I.); die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in die Türkei wurde gem. § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig erklärt (Spruchpunkt II) und wurde der BF gem. § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

 

Begründend führte das Bundesasylamt im Wesentlichen aus, das gesamte Vorbringen des BF sei aus näher dargelegten Gründen unglaubwürdig. So habe der BF etwa nicht einmal den Übergang der HADEP-Partei in die DEHAP-Partei in korrekter Reihenfolge chronologisch wiedergeben können und habe sich auch hinsichtlich der Anzahl der behaupteten Festnahmen in gravierende Widersprüche verwickelt.

 

3. Gegen diesen Bescheid brachte der BF mit Schriftsatz vom 01.01.2007 fristgerecht Beschwerde ein (AS. 145 ff). In der Beschwerde wiederholt der BF im Wesentlichen sein Vorbringen und fügt hinzu, dass im Verfahren ein medizinsicher Sachverständiger beizuziehen gewesen wäre, um die vom BF behauptete Quetschung seiner Zehe als Folge von Misshandlungen zu begutachten.

 

4. Am 23.10.2008 führte der Asylgerichtshof mit dem BF eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch (OZ 6).

 

II. DER ASYLGERICHTSHOF HAT ERWOGEN:

 

Zur Person des BF wird festgestellt:

 

Der BF ist Staatsangehöriger der Türkei, Angehöriger der Volksgruppe der Kurden und moslemischen Glaubens. Seinen Lebensunterhalt verdiente er mit Viehzucht sowie Tätigkeiten auf Baustellen; seine Mutter hat eine Landwirtschaft. Abgesehen von seiner Mutter leben auch noch 2 Schwestern sowie 3 Brüder in der Türkei, wobei diese alle - bis auf einen Bruder - noch im Elternhaus wohnen.

 

Nicht festgestellt werden kann, dass der BF auf Grund seiner kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit inhaftiert und misshandelt wurde. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass der BF Sympathisant von DEHAP bzw. HADEP war und auf Grund dieser behaupteten politischen Ansichten inhaftiert und gefoltert wurde. Die gesamten vom BF diesbezüglich geschilderten Vorfälle haben nicht stattgefunden. Es kann auch kein sonstiges Gefährdungspotenzial für den BF festgestellt werden.

 

2. Zur Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen getroffen:

 

Allgemeine politische Lage:

 

Die Türkei verbindet Elemente einer modernen, westlichen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft mit einem lebendigen und in der türkischen Gesellschaft tief verwurzelten Islam, mit ausgeprägtem Nationalismus, Klientelstrukturen und zum Teil noch traditionellen Lebensformen, insbesondere in ländlichen Gegenden. Die Türkei betrachtet sich als Modell eines laizistischen Staates mit überwiegend islamischer Bevölkerung.

 

Bei den Parlamentswahlen vom 22.07.2007 hat die regierende AKP von MP Erdogan mit knapp 46,62 % der abgegebenen Stimmen (340 Sitze) einen historischen Sieg errungen, Wahlverlierer ist die CHP von Oppositionsführer Baykal mit 20,88 % (112 Sitze). Als weitere Partei zog die MHP (14,27%, 71 Sitze) sowie 26 unabhängige Kandidaten (davon 22 von der kurdennahen DTP) ins Parlament ein. Die Regierung Erdogan kann sich weiterhin auf eine stabile Parlamentsmehrheit stützen. Es wird erwartet, dass sie den Reformkurs fortführt.

 

Am 28.08.2007 wurde der bisherige Außenminister Abdullah Gül im dritten Wahlgang mit 339 (von 267 erforderlichen) Stimmen zum elften Staatspräsidenten der Türkei gewählt. Die vorgezogenen Parlamentswahlen, die anschließende Wahl des Präsidenten und die zügige Regierungsbildung haben zu einer Beruhigung und Konsolidierung der innenpolitischen Lage geführt. Sowohl Staatspräsident Gül als auch Ministerpräsident Erdogan kündigten eine Fortsetzung der Reformpolitik an.

 

Politische Opposition:

 

Das türkische Verfassungsgericht hatte früher in zahlreichen Fällen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Parteien zu verbieten. Die Schließungsverfahren richteten sich entweder gegen islamistische Parteien, z.B. 1998 die "Wohlfahrts-Partei" (Refah Partisi), 2001 die "Tugend- Partei" (Fazilet Partisi), oder pro-kurdische Parteien, z. B. DEP, HADEP. Mit dem Reformpaket vom 11.01.2003 hat die AKP-Regierung Reformen des Parteien- und Wahlgesetzes beschlossen sowie Partei- und Politikverbote erschwert.

 

Trotzdem wurde 2003 ein Verbotsverfahren gegen die kurdisch orientierte "Demokratische Volkspartei" (DEHAP), die Nachfolge- bzw. Schwesterpartei der HADEP, eingeleitet. Sie hat sich am 19.11.2005 selbst aufgelöst. Die DEHAP stand aufgrund einer mit der PKK und Abdullah Öcalan sympathisierenden Haltung vieler ihrer Mitglieder in der türkischen Öffentlichkeit im Verdacht, Verbindungen zur PKK zu unterhalten. Ihre Nachfolge trat die am 25.10.2005 gegründete "Partei für eine demokratische Gesellschaft" (DTP) an, zu der sich viele führende kurdische Politiker zusammengeschlossen haben und die zumindest teilweise noch mit der PKK symphatisiert. Ziel der DTP sei die friedliche Lösung des Kurdenkonflikts, verlautet aus der Partei, an deren Spitze einige der ehemaligen kurdischen Parlamentsabgeordneten stehen, die enge Kontakte zur Menschenrechtspreisträgerin Leyla Zana unterhalten.

 

Viele türkische Bürger kurdischer Abstammung sind bzw. waren Anhänger oder Mitglieder der die Interessen von Kurden vertretenden Parteien DTP, DEHAP (bis zu ihrer Selbstauflösung) bzw. HADEP (bis zu ihrem Verbot). Dem Auswärtigen Amt wurden zahlreiche Anfragen zu Mitgliedschaften von Asylbewerbern in der HADEP vorgelegt, auch zu Mitgliedschaften, die schon viele Jahre zurückliegen. Abgesehen davon, dass solche Mitgliedschaften in der HADEP nicht mehr in zuverlässiger Weise überprüft werden können, ist kein Fall bekannt geworden, in dem die einfache Mitgliedschaft in der HADEP oder in der DEHAP - ohne besondere, z.B. strafrechtlich relevante Verdachtsmomente - zu Repressalien gegen die Betreffenden geführt hätte.

 

Kurden:

 

Fachleute gehen davon aus, dass ungefähr ein Fünftel der Gesamtbevölkerung der Türkei von 72 Millionen - also ca. 14 Millionen Menschen - (zumindest teilweise) kurdischstämmig ist. Im Westen der Türkei und an der Südküste leben die Hälfte bis annähernd zwei Drittel von ihnen: ca. 3 Millionen im Großraum Istanbul, zwei bis drei Millionen an der Südküste, eine Million an der Ägäis-Küste und eine Million in Zentralanatolien. Ca. sechs Millionen kurdischstämmige Kurden leben in der Ost- und Südost-Türkei, wo sie in einigen Gebieten die Bevölkerungsmehrheit bilden. Kurden leben auch im Nord-Irak, Iran, in Syrien und Georgien. Nur ein Teil der kurdischstämmigen Bevölkerung in der Türkei ist auch einer der kurdischen Sprachen mächtig.

 

Allein aufgrund ihrer Abstammung sind und waren türkische Staatsbürger kurdischer und anderer Volkszugehörigkeit nie staatlichen Repressionen unterworfen. Über erhöhte Strafzumessung in Strafverfahren liegen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse vor. Aus den Ausweispapieren, auch aus Vor- oder Nachnamen, geht in der Regel nicht hervor, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (Ausnahme: Kleinkindern dürfen seit 2003 kurdische Vornamen gegeben werden). Die meisten Kurden sind in die türkische Gesellschaft integriert, viele auch assimiliert. In Parlament, Regierung und Verwaltung sind Kurden ebenso vertreten wie in Stadtverwaltungen, Gerichten und Sicherheitskräften. Ähnlich sieht es in Industrie, Wissenschaft, Geistesleben und Militär aus. Innenminister Aksu z.B. ist kurdischer Abstammung. Er hat Reden auf kurdisch gehalten, allerdings nicht bei offiziellen Anlässen.

 

Die Tatsache, dass "Separatismus" und "Mitgliedschaft in einer bewaffneten Bande" kurdischstämmigen Türken weit öfter als anderen Türken vorgeworfen wurden, liegt daran, dass Verbindungen mit und Unterstützung der Terrororganisation PKK sich nahezu ausschließlich aus kurdischstämmigen Kreisen rekrutierte.

 

Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis

 

Die in der Vergangenheit von Schwerfälligkeit, Ineffizienz, Unberechenbarkeit und Strenge geprägte türkische Strafjustiz hat sich verbessert. Im Strafrecht- und Strafprozessrecht kam es in den vergangenen Jahren zu umfassenden gesetzgeberischen Änderungen und Novellierungen. In der Rechtspraxis wurden ebenfalls wesentliche Verbesserungen festgestellt, ohne dass dabei aber das Tempo der anderen gesetzgeberischen Reformen erreicht werden konnte. Bei allen Mängeln, die der türkischen Justiz noch anhaften (z.B. lange Verfahrensdauer), sind Bestrebungen unverkennbar, rechtstaatliches Handeln durchzusetzen. Einzelne Vorkommnisse und Entscheidungen von Justizorganen lassen bisweilen an dieser Einschätzung zweifeln. Es zeigt sich jedoch, dass sich im Gegensatz zu früher staatsanwaltliches Unrecht nicht halten lässt, sondern revidiert wird. Dies erfordert bisweilen jedoch beträchtliche Gegenwehr der Betroffenen.

 

Bereits seit Inkrafttreten des neuen tStGB und der tStPO am 01.06.2005 wurden einige für Inhaftierte, Angeklagte und Beschuldigte günstigere Vorschriften beim Vergleich zwischen altem und neuem tStGB angewendet, auch beim Strafmaß. Dies hatte u.a. bereits zur Folge, dass Ende 2004/Anfang 2005 über 12.000 Straftäter aus der Haft entlassen wurden (Aussetzung der Haftvollstreckung), weil die über sie verhängten Strafen höher waren als die Höchststrafe nach dem neuen tStGB. Entsprechende Vergünstigungen gelten für Angeklagte und Beschuldigte. Verurteilungen bei Meinungsdelikten haben deutlich abgenommen.

 

Durch Gesetz vom 07.05.2004 wurde die Auflösung der Staatssicherheitsgerichte (SSG) beschlossen. Die Aufgabe, über Taten zu urteilen, die früher in die Zuständigkeit der SSG fielen, haben die "Gerichte für schwere Straftaten" (vergleichbar Große Strafkammer beim LG) übernommen. Die Zahl der entsprechenden Kammern wurde erhöht. Viele Richter der SSG wurden an "Gerichte für schwere Straftaten" versetzt. Eine Neuerung ist, dass das bisher bestehende System spezieller "Staatsanwaltschaften bei den SSG" - früher berüchtigt als harte Ermittler und Ankläger nach dem Grundsatz: "im Zweifel gegen den Beschuldigten" - nicht auf die neuen Gerichte übertragen wurde. Es gibt nur noch eine einheitliche Staatsanwaltschaft. Sonderzuständigkeiten für bestimmte Delikte sind jedoch weiterhin möglich. Die Rechte der Verteidigung wurden dadurch gestärkt, dass bisher bestehende Sonderregelungen für eingeschränkte Akteneinsicht aufgehoben wurden. Bei der Bewertung der SSG ist zu berücksichtigen, dass diese aufgrund von Gesetzesänderungen bereits 2002 bis 2004 nahezu identische strafprozessuale Vorschriften wie die ordentlichen Strafkammern angewandt haben.

 

Todesstrafe:

 

Das türkische Parlament hat mit Wirkung vom 09.08.2002 die Todesstrafe (außer im Kriegsfall und bei unmittelbarer Kriegsbedrohung, s.u.) abgeschafft und beschlossen, bestehende Todesurteile in (schwere) lebenslange Freiheitsstrafen umzuwandeln. Am 07.05.2004 hat das türkische Parlament auch in der Verfassung alle Bezüge auf die Todesstrafe, die zuvor bereits völkerrechtlich und einfachgesetzlich abgeschafft worden war, gestrichen.

 

Sippenhaft:

 

In der Türkei gibt es keine "Sippenhaft" in dem Sinne, dass Familienmitglieder für die Handlungen eines Angehörigen strafrechtlich verfolgt oder bestraft werden. Die nach türkischem Recht aussagepflichtigen Familienangehörigen - etwa von vermeintlichen oder tatsächlichen PKK-Mitgliedern oder Sympathisanten - werden allerdings zu Vernehmungen geladen, z.B. um über den Aufenthalt von Verdächtigen befragt zu werden. Werden Ladungen nicht befolgt, kann es zur zwangsweisen Vorführung kommen.

 

Haftbedingungen:

 

Die materiellen Haftbedingungen in türkischen Gefängnissen älterer Bauart (Unterbringungskapazität von bis zu 100 Häftlingen in Massenzellen) entsprechen bei weitem nicht internationalen Standards. Es existieren noch zwei Gefängnisse älterer Bauart mit Massenzellen - Bayrampasa in Istanbul und ein Gefängnis in Izmir (Stand: August 2006). 22 neue Gefängnisse waren 2006 im Bau, von denen einige inzwischen eröffnet wurden (E-Typ in Usak, demnächst eines in Antalya). Ziel der Justizverwaltung ist es, die Zahl der Haftanstalten in den nächsten Jahren auf 250 zu reduzieren.

 

Die neuen sog. F-Typ-Gefängnisse haben einen mitteleuropäischen Standard und können in vielerlei Hinsicht als vorbildlich bezeichnet werden (Zellengröße, Hygiene, Betätigungsmöglichkeiten für Gefangene, ärztliche Betreuung). Die Kritik auch türkischer Menschenrechtsorganisationen wegen der Gefahr einer Isolationshaft kann vom Auswärtigen Amt nach einer eingehenden Untersuchung von F-Typ-Gefängnissen und den Haftbedingungen nicht nachvollzogen werden. Der Anti-Folter-Ausschuss des Europarates hat die Türkei mehrfach besucht. In seinen veröffentlichten Berichten kommt das Komitee - wie auch eine Ad-hoc-Delegation des Europaparlaments - zu dem Ergebnis, dass die Haftbedingungen in den F-Typ Gefängnissen europäischen Standards genügen. Ende Januar 2007 hat das Justizministerium die Änderung der Strafvollzugsordnung für die F-Typ-Gefängnisse angeordnet. Danach sollen die Gefangenen in 10er-Gruppen 10 Stunden pro Woche Gelegenheit haben, zusammen zu kommen. Die Zusammenstellung der Gruppen erfolge durch die Gefängnisleitung. Für jeden Gefangenen werde unter Hinzuziehung eines Psychologen ein eigener Strafvollzugsplan aufgestellt.

 

Rückkehrer:

 

Ist der türkischen Grenzpolizei bekannt, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, wird diese nach Ankunft in der Türkei einer Routinekontrolle unterzogen, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann. Abgeschobene können dabei in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend zum Zwecke einer Befragung festgehalten werden. Gleiches gilt, wenn jemand keine gültigen Reisedokumente vorweisen kann oder aus seinem Reisepass ersichtlich ist, dass er sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland aufgehalten hat. Die Einholung von Auskünften kann je nach Einreisezeitpunkt und dem Ort, an dem das Personenstandsregister geführt wird, einige Stunden dauern. In neuerer Zeit wurde dem Auswärtigen Amt nur ein Fall bekannt, in dem eine Befragung bei Rückkehr länger als mehrere Stunden dauerte.

 

Besteht der Verdacht einer Straftat, werden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Wehrdienstflüchtige haben damit zu rechnen, gemustert und ggf. einberufen zu werden (u.U. nach Durchführung eines Strafverfahrens). Es sind mehrere Fälle bekannt geworden, in denen Suchvermerke zu früheren Straftaten oder über Wehrdienstentziehung von den zuständigen türkischen Behörden versehentlich nicht gelöscht worden waren, was bei den Betroffenen zur kurzzeitigen Ingewahrsamnahme bei Einreise führte.

 

Das Auswärtige Amt hat in den vergangenen Jahren Fälle, in denen konkret Behauptungen von Misshandlung oder Folter in die Türkei abgeschobener Personen (vor allem abgelehnter Asylbewerber) vorgetragen wurden, im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten durch seine Auslandsvertretungen überprüft. Dem Auswärtigen Amt ist seit vier Jahren kein einziger Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde. Auch die türkischen Menschenrechtsorganisationen haben explizit erklärt, dass aus ihrer Sicht diesem Personenkreis keine staatlichen Repressionsmaßnahmen drohen. Misshandlung oder Folter allein aufgrund der Tatsache, dass ein Asylantrag gestellt wurde, schließt das Auswärtige Amt aus.

 

Diese Feststellungen beruhen auf folgenden Quellen:

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, 25.10.2007

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, 11.01.2007

 

Fortschrittsbericht Türkei der EU-Kommission vom 06.11.2007

 

U.S. Department of State, Turkey, International Religious Freedom Report 2008, 19.09.2008

 

Home Office, Country of Origin Information Report, Turkey, 31.12.2007

 

Home Office, Operational Guidance Note, Turkey, 02.10.2008

 

3. Beweiswürdigung:

 

3.1. Den vom BF geschilderten Fluchtgründen war aus folgenden Erwägungen jegliche Glaubwürdigkeit abzusprechen:

 

3.1.1. Zunächst ist anzumerken, dass dem Vorbringen des BF, er habe die HADEP - bzw. DEHAP-Partei aktiv unterstützt, kein Glauben geschenkt werden kann. Bereits vor dem BAA etwa schilderte der BF seine politischen Tätigkeiten dahingehend, dass er bereits seit etwa 15 Jahren bis zuletzt HADEP unterstützt habe, wobei die Partei damals DEHAP geheißen habe (AS. 45). Diesbezüglich ist vom Asylgerichtshof zu betonen, dass - umgekehrt - DEHAP die "Nachfolgepartei" von HADEP ist und DEHAP erst im Oktober 1997 gegründet wurde. In der Beschwerdeverhandlung vermochte der BF zwar die "Reihenfolge" der Gründungen von DEHAP und HADEP richtig anzugeben, jedoch mangelte es ihm an grundlegendem Wissen hinsichtlich der Parteien. So konnte er auf Nachfragen des vorsitzenden Richters nicht angeben, wann HADEP gegründet wurde, sondern gab lediglich an, er würde HADEP seit etwa 15 Jahren unterstützen (Verhandlungsschrift Seite 4). Den Namen eines seinerzeitigen Parteivorsitzenden von HADEP konnte der BF nicht nennen und wich den Fragen des vorsitzenden Richters aus, indem er angab, er habe ein "Namensproblem", wodurch er sich nicht gut an Namen erinnern könne (Verhandlungsschrift Seite 5). Auch der Frage des vorsitzenden Richters, ob es ein Verbotsverfahren gegen HADEP gegeben habe, versuchte der BF in der Beschwerdeverhandlung mehrfach auszuweichen (Verhandlungsschrift Seite 5) und bejahte erst nach mehrmaligem Nachfragen, dass ein Verbotsverfahren stattgefunden habe, wobei er nicht angeben könne, wann HADEP verboten worden ist. Auch darin zeigt sich nach Ansicht des Asylgerichtshofes ganz klar die Unglaubwürdigkeit des BF: Wenn der BF tatsächlich - wie von ihm angegeben - an Sitzungen der HADEP teilgenommen und Menschen für die Partei zu mobilisieren versucht hätte, so kann es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass sich der BF nicht an den ungefähren Zeitpunkt des Verbots von HADEP erinnern kann. Im Übrigen sei auch - insbesondere, was die verschiedenen Parteibezeichnungen und Neugründungen anbelangt - bemerkt, dass ein durchschnittlicher türkischer Bürger bzw. Kurde die verschiedenen Parteibezeichnungen in Anbetracht der zahlreichen Neugründungen und Nachfolgeparteien verwechseln mag, jedoch gerade vom BF, der politisch aktiv gewesen sein will, ein derartiges Wissen sehr wohl verlangt werden kann.

 

3.1.2. Höchst unglaubwürdig stellen sich auch die Angaben des BF hinsichtlich der von ihm behaupteten, zahlreichen Inhaftierungen dar. So gab der BF bei seiner Einvernahme vor dem BAA am 05.01.2006 an, er sei insgesamt 8 Mal von zu Hause abgeholt und auf den Gendarmerieposten verbracht worden (AS. 43). In Widerspruch dazu gab der BF bei seiner Einvernahme vor dem BAA vom 07.12.2006 an, er sei im Monat 3 bis 5 Mal bzw. im Jahr etwa 15 Mal festgenommen worden (AS. 71). Allein die letzten 2 oder 3 Monate vor seiner Flucht sei der BF 7 oder 8 Mal festgenommen worden (AS. 71). Dazu wiederum in Widerspruch gab der BF in der Beschwerdeverhandlung an, er sei von den Wahlen im Jahr 2004 bis zu seiner Ausreise lediglich 3 Mal inhaftiert worden (Verhandlungsschrift Seite 6). Dass sich der BF einer konstruierten Geschichte bedient hat, zeigt sich auch in den Angaben des BF, was den Beginn der angeblichen Inhaftierungen anbelangt. So gab der BF in seiner Einvernahme vor dem BAA auf die Frage, wann die Festnahmen begonnen hätten, an, "Vor gut fünfzehn Jahren oder länger, ich weiß nicht mehr genau, wann es begonnen hat" (AS. 71). Erst in der Verhandlung vor dem Asylgerichtshof hingegen - welche 2 Jahre später stattfand - gab der BF diesbezüglich konkret an, er sei erstmals im Jahr 1988 von der Gendarmerie festgenommen und 2 Tage lang gefoltert worden, wobei seine Zehe verletzt worden sei (Verhandlungsschrift S. 3). Auch konnte der BF in der Beschwerdeverhandlung die Umstände dieser Festnahme genauer schildern; so habe sich die Festnahme anlässlich einer Newroz-Feier im Bezirk O. ereignet. Hätte der BF das Geschilderte tatsächlich erlebt, so ist davon auszugehen, dass er davon bereits vor dem BAA und nicht erst vor dem Asylgerichtshof hätte berichten können.

 

3.1.3. Was die Angaben des BF in seiner Einvernahme vor dem BAA anbelangt, wonach er im Monat 3 bis 5 Mal oder im Jahr etwa 15 Mal (auch) festgenommen worden sei, da er Angehöriger der Volksgruppe der Kurden sei, so ist dies unabhängig vom übrigen Vorbringen des BF schon an sich höchst unplausibel und steht auch in Widerspruch zum einschlägigen Berichtsmaterial. Diesbezüglich ist anzumerken, dass der BF vor dem BAA anmerkte, es würde im Wesentlichen allen Kurden so ergehen (AS. 71). So kann es nach Ansicht des Asylgerichtshofes völlig ausgeschlossen werden, dass die türkische Polizei die notwendigen Ressourcen hätte, um jeden der etwa 14 Millionen Kurden im Monat 3 bis 5 Mal oder im Jahr etwa 15 Mal festzunehmen. Nach dem aktuellen Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes sind türkische Staatsbürger kurdischer und anderer Volksgruppenzugehörigkeit allein auf Grund ihrer Abstammung keinen staatlichen Repressionen unterworfen (Verhandlungsschrift Seite 9). Auch vor diesem Hintergrund stellt sich das Vorbringen im Hinblick auf die behauptete allgemeine Verfolgung der Kurden als höchst unglaubwürdig dar.

 

3.1.4. Was die vom BF als Folge der angeblichen Misshandlungen vorgebrachte Verletzung einer Zehe anbelangt, so sieht der Asylgerichtshof in Anbetracht des klaren Beweisergebnisses des bisherigen Verfahrens keinerlei Anlass, die Zehe des BF einer Untersuchung durch einen medizinischen Sachverständigen zu unterziehen. Selbst wenn diesbezüglich ein Sachverständiger zu dem Ergebnis käme, dass die Quetschung der Zehe, welche seinerzeit zum Verlust eines Zehennagels und zu einem verdickten Nachwachsen des neuen Nagels geführt habe, tatsächlich von einem Schlag auf die Zehe herbeigeführt worden sein könnte, so könnte dies nicht dazu führen, dass das Vorbringen des BF für glaubwürdig zu erachten wäre. Bezeichnend für die mangelnde Glaubwürdigkeit des BF ist aber auch in diesem Zusammenhang, dass er auf die ausdrückliche Frage bei der ersten Einvernahme vor dem BAA, ob er auf Grund der behaupteten Misshandlungen Verletzungen davongetragen habe, angab, dies sei glaublich nicht der Fall (AS. 45). Erst bei seiner zweiten Einvernahme berichtete er sodann von seiner verletzten Zehe, wobei davon ausgegangen werden muss, dass im Fall des Zutreffens des Vorbringens des BF er seine Verletzung auf Nachfrage bereits bei der ersten Einvernahme vor dem BAA angegeben hätte. Dass die Angaben des BF hinsichtlich der Verletzung seiner Zehe nicht der Wahrheit entsprechen können, zeigt sich auch anlässlich des bereits oben beschriebenen Widerspruchs, wonach der BF vor dem BAA nicht genau angeben konnte, wann die Inhaftierungen begonnen hätten, während er vor dem Asylgerichtshof konkret das Jahr 1988 nennen konnte: So schilderte der BF in der Verhandlung vor dem Asylgerichtshof, dass ihm die Verletzung seiner Zehe bei seiner ersten Inhaftierung (im Jahr 1988) zugefügt worden sei. Insofern erhellt nicht, warum der BF dann nicht bereits vor dem BAA solcherart nähere Angaben zu seiner ersten Inhaftierung machen konnte, wobei nochmals darauf hingewiesen sei, dass der BF bei seiner ersten Einvernahme vor dem BAA überhaupt angab, er habe im Rahmen seiner Inhaftierungen glaublich keine Verletzungen erlitten.

 

3.1.5. Abschließend ist festzuhalten, dass sich der BF nach Ansicht des Asylgerichtshofes einer konstruierten Geschichte bedient hat. Auch machte der BF persönlich sowohl auf den vorsitzenden, als auch auf den beisitzenden Richter einen höchst unglaubwürdigen Eindruck.

 

3.2. Die Feststellungen zur Lage in der Türkei beruhen auf den angeführten Quellen, an deren Seriosität und Plausibilität der Asylgerichtshof keine Bedenken hegt. Der vom BF in der Beschwerdeverhandlung erwähnte, nicht mit seiner Person in Zusammenhang stehende Folterfall sowie die gänzlich unbelegte Behauptung, es sei wieder eine Spezialeinheit eingeführt worden, welche Kurden ermorde, vermag das von den Länderberichten vorgezeichnete Lagebild nicht entscheidungswesentlich zu erschüttern.

 

Was die vom BF anlässlich seiner Wiedereinreise in die Türkei behauptete Befürchtung anbelangt, er würde festgenommen und nicht wieder freigelassen werden, so hegt der Asylgerichtshof keine Bedenken an dem Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes, wonach zwar die Formalitäten bei der Einreise bis zu einigen Stunden in Anspruch nehmen können, dass aber Misshandlungen oder Folter wegen der Asylantragstellung ausgeschlossen sind (Verhandlungsschrift S. 11/12).

 

III. Rechtlich folgt daraus:

 

1. Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 werden alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende geführt. § 44 AsylG 1997 gilt.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005, hinzugefügt durch Art. 2 Z. 54 Asylgerichtshofgesetz AsylGHG 2008, sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt. In analoger Anwendung dieser Bestimmung tritt an die Stelle des Begriffes "Berufungswerber" der Begriff "Beschwerdeführer".

 

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat das erkennende Gericht, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Es ist berechtigt, im Spruch und in der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

2. Nichtgewährung von Asyl gem. § 7 AsylG

 

2.1. Gemäß § 7 AsylG 1997 hat der Asylgerichtshof Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt. Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

 

Zentraler Aspekt der dem § 7 AsylG 1997 zugrunde liegenden, in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334). Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sei, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (vgl. VwGH 21.09.2000, Zl. 2000/20/0241; VwGH 14.11.1999, Zl. 99/01/0280). Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 19.04.2001, Zl. 99/20/0273; VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334). Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

 

2.2. Wie im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, ist das Vorbringen des BF unglaubwürdig und somit nicht der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen. Eine Asylgewährung aus den vom BF geschilderten Fluchtgründen kommt folglich nicht in Betracht.

 

Folglich ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids abzuweisen.

 

3. Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Absatz 1 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei

 

3.1. § 124 Abs. 2 FPG 2005 besagt, dass - soweit in anderen Bundesgesetzen auf Bestimmungen des Fremdengesetztes 1997 verwiesen wird, - die entsprechenden Bestimmungen dieses Bundesgesetzes and deren Stelle treten.

 

Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist (vormals § 57 FrG 1997, nunmehr § 50 FPG 2005); diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 1997 ist Fremden, deren Asylantrag aus anderen Gründen als den Asylausschlussgründen (§ 13) abgewiesen wurde, von jener Asylbehörde mit Bescheid eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen, von der erstmals festgestellt wurde, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung unzulässig ist.

 

Gemäß § 50 Abs. 1 FPG 2005 ist die Zurückweisung, die Hinderung an der Einreise, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre.

 

Gemäß § 50 Abs. 2 FPG 2005 ist die Zurückweisung oder Zurückschiebung Fremder in einen Staat oder die Hinderung an der Einreise aus einem Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

Gemäß Art 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

 

Die bloße Möglichkeit, einer dem Art 3 MRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG 1997 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH E vom 27.02.1997, Zl. 98/21/0427).

 

Der Fremde hat das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG 1997 glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH E vom 02.08.2000, Zl. 98/21/0461; VwGH E vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

3.2. Wie bereits bezüglich der Abweisung des Asylantrages ausgeführt, bestehen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass das Leben oder die Freiheit des BF aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten aktuell bedroht wäre, weshalb kein Fall des § 50 Abs. 2 FPG 2005 vorliegt.

 

3.3. Zu prüfen bleibt, ob es begründete Anhaltspunkte dafür gibt, dass durch die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in dessen Herkunftsstaat Artikel 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt würde oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes gegeben ist (§ 50 Absatz 1 Fremdenpolizeigesetz).

 

Diesbezüglich ist wiederum festzuhalten, dass das Vorbringen des BF zu seinen Fluchtgründen der rechtlichen Beurteilung mangels Glaubwürdigkeit nicht zugrunde zu legen ist.

 

Im Übrigen stellt sich die Situation laut einschlägigem Berichtsmaterial nicht dermaßen dar, dass quasi jeder, der in die Türkei abgeschoben wird - mag es sich auch um einen Angehörigen der Volksgruppe der Kurden handeln -, dort mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit einer dem Art 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre.

 

Aufgrund der getroffenen Feststellungen deutet bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Umstände auch nichts darauf hin, dass der BF im Falle einer Rückverbringung in seinen Herkunftsstaat als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt wäre, zumal dort solche Konflikte nicht bestehen.

 

3.4. Darüber hinaus ist anzumerken, dass es sich beim BF um einen arbeitsfähigen Mann handelt, der in der Türkei bereits auf Baustellen gearbeitet hat und Viehzucht betrieb. In der Türkei verfügt er über ein Netz von Angehörigen, darunter seine Mutter und zwei Schwestern sowie drei Brüder. Seine Mutter besitzt eine Landwirtschaft. Es bestehen somit keinerlei Hinweise darauf, dass der BF in eine Notlage geraten würde, die seine Verbringung in die Türkei im Sinne des Art 3 EMRK unzulässig machen würde.

 

Der BF hat schließlich auch weder eine lebensbedrohende Erkrankung noch einen sonstigen auf seine Person bezogenen "außergewöhnlichen Umstand" behauptet oder bescheinigt, der ein Abschiebungshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK iVm § 8 Abs. 1 AsylG darstellen könnte. Der vom BF geschilderte Juckreiz, der verdickte Zehennagel und die Knieschmerzen des BF sind diesbezüglich nicht relevant.

 

Die Abschiebung des BF in die Türkei stellt somit keine Verletzung von Art 2 oder 3 EMRK dar und ist folglich die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des Bescheides des Bundesasylamtes abzuweisen.

 

4. Zulässigkeit der Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei gemäß § 8 Abs 2 AsylG

 

4.1. Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG hat die Behörde den Bescheid mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Asylantrag abgewiesen wird und die Überprüfung gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ergeben hat, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat zulässig ist.

 

Der gegenständliche Asylantrag ist abzuweisen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat für zulässig zu erklären. Es liegt daher bei Erlassung dieses Erkenntnisses kein rechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet mehr vor.

 

Bei Ausspruch der Ausweisung kann ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens vorliegen (Art. 8 Abs 1 EMRK).

 

4.2. Der Begriff des "Familienlebens" in Artikel 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern, sondern auch zB Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben im Sinne des Artikel 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Artikel 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus. Die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander anhängig sind (vgl. dazu EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215; EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981,118; EKMR 14.3.1980, 8986/80 EuGRZ 1982,311; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1).

 

Auch der Verwaltungsgerichtshof führt beispielsweise in seinem Erkenntnis vom 21.01.2006, Zahl 2002/20/0423, aus, dass die Beantwortung Frage, "ob außerhalb des Bereiches des insbesondere zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienlebens iSd Art. 8 MRK ein Familienleben vorliegt, [...] nach der Rechtsprechung des

 

EGMR jeweils von den konkreten Umständen ab[hängt], wobei für die Prüfung einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung gegebenenfalls auch die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung sind (Hinweis Entscheidung EGMR 13. Juni 1979, Marckx gegen Belgien; Entscheidung EGMR 12. Juli 2001, K. und T. gegen Finnland; E VfGH 15. Oktober 2004, G 237/03; E VfGH 1. März 2005, B 1242/04)."

 

Im Lichte der dargestellten Judikatur reicht die bloße Verwandtschaft zwischen Erwachsenen nicht aus, um von einem nach Artikel 8 EMRK geschützten Familienleben zu sprechen. Hiezu bedarf es der Existenz jener weitergehenden Bindungsfaktoren, wie sie die (restriktive) Rechtssprechung der Strassburger Instanzen und der nationalen Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts berücksichtigt, und die über die normalen emotionalen Bindungen von erwachsenen Verwandten hinausgehen. Allerdings darf das Kriterium der "Abhängigkeit" nicht isoliert betrachtet oder zu eng ausgelegt werden, sondern bedarf es einer ganzheitlichen Bewertung (siehe hiezu ebenfalls VwGH 21.01.2006, Zahl 2002/20/0423; zur Reichweite von Artikel 8 EMRK vgl. auch zuletzt VwGH 08.06.2006, Zahl 2003/01/0600).

 

4.3. Festzuhalten ist, dass ein Bruder des BF in Österreich aufhältig ist, wobei dieser Bruder in L. wohnt, während der BF in G. lebt. Den Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung zufolge sehen sie sich manchmal. Von einem Familienleben iSd Art 8 EMRK kann vor diesem Hintergrund jedoch nicht gesprochen werden.

 

Weiters ist festzuhalten, dass den Angaben des BF zufolge mehrere Cousins in Österreich leben, wobei der BF mit einem Cousin, nämlich H.S., welcher über eine Niederlassungsbewilligung verfügt, seit 00.00.2008 an der gleichen Adresse in G. gemeldet ist und somit ein gemeinsamer Haushalt besteht. In seiner Heimat habe der BF jedoch nie mit H.S. zusammengelebt (Verhandlungsschrift S. 8). Nach Ansicht des Asylgerichtshofes kann in Anbetracht der Umstände, dass der BF in seiner Heimat nie mit seinem Cousin H.S. zusammengelebt hat sowie auch hier in Österreich erst vor sehr kurzer Zeit bei seinem Cousin Unterkunft nahm, nicht von einem Familienleben iSd Art 8 EMRK (zu seinem Cousin) gesprochen werden.

 

4.4. Ist im gegenständlichen Fall ein Eingriff in das Familienleben des BF zu verneinen, so bleibt noch zu prüfen, ob mit der Ausweisung ein Eingriff in dessen Privatleben einhergeht und bejahendenfalls, ob dieser Eingriff eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist (Artikel 8 Absatz 2 EMRK).

 

4.4. Nach der Rechtssprechung des EGMR (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat, unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (zB. eine Ausweisungsentscheidung) auch in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in einem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).

 

4.5. Im Fall des am 18.12.2005 illegal nach Österreich eingereisten BF hat das bisherige Verfahren keine Anhaltspunkte für die Annahme besonderer sozialer oder wirtschaftlicher Beziehungen in Österreich ergeben bzw. wurden solche auch nicht behauptet. Aber auch eine anderweitige Aufenthaltsverfestigung, die die Annahme einer Prävalenz der hier bestehenden Bindungen gegenüber jenen zum Herkunftsstaat rechtfertigen würde, wird durch den bisherigen, verhältnismäßig kurzen Aufenthalt in Österreich kontraindiziert. Ein Eingriff in das Privatleben des BF kann daher im Falle einer Ausweisung in die Türkei nicht festgestellt werden, weshalb es einer Interessenabwägung im Sinne des Artikel 8 Absatz 2 EMRK nicht bedarf.

 

Folglich war die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des bekämpften Bescheides abzuweisen.

 

Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, Glaubwürdigkeit, non refoulement
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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