TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/19 D10 255610-3/2008

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Veröffentlicht am 19.11.2008
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Spruch

D10 255610-3/2008/13E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter MMag. Thomas E. SCHÄRF als Vorsitzenden und den Richter DDr. Markus GERHOLD als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Andrea LECHNER über die Beschwerde der Z.M., geb. 00.00.1997, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 24. November 2006, FZ. 03 28.348-BAT, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22. Oktober 2008 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben, Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gem. § 66 Abs. 4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. I Nr. 1991/51, idgF. behoben und der Beschwerdeführerin gemäß §§ 10, 11 Abs. 1 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997, idF. BGBl. I 126/2002 (AsylG 1997) Asyl gewährt.

 

Gemäß § 12 AsylG 1997 wird festgestellt, dass Z.M. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

 

I. Sachverhalt und Verfahrensgang:

 

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig, gelangte gemeinsam mit ihrer Mutter, einem Bruder und einer Schwester unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und beantragte am 17. September 2003 die Zuerkennung von Asyl. Bei ihren niederschriftlichen Einvernahmen durch das Bundesasylamt führte die Mutter der Beschwerdeführerin im Wesentlichen aus, der Vater der Beschwerdeführerin habe sich in Tschetschenien von 1994 bis 1996 als (Widerstands-) Kämpfer betätigt. Im Jahr 2003 habe er erfahren, dass gegen ehemalige Kämpfer eine Untersuchung eingeleitet worden sei und wäre nach einer Warnung mit dem älteren Sohn, dem Bruder der Beschwerdeführerin, aus Angst vor Säuberungen nach Inguschetien geflohen. Nach der Flucht ihres Mannes hätten maskierte Soldaten dann zu Hause auch nachts zweimal nach diesem gesucht, dabei sei die Wohnung durchwühlt und seien Fotos (des Vaters der Beschwerdeführerin) mitgenommen worden. Auch sei ihr jüngerer Sohn vor ihrer Flucht vergewaltigt worden. Sie selbst habe Tschetschenien aus Angst vor Säuberungsaktionen, weiteren Durchsuchungen und aus Angst um ihre Kinder verlassen.

 

Mit Bescheid der Asylbehörde erster Instanz vom 11. November 2004 wurde der Asylantrag der Beschwerdeführerin abgewiesen, ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation für zulässig erklärt und die Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Gegen diesen Bescheid wurde am 18. November 2004 fristgerecht Berufung erhoben. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates (UBAS) vom 15. September 2006 wurde der erstinstanzliche Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 24. November 2006 wurde der Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen, gleichzeitig aber deren Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation für nicht zulässig erklärt und eine befristete Aufenthaltsbewilligung erteilt. Das Vorbringen der Mutter der Beschwerdeführerin sei unglaubwürdig gewesen, es bestünden allerdings Abschiebehindernisse für russische Staatsbürger tschetschenischer Abstammung. Die Mutter stehe überdies in psychotherapeutischer Behandlung. Die Vergewaltigung des Bruders der Beschwerdeführerin sowie die weiteren vorgebrachten Fluchtgründe würden nicht die Beschwerdeführerin bzw. deren Mutter selbst betreffen, und sei sie selbst keinen Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen.

 

Mit der gegenständlichen und am 28. November 2007 fristgerecht eingebrachten und gegen Spruchpunkt I. gerichteten Berufung (nunmehr: Beschwerde) macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Die im bekämpften Bescheid enthaltene Beweiswürdigung habe sich ausschließlich in allgemeinen Ausführungen ohne individuellen Bezug auf ihr Fluchtvorbringen erschöpft. Die vorgebrachten Verfolgungshandlungen gegen ihren Vater und ihren Bruder hätten natürlich auch Bezug zu ihrer Person bzw. jener der Mutter gehabt und sei die vorliegende posttraumatische Belastungsstörung der Mutter ein Indiz dafür. Im Falle der Rückkehr nach Russland würden Inhaftierung sowie unmenschliche, erniedrigende Behandlung und Folter drohen.

 

Der Vater der Beschwerdeführerin, ebenfalls Staatsbürger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig, gelangte gemeinsam mit dem älteren Bruder und dessen Ehefrau unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und beantragte am 24. Mai 2007 internationalen Schutz.

 

Bei seinen niederschriftlichen Einvernahmen durch die Polizeiinspektion St. Georgen im Attergau am 25. Mai 2007 einerseits sowie durch das Bundesasylamt am 31. Mai und 29. November 2007 andererseits führte der Vater der Beschwerdeführerin im Wesentlichen aus, er habe bereits 2003 aus Angst vor ethnischen Säuberungen gemeinsam mit seinem älteren Sohn Tschetschenien verlassen und sei mit diesem nach Inguschetien geflohen. Nach seiner 2006 erfolgten Rückkehr nach Grozny habe er aber feststellen müssen, dass sich die Lage für ihn nicht beruhigt hat. So seien im Januar 2007 unbekannte, maskierte russische Männer in sein Haus eingedrungen, hätten den Auslandsaufenthalt der Mutter der Beschwerdeführerin zur Sprache gebracht, die Wohnung durchsucht und ihn aufgefordert, das ihm aus dem Ausland angeblich übersandte Geld herauszugeben. Das zu diesem Zeitpunkt in der Wohnung vorhandene Bargeld sei dann entwendet worden. Nach etwa zwei Wochen habe er erneut "Besuch" erhalten und sei von ihm unter Setzung einer Frist von drei Tagen die Bezahlung von 2.000 US$ verlangt worden. Er habe daraufhin auch aus Angst um sich und seinen damals zwanzigjährigen Sohn den Entschluss gefasst, Tschetschenien zu verlassen. Anzeigen bei der Polizei habe er für sinnlos erachtet.

 

Bei der seitens des Asylgerichtshofes am 22. Oktober 2008 abgehaltenen öffentlich mündlichen Beschwerdeverhandlung wiederholte der Vater der Beschwerdeführerin sein bisher erstattetes Vorbringen. Ergänzend brachte er vor, habe von 1994 bis 1996 beim Widerstand selbst gekämpft bzw. die kämpferischen Einheiten in näher geschilderter Weise organisatorisch unterstützt. Nachdem er mit seinem Sohn im März 2003 aufgrund von ethnischen Säuberungen und Verfolgungshinweisen nach Inguschetien geflohen sei, habe er in T. gelebt. Sein Sohn sei zum Zeitpunkt des ersten Vorfalles mit den Militärs im Jahre 2007 bei dessen Schwiegereltern aufhältig gewesen und habe er ihn nach seiner Rückkunft sogleich wieder zu diesen "zurückgeschickt". Er habe Angst gehabt, dass man den Sohn allenfalls als "Faustpfand" verwenden werde. Im Falle einer Rückkehr würden die Militärs ihn, insbesondere aber auch seinen älteren Sohn mit Sicherheit "mitnehmen".

 

Bei der getrennt erfolgten Vernehmung der Mutter der Beschwerdeführerin wiederholte diese ihr bislang schriftlich und mündlich erstattetes Vorbringen vollinhaltlich.

 

Mit hg. Erkenntnis vom 10. November 2008, GZ. D10 316732-1/2008/8E, wurde dem Vater der Beschwerdeführerin, Z.I., gemäß § 3 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Der Mutter der Beschwerdeführerin, Z.R., wurde mit hg. Erkenntnis vom 13. November 2008, GZ. D10 255363-4/2008/21E, gemäß § 7 Asylgesetz 1997 Asyl gewährt.

 

Mit Schriftsatz vom 18. November 2008 beantragte die Beschwerdeführerin die Einschränkung ihres Asylantrages auf einen Asylerstreckungsantrag gemäß § 10 Asylgesetz 1997.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

II.1. Beweisaufnahme und Ermittlungsverfahren:

 

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde in dem seitens des Gerichtshofes angestrengten Ermittlungsverfahren Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den die Person der Beschwerdeführerin betreffenden Verwaltungsakt des Bundesasylamtes, die den Vater Z.I., die Mutter Z.R. sowie den Bruder Z.A. betreffenden Verwaltungsakte des Bundesasylamtes, vorgelegte Dokumente, die hg. Akte des Bruders Z.A. sowie des Vaters und der Mutter der Beschwerdeführerin, die Einvernahmen der Eltern der Beschwerdeführerin sowie des Bruders Z.A. in der seitens des Gerichtshofes am 22. Oktober 2008 abgehaltenen öffentlich mündlichen Verhandlung sowie durch Erörterung der in der Verhandlung eingeführten Länderdokumente.

 

Aufgrund des Ermittlungsverfahrens und der vorgenommenen Beweisaufnahme steht nachstehender entscheidungswesentlicher

Sachverhalt fest:

 

II.2. Zur Person der Beschwerdeführerin:

 

Die Identität der Beschwerdeführerin ist als Z.M., geboren am 00.00.1997, erwiesen. Die Beschwerdeführerin ist Staatsbürgerin der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig. Sie ist eheliche Tochter der Z.R. geb. B., geboren am 00.00.1962, sowie desFehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden. Z.I., geboren am 00.00.1961. Dem Vater der Beschwerdeführerin wurde mit hg. Erkenntnis vom 10. November 2008 zu GZ. D10 316732-1/2008/8E, der Status des Asylberechtigten zuerkannt, und auch der Mutter wurde mit hg. Erkenntnis vom 13. November 2008 zu GZ. D10 255363-4/2008/21E, Asyl gewährt.

 

III. Beweiswürdigung:

 

Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführerin beruhen auf den im erstinstanzlichen Verwaltungsakt einliegenden sowie im Verfahren vor dem Asylgerichtshof vorgelegten, unbedenklichen Standesdokumenten.

 

IV. Rechtlich folgt daraus:

 

Gemäß Art. 151 Abs. 39 Z. 4 B-VG sind am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen. Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind gemäß § 75 Abs. 7 Z. 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF. (AsylG 2005) von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 idgF. sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen, wobei § 44 AsylG 1997 gilt. Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, sind gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF. der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101/2003, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997, idF. des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 zu führen.

 

Die §§ 8, 15, 22, 23 Abs. 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a AsylG 1997 idF. BGBl. I Nr. 101/2003 sind gemäß § 44 Abs. 3 AsylG 1997 idF. der AsylG-Novelle 2003 auch auf Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, anzuwenden.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der Asylantrag am 17. September 2003 gestellt, sodass das AsylG 1997 idF. BGBl. I 126/2002 (AsylG 1997) zur Anwendung kommt.

 

Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG), BGBl I 2008/4, sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985, nicht anderes ergibt, die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde außer im Falle des § 66 Abs. 2, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden.

 

Gemäß § 13 Abs. 8 AVG kann der verfahrenseinleitende Antrag in jeder Lage des Verfahrens geändert werden. Durch die Einschränkung des Asylantrags auf einen Asylerstreckungsantrag wurde die Sache ihrem Wesen nach nicht geändert und die sachliche und örtliche Zuständigkeit nicht berührt.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 1997 begehren Fremde mit einem Asylerstreckungsantrag die Erstreckung des einem Angehörigen aufgrund eines Asylantrags oder von Amts wegen gewährten Asyls. Gemäß Abs. 2 leg. cit. können Asylerstreckungsanträge frühestens zur selben Zeit wie der der Sache nach damit verbundene Asylantrag eingebracht werden. Sie sind nur für Eltern eines Minderjährigen oder für Ehegatten und minderjährige unverheiratete Kinder zulässig; für Ehegatten überdies nur dann, wenn die Ehe spätestens innerhalb eines Jahres nach der Einreise des Fremden geschlossen wird, der den Asylantrag eingebracht hat.

 

Die Behörde hat gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 1997 aufgrund eines zulässigen Antrages durch Erstreckung Asyl zu gewähren, wenn dem Asylwerber die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) mit dem Angehörigen in einem anderen Staat nicht möglich ist.

 

Asyl durch Erstreckung kann daher lediglich dann gewährt werden, wenn der diesbezügliche Antrag zulässig ist, einem der in § 10 Abs. 2 AsylG 1997 genannten Angehörigen des Asylwerbers aufgrund eines Asylantrages oder von Amts wegen Asyl gewährt wurde, und die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Angehörigen in einem anderen Staat nicht möglich ist.

 

Diese Voraussetzungen sind im gegenständlichen Fall erfüllt. Wie den oben getroffenen Feststellungen zu entnehmen ist, wurde der Mutter der mj. Beschwerdeführerin Asyl gewährt. Somit liegt die gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 1997 geforderte Voraussetzung vor.

 

Da überdies keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beschwerdeführerin ein Familienleben mit ihren Eltern in einem anderen Staat möglich wäre, war der Beschwerdeführerin durch Erstreckung Asyl zu gewähren.

 

Gemäß § 12 AsylG 1997 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Beschwerdeführerin damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war sohin ersatzlos zu beheben und spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Asylerstreckung
Zuletzt aktualisiert am
10.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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