TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/27 E10 257945-0/2008

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Veröffentlicht am 27.11.2008
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Spruch

GZ. E10 257.945-0/2008-9E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. H. LEITNER als Vorsitzenden und den Richter Mag. R. ENGEL als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Fr. S. DUTZLER über die Beschwerde des A.M., geb. 00.00.1994, StA. Aserbaidschan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.02.2005, FZ. 04 16.961-BAG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.10.2008 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und BF gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 129/2004 iVm § 75 Abs. 1 AsylG 2005 BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2008/4 Asyl gewährt.

 

Gemäß § 12 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 129/2004 iVm § 75 Abs. 1 AsylG 2005 BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2008/4 wird festgestellt, dass BF damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Der Asylgerichtshof nimmt den nachfolgenden Sachverhalt als erwiesen an:

 

1. Bisheriger Verfahrenshergang

 

1.1. Der Beschwerdeführer, Staatsangehöriger von Aserbaidschan, reiste unter Umgehung der Grenzkontrolle in das österreichische Bundesgebiet ein und brachte am 23.08.2004 einen Asylantrag ein. Dazu wurde seine gesetzliche Vertretung an den im bekämpften Bescheid ersichtlichen Daten von einem Organwalter des Bundesasylamtes niederschriftlich einvernommen. Der Verlauf dieser Einvernahmen ist im angefochtenem Bescheid vollständig wiedergegeben.

 

1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.02.2005 FZ. 04 16.961-BAG wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I). Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in dessen Herkunftsstaat wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 für zulässig erklärt (Spruchpunkt II). Gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. wurde er aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Herkunftsstaat ausgewiesen (Spruchpunkt III).

 

1.3. Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 17.02.2005 innerhalb offener Frist "Berufung" [nunmehr: "Beschwerde"] erhoben. Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerde wird auf den Akteninhalt verwiesen.

 

1.4. Am 2.9.2008 führte der Asylgerichtshof eine öffentlich mündliche Verhandlung durch. Deren wesentlicher Verlauf wird wie folgt wieder gegeben:

 

"...

 

VR: Haben Sie beim Bundesasylamt immer die Wahrheit gesagt oder möchten Sie etwas richtigstellen?

 

BF1 und BF2: Wir haben immer die Wahrheit gesagt und haben nichts richtig zu stellen. Wir haben alle Dokumente vorgelegt.

 

VR: Hat sich seit der Einbringung der Berufung [Beschwerde] an den Gründen, warum Sie Aserbaidschan verlassen haben, etwas geändert?

 

BF1 und BF2: Nein.

 

VR: Möchten Sie Ihre Angaben, warum Sie Aserbaidschan verlassen haben bzw. nicht mehr dorthin zurückkehren wollen, ergänzen?

 

BF1 und BF2: Es gibt nichts zu ergänzen.

 

VR: Schildern Sie Ihre privaten und familiären Anknüpfungspunkte in Österreich

 

BF1: Außer meiner Familie befindet sich noch mein Bruder hier in Österreich. Er hat die Schwester von BF2 geheiratet.

 

BF2: Außer meiner Familie befinden sich noch meine Mutter, mein Bruder und zwei Schwestern in Österreich. Sie sind schon alle anerkannte Flüchtlinge.

 

VR: Schildern Sie die darüber hinausgehenden privaten und familiären Anknüpfungspunkte ihrer Kinder.

 

BF1 und BF2: Sie haben keine, unsere Kinder sind noch klein.

 

VR: Wie geht es Ihnen und Ihren Kindern gesundheitlich (psychisch und physisch)

 

BF1 und BF2: Wir sind gesund.

 

VR beginnt mit der Befragung des BF1. BF2 verlässt nach Aufforderung den Verhandlungssaal.

 

VR: Wollen Sie etwas angeben, was BF2 nicht wissen soll oder wovor Sie sich schämen, wenn Sie es im Rahmen einer öffentlichen Verhandlung schildern sollen?

 

BF1: Nein.

 

VR: Nennen Sie bitte sämtliche Wohnsitze, welche Sie in Aserbaidschan seit 1990 bis zu Ihrer Ausreise wie lange unterhielten.

 

BF1: Aserbaidschan, Baku, bis 1999 haben wir dort gelebt.

 

VR: Wann haben Sie sich entschlossen, Aserbaidschan zu verlassen?

 

BF1: Wir wollten schon früher ausreisen, wussten aber nicht wohin wir fahren sollen. Wir wussten nicht, dass es Asyl gibt, wir kannten das Wort nicht. Wir sind einfach weggefahren zu Bekannten in Minsk, wo wir drei Monate blieben. Wir sind schwarz und konnten uns dort nicht in der Öffentlichkeit bewegen und sind nach Polen weitergefahren.

 

VR: Was war der unmittelbare Anlass, der Sie veranlasste, Aserbaidschan zu verlassen?

 

BF1: Es gab viele Vorfälle. Einmal wurde ich mit dem Messer niedergestochen und bin fast gestorben. Es gab ständig Angriffe auf unsere Wohnung. Ich wurde hierbei auch verletzt. Es wurde in Österreich bestätigt, und ich wurde hier operiert.

 

VR: Wer war bei diesen Übergriffen anwesend?

 

BF1: Es passierte nicht einmal, sondern mehrerer Male. Wir wollten ihnen erklären, dass wir nicht solche Leute sind. Sie bezeichneten uns als Armenier. Ich wollte ihnen es erklären, ohne dass sie zugehört haben, begannen sie auf mich einzuschlagen und mit dem Messer auf mich loszugehen.

 

VR: Wann fand der letzte Angriff vor Ihrer Ausreise statt?

 

BF1: Dieser Angriff, als ich mit dem Messer bedroht wurde, war 1992. Danach lebten wir an verschiedenen Plätzen, bei Verwandten für ein paar Tage oder ein Monat, bevor wir wieder nach Hause zurückkehrten.

 

VR: Wann wurde Ihre Wohnung angegriffen?

 

BF1: 1991. Diese Probleme haben im Jahr 1989 begonnen, nachdem wir geheiratet haben, weil meine Schwiegermutter Armenierin ist.

 

VR: Wenn ich mir das so anhöre, dann könnte man sagen, dass von 1992 bis 1999 nichts passierte?

 

BF1: (BF1 wird die Frage näher erklärt) Es gab Angriffe. Sie haben mich ein paar Mal abgeholt und ein paar Tage festgehalten. Dann sind unsere Verwandten gekommen und haben Schmiergeld bezahlt.

 

VR: Wann war das?

 

BF1: Es passierte von 1992 bis zur Ausreise.

 

VR: Schildern Sie den Vorfall vor Ihrer Ausreise. Wann war dieser Vorfall und was passierte bei diesem Vorfall?

 

BF1: Es sind bald 10 Jahre, dass ich mein Heimatland verlassen habe. Das war 1996 oder 1997, als ich abgeholt wurde.

 

VR: Dann war von 1997 bis 1999 nichts mehr?

 

BF1: Es gab nichts Besonderes. Wir haben ruhig aber doch ängstlich gelebt. Meine Frau ging nie außer Haus. Wäre ich oder mein Bruder nicht zu Hause gewesen, dann wäre sie lieber ohne Brot zu Hause geblieben, als außer Haus zu gehen um eins zu kaufen.

 

VR: Wie oft wurden Sie von der Polizei mitgenommen?

 

BF1: Ein paar Mal. Wenn irgendwo etwas passierte, kamen sie immer zu uns zuerst. Sie haben uns geschlagen. Einmal wurde ich so geschlagen, dass ich auf dem rechten Ohr nicht mehr gut höre.

 

VR: Warum ist man immer zu Ihnen gekommen, wenn etwas passierte?

 

BF1: Weil wir eine gemischte armenische Familie waren. Sie halten uns für Armenier.

 

VR: Was würde Sie konkret erwarten, wenn Sie nach Aserbaidschan zurückkehren würden?

 

BF1: Ich weiß es nicht. Wenn ich meine Familie hier lassen werde, und ich alleine nach Aserbaidschan fahren werde, dann würde nichts passieren. Ich habe nur Probleme wegen meiner Familie, weil meine Frau eine Armenierin ist.

 

VR: Welche Probleme hätten Sie in Aserbaidschan nicht, wenn Ihre Gattin nicht teilweise armenischstämmig wäre?

 

BF1: Wäre sie keine Armenierin gewesen, hätte ich keine Probleme gehabt. Mein Vater, mein Onkel, alle wohnen dort. Mein anderer Bruder hat eine aserbaidschanische Frau und hat dort keine Probleme.

 

VR beginnt mit der Befragung des BF2, welche aufgerufen wird. BF1 verlässt nach Aufforderung den Verhandlungssaal.

 

VR: Wollen Sie irgendetwas angeben, was BF1 nicht wissen soll oder wovor Sie sich schämen es in diesem Kreis im Rahmen einer öffentlichen Verhandlung zu erzählen?

 

BF2: Nein.

 

VR: Nennen Sie bitte sämtliche Wohnsitze, welche Sie in Aserbaidschan seit 1990 bis zu Ihrer Ausreise wie lange unterhielten.

 

BF2: K. ist unsere letzte Adresse. Ich hatte keinen Meldezettel. Lebte aber in K..

 

VR: Wann haben Sie sich entschlossen, Aserbaidschan zu verlassen?

 

BF2: 1999 oder 1998 als wir ausgereist sind. Ich weiß nicht mehr genau, wann wir ausgereist sind. 1999 sind wir ausgereist, ich kann mich erinnern, dass wir Silvester 1999/2000 in Schubhaft in Polen feierten.

 

VR: Was war der unmittelbare Anlass, der Sie veranlasste, Aserbaidschan zu verlassen?

 

BF2: Mein Vater ist verstorben und zwei Jahre oder gewisse Zeit später, hat man gesagt, dass wir ihn wieder ausgraben und wo anders begraben müssen. Meine Kinder sollten schon in den Kindergarten und in die Schule gehen. Wir hatten keine Krankenversicherung, weil ich dort nicht gemeldet war, hatten meine Kinder auch keine. Als ich meine Tochter zur Welt bringen sollte, hat man mich im Krankenhaus nicht aufgenommen. Die Oberärztin hat gesagt, wenn jemand nicht entbunden wird, wird er entlassen.

 

VR: Warum haben Sie sich nicht angemeldet?

 

BF2: Ich konnte mich nicht anmelden. Ich war lange Zeit nicht angemeldet. Ich habe mich abgemeldet, wollte mich bei meinem Mann anmelden, habe es aber nicht gemacht. Man wollte mich bei meinem Mann nicht anmelden. Ich sollte dort verschiedene Dokumente und meine Geburtsurkunde vorlegen. Ich konnte meine Geburtsurkunde nicht vorlegen. Danach gefragt gebe ich an, dass ich sie nicht vorlegen konnte, weil darin steht, welche Volkszugehörigkeit meine Mutter hat. Sie ist Armenierin. Meine Mutter wollte ihre Volkszugehörigkeit ändern, sie hat sich bei verschiedenen Behörden gemeldet, damit sie unsere Daten ändern. Wir wollten Baku nicht verlassen, aber man hatte ihren Antrag abgelehnt.

 

VR: Wurden Sie oder Ihr Mann einmal konkret attackiert oder festgenommen?

 

BF2: Ich persönlich nicht. Mein Mann wurde von der Polizei festgenommen. Er wurde auch so stark geschlagen, dass sein Trommelfell riss.

 

VR: Wann war das?

 

BF2: Das war zum Schluss. (BF2 denkt nach) Danach gefragt gebe ich an, dass es vor der Ausreise war. Wir haben bei meinem Mann im Haus gelebt. Danach haben wir in der Datscha meiner Großmutter gelebt. Es passierte aber im Haus.

 

VR: Hat es weitere Vorfälle gegeben?

 

BF2: Ja, er hatte eine Verletzung mit dem Messer, das war am Anfang des Krieges.

 

VR: Wurde Ihr Mann einmal oder öfters von der Polizei mitgenommen?

 

BF2: Ich kann mich nicht erinnern, ich kann mich an einmal erinnern. Die Polizei ist öfter gekommen. Die Polizisten sind oft gekommen, am meisten kam unser Bezirkskommandant.

 

VR: Was würde Sie konkret erwarten, wenn Sie nach Aserbaidschan zurückkehren würden?

 

BF2: Ich weiß es nicht. Ich möchte meine Kinder nicht nach Aserbaidschan bringen. Ich weiß nicht was dort passiert. Wenn ich meine Daten ändern würde, ich weiß es nicht. Vielleicht würde man mich verhaften, ich kenne so einen Fall nicht. Man hat mich gekündigt, und man sagte mir, dass ich selber einen Kündigungsantrag stellen muss. Die Leute waren verärgert, bei manchen sind die Kinder im Krieg ums Leben gekommen oder sie haben ihr Eigentum verloren. Alle Flüchtlinge aus Karabach wohnen in Baku und sie sind verärgert. Meine Mutter ist Armenierin, ich würde mich aber nicht als eine Armenierin bezeichnen, aber unsere Landsleute haben mich als solche bezeichnet.

 

VR: Welche Probleme hätten Sie in Aserbaidschan nicht, wenn Sie nicht teilweise armenischstämmig wären?

 

BF2: Ich hätte keine Probleme. Ich habe mich dort immer gut gefühlt.

 

VR fährt mit der Befragung der gesamten Familie fort, worauf BF1 aufgerufen wird und der Verhandlung wiederum beiwohnt.

 

VR: Es existiert ein Strafgesetzbuch aus dem Jahre 2005, sowie eine Strafprozessordung aus dem Jahr 2000 (beide in englischer Version veröffentlicht unter www.legislonline.org, sowie eine ausgedruckte Form zur Einsicht aufliegend), die einerseits die von Ihnen befürchteten Übergriffe unter Strafe stellen und ein gesetzliches Regelwerk zur Strafrechtspflege vorsehen. Ebenso gibt es in Baku eine Menge an Polizeidienststellen, die ein Bürger aufsuchen kann (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 5.6.2008 zum Thema "Spezialeinheiten Polizei für Extremisten", welche eine Liste der Polizeidienststellen enthält), wenn er eine Anzeige erstatten will. Ebenso zeigen im Akt ersichtliche Kriminalstatistiken (www.nationmaster.com/country/aj-azerbaijan/cri-crime, sowie die auf der Homepage des aserbaidschanischen Komitees für Statistik [www.azstat.org], Zugriffe am 1.10.2008, Kerndaten ausgedruckt im Akt ersichtlich, siehe auch noch zu erörternder Bericht zur FFM Südkaukasus im Jahre 2007, an der der VR teilnahm) deutlich, der aserbaidschanische Staat gegen Kriminalität vorgeht, sich mit diesem Thema auf systematisch-analytischer Ebene befasst, weiters bestrebt ist, repressiv gegen Kriminalität vorzugehen und dass eine allfällige Schlussfolgerung, der aserbaidschanische Staat schreite gegen Kriminalität nicht ein, in dieser Allgemeinheit sicherlich falsch wäre.

 

BF1: Als ich ins Krankenhaus kam, ist die Polizei gekommen und versprach mir, die Leute zu finden. Sie haben aber niemanden gefunden.

 

BF2: An das Rote Kreuz haben wir uns gewandt.

 

BF1 und BF2: Wir hatten Angst uns an noch jemanden zu wenden, um nicht noch mehr Probleme zu bekommen. (BF1 legt Antrag hinsichtlich der Änderung des Namens und der Volkszugehörigkeit der Mutter von BF2 vor). Das war noch während der UdSSR, deshalb ist es auf Russisch.

 

VR: Ihnen werden in Beilage 1 die zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Aserbaidschan relevanten Quellen und daraus ableitbaren Kernaussagen zur Kenntnis gebracht. Sie werden eingeladen, sich hierzu zu äußern.

 

BF1 und BF2: Ich dachte, dass sich dort etwas verbessert hat. Wir sind schon vor 10 Jahren ausgereist. Wir denken, wenn wir zurückfahren werden, dann wird BF2 oder die Mutter Probleme bekommen.

 

VR: Ergänzend zum oa. Dokumentationsmaterial werden zur Lage der Minderheiten allgemein und der armenischen Minderheit in Aserbaidschan im Besonderen folgende aufliegende Quellen erörtert:

 

Gutachten des TKI vom 16.4.2005 an das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern und vom 8.10.2005 an das Bayersiche VG Ansbach

 

Auskunft des Dt. Auswärtigen Amtes vom 19.10.2007, Gz.:

508-516.80/45258

 

Auskunft von ACCORD vom 21.7.2006, Zahl a-4997 zu Lage der ArmenierInnen bei Rückkehr nach Aserbaidschan

 

Minderheiten finden in Aserbaidschan ein Klima hoher Toleranz vor. Diese allgemeine Feststellung trifft auf die im Lande verbliebenen Angehörigen der armenischen Minderheit nicht in dieser allgemeinen Form zu.

 

Armenien wird nach wie vor als Feind betrachtet.

 

Die Angehörigen der armenischen Volksgruppe werden zwar nicht systematisch verfolgt, diese können jedoch im Einzelfall von Behördenwillkür besonders betroffen sein, was so weit gehen kann, dass ihnen ein weiterer Verbleib in Aserbaidschan nicht zumutbar ist. In der Vergangenheit verloren viele Zugehörige der armenischen Volksgruppe durch Streichung aus dem Melderegister die aserbaidschanische Staatsbürgerschaft bzw. erhielten diese nicht.

 

Generell ist zu sagen, dass hinsichtlich der Zuordnung zu einer Volksgruppe in Aserbaidschan der genetische Aspekt nachrangig ist. Ebenso ist davon auszugehen, dass nahezu jeder Einwohner der Republik Aserbaidschans aserbaidschanischer Volksgruppenzugehörigkeit aus armenische Vorfahren haben. Im Rahmen der genannten FFM war ersichtlich, dass gerade in Aserbaidschan in letzter Zeit die Rhetorik gegen Armenien verschärft wird. Von offiziellen aserbaidschanischen Stellen wurde den FFM-Teilnehmern beispielsweise "Informations-Unterlagen" übergeben, in denen das armenische Volk pauschal als blutrünstig, hinterhältig, etc. bezeichnet wird.

 

Hinsichtlich der Lage der armenischen Volksgruppe zum Zeitpunkt der Ausreise der BWs wird auf die auszugsweise Auskünfte des VG Wiesbaden vom 28.5.2002 und vom 27.6.2002, sowie auf dem Bericht des dt. Auswärtigen Amt vom 29.1.2002 verwiesen, woraus hervorgeht, dass auch zu diesem Zeitpunkt einer Gruppenverfolgung nicht mehr gegeben war, jedoch in Einzelfällen gegen die Angehörigen dieser Minderheit vorgegangen wurde.

 

BF1: Ich stimme dem zu, dass die Aserbaidschaner die Armenier nicht mögen.

 

BF2: Ich hatte keine Staatsbürgerschaft, weil ich nicht gemeldet war. Ich glaube nicht, dass jeder Aserbaidschaner in der Vergangenheit auch irgendwo armenische Vorfahren hat.

 

VR fragt die BF, ob sie noch etwas Ergänzendes vorbringen wollen; dies wird verneint.

 

VR fragt die BF, ob sie den Dolmetscher gut verstanden haben; dies wird bejaht.

 

Weitere Beweisanträge: Nein.

 

..."

 

1.5. Hinsichtlich des weiteren Verfahrensherganges und Parteienvorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

 

2. Der Beschwerdeführer

 

Beim BF handelt es sich um einen Staatsbürger von Aserbaidschan. Die aus dem Akt ersichtlichen Vorfahren des BF gehören der armenischen Volksgruppe an.

 

3. Die Lage im Herkunftsstaat Aserbaidschan, sowie die Lage der armenischen Minderheit und Abkömmlingen armensich-aserbadischanichen Mischehen

 

In Bezug auf den in der Überschrift beschriebenen Sachverhalt wird auf den in der Beschwerdeverhandlung getroffenen Feststellungen verwiesen.

 

4. Behauptete Ausreisegründe aus dem Herkunftsstaat

 

Der BF sah sich in Aserbaidschan mit solchen Umständen konfrontiert, welche ihm einen weiteren dortigen Verbleib unerträglich machten, wobei ein Zusammenhang mit der Ethnie des BF anzunehmen ist.

 

5. Beweiswürdigung

 

5.1. zu 1. (Verfahrensgang)

 

Der bisherige Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden und im Verfahren unbeanstandeten Aktenlage fest.

 

5.2.. zu 2. (Beschwerdeführer)

 

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers ergeben sich aus den nicht widerlegten Angaben.

 

5.3. zu 3. (Lage im Herkunftsstaat)

 

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ergeben sich aus den in der Beschwerdeverhandlung erörterten unbedenklichen Quellen.

 

5.4 zu 4. (behauptete Ausreisegründe)

 

Aufgrund der von der gesetzlichen Vertretung des BF schlüssig und widerspruchsfrei geschilderten Ausreisegründe wird das diesbezügliche Vorbringen als glaubwürdig erachtet.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1.1. Zuständigkeit

 

Artikel 151 Abs. 39 Z. 1 und 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) lauten:

 

(39) Art. 10 Abs. 1 Z 1, 3, 6 und 14, Art. 78d Abs. 2, Art. 102 Abs. 2, Art. 129, Abschnitt B des (neuen) siebenten Hauptstückes, Art. 132a, Art. 135 Abs. 2 und 3, Art. 138 Abs. 1, Art. 140 Abs. 1erster Satz und Art. 144a in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. I Nr. 2/2008 treten mit 1. Juli 2008 in Kraft. Für den Übergang zur neuen Rechtslage gilt:

 

Z 1: Mit 1. Juli 2008 wird der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof.

 

Z 4: Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gem. § 75 (7) Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idgF sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der geltenden Bestimmungen weiterzuführen:

 

...

 

Im Rahmen der Interpretation des § 75 (7) ist mit einer Anhängigkeit der Verfahren beim Unabhängigen Bundesasylsenat mit 30.6.2008 auszugehen (vgl. Art. 151 Abs. 39 Z.1 B-VG). Der in der genannten Übergangsbestimmung genannte 1. Juli 2008 ist im Sinne der im oa. Klammerausdruck genannten Bestimmung des B-VG zu lesen.

 

Aus den oa. Bestimmungen ergibt sich die nunmehrige Zuständigkeit des AsylGH.

 

1.2. Entscheidung im Senat

 

2. Gemäß § 61 (1) AsylG 2005 BGBl I Nr. 100/2005 idF BGBl I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

2. [.....]

 

(2) [.....]

 

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

1. zurückweisende Bescheide

 

[......]

 

(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.

 

Aufgrund der oben zitierten Bestimmung ist über die gegenständliche Beschwerde im Senat zu entscheiden.

 

2. Anzuwendendes Verfahrensrecht

 

Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die erkennende Gericht, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, im Spruch und in der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Gem. § 75 (1) des Asylgesetzes 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) idgF sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Behörde zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs. 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.

 

Gegenständliches Verfahren war am 31.12.2005 anhängig, weshalb es nach den Bestimmungen des AsylG 1997 zu Ende zu führen war.

 

3. Verweise

 

Das erkennende Gericht ist berechtigt, näher bezeichnete Teile des angefochtenen Bescheides zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses zu erheben, ohne sie wiederholen zu müssen (vgl. z.B. das Erk. d. VwGH vom 4. 10. 1995, 95/01/0045; VwGH 24. 11. 1999, 99/01/0280; auch VwGH 8. 3. 1999, 98/01/0278), weshalb im gegenständlichen Fall im bereits genannten Umfang auf den erstinstanzlichen Bescheid verwiesen wird.

 

Ebenso ist das erkennende Gericht berechtigt, auf die außer Zweifel stehende Aktenlage (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) zu verweisen, weshalb auch hierauf im gegenständlichen Umfang verwiesen wird.

 

4. Gewährung von Asyl

 

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

 

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262).Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194)

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.

 

Zwar kann nicht festgestellt werden, dass Angehörige oder Abkömmlinge der armenischen Volksgruppe in Armenien einer Gruppenverfolgung unterliegen, jedoch ergibt sich aus den Feststellungen, dass diese im Einzelfall sehr wohl aufgrund ihrer Ethnie in einer Lage befinden können, die ihnen einen weiteren Verbleib in Aserbaidschan unerträglich macht. Im gegenständlichen Fall war dem schlüssigen Vorbringen entnehmbar, dass der BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Übergriffe im Falle einer Rückkehr zu erwarten hat, weshalb Asyl zu gewähren war. Auch wenn unmittelbar vor der Abreise kein direkter Übergriff stattfand, so ist doch im hier nicht verallgemeinerungsfähigen Einzelfall aufgrund des Vorbringens der Vertretung des BF in einer Gesamtschau mit dem sonstigen Ermittlungsergebnis Asyl zu gewähren.

 

5. Feststellung der Flüchtlingseigenschaft

 

Gem. § 12 AsylG ist die Entscheidung, mit der Fremden Asyl gewährt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt, weshalb gegenständliche Feststellung zu treffen war.

Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
29.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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