TE AsylGH Erkenntnis 2008/12/01 A1 254592-0/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.12.2008
beobachten
merken
Spruch

GZ. A1 254592-0/2008/22E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Andreas Druckenthaner als Vorsitzenden und den Richter Dr. Christian Filzwieser als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Frau Ines Csucker über die Beschwerde des A.E.M., geb. 00.00.1991, StA. Marokko, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.10.2004, GZ. 04 11.419-BAI, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid in den Spruchpunkten II und III behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

 

(bezüglich Spruchpunkt II und III)

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Die beschwerdeführende Partei begehrte am 2.6.2004 die Gewährung von Asyl. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.10.2004, GZ. 04 11.419-BAI gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen, gemäß § 8 Abs 1 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Marokko zulässig ist und die beschwerdeführende Partei gemäß § 8 Abs 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.

 

Der Beschwerdeführer brachte in den Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 4.6.2004 und am 11.10.2004 zu seinen Fluchtgründen zusammengefasst Folgendes vor:

 

Er habe bis zu seinem achten Lebensjahr bei seinen Eltern in Casablanca gelebt und dort ein Jahr die Schule besucht. Aufgrund eines Streites mit seinen Eltern sei der Beschwerdeführer von zu Hause weggelaufen, habe sich in der Stadt herumgetrieben und sei selten zu Hause gewesen. Sein Vater hätte dann gemeint, wenn der Beschwerdeführer ohnehin kaum zu Hause sei, könne er gleich weg bleiben, worauf der Beschwerdeführer nicht mehr nach Hause gegangen sei.

 

Der Beschwerdeführer habe die folgenden Jahre in Spanien, Frankreich und Italien verbracht, dort immer bei Landsleuten gelebt und sei schließlich Ende Mai illegal nach Österreich gelangt.

 

Das Bundesasylamt qualifizierte die Aussagen des Beschwerdeführers zu seinem Ausreisegrund als denkmöglich, nicht jedoch die Angaben zu seinem Reiseweg, weil er diese unterschiedlich schilderte.

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung (nunmehr Beschwerde) und führte zusammengefasst im Wesentlichen aus, dass es genügend Hinweise dafür gäbe, dass die Schilderungen des Beschwerdeführers der Wahrheit entsprächen und dass die vom Beschwerdeführer geschilderte Situation eine vollkommen auswegslose sei. Der Beschwerdeführer sei ganz auf sich alleine gestellt und verfüge in Marokko über keine geeigneten sozialen und ökonomischen Bezugspunkte bzw. Entwicklungsmöglichkeiten. Zudem sei dem Aspekt der Minderjährigkeit im Verfahren nicht entsprechend Rechnung getragen worden.

 

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 12.4.2005 wurde die Berufung gemäß § 7 AsylG 1997, idF BGBl. I Nr. 101/2003 abgewiesen, gemäß § 8 leg cit festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des (nunmehrigen) Beschwerdeführers nach Marokko zulässig ist und wurde dieser gemäß § 8 Abs 2 leg cit aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.

 

Gegen den Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates erhob der (nunmehrige) Beschwerdeführer am 2.8.2005 Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

 

Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.2.2007 wurde der Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates in seinen Spruchpunkten II und III wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof dazu aus, dass die Beschwerde zu Recht eine Verletzung der Verhandlungspflicht zur Frage des subsidiären Schutzes geltend gemacht habe und dass die Situation des Beschwerdeführers als Minderjähriger und "Straßenkind" in Marokko bei der Entscheidung nach § 8 Abs 1 AsylG nicht ausreichend berücksichtigt worden sei, weshalb die belangte Behörde nicht ohne Weiteres davon ausgehen durfte, dass der Sachverhalt als geklärt anzusehen und es nicht erkennbar sei, dass der Beschwerdeführer bei Rückkehr nach Marokko in Ansehung seiner Grundbedürfnisse keiner lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.

 

Mit Einrichtung des Asylgerichtshofes am 1.7.2008 ging die gegenständliche Angelegenheit in die Zuständigkeit des nunmehr erkennenden Senates über.

 

Über die fristgerecht erhobene Beschwerde hat der Asylgerichtshof in nicht öffentlicher Sitzung wie folgt erwogen:

 

Anzuwenden war gegenständlich gemäß § 75 Abs1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF 2008/4, in Verbindung mit § 44 Abs1 AsylG 1997 idF BGBl. I 2003/101 das AsylG in der Fassung BGBl. I 2003/101, da der Beschwerdeführer den Antrag auf Gewährung von Asyl am 2.6.2004 gestellt hat.

 

Gemäß § 9 Abs AsylGHG, BGB1. I Nr. 4/2008 in der geltenden Fassung entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist.

 

Gemäß § 60 Abs AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 nach § 68 AVG durch Einzelrichter.

 

Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt sowie gemäß § 11 Abs 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet, durch einen Kammersenat.

 

Im vorliegenden Verfahren liegen weder die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch einen Einzelrichter noch für die Entscheidung durch den Kammersenat vor, sodass Senatszuständigkeit gegeben ist.

 

In der Sache selbst:

 

Gemäß § 66 Abs 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid erheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an einen Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß Abs 3 leg cit kann die Berufungsbehörde die mündliche Verhandlung und unmittelbar Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 66 Abs 2 in Asylangelegenheiten erging zum Zeitpunkt des Bestehens des Vorläufers des Asylgerichtshofes, des unabhängigen Bundesasylsenates, ist aber auch für den Asylgerichtshof maßgebend:

 

Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren eingerichtet und hat in diesen Verfahren bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln. Es ist nicht im Sinne des Gesetzgebers, wenn die Berufungsbehörde jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht und somit ihre umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Dies spricht auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich bei derselben Behörde enden soll, für ein Vorgehen nach § 66 Abs 2 AVG.

 

Dem angefochtenen Bescheid liegt ein qualifiziert mangelhaftes Ermittlungsverfahren zugrunde, wodurch es nicht möglich war, das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Frage der Abschiebungszulässigkeit korrekt zu beurteilen und zu würdigen und erscheint die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung daher unvermeidlich.

 

Das Bundesasylamt hat es nämlich gänzlich unterlassen, entsprechende, auf den konkreten Fall des Beschwerdeführers bezogene Feststellungen zur Situation im Herkunftsland, nämlich Feststellungen zur Situation von Minderjährigen in Marokko zu treffen!

 

Derartige Ermittlungen und darauf aufbauende Feststellungen wären aber gegenständlich zwingend notwendig gewesen, um die Frage der Möglichkeit einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung iSd § 8 AsylG des Beschwerdeführers nach Marokko tatsächlich beurteilen zu können.

 

Im Fall des Beschwerdeführers konnte eine Entscheidung über die Frage der Abschiebungszulässigkeit richtigerweise nicht getroffen werden, ohne davor entsprechende Ermittlungen zur Lage in Marokko bezogen auf oben genannte Themengebiete durchgeführt zu haben, gab der Beschwerdeführer doch an, bereits in jungen Jahren auf der Straße gelebt zu haben und ging das Bundesasylamt sowohl von der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers als auch von der Richtigkeit der vom Beschwerdeführer gemachten Angaben zu seinem Ausreisegrund aus!

 

Das Bundesasylamt verneinte jedoch eine Gefährdung des Beschwerdeführers im Sinne des § 57 FrG und führte dazu an, dass es sich bei den Rückkehrbefürchtungen des Beschwerdeführers um in den Raum gestellte Behauptungen bzw. Vermutungen und damit um subjektiv empfundene Furcht, die der Beschwerdeführer durch keinerlei objektive Beweise untermauern könne, handle. Ferner gäbe es gegenwärtig in Marokko keinerlei landesweite, allgemeine, extreme Gefährdungslage, welche den Beschwerdeführer im Fall seiner Abschiebung dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen aussetzen würde.

 

Im fortgesetzten Verfahren sind entsprechende Länderfeststellungen zu treffen, welche im Rahmen des Parteiengehörs auch dem Beschwerdeführer vorzuhalten sind und ist ihm eine Möglichkeit zur Stellungnahme einzuräumen.

 

Sodann hat das Bundesasylamt vor dem Hintergrund der getroffenen Länderfeststellungen die Frage der Abschiebungszulässigkeit, also die Frage, ob dem Beschwerdeführer die Rückkehr in seinen Heimatstaat tatsächlich zumutbar wäre, sorgfältig und umfassend zu beurteilen.

 

In diesem Sinne war bezüglich Spruchpunkt II gemäß § 66 Abs 2 AVG vorzugehen.

 

Zu Spruchpunkt III:

 

Die Aufhebung von Spruchpunkt II hat rechtlich die Behebung der Ausweisungsentscheidung zur Folge.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
29.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten