TE AsylGH Erkenntnis 2008/12/05 C4 309658-1/2008

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Veröffentlicht am 05.12.2008
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Spruch

C4 309.658-1/2008/5E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Schlaffer als Vorsitzenden und die Richterin Mag. van Best-Obregon als Beisitzende über die Beschwerde des K. L., geb. 00.00.1974, staatenlos, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.01.2007, Zahl: 05 14.978-BAW, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Der Beschwerdeführer brachte am 30.08.2005 aus der JA Josefstadt, wo er sich in Strafhaft befand, einen Asylantrag ein und wurde hiezu am 12.10.2005 vor der Erstaufnahmestelle Ost niederschriftlich befragt. Im Rahmen der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer an, der Volksgruppe der Palästinenser anzugehören und staatenlos zu sein. Seine letzte Adresse im Herkunftsstaat sei Jerusalemgewesen. Ende 1997 sei er legal mit seinem Reisedokument und einem Visum nach Prag geflogen. Da die israelische Botschaft in Tschechien sein Reisedokument nicht verlängert habe, sei er Mitte 1998 legal mit dem Zug nach Bratislava in die Slowakei gereist, wo er sich bis zum 27.07.2005 aufgehalten habe. Am 27.07.2005 sei er illegal und schlepperunterstützt zu Fuß über die slowakisch-österreichische Grenze in das Bundesgebiet eingereist. Seine Heimat habe er verlassen, da es die Palästinenser in Israel immer schwer hätten. Als er acht Jahre alt gewesen sei, sei sein Vater vor seinen Augen von Hamas-Mitgliedern umgebracht worden. In den letzten Monaten vor seiner Ausreise im Jahr 1997 sei auch er mündlich und schriftlich von Hamas-Mitgliedern bedroht worden. Mehrmals sei er von Israelis misshandelt worden; daher habe er auf Anraten seiner Mutter Israel schließlich verlassen.

 

Bei seiner zweiten Einvernahme am 17.10.2005 hatte der Asylwerber seinen bisherigen Angaben nichts hinzuzufügen. Er gab lediglich an, in seinem israelischen Reisepass mit dem abgelaufenen Visum für Tschechien würden deshalb einige Seiten fehlen, weil es ein altes Reisedokument sei und die fehlenden Seiten verloren gegangen seien. Das Konsultationsverfahren mit der Slowakei verlief negativ.

 

Am 28.09.2006 fand eine weitere Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Wien, statt. Dabei wiederholte der Asylwerber - trotz einiger Abweichungen - im Wesentlichen sein Vorbringen, wobei er angab, sein Vater sei von Mitgliedern der Moslembruderschaft umgebracht worden. Er selbst sei mehrmals von der israelischen Polizei und von den Moslembrüdern geschlagen worden. Seine Mutter werde Dokumente nach Österreich bringen, die das Vorbringen bestätigen würden. Er sei einfaches Mitglied der Fatah gewesen und habe an mehreren Aktivitäten - beispielsweise dem Verteilen von Flugblättern, Besprühen von Wänden, der Teilnahme an Demonstrationen und dem Verbrennen von Autos - teilgenommen. Sollte er nach Israel zurückkehren, befürchte er umgebracht zu werden. Er sei in Wien auf der Israelischen Botschaft gewesen und habe versucht sein Reisedokument zu verlängern. Man habe sein Reisedokument eingezogen, dann sei alles ohne Angaben von Gründen abgelehnt worden. Der Beschwerdeführer sei auch bei der ständigen palästinensischen Vertretung gewesen, diese sei jedoch nicht zuständig, "da er zu den Menschen gehöre, die unter der israelischen Obrigkeit leben würden".

 

Bei seiner Einvernahme am 19.12.2007 vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Wien, erklärte der Beschwerdeführer, er wisse nicht, ob seine Mutter mittlerweile in Österreich gewesen sei, da er sich seit 00.10.2007 abermals in Strafhaft (§§129, 130 StGB) befinde. Seine Dokumente seien in Jerusalem.

 

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 19.01.2007, Zahl 05 14.978-BAW, den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.), sprach gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Syrien aus (Spruchpunkt II.) und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Syrien aus (Spruchpunkt III.).

 

Der Bescheid wurde am 25.01.2007 persönlich vom Beschwerdeführer übernommen; am 05.02.2007 erhob er dagegen das Rechtsmittel der "Berufung" (nunmehr: "Beschwerde") und sprach sich deutlich gegen seine Ausweisung nach Syrien aus.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Gemäß § 75 Abs. 7 des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 (AsylG 2005) sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 des Asylgerichtshofgesetzes, BGBl. I 4/2008 (AsylGHG), sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. Da das gegenständliche Verfahren zu obgenanntem Zeitpunkt anhängig war, ist es sohin nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen.

 

Gemäß § 44 Abs. 2 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG 1997) werden Asylanträge, die ab dem 1. Mai 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 BGBl. I Nr. 76/1997 in der jeweils geltenden Fassung geführt.

 

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG iVm § 23 AsylGHG kann der Asylgerichtshof, wenn der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverweisen. Gemäß § 66 Abs. 3 AVG iVm § 23 AsylGHG kann der Asylgerichtshof jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Eine kassatorische Entscheidung darf von der Berufungsbehörde nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH 14.03.2001, 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084).

 

Im Spruch des angefochtenen Bescheids des Bundesasylamtes vom 19.01.2007, Zahl 05 14.978-BAW, wird die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Syrien ausgesprochen (Spruchpunkt II.) und der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Syrien ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Im völligen Widerspruch dazu findet sich in den Feststellungen desselben Bescheides Folgendes:

"Es wird festgestellt, dass der Antragsteller unter Umgehung der Grenzkontrolle (illegal) in das österreichische Bundesgebiet eingereist und aus Israel stammt. Die Staatsbürgerschaft des Antragstellers konnte nicht festgestellt werden. (...) Ebenfalls nicht festgestellt werden konnte, dass der Antragsteller in seinem Herkunftsstaat (Israel) eine begründete Furcht vor Verfolgung zu gewärtigen hätte." Sodann werden allgemeine Feststellungen zu Israel und der Rückkehr von Palästinensern nach Israel getroffen. Diese Feststellungen sind mit dem Spruch des angefochtenen Bescheides gänzlich unvereinbar, da dort Syrien als Herkunftsstaat angeführt ist.

 

Ohne eindeutige und unmissverständliche Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ist der angefochtene Bescheid nicht rechtens. Im gegenständlichen Fall stehen die Feststellungen und der Spruch des angefochtenen Bescheides im Widerspruch zueinander, wobei hier eine mündliche Verhandlung unvermeidlich erscheint, um den Spruch und die Feststellungen mängelfrei miteinander in Einklang zu bringen. Damit liegt eine der Vorraussetzungen vor, die § 66 Abs. 2 AVG normiert, nämlich dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).

 

Von der durch § 66 Abs. 3 AVG der Berufungsbehörde eingeräumten Möglichkeit, die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme selbst durchzuführen, wenn "hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist", war im vorliegenden Fall aus folgenden Gründen nicht Gebrauch zu machen:

 

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtssprechung ausgeführt hat, war vom Gesetzgeber in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei dem unabhängigen Bundesasylsenat - einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens - die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zukommt (Artikel 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hatte bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es war gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den

 

Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber - so die Rechtsprechung zu dieser Rechtslage - unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde - den unabhängigen Bundesasylsenat - käme, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen oder überhaupt eine Einvernahme durchzuführen. Die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen würde damit zur bloßen Formsache degradiert. Es ist nicht im Sinne des Gesetzgebers, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre "umfassende" Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht. Dies spricht auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - bei derselben Behörde enden soll, für ein Vorgehen nach § 66 Abs. 2 AVG (vgl. VwGH 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084; VwGH 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315).

 

Art. 129 c B-VG idF des Art. 1 Z 28 BVG BGBl. I 2/2008 spricht nicht mehr vom unabhängigen Bundesasylsenat als der "obersten Berufungsbehörde", sondern richtet den Asylgerichtshof als Gericht ein, das nach Erschöpfung des Instanzenzuges "über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen" erkennt. Es besteht kein Grund anzunehmen, dass sich die dargestellte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht auf die neue Verfassungsrechtslage übertragen ließe. Der Asylgerichtshof als eine Behörde, die "nach Erschöpfung des Instanzenzuges" zu erkennen hat, hat in dieser Hinsicht (mindestens) dieselbe Stellung wie eine oberste Berufungsbehörde. Es ist auch weiterhin nicht im Sinne des Gesetzes, wenn dieses Gericht erstmals den entscheidungsrelevanten Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass eine umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrgenommen werden kann. Eine ernsthafte Prüfung des Sachverhaltes soll nicht erst beim Asylgerichtshof beginnen und zugleich enden, sieht man von der beschränkten Kontrolle seiner Entscheidung durch den Verfassungsgerichtshof ab. (vgl. AsylGH 12.08.2008, C5 251212-0/2008/11E)

 

Ausgehend von diesen Überlegungen war im vorliegenden Fall das dem Asylgerichtshof gemäß § 66 Abs. 2 und 3 AVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung zu üben, da aufgrund der obigen Erwägungen auch nicht gesagt werden kann, dass die unmittelbare Beweisaufnahme durch den Asylgerichtshof bei einer Gesamtbetrachtung zu einer Ersparnis an Zeit und Kosten führen würde.

 

Sohin war spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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