TE Vfgh Erkenntnis 1998/10/7 B396/98

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Veröffentlicht am 07.10.1998
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Index

63 Allgemeines Dienst- und Besoldungsrecht
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
BDG 1979 §94 Abs2

Leitsatz

Keine willkürliche Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen einen Zollwachebeamten; vertretbare Annahme der Hemmung der für die Zulässigkeit einer Bestrafung maßgeblichen Verjährungsfrist für die Dauer eines gerichtlichen (Straf-)Verfahrens

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen leitete mit Beschluß vom 6. Oktober 1997 gemäß §123 Abs1 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 - BDG, BGBl. 333/1979 in der (hier maßgeblichen) Fassung BGBl. I Nr. 61/1997, gegen den Beschwerdeführer (einen Zollwachebeamten beim Zollamt Klingenbach) ein Disziplinarverfahren ein. Der Beamte stehe im Verdacht, Dienstpflichten im Sinne des §43 Abs1 BDG sowie gemäß §59 Abs1 leg. cit. verletzt zu haben, weil er am 3. September 1996 am Grenzübergang Klingenbach zwei rumänische Staatsbürger illegal nach Österreich habe einreisen lassen und dafür

S 5.000,-- verlangt habe.

Die (gemäß §41a BDG beim Bundeskanzleramt eingerichtete) Berufungskommission gab mit Bescheid vom 3. Dezember 1997 der dagegen vom Beschwerdeführer gemäß §123 Abs2 zweiter Satz BDG erhobenen Berufung nicht Folge und bestätigte die Einleitung des Disziplinarverfahrens.

2. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der behauptet wird:

"Durch den angefochtenen Bescheid werde ich in meinen verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechten auf richtige Anwendung der §§43 Abs1, 59 Abs1 und 94 Abs1 und 2 BDG 1979 idgF. sowie auf Gesetzmäßigkeit der gesamten Vollziehung (Legalitätsprinzip) und Einhaltung des Art7 EMRK (nulla poena sine lege) sowie in meinem Recht auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens verletzt."

Die Beschwerde wird in der Sache im wesentlichen damit begründet, daß bereits Verjährung eingetreten sei (Näheres s.u. II.2.b.bb).

3. Die Berufungskommission legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift. Sie begehrt, die Beschwerde abzuweisen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.a) Die meisten jener Rechte, deren Verletzung vom Einschreiter geltend gemacht wird, sind - entgegen der oben zitierten Behauptung in der Beschwerde - nicht (i.S. des Art144 Abs1 B-VG) verfassungsgesetzlich gewährleistet, sodaß auf die in Zusammenhang mit diesen Rechten relevierten Fragen nicht einzugehen ist.

b) Wieso das durch Art7 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte Recht durch den bekämpften Bescheid verletzt worden sein soll, wird in der Beschwerde nicht dargetan; Anhaltspunkte dafür sind auch sonst im Verfahren nicht hervorgekommen.

2.a) Der Verfassungsgerichtshof hat aber im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu untersuchen, ob etwa die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich garantierten Rechtes vorliegt.

Im gegebenen Zusammenhang ist daher insbesondere zu klären, ob die Behörde Willkür geübt und dadurch den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt hat.

Ein derartiger in die Verfassungssphäre reichender Fehler könnte der Behörde dann vorgeworfen werden, wenn diese das Gesetz völlig verfehlt ausgelegt oder schwere Verfahrensfehler begangen hätte.

Davon kann aber hier keine Rede sein:

b)aa) Im angefochtenen Bescheid wird zur Verjährung ausgeführt:

"Das Zollamt Klingenbach teilte der FLD für Wien, Niederösterreich und Burgenland, GA 1, mit Schreiben vom 20. Dezember 1996, dort eingelangt am 27. Dezember 1996, mit, daß gegen den BW (= Berufungswerber / das ist der Beschwerdeführer dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens) am 12. Dezember 1996 bei der Staatsanwaltschaft Wien wegen Verdachts nach §12 SGG iVm §313 StGB, §§278a, 302 StGB Anzeige erstattet wurde. Mit 27. Dezember 1996 ist damit Kenntnis der Dienstbehörde iS des §94 Abs1 Z1 BDG 1979 anzunehmen und hat daher mit diesem Zeitpunkt die sechsmonatige Verjährungsfrist des §94 Abs1 Z1 BDG zu laufen begonnen.

Der Lauf der Verjährungsfrist war jedoch gemäß §94 Abs2 Z3 und Z5 BDG 1979 für die Dauer des gerichtlichen Verfahrens vom 8. Dezember 1996 (Einvernahme des Beschuldigten durch den Untersuchungsrichter) bis zum 11. September 1997 - dem Zeitpunkt der Benachrichtigung der Dienstbehörde von der Beendigung des Strafverfahrens - gehemmt.

Die Einleitung des Disziplinarverfahrens gegen den BW mit der Hinterlegung des Einleitungsbeschlusses am 10. Oktober 1997 ist somit vor Ablauf der Verjährungsfrist erfolgt."

bb) Der Beschwerdeführer erachtet die Annahme der Berufungskommission, daß die sechsmonatige Verjährungsfrist gehemmt worden sei, als denkunmöglich, weil

"beinahe zehn Monate zugewartet wurde, bevor nun ein Disziplinarverfahren von der Disziplinarkommission eingeleitet wurde. Die belangte Behörde führt im angefochtenen Bescheid selbst aus, daß mit 27.12.1996 Kenntnis der Dienstbehörde im Sinne §94 Abs1 Zif 1 BDG 1979 anzunehmen ist. Fristhemmung kann unzweifelhaft nur dann eintreten, wenn ein Verfahren aufrecht besteht, das gehemmt werden kann. Dies war jedoch im Zeitlauf der strafgerichtlichen Untersuchungen und Verfahren nicht der Fall.

Die Einleitung des Disziplinarverfahrens durch die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen, Senat XI, vom 6. Oktober 1997 (...) sei somit eindeutig verfristet und der darauf fußende Bescheid der Berufungskommission beim Bundeskanzleramt (...) vom 3. Dezember 1997 rechtswidrig."

cc) §94 BDG regelt die Verjährung. Die zur Beurteilung des vorliegenden Falles maßgeblichen Passagen dieser Bestimmung lauten:

"§94. (1) Der Beamte darf wegen einer Dienstpflichtverletzung nicht mehr bestraft werden, wenn gegen ihn nicht

1. innerhalb von sechs Monaten, gerechnet von dem Zeitpunkt, zu dem der Disziplinarbehörde die Dienstpflichtverletzung zur Kenntnis gelangt ist, oder

              2.              ...

... ein Disziplinarverfahren vor der Disziplinarkommission eingeleitet wurde. ...

(1a) ...

(2) Der Lauf der in Abs1 und 1a genannten Fristen wird - sofern der der Dienstpflichtverletzung zugrundeliegende Sachverhalt Gegenstand der Anzeige oder eines der folgenden Verfahren ist - gehemmt

1. ...

3.

für die Dauer eines bei einem Gericht ... anhängigen Strafverfahrens,

              4.              ...

5.

für den Zeitraum zwischen der Erstattung der Anzeige und dem Einlangen der Mitteilung

a)

über die Beendigung des ... gerichtlichen Verfahrens

...,

b)

des Staatsanwaltes über die Zurücklegung der Anzeige oder

              c)              ...

bei der Dienstbehörde."

dd) Für einen Einleitungsbeschluß reicht hin, daß ausreichende Verdachtsmomente bestehen, der Beamte habe ein disziplinär zu ahndendes, noch nicht verjährtes Verhalten gesetzt.

(Ob der Beamte tatsächlich disziplinär zu bestrafen sein wird, ist endgültig erst im darauffolgenden Disziplinarverfahren zu klären.)

Es ist nun keineswegs willkürlich, wenn die Berufungskommission die erwähnte Voraussetzung als gegeben erachtet hat. Zumindest vertretbar ist die Auffassung der Berufungskommission, daß die Hemmung des für die Zulässigkeit einer Bestrafung maßgeblichen Fristenlaufes auch dann eintreten kann, wenn noch kein Einleitungsbeschluß gefällt wurde. Weder der Wortlaut des §94 Abs2 BDG noch dessen Sinn legen die vom Beschwerdeführer vertretene anderslautende Auslegung nahe.

Verfahrensfehler werden nicht behauptet und sind auch sonst nicht hervorgekommen.

3. Es haben sich auch keine sonstigen, der Vollziehung anzulastenden, vom Verfassungsgerichtshof wahrzunehmende Fehler ergeben.

4.a) Da der Verfassungsgerichtshof unter dem Gesichtspunkt dieses Beschwerdefalles keine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der den angefochtenen Bescheid tragenden Gesetzesbestimmungen hegt, wurde der Beschwerdeführer auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

b) Die Beschwerde war mithin abzuweisen.

c) Bei diesem Ergebnis war auf den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, nicht mehr einzugehen.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Dienstrecht, Disziplinarrecht Beamte, Einleitungsbeschluß (Disziplinarverfahren), Verjährung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:B396.1998

Dokumentnummer

JFT_10018993_98B00396_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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