TE Vfgh Erkenntnis 1998/10/7 G11/97, G12/97

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Veröffentlicht am 07.10.1998
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Index

L9 Sozial- und Gesundheitsrecht
L9440 Krankenanstalt, Spital

Norm

B-VG Art15 Abs6
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
EMRK Art10
Oö KAG §16
KAG §13

Leitsatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit des umfassenden Werbeverbotes im Oö KAG wegen Verletzung der Anpassungspflicht des Ausführungsgesetzgebers nach Änderung des Grundsatzgesetzes und wegen Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit infolge unzureichender Berücksichtigung der Interessen der Patienten an Informationen

Spruch

§16 des O.ö. Krankenanstaltengesetz 1976, Anlage der Kundmachung der o.ö. Landesregierung vom 12. Jänner 1976 über die Wiederverlautbarung des O.ö. Krankenanstaltengesetz, LGBl. für Oberösterreich Nr. 10/1976, war verfassungswidrig.

Der Landeshauptmann von Oberösterreich ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Das Oberlandesgericht Linz (im folgenden: OLG) als Rekursgericht stellte - anläßlich eines Verfahrens zwischen einem Facharzt für Innere Medizin aus Gallspach als Kläger und einem ebendort ansässigen Verein als Beklagter - mit Beschluß vom 8. Jänner 1997, 4 R 311/96z, einen auf Art89 Abs2 und Art140 Abs1 B-VG gestützten Antrag an den Verfassungsgerichtshof (protokolliert zu G11/97), §16 des Oberösterreichischen Krankenanstaltengesetzes (in der Folge: O.ö. KAG) als verfassungswidrig aufzuheben, in eventu auszusprechen, daß diese Bestimmung verfassungswidrig war.

1.2. Mit Beschluß vom 17. Dezember 1996, 4 Ob 2343/96d, stellte der Oberste Gerichtshof (im folgenden: OGH) aus Anlaß der Entscheidung über einen Revisionsrekurs einen gleichlautenden Antrag an den Verfassungsgerichtshof (protokolliert zu G12/97). Der diesem Antrag zugrundeliegende Rechtsstreit wird zwischen zwei Fachärzten aus Gallspach ausgetragen, wobei der Kläger auch Kläger im genannten Verfahren vor dem OLG Linz ist.

2.1. §16 des O.ö. KAG in der zum Zeitpunkt der Antragstellung durch die beiden Gerichtshöfe noch geltenden Fassung der Anlage zur Wiederverlautbarungs-Kundmachung der o.ö. Landesregierung vom 12. Jänner 1976, LGBl. für Oberösterreich Nr. 10/1976, lautete:

"Jede Art der Werbung für bestimmte medizinische Behandlungsmethoden sowie für die Anwendung bestimmter Arzneimittel oder bestimmter Heilbehelfe in Krankenanstalten ist verboten."

2.2. Durch ArtI Z16 der O.ö. Krankenanstaltengesetz-Novelle 1996, LGBl. für Oberösterreich Nr. 14/1997 (in Kraft getreten an dem der Kundmachung (vom 28. Februar 1997) folgenden Tag, d.h. mit 1. März 1997) wurde diese Bestimmung mittlerweile durch nachstehende ersetzt:

"Den Rechtsträgern von Krankenanstalten ist es verboten, selbst oder durch andere physische oder juristische Personen unsachliche oder unwahre Informationen im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Krankenanstalt zu geben."

(Die Paragraphenbenennung dieser Bestimmung wurde durch ArtIV der Wiederverlautbarungs-Kundmachung des O.ö. KAG 1976, LGBl. für Oberösterreich Nr. 132/1997, in Kraft getreten an dem der Kundmachung vom 14. November 1997 folgenden Tag, d.h. mit dem 15. November 1997, so geändert, daß die Bestimmung nunmehr als "§33" bezeichnet ist).

3.1. Den beiden Anträgen liegt nach übereinstimmender Darstellung in den Gerichtsanträgen folgender Sachverhalt zugrunde:

3.1.1. Der Großvater des in beiden Verfahren auftretenden Klägers und dessen Bruder - ebenfalls ein Doktor der Heilkunde - (und Beklagter des beim OGH anhängigen Verfahrens) hätte zu Beginn dieses Jahrhunderts die sog. Zeileis-Hochfrequenztherapie entwickelt und das Institut Zeileis in Gallspach gegründet, in dem diese Therapie angeboten worden sei bzw. angeboten werde. Der Kläger und sein Bruder hätten anfangs gemeinsam in diesem Institut gearbeitet. Seit 1990 betreibe der Bruder des Klägers das Institut alleine, während der Kläger in Gallspach seit 1992 eine Privatordination führe. Auch in dieser Ordination werde die Zeileis-Hochfrequenztherapie angeboten.

Das Institut Zeileis sei eine Krankenanstalt im Sinne des Krankenanstaltengesetzes. Mit Einbringungsvertrag vom 22. September 1995 sei das Einzelunternehmen in eine GmbH eingebracht worden, deren alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter der Bruder des Klägers sei.

Der im Ausgangsverfahren des OLG Linz beklagte Verein habe seine Geschäftsstelle im Institut Zeileis und habe zufolge seiner Satzung unter anderem den Zweck, die Kenntnis und Anwendung der vom Großvater des Klägers begründeten Heilmethode in jeder möglichen Weise zu fördern. Der Verein gebe Prospekte (Werbeschriften) heraus und betreibe einen Schaukasten, in denen diverse Spezialbehandlungen, wie zB physikalische Therapie oder die Hochfrequenztherapie im Institut Zeileis angeboten und - zT mit dem Zusatz "Original" - beworben würden.

Der Verein gebe auch Broschüren heraus, in denen durchwegs über Behandlungsarten, Honorare und den Kostenersatz durch die Krankenkassen informiert werde. Eine dieser Broschüren trage den Titel "Institut Zeileis" und werde Interessenten zugesandt. Auf der ersten Seite dieser Broschüre sei der im Ausgangsverfahren des OGH beklagte Bruder des Klägers abgebildet und ein Text abgedruckt, in dem - der Sache nach - die im Institut durchgeführten Therapien in näher bezeichneter Weise beworben würden. Auch habe der Bruder des Klägers im Juli 1996 ein Informationsschreiben versendet, in dem verschiedene Behandlungsmethoden angeboten würden. Weitere Werbehandlungen des Vereins bzw. des Bruder des Klägers werden in den Gerichtsanträgen näher dargestellt.

3.1.2. Die jeweiligen Erstgerichte hätten in Stattgebung mehrerer, vom Kläger gestellter Sicherungsanträge den beklagten Parteien der beiden Verfahren jeweils eine Reihe solcher Werbemaßnahmen mit einstweiligen Verfügungen untersagt.

Die an den Bruder des Klägers erlassene Verfügung sei vom Rekursgericht zum Teil bestätigt, zum Teil aber aufgehoben und die Rechtssache insoweit zur Ergänzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen worden. Gegen diesen Beschluß richte sich der Revisionsrekurs der Beklagten, über den der OGH zu entscheiden habe. Gegen die an den Verein gerichtete Verfügung richte sich dessen Rekurs an das OLG Linz.

3.2. Beide antragstellenden Gerichte vertreten die Auffassung, daß sie bei Erledigung des jeweils bei ihnen anhängigen Rechtsmittels die angefochtene Bestimmung anzuwenden hätten.

4. Die beiden antragstellenden Gerichtshöfe begründen ihre verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die angefochtene Bestimmung textgleich wie folgt:

"Das Institut Zeileis ist eine Kuranstalt im Sinne des Bundesgesetzes vom 18. September 1956, BGBl 1957/1, über Krankenanstalten (Krankenanstaltengesetz - KAG). Als Krankenanstalt mit Sitz in Oberösterreich unterliegt das Institut Zeileis dem Oö. Krankenanstaltengesetz, LGBl 1958/19, wiederverlautbart als Oö. Krankenanstaltengesetz 1976 (OöKAG 1976), LGBl 1976/10. Das Oö. Krankenanstaltengesetz ist ein Ausführungsgesetz zum Krankenanstaltengesetz des Bundes, dessen erster Teil (§§1 bis 42) Grundsatzbestimmungen enthält; im zweiten Teil ist unmittelbar anwendbares Bundesrecht enthalten.

   §13 KAG enthielt bis zur KAG-Novelle BGBl 1993/801 ein auf

§25 ÄrzteG aF abgestimmtes absolutes Werbeverbot. Seit der

KAG-Novelle 1993 lautet §13 Abs1 KAG:

'Dem Träger einer Krankenanstalt ist es verboten, selbst oder durch andere physische oder juristische Personen unsachliche und unwahre Informationen im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Krankenanstalt zu geben.'

Nach §16 OöKAG 1976 ist hingegen nach wie vor

'jede Art der Werbung für bestimmte medizinische Behandlungsmethoden sowie für die Anwendung bestimmter Arzneimittel oder bestimmter Heilbehelfe in Krankenanstalten ... verboten.'

Den Ländern wurde für die Ausführungsgesetzgebung zur KAG-Novelle 1993 eine einjährige Frist gesetzt (ArtIII Abs1 BGBl 1993/801), die (auch) Oberösterreich nicht eingehalten hat. (s Haslinger in Radner/Haslinger/Reinberg, Krankenanstaltenrecht 7). Ist eine landesgesetzliche Regelung vorhanden und werden Grundsätze durch den Bund neu erlassen, so wird ein nicht angepaßtes Gesetz verfassungswidrig (VfSlg 10176 mwN; Mayer/Walter, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts8, 123f Rz 266 und 268 mwN; Mayer, B-VG 92 mwN). Ob die Kompetenz damit an den Bund devolviert, ist strittig (so VfSlg 10176 mwN; aM Walter/Mayer aaO; s auch Mayer, Zur Devolutionskompetenz nach Art15 Abs6 B-VG, ÖJZ 1985, 545 (549f)), im vorliegenden Fall aber ohne Bedeutung. Mit Fristablauf ist §16 OöKAG jedenfalls verfassungswidrig geworden.

Das uneingeschränkte Werbeverbot des §16 OöKAG ist aber auch davon unabhängig verfassungsrechtlich bedenklich. Der Verfassungsgerichtshof hat das absolute Werbeverbot in §25 Abs1 und 2 ÄrzteG aF für verfassungswidrig erkannt, weil damit auch für den Patienten nützliche und sachliche Informationen unterbunden waren. Der Verfassungsgerichtshof könne keine Umstände erkennen, die nach Art10 Abs2 EMRK ein Werbeverbot für Ärzte, wie es §25 ÄrzteG aF enthielt, erlauben würden. Im Interesse des Schutzes der Gesundheit, der Moral, des guten Rufes sowie der Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten sei ein derart weitreichendes Werbeverbot nicht erforderlich (VfSlg 13554).

Diese Erwägungen treffen auch für das in §16 OöKAG enthaltene absolute Werbeverbot zu. Sie waren auch der Grund dafür, daß §13 KAG geändert und das Werbeverbot für Krankenanstalten auf unsachliche oder unwahre Informationen beschränkt wurde (1080 BlgNR 18. GP 21).

Eine verfassungskonforme Auslegung im Sinne der Meinungsfreiheit - auch juristische Personen sind geschützt (Mayer aaO 450 mwN) - ist bei einem generellen Verbot ausgeschlossen (s VfSlg 13554). Die von Radner in Radner/Haslinger/Reinberg (aaO 179) vertretene Auffassung, unter das gesetzliche Verbot fielen nicht (ua) 'die öffentliche Bekanntmachung neuer Einrichtungen oder Behandlungsmethoden in Form sachlicher Information, besonders gegenüber anfragenden Medienberichterstattern (nicht aber durch Inserate udgl)' läßt sich mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbaren.

§16 OöKAG ist im vorliegenden Fall anzuwenden, weil das Institut Zeileis eine oberösterreichische Krankenanstalt ist."

5.1. Die o.ö. Landesregierung hat in beiden Verfahren - gleichlautende - Äußerungen erstattet. Sie tritt darin zunächst der Auffassung entgegen, daß die angefochtene Bestimmung präjudiziell sei, da die Anwendung dieser Bestimmung durch die antragstellenden Gerichtshöfe im Sinne der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes denkunmöglich sei.

Die angefochtene Bestimmung, die zum Zeitpunkt der Antragstellung durch die Gerichtshöfe ein umfassendes Werbeverbot enthalten habe, sei nämlich in Ausführung des §13 Abs1 Krankenanstaltengesetz in der Fassung vor der Krankenanstaltengesetz-Novelle 1993 ergangen. Dieses Werbeverbot solle sicherstellen, daß kommerzielle Gesichtspunkte nicht den Ausschlag für die medizinische Behandlung geben dürfen und daß kranke und hilfesuchende Menschen, die in medizinischen Fachfragen nicht urteilsfähig seien, nicht unsachlich beeinflußt würden. Die Erläuterungen zu den beiden genannten (gleichlautenden) Bestimmungen führten ausdrücklich aus, daß das Werbeverbot "für Krankenanstalten" statuiert werde, weil festgestellt worden sei, daß durch Werbung auf besonders wirksame Behandlungsmethoden und Anwendung von Heilmitteln in Anstalten hingewiesen und damit versucht worden sei, Patienten in diese Anstalten zu ziehen. Das Werbeverbot richte sich daher nach den Intentionen der Gesetzgeber nicht an "jedermann", sondern ausschließlich an die Krankenanstalten bzw. deren Rechtsträger. Eine extensive Interpretation oder gar analoge Anwendung der genannten Bestimmungen auf Dritte, die nicht Rechtsträger von Krankenanstalten seien, verbiete sich auch deshalb, weil ein Verstoß gegen das Werbeverbot gemäß §58 Abs2 O.ö. KAG 1976 unter Strafsanktion stehe.

Durch die Bundes-Krankenanstaltengesetz-Novelle 1993, BGBl. Nr. 801, habe §13 Abs1 (Bundes)-KAG folgende Fassung erhalten:

"(1) Dem Träger einer Krankenanstalt ist es verboten, selbst oder durch andere physische oder juristische Personen unsachliche oder unwahre Informationen im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Krankenanstalt zu geben."

Dieser Fassung sei §16 O.ö. KAG durch die O.ö. KAG-Novelle 1996, LGBl. Nr. 14/1997, nahezu wortgleich angepaßt worden. Die Erläuterungen (AB 164 BlgNR, VIII. GP.) wiesen darauf hin, daß durch die Wortfolge "oder durch andere physische oder juristische Personen" verhindert werden solle, "daß sich der Träger der Krankenanstalt anderer Personen bedienen kann, um verbotene Werbung zu betreiben". Erst durch diese Novelle sei damit eine Rechtslage geschaffen worden, die der Auffassung der antragstellenden Gerichtshöfe denkmöglich entsprechen könnte.

In den vorliegenden Fällen seien Werbetätigkeiten im Zusammenhang mit dem als Krankenanstalt geführten Institut Zeileis in Gallspach zu beurteilen. Diese Werbetätigkeiten, wie zum Beispiel die Herausgabe von Prospekten, der Betrieb eines Schaukastens oder die Versendung von Informationsschreiben, seien den Beschlüssen der antragstellenden Gerichtshöfe zufolge von den in den gegenständlichen Rechtsstreiten jeweils beklagten Parteien gesetzt worden. Beide beklagten Parteien seien jedoch nicht Rechtsträger des Institutes Zeileis, da sich aus den Darstellungen der antragstellenden Gerichtshöfe ergebe, daß das Institut mit Einbringungsvertrag vom 22. September 1995 in eine GmbH eingebracht worden sei. Normadressat des Werbeverbotes der angefochtenen Bestimmung könne daher nur diese GmbH als Rechtsträger der Krankenanstalt sein. Daß diese GmbH als Rechtsträger einer Krankenanstalt Werbemaßnahmen gesetzt hätte, könne den Beschlüssen der Gerichtshöfe nicht entnommen werden. Werbemaßnahmen - soweit sie im Sinn des (Bundes)-KAG bzw. des O.ö. KAG 1976 überhaupt vorlägen - seien allenfalls von dritten Personen vorgenommen worden. Die antragstellenden Gerichtshöfe gingen in ihren Anträgen auf diese Problematik nicht ein. Aus den dargelegten Gründen sei es jedoch offenkundig unrichtig (denkunmöglich), daß die antragstellenden Gerichtshöfe in den bei ihnen anhängigen Verfahren die angefochtene Bestimmung anzuwenden hätten.

5.2. Auch der mitbeteiligte Facharzt und der mitbeteiligte Verein - die Beklagten der zivilgerichtlichen Verfahren - haben (vertreten durch denselben Rechtsanwalt) weitgehend übereinstimmende Äußerungen erstattet, in denen den Ausführungen der antragstellenden Gerichtshöfe beigepflichtet wird. Im übrigen wird im wesentlichen dargetan, daß eine Krankenanstalt im Sinne des Informationsbedürfnisses der Patienten die Möglichkeit haben müsse, schriftliche Informationen - wie sie zum Beispiel vom mitbeteiligten Verein herausgegeben worden seien - über Behandlungsmethoden und Unterbringungsmöglichkeiten in der Anstalt bereitzustellen. Auch im Hinblick auf die Bestimmungen des §25 ÄrzteG und Art4 lita der Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit", die eine Informationstätigkeit durch Ärzte in gewissen Rahmen zuließen, sei das umfassende Werbeverbot der angefochtenen Bestimmung bedenklich und schaffe eine klare Benachteiligung der Krankenanstalten gegenüber Fachärzten.

6. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

6.1. Zur Präjudizialität:

Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iS des Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987, 12189/1989).

Die antragstellenden Gerichtshöfe haben bei ihren Entscheidungen die (wettbewerbs)rechtliche Relevanz der Veröffentlichung verschiedener Broschüren, des Betriebes eines Schaukastens und Mitteilungen in anderer Form zu prüfen, in denen jeweils auf das Institut Zeileis - eine Krankenanstalt - bezug genommen und dabei zT sogar der Eindruck erweckt wird, das Institut selbst sei Träger der genannten Maßnahmen. Diese Maßnahmen wurden entweder vom beklagten Verein oder vom beklagten Facharzt gesetzt (oder sind diesem dem Anschein nach zuzurechnen - so ist etwa eine vom Verein veröffentlichte Broschüre mit dem Lichtbild des Facharztes versehen). Aus dem Wortlaut des §16 O.ö. KAG ist nicht zwingend abzuleiten, daß sich dieses Verbot - wie die o.ö. Landesregierung vermeint - nur an die Rechtsträger von Krankenanstalten richtet. Es ist daher nicht denkunmöglich, daß die antragstellenden Gerichtshöfe die angefochtene Bestimmung anzuwenden hätten, sowie ferner, daß die zu beurteilenden Maßnahmen (Veröffentlichung von Broschüren, Mitteilungen, etc.) als Werbung für Krankenanstalten im Sinne dieser Bestimmung anzusehen sind. Der Verfassungsgerichtshof kann demnach der Annahme der antragstellenden Gerichtshöfe nicht entgegentreten, daß §16 O.ö. KAG für ihre Entscheidungen präjudiziell sei.

Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, sind die Anträge zulässig.

6.2. In der Sache:

6.2.1. Die im Sinne des Art12 Abs1 Z1 B-VG (Heil- und Pflegeanstalten) erlassene Grundsatzbestimmung des §13 Abs1 KAG in der (bis zur Novelle BGBl. Nr. 801/1993 (KAG-Novelle 1993) geltenden) Stammfassung BGBl. Nr. 1/1957, hatte folgenden Wortlaut:

"Jede Art der Werbung für bestimmte medizinische Behandlungsmethoden sowie für die Anwendung bestimmter Arzneimittel oder bestimmter Heilbehelfe in Krankenanstalten ist verboten".

Durch die Grundsatzbestimmung des ArtI Z33 der Novelle BGBl. Nr. 801/1993 erhielt §13 Abs1 KAG folgenden Wortlaut:

"Dem Träger einer Krankenanstalt ist es verboten, selbst oder durch andere physische oder juristische Personen unsachliche oder unwahre Informationen im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Krankenanstalt zu geben."

ArtIII Abs1 der (Bundes-)KAG-Novelle 1993 lautet schließlich:

"Die Länder haben die Ausführungsgesetze zu ArtI innerhalb eines Jahres zu erlassen."

Die KAG-Novelle 1993 enthält keine Übergangs- bzw. Inkraftretensbestimmungen, sodaß sie mit dem der Ausgabe des BGBl. Nr. 801/1993 folgenden Tag, dem 27. November 1993, in Kraft getreten ist. Die genannte einjährige Anpassungsfrist begann somit an diesem Tag zu laufen und endete mit Ablauf des 26. November 1994.

6.2.2. §16 O.ö. KAG wurde innerhalb dieser Frist nicht geändert und hatte zum Zeitpunkt der Anträge des OLG Linz und des OGH an den Verfassungsgerichtshof nach wie vor den unter Pkt. 2.1. wiedergegebenen Wortlaut.

Erst mit ArtI Z16 der O.ö. Krankenanstaltengesetz-Novelle 1996, LGBl. für Oberösterreich Nr. 14/1997, wurde §16 O.ö. KAG derart geändert, daß sein (unter Pkt. 2.2. wiedergegebener) Wortlaut nunmehr mit einer unwesentlichen Abweichung jenem des §13 Abs1 (Bundes)-KAG in der novellierten Fassung der KAG-Novelle 1993 entspricht. Gemäß ArtII der O.ö. KAG-Novelle 1996 trat u.a. auch die Änderung des §16 mit dem der Kundmachung (vom 28. Februar 1997) folgenden Tag, d.h. mit 1. März 1997, in Kraft.

6.2.3. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom heutigen Tage, G38/97, im gleichgelagerten Fall des §19 des Stmk. Krankenanstaltengesetzes ausgeführt und unter Hinweis auf das Erkenntnis VfSlg 10176/1984 näher begründet hat, führt die Verletzung der in Art15 Abs6 B-VG normierten Anpassungspflicht des Ausführungsgesetzgebers zur Verfassungswidrigkeit jener Ausführungsregelungen, die in Widerspruch zur (geänderten) grundsatzgesetzlichen Rechtslage stehen.

6.2.4. Eine solche Konstellation liegt auch hier vor:

Die Ausführungsbestimmung des §16 O.ö. KAG, die - entsprechend der damaligen Fassung des §13 (Bundes)-KAG - ein umfassendes Verbot von Werbung für Behandlungsmethoden, Arzneimittel oder Heilbehelfe in Krankenanstalten enthielt, stand im offenkundigen Widerspruch zur Neufassung des §13 (Bundes)-KAG, worin das umfassende Werbeverbot durch das Verbot, unsachliche oder unwahre Informationen im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Krankenanstalt zu geben, ersetzt wurde. §16 O.ö. KAG blieb auch nach Ablauf der genannten einjährigen Anpassungsfrist (ebenso auch noch zum Zeitpunkt der Anträge des OLG Linz und des OGH an den Verfassungsgerichtshof) unverändert und wurde schon deshalb mit Ablauf dieser Anpassungsfrist am 26. November 1994 verfassungswidrig.

6.2.5. Aber auch die weiteren Bedenken der antragstellenden Gerichte, die angefochtene Bestimmung verstoße gegen Art10 EMRK, sind begründet. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VfSlg. 13554/1993 zum ausnahmslosen Werbeverbot für Ärzte nach der damals in Prüfung gezogenen Bestimmung des §25 Abs1 Ärztegesetz ua. folgendes ausgeführt:

"Nach Art10 Abs1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung, die das Recht der Freiheit der Meinung und der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden einschließt, werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen, aber auch Werbemaßnahmen erfaßt. Art10 Abs2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, daß die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind.

Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muß sohin, wie auch der EGMR ausgesprochen hat (Fall Sunday times v. 26.4.1979 EuGRZ 1979, S. 390; Fall Barthold v. 25.3.1985, EuGRZ 1985, S. 173),

a)

gesetzlich vorgesehen sein,

b)

einen oder mehrere der in Art10 Abs2 EMRK

genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und

              c)              zur Erreichung dieses Zweckes oder dieser Zwecke 'in einer demokratischen Gesellschaft notwendig'

sein.

§25 Abs1 und 2 normierten ein grundsätzliches Werbeverbot, das dem Arzt jede Art der Werbung untersagte. Die Bestimmungen unterbanden dadurch auch für den Patienten nützliche und sachliche Informationen. Der Verfassungsgerichtshof kann keine Umstände erkennen, die nach Art10 Abs2 EMRK ein Werbeverbot für Ärzte, wie es die in Prüfung gezogene Bestimmung vorsah, erlauben würden. Im Interesse des Schutzes der Gesundheit, der Moral, des guten Rufes wie der Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten ist ein derart weitreichendes Werbeverbot nicht erforderlich."

Auch §16 O.ö. KAG idF vor der O.ö. KAG-Novelle 1996, LGBl. für Oberösterreich Nr. 14/1997, enthielt ein absolutes Werbeverbot; die vom Verfassungsgerichtshof im vorzitierten Erkenntnis hervorgehobenen Gesichtspunkte der unzureichend berücksichtigten Interessen der Patienten an nützlichen und sachlichen Informationen, sowie der offenbar überschießenden Tendenz des Werbeverbotes vor dem Hintergrund der (zulässigerweise) intendierten Gesetzeszwecke gelten hier in ganz gleicher Weise. Die genannte Bestimmung war daher auch wegen des Verstoßes gegen Art10 MRK verfassungswidrig.

7. Da die Bestimmung des §16 O.ö. KAG idF vor der O.ö. KAG-Novelle 1996, LGBl. für Oberösterreich Nr. 14/1997, im Zeitpunkt der Fällung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes bereits außer Kraft getreten war, war gemäß Art140 Abs4 B-VG auszusprechen, daß sie verfassungswidrig war; da sie nach der Änderung des §13 des (Bundes)-KAG bis über die gesetzliche Anpassungsfrist hinaus ohne Deckung durch das Grundsatzgesetz in Geltung gestanden ist, war es - vor dem Hintergrund der Ausführungen der antragstellenden Gerichte zur Präjudizialität dieser Bestimmung zur Beurteilung von Sachverhalten aus einem Zeitraum nach der Änderung des §13 des (Bundes)-KAG - nicht erforderlich, auch die zuletzt genannte Bestimmung in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 801/1993 von Amts wegen in Prüfung zu ziehen.

8. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Oberösterreich zur unverzüglichen Kundmachung dieses Auspruches ergibt sich aus Art140 Abs5 B-VG.

9. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Krankenanstalten, Anpassungspflicht, Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung, Meinungsäußerungsfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:G11.1997

Dokumentnummer

JFT_10018993_97G00011_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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