TE Vfgh Erkenntnis 1998/10/7 G38/97

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Veröffentlicht am 07.10.1998
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Index

L9 Sozial- und Gesundheitsrecht
L9440 Krankenanstalt, Spital

Norm

B-VG Art15 Abs6
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
EMRK Art10
Stmk KAG §19
KAG §13

Leitsatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit des umfassenden Werbeverbotes im Stmk KAG wegen Verletzung der Anpassungspflicht des Ausführungsgesetzgebers nach Änderung des Grundsatzgesetzes und wegen Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit infolge unzureichender Berücksichtigung der Interessen der Patienten an Informationen

Spruch

§19 Steiermärkisches Krankenanstaltengesetz, LGBl. für das Land Steiermark Nr. 78/1957, war verfassungswidrig.

Der Landeshauptmann der Steiermark ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Der Oberste Gerichtshof (im folgenden: OGH) stellte anläßlich eines bei ihm anhängigen Rechtsstreites zwischen der Österreichischen Ärztekammer als Klägerin und der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse als Beklagte mit Beschluß vom 28. Jänner 1997, 4 Ob 2384/96h, an den Verfassungsgerichtshof einen auf Art89 Abs2 und Art140 Abs1 B-VG gestützten Antrag, §19 des Steiermärkischen Krankenanstaltengesetzes (in der Folge: Stmk. KAG) als verfassungswidrig aufzuheben, in eventu auszusprechen, daß diese Bestimmung verfassungswidrig war.

§19 Stmk. KAG, BGBl. Nr. 78/1957, in der im Zeitpunkt der Antragstellung durch den OGH noch unverändert geltenden Stammfassung lautete:

"Jede Art der Werbung für bestimmte Behandlungsmethoden sowie für die Anwendung bestimmter Arzneimittel oder bestimmter Heilbehelfe in Krankenanstalten ist verboten."

Durch die 16. KAG-Novelle, LGBl. Nr. 3/1998 (in Kraft getreten am 30. Jänner 1998) wurde diese Bestimmung mittlerweile durch folgende ersetzt:

"Dem Träger einer Krankenanstalt ist es verboten, selbst oder durch andere physische oder juristische Personen unsachliche oder unwahre Informationen im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Krankenanstalt zu geben."

1.1. Der OGH stellt in seinem Antrag den zugrundeliegenden Sachverhalt wie folgt dar:

"Die Beklagte ist Medieninhaberin, Herausgeberin und Verlegerin des Magazins 'Xund'. Das Magazin wird als Postwurfsendung an alle Haushalte der Steiermark versandt. In der Ausgabe vom 15.1.1996 erschien unter der Überschrift 'Der Zahn der Zeit ... Die 'Dritten' gibt es auch in den Zahnambulatorien der Stmk. GKK' ein Artikel über die Zahnambulatorien der Beklagten. Darin sind die Kosten für Totalprothesen und Teilprothesen angeführt und zwar aufgegliedert nach Gesamtkosten, Patientenanteil und Kassenanteil. Der Artikel lautet auszugsweise:

'Wer nicht mehr alle oder überhaupt keine eigenen Zähne mehr hat, braucht in der Regel einen Zahnersatz. Dann stellen sich dem Betroffenen u.a. folgende Fragen:

Welcher Zahnersatz ist für mich geeignet?

Sind noch genügend 'feste' Zähne vorhanden, kann deren Tragkraft mit einer Metallgerüstprothese ausgenutzt werden.

Fehlen alle Zähne oder müssen Zähne sofort nach ihrer Entfernung ersetzt werden, wird eine Kunststoffprothese benötigt.

Wer berät mich und wo bekomme ich die benötigte Prothese?

Sowohl für Beratungen als auch für die Herstellung von Prothesen stehen die frei praktizierenden Zahnärzte und Dentisten sowie die Zahnärzte in den Zahnambulatorien der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse zur Verfügung. Unverbindliche Beratungen führt darüber hinaus auch der Chefzahnarzt der Kasse, Prim. Univ.Doz. Dr. P P, durch.

Mit welchen Kosten muß ich für den Zahnersatz rechnen?

Für Stmk. GKK-Versicherte (Angehörige) übernimmt die Kasse zur Zeit 60 % der tarifmäßigen Kosten bei Kunststoff- bzw. Totalprothesen (auch bei Reparaturen) und 50 % bei Metallgerüstprothesen (auch bei Reparaturen) sowie bei Klammerzahnkronen.

Aufzahlungen, wie sie in Zahnarztpraxen vereinbart werden können, sind in den GKK-Zahnambulatorien nicht vorgesehen.

Sind die in Zahnambulatorien hergestellten Prothesen genau so gut wie andere?

Ja! In den GKK-Ambulatorien werden in Zusammenarbeit zwischen Zahnarzt und Techniker nur geprüfte und ausgewählte Materialien nach modernen Methoden verarbeitet - zu einem hochwertigen Zahnersatz.

...'

Die Klägerin begehrt zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung jede Information im Zusammenhang mit der Ausübung des ärztlichen Berufes durch

a) Nennung von Preisen für in den von ihr betriebenen Ambulatorien erbrachte Leistungen, insbesondere dort hergestellte Prothesen, und/oder

b) vergleichende Bezugnahmen auf Standesangehörige der Ärztekammer mit Worten wie 'Aufzahlungen, wie sie in Zahnarztpraxen vereinbart werden können, sind in den GKK-Zahnambulatorien nicht vorgesehen' oder sinngemäß gleichen Aussagen, und/oder

c) Erteilung medizinischer Auskünfte und Ratschläge in aufdringlicher und reklamehafter Weise, insbesondere in einer Zeitschrift, welche nicht nur an eigene Patienten der beworbenen Zahnambulatorien verbreitet wird,

zu verbieten.

Im Artikel werde für ärztliche Leistungen geworben. Die Werbebeschränkungen des Ärztegesetzes seien auf jede Information im Zusammenhang mit ärztlicher Tätigkeit anzuwenden. Die Nennung von Preisen und die vergleichende Bezugnahme auf Standesangehörige seien standeswidrig. Die Information sei aufdringlich und reklamehaft.

Die Beklagte beantragt, den Sicherungsantrag abzuweisen.

Sie habe nicht in Wettbewerbsabsicht gehandelt. Der Artikel enthalte sachliche und nützliche Information. §25 ÄrzteG sei nicht anzuwenden; für Ambulatorien gälten die Regelungen der Krankenanstaltengesetze. Das Werbeverbot für Ärzte sei strenger. Der Artikel über die Zahnambulatorien wäre aber selbst nach den Regeln des ärztlichen Standesrechts nicht rechtswidrig. Es handle sich dabei um Information und nicht um Werbung.

Das Erstgericht erließ die einstweilige Verfügung.

...

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige und der Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

...

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten."

1.2. Nach Ansicht des OGH habe er bei seiner Entscheidung über den Revisionsrekurs §19 Stmk. KAG anzuwenden, weil selbständige Ambulatorien, wie etwa Röntgeninstitute oder Zahnambulatorien, Krankenanstalten im Sinn des §1 Abs1 Stmk. KAG seien. Auch die Zahnambulatorien der Beklagten unterlägen damit diesem Gesetz.

§19 Stmk. KAG sei insbesondere anzuwenden, weil für diese Zahnambulatorien geworben worden wäre. Zwar sei richtig, daß in den Zahnambulatorien auch Ärzte tätig sind, womit durch den verfahrensgegenständlichen Artikel auch für ärztliche Leistungen geworben werde, was wiederum zur Anwendung des §25 Ärztegesetz führe. Dies schlösse aber eine Anwendung des §19 Stmk. KAG keineswegs aus: Wäre nämlich die Werbung für in Ambulatorien erbrachte Leistungen nach §25 Ärztegesetz zu beurteilen, so hätte das Werbeverbot im Krankenanstaltengesetz keinen oder nur einen sehr eingeschränkten Anwendungsbereich. Auch in den anderen Krankenanstalten seien Ärzte tätig. Wenn Behandlungsmethoden angepriesen werden, werde daher letztlich immer für ärztliche Leistungen geworben. Im übrigen werbe die Steiermärkische Gebietskrankenkasse in der beanstandeten Einschaltung für Prothesen und damit für bestimmte Heilbehelfe. Demgegenüber liege der Entscheidung 4 Ob 2228/96t eine Werbung für Zahnambulatorien zugrunde, in der die Leistungen der dort tätigen Ärzte im Vordergrund gestanden seien; auch sei dort das Begehren darauf gerichtet gewesen, das reklamehafte Hervorheben ärztlicher Tätigkeit zu untersagen.

1.3. Der OGH hegt gegen §19 Stmk. KAG folgende Bedenken:

"Das Steiermärkische Krankenanstaltengesetz ist ein Ausführungsgesetz zum Krankenanstaltengesetz des Bundes, BGBl 1957/1, dessen erster Teil (§§1 bis 42) Grundsatzbestimmungen enthält, im zweiten Teil ist unmittelbar anwendbares Bundesrecht enthalten.

   §13 KAG enthielt bis zur KAG-Novelle BGBl 1993/801 ein auf

§25 ÄrzteG aF abgestimmtes absolutes Werbeverbot. Seit der

KAG-Novelle 1993 lautet §13 Abs1 KAG:

'Dem Träger einer Krankenanstalt ist es verboten, selbst oder durch andere physische oder juristische Personen unsachliche oder unwahre Informationen im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Krankenanstalt zu geben.'

Nach §19 StmkKAG ist hingegen nach wie vor

'jede Art der Werbung für bestimmte medizinische Behandlungsmethoden sowie für die Anwendung bestimmter Arzneimittel oder bestimmter Heilbehelfe in Krankenanstalten ... verboten.'

Den Ländern wurde für die Ausführungsgesetzgebung zur KAG-Novelle 1993 eine einjährige Frist gesetzt, die keines der Länder und - jedenfalls was die Anpassung des §19 StmkKAG betrifft - auch die Steiermark nicht eingehalten hat (s Haslinger in Radner/Haslinger/Reinberg, Krankenanstaltenrecht 7). Ist eine landesgesetzliche Regelung vorhanden und werden Grundsätze durch den Bund neu erlassen, so wird ein nicht angepaßtes Gesetz verfassungswidrig (VfSlg 10176 mwN; Mayer/Walter, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts8, 123f Rz 266 und 268 mwN; Mayer, B-VG 92 mwN). Ob die Kompetenz damit an den Bund devolviert, ist strittig (so VfSlg 10176 mwN; aM Walter/Mayer aa0; s auch Mayer, Zur Devolutionskompetenz nach Art15 Abs6 B-VG, ÖJZ 1985, 545 (549f)), im vorliegenden Fall aber ohne Bedeutung. Mit Fristablauf ist §19 StmkKAG jedenfalls verfassungswidrig geworden.

Das uneingeschränkte Werbeverbot des §19 StmkKAG ist aber auch davon unabhängig verfassungsrechtlich bedenklich. Der Verfassungsgerichtshof hat das absolute Werbeverbot in §25 Abs1 und 2 ÄrzteG aF für verfassungswidrig erkannt, weil damit auch für den Patienten nützliche und sachliche Informationen unterbunden waren. Der Verfassungsgerichtshof könne keine Umstände erkennen, die nach Art10 Abs2 EMRK ein Werbeverbot für Drzte, wie es §25 ÄrzteG aF enthielt, erlauben würden. Im Interesse des Schutzes der Gesundheit, der Moral, des guten Rufes wie der Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten sei ein derart weitreichendes Werbeverbot nicht erforderlich (VfSlg. 13554).

Diese Erwägungen treffen auch für das in §19 StmkKAG enthaltene absolute Werbeverbot zu. Sie waren auch der Grund dafür, daß §13 KAG geändert und das Werbeverbot für Krankenanstalten auf unsachliche oder unwahre Informationen beschränkt wurde (1080 B1gNR 18. GP 21).

Eine verfassungskonforme Auslegung im Sinne der Meinungsfreiheit - auch juristische Personen sind geschützt (Mayer aa0 450 mwN) - ist bei einem generellen Verbot ausgeschlossen (s VfSlg 13554)."

2.1. Die Steiermärkische Landesregierung hat von einer Äußerung abgesehen und mitgeteilt, daß ein Verfahren zur Novellierung des §19 Stmk. KAG im Gange sei.

2.2. Die mitbeteiligte Österreichische Ärztekammer (Klägerin im zivilgerichtlichen Verfahren) hat eine Äußerung erstattet, in welcher die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung im Hinblick darauf bestritten wird, daß die Vorinstanzen ausschließlich den §25 Ärztegesetz und die Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" der Ärztekammer, nicht aber §19 Stmk. KAG angewendet hätten.

2.3. Die mitbeteiligte Steiermärkische Gebietskrankenkasse (Beklagte im zivilgerichtlichen Verfahren) hat ebenfalls eine Äußerung erstattet, in welcher sie dem OGH hinsichtlich der Anwendbarkeit des §19 Stmk. KAG beipflichtet, jedoch in Zweifel zieht, ob die im verfahrensgegenständlichen Artikel erhaltenen Informationen tatsächlich als "Werbung" im Sinn des §19 Stmk. KAG aufzufassen seien. Im übrigen sei dem OGH auch darin beizupflichten, daß die angefochtene Bestimmung infolge nicht rechtzeitiger Anpassung des Steiermärkischen Krankenanstaltengesetzes innerhalb der gesetzten Frist verfassungswidrig geworden sei.

3. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

3.1. Zur Präjudizialität:

Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iS des Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987, 12189/1989).

3.1.2. Der OGH hat bei seiner Entscheidung die Wettbewerbsrelevanz der Veröffentlichung des oben wiedergegebenen Artikels in einer von der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse herausgegebenen Zeitschrift in ihrem wettbewerbsrechtlichen Verhältnis zur Österreichischen Ärztekammer bzw. zu deren Standesangehörigen zu prüfen. Als Rechtsträger von (in diesem Artikel erwähnten) Zahnambulatorien unterliegt die Steiermärkische Gebietskrankenkasse dem Stmk. KAG (vgl. §1 Stmk. KAG) und damit grundsätzlich auch dessen §19. Zum Zeitpunkt der vom OGH zu beurteilenden Veröffentlichung verbot diese Bestimmung jede Art der Werbung für bestimmte medizinische Behandlungsmethoden sowie für die Anwendung bestimmter Arzneimittel oder bestimmter Heilbehelfe in Krankenanstalten. Es ist daher nicht denkunmöglich, daß der OGH - anders als offenbar die gerichtlichen Vorinstanzen meinten - die angefochtene Bestimmung anzuwenden hätte, sowie ferner, daß die zu beurteilende Veröffentlichung als Werbung im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist. Der Verfassungsgerichtshof kann demnach der Annahme des antragstellenden Gerichtes nicht entgegentreten, daß §19 Stmk. KAG für seine Entscheidung präjudiziell ist.

3.2. In der Sache:

3.2.1. Die im Sinne des Art12 Abs1 Z1 B-VG (Heil- und Pflegeanstalten) erlassene Grundsatzbestimmung des §13 Abs1 KAG in der (bis zur Novelle BGBl. Nr. 801/1993 (KAG-Novelle 1993) geltenden) Stammfassung BGBl. Nr. 1/1957, hatte folgenden Wortlaut:

"Jede Art der Werbung für bestimmte medizinische Behandlungsmethoden sowie für die Anwendung bestimmter Arzneimittel oder bestimmter Heilbehelfe in Krankenanstalten ist verboten."

Durch die Grundsatzbestimmung des ArtI Z32 der Novelle BGBl. Nr. 801/1993 erhielt §13 Abs1 KAG folgenden Wortlaut:

"Dem Träger einer Krankenanstalt ist es verboten, selbst oder durch andere physische oder juristische Personen unsachliche oder unwahre Informationen im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Krankenanstalt zu geben."

ArtIII Abs1 der (Bundes-)KAG-Novelle 1993 lautet schließlich:

"Die Länder haben die Ausführungsgesetze zu ArtI innerhalb eines Jahres zu erlassen."

3.2.1.1. Die KAG-Novelle 1993 enthält keine Übergangs- bzw. Inkraftretensbestimmungen, sodaß sie mit dem der Ausgabe des BGBl. Nr. 801/1993 folgenden Tag, dem 27. November 1993, in Kraft getreten ist. Die genannte einjährige Anpassungsfrist begann somit an diesem Tag zu laufen und endete mit Ablauf des 26. November 1994.

3.2.1.2. §19 Stmk. KAG wurde innerhalb dieser Frist nicht geändert und hatte zum Zeitpunkt des Antrags des OGH an den Verfassungsgerichtshof nach wie vor den unter Pkt. 1 wiedergegebenen Wortlaut.

Erst mit ArtI Z30 der 16. KAG-Novelle, LGBl. für das Land Steiermark Nr. 3/1998, wurde §19 Stmk. KAG derart geändert, daß sein Wortlaut nunmehr jenem des §13 Abs1 KAG in der novellierten Fassung der (Bundes-)KAG-Novelle 1993 entspricht. Gemäß ArtIV Abs1 der 16. KAG-Novelle trat u.a. auch die Änderung des §19 mit dem der Kundmachung (vom 29. Jänner 1998) folgenden Tag, d.h. mit 30. Jänner 1998, in Kraft.

3.2.2. Art15 Abs6 B-VG - durch die B-VG-Nov. BGBl. Nr. 444/1974 um die letzten beiden Sätze erweitert - lautet wie folgt:

"Soweit dem Bund bloß die Gesetzgebung über die Grundsätze vorbehalten ist, obliegt innerhalb des bundesgesetzlich festgelegten Rahmens die nähere Ausführung der Landesgesetzgebung. Das Bundesgesetz kann für die Erlassung der Ausführungsgesetze eine Frist bestimmen, die ohne Zustimmung des Bundesrates nicht kürzer als sechs Monate und nicht länger als ein Jahr sein darf. Wird diese Frist von einem Land nicht eingehalten, so geht die Zuständigkeit zur Erlassung des Ausführungsgesetzes für dieses Land auf den Bund über. Sobald das Land das Ausführungsgesetz erlassen hat, tritt das Ausführungsgesetz des Bundes außer Kraft. Sind vom Bundesgesetzgeber keine Grundsätze aufgestellt, so kann die Landesgesetzgebung solche Angelegenheiten frei regeln. Sobald der Bund Grundsätze aufgestellt hat, sind die landesgesetzlichen Bestimmungen binnen der bundesgesetzlich zu bestimmenden Frist dem Grundsatzgesetz anzupassen."

Diese Bestimmung regelt nicht ausdrücklich den Fall, daß der Bund ein bestehendes Grundsatzgesetz abändert, ein bereits bestehendes Ausführungsgesetz des Landes aber nicht innerhalb der zur Anpassung gesetzten Frist an das geänderte Grundsatzgesetz angepasst wird. Wie der Verfassungsgerichtshof schon in seinem ausführlich begründeten Erkenntnis VfSlg. 10176/1984 dargelegt hat, besteht auch in diesem Fall die Anpassungspflicht analog zu Art15 Abs6 letzter Satz B-VG; ihre Verletzung führt zur Verfassungswidrigkeit jener Ausführungsregelungen, die in Widerspruch zur (geänderten) grundsatzgesetzlichen Rechtslage stehen.

3.2.3. Eine solche Konstellation liegt hier vor:

Die Ausführungsbestimmung des §19 Stmk. KAG, die - entsprechend der damaligen Fassung des §13 (Bundes-)KAG - ein umfassendes Verbot von Werbung für Behandlungsmethoden, Arzneimittel oder Heilbehelfe in Krankenanstalten enthielt, stand im offenkundigen Widerspruch zur Neufassung des §13 (Bundes-)KAG, worin das umfassende Werbeverbot durch das Verbot, unsachliche oder unwahre Informationen im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Krankenanstalt zu geben, ersetzt wurde. §19 Stmk. KAG blieb auch nach Ablauf der genannten einjährigen Anpassungsfrist (ebenso auch noch zum Zeitpunkt des Antrags des OGH an den Verfassungsgerichtshof) unverändert und wurde mit Ablauf dieser Anpassungsfrist verfassungswidrig.

3.2.4. Aber auch die weiteren Bedenken des OGH, die angefochtene Bestimmung verstoße gegen Art10 EMRK, sind begründet. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VfSlg. 13554/1993 zum ausnahmslosen Werbeverbot für Ärzte nach der damals in Prüfung gezogenen Bestimmung des §25 Abs1 Ärztegesetz u.a. folgendes ausgeführt:

"Nach Art10 Abs1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung, die das Recht der Freiheit der Meinung und der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden einschließt, werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen, aber auch Werbemaßnahmen erfaßt. Art10 Abs2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, daß die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind.

Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muß sohin, wie auch der EGMR ausgesprochen hat (Fall Sunday times v. 26.4.1979 EuGRZ 1979, S. 390; Fall Barthold v. 25.3.1985, EuGRZ 1985, S. 173),

a)

gesetzlich vorgesehen sein,

b)

einen oder mehrere der in Art10 Abs2 EMRK

genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und

c)

zur Erreichung dieses Zweckes oder dieser Zwecke "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein.

§25 Abs1 und 2 normierten ein grundsätzliches Werbeverbot, das dem Arzt jede Art der Werbung untersagte. Die Bestimmungen unterbanden dadurch auch für den Patienten nützliche und sachliche Informationen. Der Verfassungsgerichtshof kann keine Umstände erkennen, die nach Art10 Abs2 EMRK ein Werbeverbot für Ärzte, wie es die in Prüfung gezogene Bestimmung vorsah, erlauben würden. Im Interesse des Schutzes der Gesundheit, der Moral, des guten Rufes wie der Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten ist ein derart weitreichendes Werbeverbot nicht erforderlich.

Auch §19 Stmk. KAG idF vor der 16. Novelle enthielt ein absolutes Werbeverbot; die vom Verfassungsgerichtshof im vorzitierten Erkenntnis hervorgehobenen Gesichtspunkte der unzureichend berücksichtigten Interessen der Patienten an nützlichen und sachlichen Informationen, sowie der offenbar überschießenden Tendenz des Werbeverbotes vor dem Hintergrund der (zulässigerweise) intendierten Gesetzeszwecke gilt hier in ganz gleicher Weise. Die genannte Bestimmung war daher auch wegen des Verstoßes gegen Art10 MRK verfassungswidrig.

4. Da die Bestimmung des §19 Stmk. KAG in der Fassung vor der 16. Novelle im Zeitpunkt der Fällung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes bereits außer Kraft getreten war, war gemäß Art140 Abs4 B-VG auszusprechen, daß sie verfassungswidrig war; da sie nach der Änderung des §13 des (Bundes)-KAG bis über die gesetzliche Anpassungsfrist hinaus ohne Deckung durch das Grundsatzgesetz in Geltung gestanden ist, war es - vor dem Hintergrund der Ausführungen des OGH zur Präjudizialität dieser Bestimmung zur Beurteilung eines Sachverhaltes vom Jänner 1996 - nicht erforderlich, auch §13 des (Bundes)-KAG in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 801/1993 von Amts wegen in Prüfung zu ziehen.

5. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes der Steiermark zur unverzüglichen Kundmachung des Ausspruches über die Verfassungswidrigkeit ergibt sich aus Art140 Abs5 B-VG.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Krankenanstalten, Anpassungspflicht, Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung, Meinungsäußerungsfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:G38.1997

Dokumentnummer

JFT_10018993_97G00038_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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