TE Vfgh Erkenntnis 1998/11/30 B777/98

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Veröffentlicht am 30.11.1998
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Leitsatz

Quasi-Anlaßfallwirkung der Aufhebung eines Teils des §32 Abs1 erster Satz AsylG 1997 mit E v 24.06.98, G31/98 ua. Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10616/1985, 11711/1988, VfGH 27.11.95; dies trifft auch dann zu, wenn das Gesetzesprüfungsverfahren vom Verfassungsgerichtshof nicht von amtswegen eingeleitet, sondern aufgrund eines Antrages (etwa des Verwaltungsgerichtshofes oder - wie im vorliegenden Fall - des Unabhängigen Bundesasylsenates) durchgeführt wurde (s. auch dazu VfGH 27.11.95 B314/95).

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit 27.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Bescheid vom 23. März 1998 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Jugoslawischen Föderation, mit der Begründung zurück, daß er über Ungarn eingereist sei und somit im Sinne des §4 AsylG 1997 Schutz vor Verfolgung im sicheren Drittstaat finden könne. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer innerhalb der zweitägigen Rechtsmittelfrist des §32 Abs1 erster Satz AsylG 1997 Berufung, die vom Unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheid vom 27. März 1998 abgewiesen wurde.

Dieser Berufungsbescheid ist Gegenstand der vorliegenden Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher die Verletzung in Rechten infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm geltend gemacht wird; unter anderem wird darin vorgebracht, daß die in §32 Abs1 erster Satz AsylG 1997 getroffene Regelung über die zweitägige Berufungsfrist verfassungswidrig sei.

2. Aufgrund mehrerer Anträge des Unabhängigen Bundesasylsenates leitete der Verfassungsgerichtshof nach Art140 Abs1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der im §32 Abs1 erster Satz des AsylG 1997 enthaltenen Wendung "§4 und" ein und hob sie mit dem am 24. Juni 1998 gefällten Erkenntnis G31/98 ua. als verfassungswidrig auf.

3. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte. Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10616/1985, 11711/1988, VfGH 27.11.1995 B314/95, VfGH 24.6.1998 B430/98); dies trifft auch dann zu, wenn das Gesetzesprüfungsverfahren vom Verfassungsgerichtshof nicht von amtswegen eingeleitet, sondern aufgrund eines Antrages (etwa des Verwaltungsgerichtshofes oder - wie im vorliegenden Fall - des Unabhängigen Bundesasylsenates) durchgeführt wurde (s. auch dazu VfGH 27.11.1995 B314/95, VfGH 24.6.1998 B430/98).

Die nichtöffentliche Beratung im erwähnten Verfahren G31/98 ua. zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wendung "§4 und" im §32 Abs1 erster Satz AsylG 1997 begann am 13. Juni 1998. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Beschwerdeführer bereits einen Verfahrenshilfeantrag beim Verfassungsgerichtshof gestellt. Die nach Bewilligung der Verfahrenshilfe (durch einen Rechtsanwalt) am 22. Juni 1998 eingebrachte Beschwerde galt aufgrund der §§73 Abs2 und 464 Abs3 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG als zum Zeitpunkt der Einbringung des Verfahrenshilfeantrages, somit als noch vor Beginn der nichtöffentlichen Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren erhoben und damit beim Verfassungsgerichtshof anhängig (vgl. VfSlg. 11748/1988 und 13665/1994). Der ihr zugrundeliegende Fall ist daher einem Anlaßfall gleichzuhalten.

Die belangte Behörde wendete bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen, daß ihre Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt (s. auch dazu VfGH 24.6.1998 B430/98).

Der Bescheid ist daher aufzuheben.

II.                                 Die Kostenentscheidung

gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 4.500 S enthalten.

III.        Von der Durchführung einer

mündlichen Verhandlung wurde in sinngemäßer Anwendung des §19 Abs4 Z3 VerfGG abgesehen.

Schlagworte

VfGH / Anlaßverfahren, VfGH / Anlaßfall, Asylrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:B777.1998

Dokumentnummer

JFT_10018870_98B00777_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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