Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Strohmayer, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde des M in W, geboren am 12. Jänner 1979, vertreten durch Dr. Günther R. John, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Tuchlauben 14, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 12. Mai 1998, Zl. 200.127/0-VI/17/98, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der am 12. Jänner 1979 in Bagdad geborene Beschwerdeführer reiste am 25. Juni 1997 mit einem am 11. Juni 1997 ausgestellten irakischen Reisepass und der erforderlichen Ausreisebewilligung aus dem Irak nach Jordanien aus, erhielt von der österreichischen Botschaft in Amman am 26. Juni 1997 einen gewöhnlichen Sichtvermerk mit dreimonatiger Gültigkeitsdauer für die Einreise nach Österreich und traf am 30. Juni 1997 in Österreich ein, wo er sich am 1. Juli 1997 in stationäre Spitalsbehandlung begab und am 3. Juli 1997 am Auge operiert wurde. Die Erteilung des Sichtvermerkes zur Ermöglichung der Behandlung einer Schussverletzung des Beschwerdeführers am Auge in einem österreichischen Krankenhaus beruhte auf Bemühungen des in Österreich lebenden Halbbruders des Beschwerdeführers, die u. a. von der Caritas, dem Österreichischen Roten Kreuz, der AUA und dem amtsführenden Stadtrat für Gesundheits- und Spitalswesen von Wien unterstützt worden waren.
Am 4. September 1997 stellte der Beschwerdeführer einen Asylantrag. Er wurde dazu am 4. und 9. September 1997 niederschriftlich einvernommen, wobei er den Antrag im Wesentlichen damit begründete, dass er am 11. Oktober 1995 einer oppositionellen Organisation beigetreten und deshalb vom 13. Juli 1996 bis zum 6. Jänner 1997 inhaftiert gewesen sei. Am 17. April 1997 sei er beim Verlassen des Wohnhauses in Bagdad von einer Kugel ins Auge getroffen worden. Der Schuss sei aus der Richtung eines dunklen Fahrzeuges mit getönten Scheiben gekommen und nach Ansicht des Beschwerdeführers ein Attentat von staatlicher Seite wegen seiner oppositionellen Tätigkeit gewesen. Der Beschwerdeführer sei zusammengebrochen, in ein Krankenhaus gebracht und dort - nicht erfolgreich - operiert worden. Für den Fall einer Rückkehr in den Irak befürchte er weitere gezielte Angriffe auf ihn. Er habe seit dem Vorfall vom 17. April 1997 dauernd Angst gehabt.
Das Bundesasylamt hielt telefonische Rücksprache mit dem Arzt, der den Beschwerdeführer in Österreich operiert hatte, vernahm den in Österreich lebenden Halbbruder des Beschwerdeführers als Zeugen und hielt dem Beschwerdeführer in einer ergänzenden Einvernahme am 1. Oktober 1997 u.a. vor, das durch sein Auge in seinen Kopf eingedrungene Projektil, das auch in Wien nicht entfernt worden sei, sei ein Luftdruckgeschoß. Es werde bezweifelt, dass sich der irakische Geheimdienst derartiger Waffen bediene. Der Beschwerdeführer gab dazu an, das Fahrzeug, aus dessen Richtung der Schuss gekommen sei, müsse wegen der getönten Scheiben, die im Irak bei Privatautos verboten seien, ein Geheimdienstfahrzeug gewesen sein. Der Beschwerdeführer habe auch keine anderen Feinde.
Mit Bescheid vom 28. Oktober 1997 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab. Das Bundesasylamt ging davon aus, dass der vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgungssachverhalt, nämlich der Beitritt zu der oppositionellen Organisation, wiederholte Befragungen über den Verbleib des in Österreich lebenden Halbbruders, die Inhaftierung vom 13. Juli 1996 bis Jänner 1997 und eine dem Beschwerdeführer im April 1997 "in Verfolgungsabsicht" zugefügte Schussverletzung am Auge, mangels Glaubwürdigkeit der diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers insgesamt nicht feststellbar sei. Feststellbar sei nur die Schussverletzung als solche.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 7 AsylG ab.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde hat keine Berufungsverhandlung durchgeführt und ihre Entscheidung nur auf die ihr vorgelegten Akten gestützt. In Bezug auf die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Verfolgungsgefahr wird im angefochtenen Bescheid zunächst
"festgestellt, dass der behauptete Gefängnisaufenthalt des Berufungswerbers in der Zeit vom 13.07.1996 bis 05.01.1997 offensichtlich wegen seines am 11.10.1995 erfolgten Beitrittes zur 'Demokratischen Organisation für die Befreiung des Iraks' nicht der unmittelbare Anlass für das Verlassen seines Herkunftsstaates war".
Zur Schussverletzung des Beschwerdeführers wird festgestellt:
"Am 17.04.1997 wurde der Berufungswerber nach Verlassen des Wohnhauses von einer Kugel im rechten Auge getroffen: Ein Spitzdiabologeschoß einer Sport- oder Freizeitwaffe war schläfenwertig in das Auge eingedrungen, wobei es in der Folge abgelenkt und im knöchernen Bereich der Nasenhöhle stecken blieb; die Netzhaut war zerstört worden, es war eine Linsentrübung eingetreten (AS 36, 82). Dadurch befürchtete der Berufungswerber, in Zukunft bewusst Übergriffen ausgesetzt zu sein und beurteilte diesen Vorfall als bewusstes Attentat gegen sich. Der Berufungswerber sah wohl nicht, welche Person (mit der Waffe in der Hand) das Attentat verübte, er glaubte aber, dass das tragische Attentat von einem der beiden Männer, die sich in bzw. neben einem dunklen Auto mit dunklen Scheiben, das in der Entfernung von zirka 50 Metern stand, abgegeben wurde. Der Berufungswerber gab bei der niederschriftlichen Befragung zuerst an, keinen Schuss gehört zu haben, dann sagte er kurz darauf jedoch aus, einen Schuss gehört zu haben (AS 17)."
In den Ausführungen zur Beweiswürdigung werden die Angaben des Beschwerdeführers wie folgt beurteilt:
"Aufgrund der teils widersprüchlichen Aussagen, kommt dem Vorbringen nicht die volle Glaubwürdigkeit zu: Der Berufungswerber sagte zu den Verhören einerseits, dass es Verhöre nicht gab, andererseits, dass er ein einziges Mal verhört wurde; zu dem tragischen Attentat sagt er einerseits, er habe keinen Schuss gehört, dann aber sogleich, er hätte einen gehört. Erwiesen ist jedenfalls, dass er nach seiner behaupteten Haftentlassung 'keine Probleme' hatte."
Die entscheidenden Teile der rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes durch die belangte Behörde lauten:
"Der Berufungswerber 'glaubt', dass das Attentat auf ihn, 'von staatlicher Seite wegen seiner oppositionellen Tätigkeit erfolgt ist' (AS 18); dieser Auffassung kann aus folgenden Gründen nicht gefolgt werden: Wie der Berufungswerber selbst ausführte, hat er nach seiner (behaupteten) Haftentlassung keine konkreten Probleme. Er wollte bereits Anfang Juli 1996 den Irak verlassen. Bei der Annahme, dass er von den Organen seines Heimatstaates tatsächlich als Oppositioneller eingestuft wurde, wäre es wohl seinen Eltern - aufgrund der amtsbekannten Tatsache der in solchen Fällen zum Tragen kommenden Sippenhaftung - mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht genehmigt worden, mehrmals ins Ausland zu reisen. Dazu kommt, dass erfahrungsgemäß derartige Attentate nicht mit einer Sport- oder Freizeitwaffe von Geheimdienstleuten ausgeführt werden; weiters kann wohl angenommen werden, dass die Behörden einem Oppositionellen nicht die problemlose Ausreise zur ärztlichen Versorgung im Ausland ermöglichen würden.
Darüber hinaus ist bei einer Gesamtbetrachtung des für das Verfahren wesentlichen Vorbringens erkennbar, dass der Berufungswerber wichtige Tatsachen in Teilbereichen seiner Aussagen, wie im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, nicht eindeutig und glaubwürdig zu schildern in der Lage war.
Jedenfalls ist festzuhalten, dass ein Konnex zwischen seinem behaupteten Beitritt zu einer oppositionellen Vereinigung und dem Schussattentat nicht herstellbar ist; zum einen hat er eine politische Betätigung oder Verfolgung zwischen seiner (angeblichen) Haftentlassung bis zum 17.04.1997 nicht behauptet, zum anderen lassen die Schilderungen insbesondere über seine und seiner Eltern Ausreise aus dem Irak sowie über den tragischen Vorfall vom 17.04.1997 nicht den Schluss zu, dass im gegenständlichen Fall eine Verfolgung aus einem der in der GFK angeführten Gründe vorliegt."
Diesen Ausführungen ist zunächst entgegenzuhalten, dass die beiden von der belangten Behörde hervorgehobenen Widersprüche im Vorbringen des Beschwerdeführers - wie in der Beschwerde im Ergebnis zutreffend dargelegt wird - keine taugliche Grundlage für eine Beweiswürdigung zum Nachteil des Beschwerdeführers bilden. Es ist nämlich zum einen nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, dass eine Person, die unvermutet von einem durch das Auge in den Kopf eindringenden Projektil getroffen wird, zu verlässlichen Angaben darüber, ob sie dabei einen Schuss gehört habe, in der Lage sein müsse, und zum anderen nicht richtig, dass sich der Beschwerdeführer in seinen Angaben "zu den Verhören" widersprochen habe. Die Aussage des Beschwerdeführers, dass es "dort" keine Verhöre gegeben habe, bezog sich auf seine "Gefängniszeit" und somit auf das Gefängnis, in das er seinen Angaben zufolge erst etwa 10 bis 11 Tage nach dem Verhör verbracht wurde.
Die Ausführungen der belangten Behörde lassen in ihrer Gesamtheit aber auch nicht erkennen, von welchem Sachverhalt bei der Beurteilung des Falles ausgegangen wurde. Im angefochtenen Bescheid wird zwar die "volle Glaubwürdigkeit" des Beschwerdeführers wegen der behaupteten Widersprüche in seinen Angaben in Abrede gestellt, andererseits aber festgestellt, dass sich der Vorfall am 17. April 1997 - aus der Sicht des Beschwerdeführers - in der von ihm behaupteten Weise ereignet habe, und nur der Deutung des auch von der belangten Behörde so genannten "Schussattentates" durch den Beschwerdeführer entgegengetreten. In Bezug auf den vorangegangenen Gefängnisaufenthalt des Beschwerdeführers scheint die belangte Behörde davon auszugehen, dass es auf den Wahrheitsgehalt der diesbezüglichen Behauptungen nicht ankomme, weil der "behauptete" Gefängnisaufenthalt "nicht der unmittelbare Anlass" für die Ausreise des Beschwerdeführers gewesen sei.
Geht man davon aus, dass der Beschwerdeführer am 17. April 1997 Opfer eines "Attentates" wurde und der Schuss, wie vom Beschwerdeführer angegeben, aus der Richtung des von ihm wahrgenommenen Fahrzeuges kam, wobei sich auf dem Platz vor dem Wohnhaus des Beschwerdeführers, wo sich der Vorfall ereignete, nach seinen Angaben keine anderen Fahrzeuge befanden, so lässt sich die Deutung des Vorfalles durch den Beschwerdeführer mit Hilfe der von der belangten Behörde angestellten Plausibilitätserwägungen (denen in der Beschwerde im Übrigen entgegengetreten wird) aber nicht beiseite schieben, wenn sich für das "Attentat" auf den Beschwerdeführer nicht eine andere, plausiblere Erklärungsmöglichkeit aufzeigen lässt. Die belangte Behörde verweist nicht auf eine solche Erklärungsmöglichkeit, weshalb ihre Plausibilitätserwägungen - im Widerspruch zu den getroffenen Feststellungen - implizieren, die Schussverletzung des Beschwerdeführers sei unter anderen als den von ihm behaupteten Umständen zustande gekommen.
Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes erscheint es bei dieser Sachlage als erforderlich, dass sich die belangte Behörde im Rahmen einer mündlichen Berufungsverhandlung (ohne die das Verfahren im Falle einer berufungsstattgebenden Entscheidung jedenfalls mangelhaft wäre) einen eigenen, unmittelbaren Eindruck von der persönlichen Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers verschafft und klare Feststellungen darüber trifft, inwieweit seinen Angaben zu folgen ist.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 27. September 2001
Schlagworte
freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998200370.X00Im RIS seit
29.11.2001