TE UVS Wien 1995/12/18 02/31/122/94

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Veröffentlicht am 18.12.1995
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch das Mitglied Dr Schnizer-Blaschka über die Beschwerde des Herrn Kurt P wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (Festnahme des Beschwerdeführers am 11.11.1994 mittags, in den Amtsräumen des Fundamtes in Wien, W-gasse), wie folgt entschieden:

Gemäß § 67c Abs 4 AVG wird die Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen.

Text

Begründung:

1. In seiner Beschwerde vom 23.12.1994 bringt der Beschwerdeführer vor, er sei am 11.11.1994 mittags in den Amtsräumen des Fundamtes, W-gasse, Wien, von Organen der Wirtschaftspolizei festgenommen und in der Folge nach kurzem Aufenthalt im Polizeigefangenenhaus noch am selben Tag in das Landesgericht Wien, Justizanstalt J, verbracht worden. Gegen diesen mit unmittelbarem Zwang gegen seine Person verbundenen Verwaltungsakt richte sich seine Beschwerde gemäß Art 129a B-VG.

Begründend führt er aus, er habe in der Justizanstalt P zu 4c Vr 3745/94, Landesgericht für Strafsachen Wien, eine Freiheitsstrafe verbüßt, deren Ende von der Justizanstalt mit 25.11.1994 berechnet worden sei. Vom 21. bis 24.11.1994 sei ihm ein Ausgang nach § 147 StVG gewährt worden. Als er die Strafzeit nachgerechnet habe, habe sich herausgestellt, daß ein Irrtum vorgelegen sei. Sein Strafende sei nämlich auf den 24.11.1994 gefallen, was genau mit dem Ende des Ausgangs zusammengefallen sei. Er habe die Justizanstalt informiert, daß er seine Strafe als verbüßt betrachte und habe auch von dem an das Landesgericht für Strafsachen Wien gerichteten diesbezüglichen Antrag mitgeteilt. Da wochenlang kein Polizist an seine Wohnung geklopft habe, habe er die Angelegenheit als erledigt betrachtet.

Als er am 11.11.1994 im Fundamt verlorene Dokumente habe abholen wollen, habe die Computerüberprüfung seiner Person ergeben, daß er als flüchtiger Strafgefangener in der Fahndung gestanden sei. Obwohl der Justizanstalt P spätestens nach seinem Fax vom 24.11.1994, 8.30 Uhr, der Rechenfehler bekannt sein hätte müssen, sei wider besseres Wissen eine unberechtigte bundesweite Fahndung nach ihm als angeblich flüchtigen Strafgefangenen veranlaßt worden. Aber auch für den Fall, daß er tatsächlich noch einen Tag Freiheitsstrafe zu verbüßen gehabt hätte, wäre das Strafende auf einen Samstag gefallen und er hätte nach dem StVG eben an dem Freitag, an dem er festgenommen worden sei, entlassen werden müssen, also gar nicht verhaftet werden dürfen. Wenn die Justizanstalt P meine, er hätte noch ausständige Verwaltungsstrafen zu verbüßen gehabt, sei dazu zu sagen, daß daraus keinerlei Berechtigung folge, nach ihm als flüchtigem Strafgefangenen fahnden zu lassen und er hätte keinesfalls in der Justizanstalt J, angehalten werden dürfen, sondern hätte dem PGH überstellt werden müssen. Er sei also in seinem Recht, entgegen den Bestimmungen des StVG nicht zur Fahndung ausgeschrieben und nicht festgenommen zu werden, verletzt worden und beantrage, diese Maßnahme für rechtswidrig zu erklären sowie ihm Aufwandersatz in noch zu bestimmender Höhe zuzusprechen.

2. Aus den von der Justizanstalt P vorgelegten Akten geht folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt hervor:

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 21.7.1994, AZ 4c Vr 3745/94, Hv 4494/94, wegen teils vollendeten, teils versuchten Verbrechens und Vergehens nach dem SGG zu zwei Jahren Freiheitsstrafe, hievon sechs Monate unbedingt und achtzehn Monate bedingt auf drei Jahre rechtskräftig verurteilt. Gleichzeitig wurde die vom 10.6.1994,

16.20 Uhr, bis 21.7.1994, 9.30 Uhr, erlittene Vorhaft angerechnet. Der tatsächliche Strafantritt erfolgte am 21.7.1994, 9.30 Uhr (siehe Strafvollzugsanordnung vom 21.7.1994, gleiche Zahl wie oben; Beilage A, Bl 1).

Mit Beschluß des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3.10.1994, der mit Beschluß vom 14.10.1994 ergänzt wurde, wurde dem Beschwerdeführer eine wegen derselben Straftat in Deutschland verbüßte Untersuchungshaft angerechnet, und zwar die Zeit vom 12.3.1994, 12.00 Uhr, bis 28.4.1994, 12.00 Uhr (Beilage A, Bl 5 und Bl 9).

Gegen Ende seiner Strafhaft wurde dem Beschwerdeführer ein Ausgang in der Dauer von 3 Tagen bis 24.10.1994, 9.00 Uhr, gestattet. Anstatt zu diesem Zeitpunkt wieder in die Strafanstalt einzurücken, übermittelte der Beschwerdeführer der Anstaltsleitung der Justizanstalt P an diesem Tag um 7.37 Uhr ein Telefax, in dem er (unter anderem) folgendes mitteilte:

"Sehr geehrte Herren,

unter Berücksichtigung der meine deutsche U-Haft betreffenden Daten inklusive Uhrzeiten ergibt sich für den unbedingten Teil der Freiheitsstrafe zu 4c Vr 3745/94, LG für Strafsachen Wien, meiner Berechnung nach ein Strafende von 24.10.1994, 9.00 Uhr, das mit dem Ende des am 20.10.1994 gemäß § 147 StVG gewährten Ausganges zusammenfällt. Ich wurde am 12.3.1994 um 9 Uhr auf einem Autobahnparkplatz bei H festgenommen und am 28.4.1994 kurz nach 16 Uhr im Verhandlungssaal vom Richter enthaftet.

Ich betrachte deshalb mit dem genannten Zeitpunkt die Gerichtsstrafe als verbüßt, womit ich mein Wiedererscheinen für entbehrlich halte, zumal ich heute wichtige Behördenwege zu erledigen habe.

Den an den Vorsitzenden der Hauptverhandlung gemäß § 400 StPO gerichteten Antrag schließe ich in Kopie bei. ...."

Diesem Fax schloß der Beschwerdeführer eine Kopie des an das Landesgericht für Strafsachen Wien gerichteten Antrages vom 23.10.1994 bei, in dem er die Anrechnung der in der BRD vom 12.3.1994, 9.00 Uhr, bis 28.4.1994, 16.00 Uhr, erlittenen Vorhaft beantragte (Beilage A, Bl 15 und Bl 17).

Da der Beschwerdeführer nicht wieder in die Justizanstalt P zurückkehrte, ersuchte die Anstaltsleitung um Verhaftung oder Vorführung des flüchtigen Strafgefangenen (Beilage A, Bl 21). Aufgrund dieses Vorführersuchens wurde der Beschwerdeführer im Zuge einer Amtshandlung in den Räumlichkeiten der Bundespolizeidirektion Wien, Wirtschaftspolizei, Fundamt, am 11.11.1994, um 12.05 Uhr, festgenommen und im Wege des Polizeigefangenenhauses der Bundespolizeidirektion Wien der Justizanstalt J überstellt.

3. Rechtlich ergibt sich aufgrund dieses Sachverhaltes folgendes:

a) Gemäß § 67a Abs 1 Z 2 iVm § 67c AVG entscheiden die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden wegen der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt. Die Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nur dann vor, wenn ein Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig einen Befehl erteilt oder Zwang ausübt und dieser Akt gegen individuell bestimmte Adressaten gerichtet ist. Demgegenüber können Akte von Verwaltungsbehörden, die in Durchführung richterlicher Anordnungen gesetzt werden, entsprechend der herrschenden Lehre und Rechtsprechung nicht dem Bereich der Hoheitsverwaltung zugeordnet werden. Vielmehr sind der richterliche Befehl und dessen tatsächliche Ausführung, auch wenn diese durch Verwaltungsorgane vorgenommen wird, als Einheit zu sehen. Demgemäß sind die aufgrund eines richterlichen Befehls von Verwaltungsorganen vorgenommenen Akte zur Durchführung dieses Befehls - solange die Verwaltungsorgane den ihnen durch den richterlichen Befehl gestellten Ermächtigungsrahmen nicht überschreiten - funktionell der Gerichtsbarkeit zuzurechnen. Nur im Fall einer offenkundigen Überschreitung der richterlichen Anordnung liegt insoweit ein der Verwaltung zuzurechnendes Organhandeln vor (vgl die ständige Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, insbesondere auch das vom Beschwerdeführer zitierte unlängst ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.9.1993, 92/01/0940, mit zahlreichen Hinweisen).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist im Beschwerdefall daher zunächst zu prüfen, ob das zitierte Urteil iZm dem Beschluß über die (weitere) Vorhaftanrechnung die tatsächliche Rechtsgrundlage für die Festnahme (und neuerliche Anhaltung) des Beschwerdeführers bildete bzw ob die gerichtlich verhängte Strafe bereits verbüßt war, die bekämpfte Freiheitsentziehung daher möglicherweise eine Überschreitung des Vollzuges des Gerichtsurteiles darstellte und damit nicht mehr dem Gericht, sondern einer Verwaltungsbehörde zuzurechnen wäre.

Gemäß § 1 Z 5 StVG ist "Strafzeit" die Zeit, die der Verurteile aufgrund eines Strafurteiles oder mehrerer unmittelbar nacheinander zu vollziehender Strafurteile in Strafhaft zuzubringen hat. Als Strafhaft ist jede dem Vollzug eines Strafurteiles dienende Haft anzusehen. Übersteigt eine auf die Strafe anzurechnende Zeit einen Monat, so ist sie in Monaten, Tagen und Stunden, sonst in Tagen oder Stunden anzurechnen. Soweit Bruchteile von Jahren, Monaten oder Wochen der Strafzeit zu bilden sind, die keine ganzen Jahre, Monate oder Wochen ergeben, ist ein Jahr 12 Monaten, ein Monat 30 Tagen und eine Woche 7 Tagen gleichzusetzen.

Bei der Berechnung der Strafzeit bzw des urteilsmäßigen Strafendes ist von dem zeitlichen Ausmaß der Freiheitsstrafe, wie es im Strafurteil ausgesprochen worden ist, auszugehen. Von diesem Ausmaß sind alle auf die Strafe angerechneten Haftzeiten abzuziehen. Haftzeiten vor Beginn des Vollzuges sind in der Weise anzurechnen, daß diese Zeiten zunächst kalendermäßig ermittelt, sodann in Monaten, Tagen und Stunden ausgedrückt und nunmehr vom Beginn des Vollzuges ausgehend in umgekehrter zeitlicher Reihenfolge - Stunden, Tage, Monate - kalendermäßig aufgetragen werden. Von dem so ermittelten "fiktiven Vollzugsbeginn" ausgehend, wird durch kalendermäßiges Hinzuzählen des zeitlichen Ausmaßes der Freiheitsstrafe, wie es im Strafurteil ausgesprochen worden ist, das Ende der Strafzeit ermittelt (siehe Kunst, StVG (1979) FN 5 zu § 1).

Auf den Beschwerdefall übertragen bedeutet dies folgendes:

Die erste vom Gericht angerechnete Vorhaft (vom 10.6.1994, 16.20 Uhr, bis 21.7.1994, 9.30 Uhr) beträgt ein Monat, 10 Tage, 17 Stunden und 10 Minuten. Zieht man diese Zeit vom Beginn des Strafantrittes (21.7.1994, 9.30 Uhr) ab, so ergibt sich der fiktive Vollzugsbeginn mit 10.6.1994, 16.20 Uhr.

Verfährt man nun gleichermaßen mit der später vom Gericht angerechneten weiteren Vorhaft (Untersuchungshaft in Deutschland vom 12.3.1994, 12.00 Uhr, bis 28.4.1994, 12.00 Uhr) und zieht man diese Haftzeit von insgesamt einem Monat und sechzehn Tagen vom bereits errechneten ersten fiktiven Vollzugsbeginn neuerlich ab, so ergibt dies den neuen fiktiven Vollzugsbeginn mit 25.4.1994,

16.20 Uhr. Rechnet man nun die gerichtlich verhängte Haftstrafe von sechs Monaten hinzu, so fällt das Strafende auf Dienstag, den 25.10.1994, 16.20 Uhr. Zeitpunkt der Entlassung wäre daher der 25.10.1994, 8.00 Uhr (siehe § 148 Abs 2 StVG) gewesen. Daraus ergibt sich, daß die Strafe des Beschwerdeführers am 24.10.1994 - entgegen seiner Auffassung - noch nicht vollzogen war, er daher noch Zeiten in Strafhaft zu verbringen gehabt hätte. Die Festnahme des flüchtigen Beschwerdeführers am 11.11.1994 erfolgte daher zur Vollstreckung eines gerichtlichen Strafurteiles und ist daher nicht einer Verwaltungsbehörde, sondern dem Gericht zuzurechnen. Zur Überprüfung derartiger Akte sind aber die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern nicht zuständig.

b) Selbst wenn aber diese Maßnahme (Einbringung eines flüchtigen Strafgefangenen im Sinne des § 106 Abs 1 StVG) als Ausübung von verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt qualifiziert werden sollte, so wäre eine Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat nicht zulässig:

Gemäß § 119 StVG haben die Strafgefangenen das Recht, hinsichtlich des ihre Person betreffenden Vollzuges in angemessener Form mündlich oder schriftlich Ansuchen zu stellen. Zu diesem Zweck haben sie sich in Fällen, die keinen Aufschub dulden, an den zunächst erreichbaren Strafvollzugsbediensteten, sonst zu der in der Hausordnung festzusetzenden Tageszeit an den hiefür zuständigen Strafvollzugsbediensteten zu wenden.

§ 120 Abs 1 leg cit bestimmt:

"(1) Die Strafgefangenen können sich gegen jede ihre Rechte betreffende Entscheidung oder Anordnung und über jedes ihre Rechte betreffende Verhalten der Strafvollzugsbediensteten beschweren. Über die Art der ärztlichen Behandlung können sich die Strafgefangenen jedoch nur nach § 122 beschweren."

§ 121 StVG regelt das Verfahren bei Einbringung solcher Beschwerden. Richtet sich eine Beschwerde etwa gegen den Leiter eines gerichtlichen Gefangenenhauses oder gegen eine von ihm getroffene Entscheidung oder Anordnung und hilft er der Beschwerde nicht selbst ab, so steht die Entscheidung der Vollzugsoberbehörde zu, richtet sie sich gegen den Leiter einer Strafvollzugsanstalt oder gegen dessen Entscheidung oder Anordnung und hilft er der Beschwerde nicht selbst ab, dem Bundesministerium für Justiz. Auf sein Verlangen ist dem Strafgefangenen auch eine schriftliche Ausfertigung der Entscheidung zuzustellen (Abs 4 letzter Satz leg cit).

Die Regelungen über die sogenannte Maßnahmenbeschwerde dienen - wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung betont (vgl zB VwGH 29.6.1992, 91/15/0147, und die dort zitierte Vorjudikatur) - nur der Schließung einer Lücke im Rechtsschutzsystem, nicht aber der Eröffnung einer Zweigleisigkeit für die Verfolgung ein- und desselben Rechtes. Was in einem Verwaltungsverfahren ausgetragen werden kann, kann daher nicht Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde sein (vgl auch VwSlg 9461 A/1977).

Im Beschwerdefall hätte der Beschwerdeführer hinsichtlich der von ihm als rechtswidrig angesehenen Wiedereinbringung als flüchtiger Strafgefangener in die Strafanstalt die Möglichkeit einer Austragung im Verwaltungsverfahren gemäß §§ 120 ff StVG zur Verfügung. Für die erhobenen Maßnahmenbeschwerde bestünde im vorliegenden Fall daher auch aus diesem Grund kein Raum (siehe hiezu insbesondere VwGH 16.9.1992, 92/01/0713).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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