TE UVS Niederösterreich 1996/06/18 Senat-P-95-035

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Veröffentlicht am 18.06.1996
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Spruch

Der Berufung zu Spruchpunkte 1. und 2. wird Folge gegeben. Die genannten

Spruchpunkte werden aufgehoben.

Das Strafverfahren zu den genannten Spruchpunkten wird eingestellt.

 

Rechtsgrundlagen:

§66 Abs4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl Nr 51,

in der derzeit geltenden Fassung und §§24 und 45 Abs1 Z2

Verwaltungsstrafgesetz

1991 (VStG), BGBl Nr 52, in der derzeit geltenden Fassung.

Text

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion xx vom 8. März 1995, Zl St ****/94/M, wurde über den Berufungswerber

 

1. wegen Übertretung des §13 Abs3 StVO 1960 nach §99 Abs3 lita legcit eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 34 Stunden) und

 

2. wegen Übertretung des §19 Abs6 iVm §19 Abs7 StVO 1960 nach §99 Abs3 lita legcit eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.000,--

(Ersatzfreiheitsstrafe: 34 Stunden) verhängt.

Im Spruch dieses Straferkenntnisses wurde es als erwiesen angesehen,

daß der Berufungswerber am 28. Juli 1994, um 13,55 Uhr, in xx, S******** Nr **, den PKW

mit dem Kennzeichen P-**** A gelenkt hat und

 

1. sich beim Ausfahren aus einer Haus- und Grundstückseinfahrt nicht von einer geeigneten Person hat einweisen lassen, obwohl es die

Verkehrssicherheit erfordert hätte und

 

2. einem bevorrangten Verkehrsteilnehmer den Vorrang genommen hat, wodurch dieser zum unvermittelten Abbremsen genötigt wurde. In der dagegen fristgerecht eingebrachten Berufung wurde im wesentlichen

eingewendet, daß eine Vorrangverletzung nicht erfolgt sei, zumal der Lenker des

anderen Kraftfahrzeuges eine Kollision lediglich durch eine geringe Geschwindigkeitsreduktion, nicht jedoch durch eine Notbremsung, hätte verhindern

können. Dies ergäbe eine Zeit-Wegberechnung, weshalb die Beiziehung

eines

technischen Amtssachverständigen beantragt wurde.

Aufgrund der an der Örtlichkeit herrschenden Sichtverhältnisse habe

es nicht

eines Einweisers bedurft. Ein Einweiser sei dann nicht beizuziehen, wenn die Straße so weit überblickt werden könne, daß ein anderer mit zulässiger

Geschwindigkeit und auf Sicht fahrender Verkehrsteilnehmer die Gefahrenquelle

bei gehöriger Aufmerksamkeit zeitgerecht erkennen und rechtzeitig

anhalten

könne.

 

Der Berufungswerber beantragte die Abhaltung eines Lokalaugenscheines unter

Beiziehung eines technischen Sachverständigen sowie die Aufhebung des

angefochtenen Straferkenntnisses und die Einstellung des Strafverfahrens.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ hat hiezu in Entsprechung des §51e

Abs1 VStG eine öffentliche mündliche Verhandlung unter gleichzeitiger

Durchführung eines Lokalaugenscheines an Ort und Stelle durchgeführt, in welcher

durch Einvernahme des Berufungswerbers und des Zeugen RI B Beweis erhoben wurde.

 

Der technische Amtssachverständige hat in der öffentlichen mündlichen

Verhandlung folgenden Befund und folgendes Gutachten auf Grundlage

der in der Verhandlung erzielten Prämissen erstellt:

Befund:

 

Bei der Hausausfahrt S******** Nr ** ist ein Vorgarten, ein ca 2 m breiter

Gehsteig, sodann die Fahrbahn des Schulringes mit einer Gesamtbreite von 10 m.

Der nördliche Fahrstreifen ist vom südlichen durch eine Sperrlinie getrennt und

hat dieser eine Breite von 4,6 m. Wenn man mit einem PKW bis zum Fahrbahnrand

hin fährt, ergibt sich eine Sicht in beide Richtungen des Schulringes.

Insbesondere ist es möglich, die Ampel mit der Kreuzung J********** zu

beobachten. In östlicher Richtung ist die Sicht durch parkende Fahrzeuge

möglicherweise beeinträchtigt. Von der Hausausfahrt bis zur Mitte des

K************ ist eine Strecke von 85 m bis zum östlichen Ende der Plakatwand,

westlich vom K********** eine Strecke von 67 m.

 

Gutachten:

 

Geht man davon aus, daß der Berufungswerber mit seinem Fahrzeug in die

J********** rückwärtsfahrend einfuhr, als das behinderte Fahrzeug auf Höhe der Plakatwand am Ende des K************ fuhr, so wie es der Zeuge Insp B angegeben

hat, so ergibt sich, daß der Lenker bei einer Fahrgeschwindigkeit von 50 km/h

innerhalb einer Zeitspanne von 2 sec eine Strecke von 27,8 m zurücklegte. Somit

blieben ihm für einen Abbremsvorgang ca 32 m, wenn man berücksichtigt, daß der Berufungswerber mit seinem Fahrzeug durch die Bogenfahrt bis ca 7 m östlich der Hausausfahrt kam. Diese Strecke stand ihm zum Abbremsen zur Verfügung, und es

bedurfte bei einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 50 km/h nur einer

Bremsverzögerung von 3 m/sec2. Vom fahrtechnischen Standpunkt aus gesehen,

ergibt sich, daß er bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 50 km/h in Anbetracht

einer Vorbremszeit von 2 sec nicht zum unvermittelten Bremsen genötigt war. Die

notwendige Bremsverzögerung von 3 m/sec2 liegt unterhalb einer mittleren

Betriebsbremsung. Wenn der Zeuge B angegeben hat, daß der behinderte Lenker sein

Fahrzeug so stark abbremste, daß die Reifen quietschten, so kann das nur dadurch

erklärt werden, daß dieser entweder eine weitaus höhere

Fahrgeschwindigkeit als

50 km/h einhielt oder verspätet reagierte.

 

Aufgrund des durchgeführten Lokalaugenscheines und Beweisverfahrens war davon

auszugehen, daß an der Örtlichkeit entsprechend dem oben wiedergegebenen Befund

ausreichende Sichtverhältnisse bestehen, sodaß sich jene Person, die mit einem Kraftfahrzeug die Zufahrt zum Haus Nr ** verläßt, im Falle eines verkehrstechnisch richtigen Verhaltens, nämlich eines schrittweisen Hinaustastens in den Fahrbahnbereich und einer entsprechend ausreichenden

Beobachtung und Abschätzung des übrigen Fahrzeugverkehres, nicht eines

Einweisers bedienen muß, um die Verkehrssicherheit nicht zu gefährden.

 

Die Bestimmung des §13 Abs3 StVO 1960 ist nur für extreme Fälle gedacht, in

welchen nach den Umständen des Einzelfalles damit gerechnet werden muß, daß ein

anderer Verkehrsteilnehmer selbst bei vorschriftsmäßiger Fahrweise nur schwer

oder überhaupt nicht mehr einen Zusammenstoß mit dem für ihn

plötzlich

auftauchenden Fahrzeug verhindern kann.

Im gegenständlichen Fall war die Beiziehung eines Einweisers aus

Gründen der Verkehrssicherheit, zumal die Sicht nach links und rechts

ausreichend ist, nicht

erforderlich.

Zu Spruchpunkt 2. war im Hinblick auf die Aussage des als Zeugen

vernommenen RI

B davon auszugehen, daß durch das vom Berufungswerber durchgeführte Ausfahrtmanöver nach rückwärts in den Bereich der Fahrbahn des S********** der

in westlicher Richtung fahrende Opel Vectra zu einem hörbaren Abbremsmanöver

veranlaßt wurde. Dies ergab sich aus der Aussage des Zeugen RI B, wonach

derselbe den Vorgang eindeutig beobachten und auch das Quietschen

der Reifen

hören konnte.

Da jedoch unter notwendiger Zugrundelegung einer vorschriftsmäßigen Annäherungsgeschwindigkeit des Fahrzeugverkehres auf der Hauptfahrbahn von 50

km/h unter gleichzeitiger Berücksichtgung der Ausführungen des technischen

Sachverständigen im Gutachten davon auszugehen war, daß eine Nötigung zum

unvermittelten Abbremsen oder Auslenken nicht entstehen konnte und allfällige

Fehlreaktionen des Lenkers des auf dem Schulring in westliche Richtung fahrenden

Fahrzeuges, wie zB eine überhöht gewählte Geschwindigkeit oder eine verspätete

Reaktion, nicht zu Lasten des Lenkers jenes Fahrzeuges gewertet werden konnten,

der sich aus dem ruhenden Verkehr in den Fließverkehr einordnete, war davon

auszugehen, daß der Berufungswerber das ihm angelastete Tatbild in

subjektiver

Hinsicht nicht erfüllt hat.

 

Es waren daher aus den oben genannten Gründen die Spruchpunkte 1. und 2.

aufzuheben das Strafverfahren in beiden Fällen nach §45 Abs1 Z2 VStG einzustellen.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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