TE UVS Tirol 1997/01/27 17/176-2/1996

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Veröffentlicht am 27.01.1997
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Spruch

Der Berufung der Privatanklägerin wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben. Herr WB wird für schuldig befunden, die Privatanklägerin ES am 29.12.1995, kurz nach 22.30 Uhr in Innsbruck, Müllerstraße 5, im Stiegenhaus als "verlogene Drecksau" bezeichnet zu haben. Durch diese Beschimpfung wurde die Privatanklägerin vorsätzlich in ihrer Ehre gekränkt. Der Beschuldigte hatte dadurch eine Verwaltungsübertretung nach §20 litc des Tiroler Landespolizeigesetzes begangen. Über ihn wird gemäß §21 Abs1 leg cit eine Geldstrafe in der Höhe von S 500,-- verhängt. Für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe wird gemäß §16 VStG eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 1 Tag festgesetzt.

 

Der Antrag der Privatanklägerin auf Kostenersatz wird gemäß §74 Abs1 AVG iVm §24 VStG abgewiesen.

Text

Begründung

Mit Eingabe vom 18.1.1996, eingelangt bei der Erstbehörde am 24.1.1996, stellte Frau ES bei der Erstbehörde den Antrag auf Bestrafung von Herrn WB, weil dieser die Privatanklägerin am 29.12.1995 kurz nach 22.30 Uhr in Innsbruck, Müllerstraße 5, als "verlogene Drecksau" bezeichnete. Der Beschuldigte hat diese Äußerung nicht in Abrede gestellt. Er verweist auf ständige Probleme mit der Familie S, die in ihrer Wohnung ein Luftbefeuchtungsgerät betreibt. Dieses Gerät wird nach Darstellung des Beschuldigten ohne Unterlage auf dem Boden in der Wohnung aufgestellt. Bedingt durch ständige Vibrationen würden dadurch äußerst störende Geräusche verursacht. Dies sei auch durch ein Gutachten eines gerichtlich beeideten Sachverständigen belegt. Aufgrund dessen sei es im Vorjahr zu einer Einigung mit der Familie S gekommen. Dem Beschuldigten sei verbindlich und unwiderruflich zugesichert worden, daß das Luftbefeuchtungsgerät von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr nicht eingeschaltet wird. Am 29.12.1995 habe sich der Beschuldigte bereits gegen 21.00 Uhr zu Bett gegeben. Exakt um 22.00 Uhr sei das Luftbefeuchtungsgerät eingeschaltet worden. Der Beschuldigte habe dies aufgrund des hörbaren Lärms feststellen können. Durch den Betrieb des Luftbefeuchtungsgerätes sei auch der Empfang beim Fernseher gestört worden. Um Nachzufragen, wieso das Luftbefeuchtungsgerät gerade um 22.00 Uhr eingeschaltet werden muß, habe der Beschuldigte bei der Familie S angerufen. Die Privatanklägerin habe am Telefon bestritten, daß das Luftbefeuchtungsgerät in Betrieb sei. Unmittelbar darauf habe der Beschuldigte das ihm so bekannte Geräusch des Luftbefeuchters wieder wahrgenommen. Fassungslos über diese Unverfrorenheit habe der von der Eingangstür im Parterre des Hauses die Glocke zur Wohnung der Familie S betätigt. Die Privatanklägerin habe die Türe der im ersten Obergeschoß gelegenen Wohnung geöffnet und etwas unverständliches in einem äußerst unfreundlichen Ton heruntergerufen. Über dieses Verhalten sei der Beschuldigte dermaßen erbost gewesen, daß er die im Strafantrag besagte Äußerung von sich gegeben habe.

 

Nach Einvernahme der Privatanklägerin und der Zeugin SS stellte die Erstbehörde das gegen Herrn WB eingeleitete Verwaltungsstrafverfahren mit der Begründung ein, daß der zur Anzeige gebrachte Sachverhalt dem Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bilde. Der Beschuldigte habe die inkriminierte beleidigende Äußerung im Stiegenhaus in beträchtlicher Lautstärke und somit unter Umständen getan, daß diese Äußerungen auch für andere Hausbewohner wahrnehmbar waren. Damit seien aber die im §115 StGB genannten Publizitätsvoraussetzungen gegeben. Für die Annahme der Öffentlichkeit reiche die bloße Wahrnehmbarkeit des Vorganges aus. Zufolge der Subsidiaritätsklausel des §21 Abs2 TLPG sei die Tat daher vom Gericht und nicht von einer Verwaltungsbehörde zu ahnden.

 

Gegen diese Entscheidung hat die Privatanklägerin fristgerecht Berufung erhoben. Die Berufungswerberin wendet sich gegen die Annahme der Erstbehörde, daß die Beschimpfung für einen größeren Personenkreis wahrnehmbar war. Nach ihrer Darstellung wohnen im Haus Müllerstraße 5 nur ihre Familie und die Familie des Beleidigers. Inwieweit Familienangehörige ortsabwesend waren, bereits schliefen oder noch wach waren, ist nach ihrer Auffassung unerheblich. Die Erstbehörde sei daher sehr wohl zur Ahndung der Ehrenkränkung zuständig.

 

Der Beschuldigte hingegen nimmt den Rechtsstandpunkt ein, daß die Tathandlung auch für andere Hausbewohner wahrnehmbar war. Zum Tatzeitpunkt um 22.30 Uhr hätten sich seine Gattin und sein Sohn zuhause aufgehalten. Bei der Familie der Verletzten sei - wie bereits aktenkundig - SS zuhause gewesen. Aufgrund des späten Tatzeitpunktes sei auch davon auszugehen, daß sich der Mann der Privatanklägerin und deren Söhne WS und AS schon in der Wohnung befanden. All diese Personen hätte die Tathandlung des Beschuldigten wahrnehmen können, zumal diese doch in beträchtlicher Lautstärke erfolgte. Die Erstbehörde habe daher zutreffend ausgeführt, daß die Tat in die Kompetenz der Strafgerichte falle.

 

Der unabhängige Verwaltungssenat in Tirol hat dazu erwogen:

 

Eine Ehrenkränkung begeht, wer vorsätzlich einen anderen beschimpft, verspottet, am Körper mißhandelt oder mit einer körperlichen Mißhandlung bedroht. Ehrenkränkungen sind als Verwaltungsübertretungen mit einer Geldstrafe bis zu S 3.000,-- zu bestrafen, sofern die Tat nicht dem Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet. Ob die Zuständigkeit in die Kompetenz des Strafgerichtes fällt, ist im Anlaßfall anhand der Bestimmungen des §115 StGB zu prüfen.

Diese Bestimmungen lauten:

 

"1) Wer öffentlich oder vor mehreren Leuten einen anderen beschimpft, verspottet, am Körper mißhandelt oder mit einer körperlichen Mißhandlung bedroht, ist, wenn er deswegen nicht nach einer anderen Bestimmung mit strengerer Strafe bedroht ist, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen.

 

2) Eine Handlung wird vor mehreren Leuten begangen, wenn sie in Gegenwart von mehr als zwei vom Täter und vom Angegriffenen verschiedenen Personen begangen wird und diese sie wahrnehmen können.

 

3) Wer sich nur durch Entrüstung über das Verhalten eines anderen dazu hinreißen läßt, ihn in einer den Umständen nach entschuldbaren Weise zu beschimpfen, zu mißhandeln oder mit Mißhandlungen zu bedrohen, ist entschuldigt, wenn seine Entrüstung, insbesondere auch im Hinblick auf die seit ihrem Anlaß verstrichene Zeit, allgemein begreiflich ist."

 

Im vorliegenden Fall erfolgte die Beschimpfung von Frau ES vor nicht mehr als zwei vom Täter und vom Angegriffenen verschiedenen Personen. Zum fraglichen Zeitpunkt befand sich neben der Privatanklägerin nur deren Tochter in der Wohnung. Um den Tatbestand des §115 StGB herzustellen, hätte die beleidigende Äußerung noch vor mindestens zwei weiteren unbeteiligten Personen erfolgen müssen. Auch das fakultative Tatbestandsmerkmal der Öffentlichkeit lag nicht vor. Gemäß §69 StGB ist eine Handlung dann öffentlich begangen, wenn sie unmittelbar von einem größeren Personenkreis wahrgenommen werden kann. Wieviele Menschen einen größeren Personenkreis darstellen, wird im Gesetz nicht weiter ausgeführt. Nach herrschender Rechtsprechung ist dies aber bereits bei einem Personenkreis von etwa 10 Menschen anzunehmen. Wenngleich nicht gefordert ist, daß diese Personen die Tat selbst wahrnehmen, so fordert der Gesetzgeber doch eine konkrete Wahrnehmungsmöglichkeit. Da diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat die Erstbehörde daher ihre Zuständigkeit zu Unrecht verneint.

 

Der Beschuldigte hat durch die Beschimpfung der Privatanklägerin den objektiven Tatbestand der Verwaltungsübertretung nach §20 litc Tiroler Landespolizeigesetz erfüllt. Da zur Erfüllung des Tatbestandes keine besondere Form des Vorsatzes gefordert ist, genügt für die Begehung einer Ehrenkränkung bedingter Vorsatz (dolus eventualis). Besteht das Verhalten in einer Äußerung, genügt es für die Bejahung des Vorsatzes, wenn der Täter es ernstlich für möglich hält und sich damit abfindet, daß durch die Äußerung die Ehre einer Person verletzt wird.

 

Ob das Luftbefeuchtungsgerät in der Wohnung der Privatanklägerin zum fraglichen Zeitpunkt in Betrieb war oder nicht, muß bei den einander widersprechenden Sachverhaltsdarstellungen offen bleiben. Für die Entscheidungsfindung ist dieser Umstand allerdings ohne Bedeutung. Tatsache ist, daß der Beschuldigte subjektiv der Meinung war, daß dieses Gerät entgegen der Vereinbarung um 22.00 Uhr eingeschaltet wurde. Im Hinblick darauf, daß der Betrieb des Luftbefeuchters bereits wiederholt Anlaß für Streitigkeiten zwischen den Familien S und B gegeben hat, ist die Erregung des Beschuldigten verständlich. Dieser Umstand vermag das Verhalten des Beschuldigten aber weder zu entschuldigen noch zu rechtfertigen. An dieser Beurteilung ändert sich auch dann nichts, wenn man davon ausgeht, daß die Privatanklägerin ihm "etwas unverständliches in äußerst unfreundlichem Ton" zurief. Daß das inkriminierte Verhalten des Beschuldigten nicht das von der Rechtsordnung vorgesehene Mittel zur Durchsetzung der zwischen den Familien S und B getroffenen Vereinbarung ist, liegt auf der Hand.

 

Bei der Strafbemessung war die Unbescholtenheit des Beschuldigten und der Umstand zu berücksichtigen, daß sich der Täter in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung zur Tat hat hinreißen lassen. Bei den gegebenen Strafzumessungskriterien ist die Verhängung einer Geldstrafe angemessen, die sich am unteren Bereich des Strafrahmens orientiert. Die nunmehr festgesetzte Strafe ist auch bei fiktiver Annahme von unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen schuld- und tatangemessen.

 

Verfahrenskosten waren dem Beschuldigten nicht vorzuschreiben, da in erster Instanz ein Straferkenntnis nicht erlassen wurde und dem Bestraften die Kosten des Berufungsverfahrens nur dann auferlegt werden können, wenn er selbst auch der Berufungswerber ist (vgl. dazu die Ausführungen in der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.5.1993, 92/09/0031). Die Abweisung des Antrages der Privatanklägerin auf Ersatz der ihr entstandenen Kosten stützt sich auf die bezogenen Gesetzesstellen.

Schlagworte
Beschimpfungen in der Öffentlichkeit, Wahrnehmbarkeit
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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