TE UVS Steiermark 1997/03/06 303.13-28/96

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Veröffentlicht am 06.03.1997
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch die Kammermitglieder Dr. Renate Merl, Dr. Erwin Ganglbauer und Dr. Herbert Thaller über die Berufung des Herrn Anton Josef Fehberger, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Gottfried R, J, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Judenburg vom 3.9.1996, GZ.:

15.1-1995/4801, wie folgt entschieden:

Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im folgenden VStG) wird der Berufung Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.

Text

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber zur Last gelegt, er sei dafür verantwortlich, daß wie anläßlich einer Unfallerhebung durch das Arbeitsinspektorat festgestellt worden sei, am 29.8.1995 der Arbeitnehmer der obgenannten Firma, Günter P, im Zuge seiner Tätigkeit als Mobilkranführer, als er mit dem Liebherrmobilkran einen Maschinenteil von einem Eisenbahnwaggon heben wollte, zu nahe an die nicht abgeschaltete 15-KV-Umgehungsleitung kam, sodaß ein Spannungsübertritt entstand, durch welchen der Arbeitnehmer L der Firma Franz B GmbH & Co KG, welcher den Maschinenteil auf der rechten Seite hielt, verletzt worden sei.

Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung gemäß § 34 Abs 4 Arbeitnehmerschutzgesetz BGBl. 450/1994 begangen, wonach bei Verwendung von Arbeitsmitteln in der Nähe von elektrischen Freileitungen geeignete Maßnahmen zu treffen seien und jegliches gefahrbringendes Annähern des Arbeitsmittels an diese Leitungen zu verhindern sowie Stromschlag durch diese Leitungen hintanzuhalten. Über ihn wurde eine Geldstrafe in Höhe von S 15.000,-- (6 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

In der Berufung vom 20.9.1996 wurde vorgebracht, der Kranführer Günter P sei vom Beschuldigten ausführlich belehrt worden. Er habe sich auch erkundigt, wobei ihm mitgeteilt worden sei, daß die E-Leitung stromfrei sei. Bereits am Vortag seien Abladetätigkeiten durchgeführt worden. Günter P habe sich bei den ungarischen Arbeitern der Firma B-Rotary GesmbH erkundigt, diese, konkret die Vorarbeiter Janos K und Peter S, hätten sich wiederum bei der ÖBB erkundigt, ob die gegenständliche E-Leitung ausgeschaltet worden sei, was seitens der ÖBB bestätigt worden sei, was diese aber im Zuge des beim Bezirksgericht Judenburg unter 3 U 365/95 anhängigen Strafverfahren jedoch bestreite.

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark stellt auf Grund der am 6. März 1997 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung, bei welcher die Zeugen Ing. Christian G (Arbeitsinspektorat Leoben), Günter P (Kranfahrer im Betrieb des Berufungswerbers) und Peter S (Vorarbeiter der B-Rotary GesmbH gehört wurden, fest:

1.) Sachverhalt:

Die B-Rotary GesmbH mit Sitz in A im I, ein Gemeinschaftsunternehmen der oberösterreichischen B GesmbH und der ungarischen Firma R KFT mit Sitz in K, führte im Sommer 1995 Bohrarbeiten im Eichfeld durch. Die zu diesem Zwecke notwendige Ausrüstung wurde per Bahn aus Ungarn geliefert und im Bahnhof Judenburg ausgeladen. Die Entladearbeiten, welche mit eigenen Leuten durchgeführt wurden, dauerten eine Woche. Lediglich zum Abladen von schweren Gegenständen direkt vom Waggon wurde von der Unternehmung des Berufungswerbers ein Mobilkran samt Kranfahrer zugemietet.

Der Berufungswerber betreibt ein Stahlbauunternehmen. Zusätzlich besitzt er zwei Kräne, die er verleiht. Im Betrieb ist ein Kranfahrer, nämlich Günter P, angestellt, als zweiter Kranfahrer kommt bei Bedarf der Berufungswerber selbst in Betracht. Günter P hatte im Jahr 1975 die Turmdrehkranführerprüfung abgelegt, im Jahr 1989 die Autokranführerprüfung. Ihm war auf Grund seiner Ausbildung bekannt, daß bei Stromleitungen je nach Stärke gewisse Mindestabstände einzuhalten sind oder allenfalls vor Arbeitsbeginn die jeweilige Leitung freizustellen ist. Günter P hatte vom Berufungswerber die allgemeine strikte und immer wieder erneuerte Weisung, bei Arbeiten im Bereich von Stromleitungen besondere Vorsicht walten zu lassen. Dies deshalb, weil vor 22 Jahren ein Arbeitnehmer des Berufungswerbers in diesem Zusammenhang tödlich verunglückte und gegen den Berufungswerber ein Strafverfahren durchgeführt wurde, in welchem er jedoch freigesprochen wurde. P hatte auch den ausdrücklichen Auftrag, vor dem etwaigen Abschalten von Leitungen nicht zu arbeiten und wenn das nicht gesichert sei, heimzufahren. Auch hinsichtlich des Auftrags zum Abladen im Bahnhof Judenburg wurde Günter P vom Berufungswerber der Auftrag erteilt, auf die elektrischen Leitungen aufzupassen. Nähere Anweisungen, welche Gefahren auf diesem Bahnhof konkret im Zusammenhang mit Stromleitungen auftreten können, wurden Günter P nicht gegeben. Ob ihm aufgetragen worden war, sich persönlich bei der ÖBB im Bahnhof zu erkundigen, läßt sich - da P dies bestreitet - nicht eindeutig klären, spielt für den zu beurteilenden Sachverhalt jedoch keine Rolle.

Im Bereich des Bahnhofes Judenburg befinden sich zwei Arten von Starkstromleitungen. Die sogenannte Hauptleitung kann verhältnismäßig leicht abgeschaltet werden. Dies ist gegebenenfalls an den entsprechenden Hinweistafeln feststellbar. Die sogenannte Umgehungsleitung ist nicht extra gekennzeichnet, führt jedoch so gut wie immer Strom, da sie dazu dient, den Fahrtbetrieb auch bei Abschaltung der Hauptleitung aufrecht zu erhalten Widrigenfalls würde im gesamten Streckenbereich des Bahnhofs Judenburg jeglicher Zugsverkehr zum Erliegen kommen.

Dies war sowohl dem Berufungswerber als auch dem ungarischen Vorarbeiter Peter S bekannt, nicht jedoch Günter P. Am Montag, dem 28. August 1995 begann Günter P mit den Entladearbeiten. Im Laufe des Nachmittags schaute der Berufungswerber kurz am Bahnhof vorbei und erkundigte sich bei P ganz allgemein, ob alles in Ordnung wäre, was dieser bejahte. P wandte sich vor Beginn der Aufnahme seiner Tätigkeit an den Vorarbeiter der Firma B Rotary-GesmbH Peter S, der sich ins Bahnhofsgebäude begab und dort von ÖBB-Bediensteten die Auskunft erhielt, die Stromleitung sei abgeschaltet und man könne mit den Entladearbeiten beginnen. Auf Grund dieser Auskunft führte P Entladearbeiten durch. Am nächsten Tag erkundigte er sich bei Janos K, der sich ebenfalls ins Bahnhofsgebäude begab und nach Erhalt der entsprechenden Auskunft Günter P sagte, daß er mit dem Ausladen beginnen könnte. P geriet am Dienstag, dem 29. August 1995 mit dem Arm des Krans in die Nähe der Umgehungsleitung. Diese war nicht abgeschaltet, sodaß ein Funken übersprang. P selbst blieb in seiner Kranführerkabine unverletzt, jedoch erlitt der ungarische Arbeiter L B schwere Verbrennungen, die zu einer mehrmonatigen Berufsunfähigkeit führten.

Im in der Folge eingeleiteten Strafverfahren, welches beim Bezirksgericht Judenburg unter 3 U 365/95 durchgeführt wurde, wurden die Beschuldigten Günter P, Peter S, Janos K, Werner A und Josef St (die beiden letzteren ÖBB-Bedienstete) von der Anklage der fahrlässigen schweren Körperverletzung in der Hauptverhandlung am 30.10.1996 freigesprochen.

2.) Beweiswürdigung:

Die Feststellungen über die ausdrückliche Weisung des Berufungswerbers an Günter P nur bei geklärter Lage (Abschaltungen) im Bereich von stromführenden Leitungen zu arbeiten, gründet sich auf die übereinstimmende Aussage des Berufungswerbers und des Zeugen Günter P. Daß dieser sich vor Beginn der Aufnahme der Entladetätigkeit ausdrücklich bei Peter S am Montag und bei Janos K am Dienstag erkundigte, ob die Leitungen abgeschaltet worden seien und diese dementsprechende Erkundigungen beim ÖBB-Personal eingezogen haben, geht aus den glaubwürdigen Aussagen der Zeugen P und S hervor. Weshalb seitens der ÖBB die Umgehungsleitung nicht abgeschaltet worden war bzw. warum die Ungarn allenfalls nicht darauf hingewiesen worden sind, daß ein Abschalten der Umgehungsleitung nicht möglich sei, war im Verwaltungsstrafverfahren nicht zu klären. Daß mit Peter S und Janos K eine ausreichende Verständigung auf deutsch möglich war, ergibt sich ebenfalls aus der glaubwürdigen Aussage der vorstehenden Zeugen.

3.) Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 34 Abs 4 ASchG sind geeignete Maßnahmen zu treffen, um jegliches gefahrenbringendes Annähern der Arbeitnehmer und der Arbeitsmittel an diese Leitungen sowie Stromschlag durch diese Leitungen zu verhindern, wenn Arbeitsmittel unter oder in der Nähe von elektrischen Freileitungen aufgestellt oder benutzt werden. Die einzige Möglichkeit bei Entladearbeit im Bereich des Bahnhofs Judenburg mittels eines Mobilkrans zur Vermeidung einer Gefährdung durch die Hauptleitung und die Umgehungsleitung ist die Absicht zur Entladung der ÖBB anzuzeigen. Deren Aufgabe ist es dann, entweder Stromabschaltungen vorzunehmen oder bekanntzugeben, daß und welche Leitungen nicht stromfrei geschaltet werden können. Diese Erkundigungen wurden von S und K eingeholt. Die von der ÖBB erteilten Auskünfte waren jedoch entweder falsch, unvollständig oder zumindest mißverständlich. Darin ist auch die Ursache zu sehen, weshalb der Kranfahrer Günter P, der auf Grund seiner Ausbildung als Mobilkranführer und Autokranführer durchaus über ausreichende Kenntnisse im Umgang mit Starkstromleitungen verfügt, den Arm des Krans an die Umgehungsleitung annäherte. Ein persönliches Vorsprechen des Berufungswerbers bei der ÖBB hätte keinen größeren Sicherheitsstandard erreicht, da auch der Berufungswerber sich auf die ihm erteilte Auskunft verlassen hätte müssen. Es ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß dem sich am Montag erkundigenden Peter S die Existenz und der Zweck der sogenannten Umgehungsleitung sehr wohl auf Grund seiner früheren beruflichen Tätigkeit in Ungarn bekannt war. Nichtsdestotrotz war er wie jeder andere auch gezwungen, sich hinsichtlich einer etwaigen Abschaltung auf Auskünfte seitens der ÖBB zu verlassen. Weder für S, noch für den Berufungswerber, noch für Günter P bestand eine darüber hinausgehende Möglichkeit, die Stromfreiheit der Umgehungsleitung auf anderem Wege festzustellen, da im Gegensatz zur Hauptleitung nicht einmal entsprechende Hinweistafeln vorhanden waren. Es hieße den Schutzzweck der Norm zu überspannen, wollte man dem Arbeitgeber, der einen Mobilkran verleiht, die Verantwortung der Abschaltungsvorgänge im Bereich eines ÖBB-Bahnhofs aufhalsen. Nochmals sei betont, daß die Gefährdungssituation weder in einer ungenügenden technischen Ausstattung des Krans, noch im Einsatz einer unkundigen und mit den grundsätzlichen Gefahren der Arbeit in der Nähe von Stromleitungen nicht vertrauten Person bestand, sondern offenkundig in Kommunikationsproblemen oder Fehlhandlungen im Bereich der ÖBB, die als einzige in der Lage gewesen wäre, das vorgelegene Gefährdungspotential, das bei Kranarbeiten an einer stromführenden Umgehungsleitung auftritt, zu verringern und allenfalls den schweren Unfall von L B zu verhindern.

Überdies ist Günter P, der gemeinsam mit dem Kran an die Firma B-Rotary GesmbH gegen Verrechnung nach Zeiteinheiten vermietet wurde, als überlassene Arbeitskraft im Sinne des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes anzusehen. Gemäß § 3 Abs 1 Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG) ist die Überlassung von Arbeitskräften die Zurverfügungstellung von Arbeitskräften zur Arbeitsleistung an Dritte. Es liegt nun im Wesen eines Kranverleihs, daß Kräne und Kranfahrer anderen Unternehmungen für befristete Dienstleistungen, die nach aufgewendeter Arbeitszeit abgerechnet werden, überlassen werden. Kran und Kranfahrer sind bei ihrer von vorneherein zeitlich befristeten Tätigkeit für andere Unternehmungen den Weisungen der Beschäftigerfirma unterworfen und errichten kein anderes Werk. Im gegenständlichen Fall wurde die Entladung der Waggons eindeutig nicht vom Kranfahrer nach eigenem Gutdünken, sondern nur im Zusammenwirken mit einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern der Beschäftigerfirma, nämlich der B-Rotary GesmbH vorgenommen. Beginn und Ende seiner Arbeit lagen nicht in seinem Belieben. Diese Art der Tätigkeit unterscheidet sich maßgeblich von der sonstigen Tätigkeit des Unternehmens des Berufungswerbers, das sich mit Stahlbau beschäftigt und ansonsten in eigenem Namen auftritt.

Gemäß § 6 Abs 1 AÜG gilt der Beschäftiger als Arbeitgeber im Sinne der Arbeitnehmerschutzvorschriften für die Dauer der Beschäftigung im Betrieb des Beschäftigers. Gemäß Abs 2 gilt hinsichtlich des persönlichen Arbeitsschutzes insbesondere des Arbeitszeitschutzes und des besonderen Personenschutzes weiterhin auch der Überlasser als Arbeitgeber im Sinne der Arbeitnehmerschutzvorschriften. Gemäß Abs 3 obliegen die Fürsorgepflichten des Arbeitgebers auch dem Beschäftiger für die Dauer der Beschäftigung. Gemäß Abs 4 ist der Überlasser verpflichtet, die Überlassung unverzüglich zu beenden, sobald er weiß oder wissen muß, daß der Beschäftiger trotz Aufforderung die Arbeitnehmerschutz- oder die Fürsorgepflichten nicht einhält.

Hieraus ist zu entnehmen, daß die Fürsorgepflichten des Überlassers im Falle von Arbeitskräfteüberlassung begrenzt sind. Diesen begrenzten Fürsorgepflichten ist der Berufungswerber gegenüber seinem Arbeitgeber durch die ausdrückliche Weisung im Bereich von Freileitungen nur nach Zusicherung der Abschaltung zu arbeiten, ausreichend nachgekommen. Ein weitergehender Schutz des Arbeitgebers vor den Gefahren des elektrischen Stroms wäre selbst bei größter Sorgfalt - wie vorstehend ausgeführt - nicht möglich gewesen. Es war daher das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

Schlagworte
überlassen Arbeitskräfteüberlassung Kran Sorgfaltspflicht elektrische Freileitung
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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