TE Vwgh Erkenntnis 2001/10/16 99/09/0150

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Veröffentlicht am 16.10.2001
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
VStG §24;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Flendrovsky, über die Beschwerde der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales (nunmehr Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 18. Mai 1999, Zl. UVS- 07/A/18/00356/98, betreffend Bescheidbehebung in einem Verwaltungsstrafverfahren nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (mitbeteiligte Partei: G in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 27. März 1998 wurde das gegen die Mitbeteiligte eingeleitete Strafverfahren wegen Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG eingestellt, weil die Ausländer - deren unerlaubte Beschäftigung Gegenstand des Strafverfahrens war - nicht von der von der Mitbeteiligten vertretenen CGesellschaft mbH sondern von U beschäftigt worden seien.

Dagegen erhob das Arbeitsinspektorat (mit entsprechender Begründung) Berufung und stellte darin den Antrag, den erstinstanzlichen Bescheid aufzuheben und allenfalls nach Verfahrensergänzung über die Mitbeteiligte eine schuldangemessene Strafe zu verhängen.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 18. Mai 1999 wurde "auf Grund der vom Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten rechtzeitig eingebrachten Berufung der angefochtene Bescheid (das ist der Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 27. März 1998 betreffend die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens) gemäß § 66 Abs. 4 AVG behoben".

Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die belangte Behörde aus, eine Einstellung nach § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG sei im Sinne der zutreffenden Berufungsausführungen nach der derzeitigen Aktenlage nicht gerechtfertigt. Die Behörde erster Instanz werde daher das Verfahren fortzusetzen haben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende auf § 28a Abs. 1 AuslBG (in der Fassung BGBl. Nr. 201/1996) gestützte Beschwerde der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales (nunmehr Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit).

Die Bundesministerin beantragt in ihrer Amtsbeschwerde, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Die Mitbeteiligte hat sich trotz gebotener Gelegenheit am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG (diese Vorschrift ist nach § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwenden) hat die Berufungsbehörde - außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall -, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

Die Verpflichtung der Berufungsbehörde, außer in den genannten Fällen immer in der Sache selbst zu entscheiden, bedeutet hinsichtlich der Befugnis der Berufungsbehörde, den Spruch des bei ihr angefochtenen Bescheides abzuändern, vornehmlich eine Absage an die Möglichkeit einer bloßen Kassation eines rechtswidrigen unterinstanzlichen Bescheides statt einer Reformation und - anders als im Verwaltungsstrafverfahren - eine Absage an das Verbot einer "reformatio in peius" im administrativen Verwaltungsverfahren; daneben hat aber die Wendung "in der Sache" in § 66 Abs. 4 erster Satz AVG die Bedeutung einer Einschränkung der der Berufungsbehörde nach dem zweiten Satz des § 66 Abs. 4 leg. cit. eingeräumten weiteren Entscheidungsbefugnis. "Sache" in diesem zuletzt genannten Sinn ist (sofern dem Berufungswerber nicht nur ein eingeschränktes Mitspracherecht zukommt) die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Unterbehörde gebildet hat, im Falle einer eingeschränkten Berufung der vom Rechtsmittel erfasste Teil des Bescheides, wenn dieser vom übrigen Bescheidinhalt trennbar ist (vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom 9. Juni 1995, Zl. 95/02/0081, und die darin angegebene Judikatur).

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde (die sie in ihrer Gegenschrift näher ausführte) war "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG, ob die Mitbeteiligte wegen der ihr angelasteten Verwaltungsübertretungen nach dem AuslBG für schuldig zu befinden und zu bestrafen oder (im Falle der Rechtmäßigkeit des erstinstanzlichen Einstellungsbescheides) dieses Verwaltungsstrafverfahren einzustellen war.

Der unabhängige Verwaltungssenat hat also entweder den erstinstanzlichen Bescheid (hier: ein Einstellungsbescheid) zu bestätigen oder abzuändern (vgl. zur Entscheidungsbefugnis des unabhängigen Verwaltungssenates im Verwaltungsstrafverfahren auch Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht, 7. Auflage, 1999, Rz 932/17). Die Behebung des erstinstanzlichen Bescheides und eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die unterinstanzliche Behörde - wie dies in der Begründung des angefochtenen Bescheides dargelegt wurde - ist unzulässig. Zudem ist der Spruch des angefochtenen Bescheides mit seiner Bescheidbegründung in Widerspruch, weil nach dem Spruch die Behebung des erstinstanzlichen Bescheides "gemäß § 66 Abs. 4 AVG", also die ersatzlose Aufhebung angeordnet wird - die bedeutet, dass die Unterinstanz keine Entscheidung hätte treffen dürfen bzw. sollen - während nach der Bescheidbegründung die Zurückverweisung der Angelegenheit und die Verfahrensfortsetzung durch die Unterinstanz im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG angeordnet wird.

Die angefochtene Entscheidung der belangten Behörde war auch nicht durch die in ihrer Gegenschrift behauptete "Verkürzung" des zweigliedrigen gerichtlichen Instanzenzuges für die Mitbeteiligte (Beschuldigte) geboten, könnte die von der belangten Behörde verfügte Kassation doch keinesfalls eine zusätzliche Entscheidung durch ein Tribunal im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK herbeiführen. Die in der Gegenschrift geäußerte Ansicht, es bestünden hinsichtlich der Entscheidungsbefugnis der unabhängigen Verwaltungssenate eine "divergierende Auffassung der Lehre und der Judikatur der beiden Höchstgerichte" geht von verfehlten Prämissen aus und ist unzutreffend.

Der angefochtene Bescheid war demnach gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 16. Oktober 2001

Schlagworte

Berufungsverfahren Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verwaltungsstrafrecht Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens Allgemein Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Inhalt der Berufungsentscheidung Kassation Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Umfang der Abänderungsbefugnis Allgemein bei Einschränkung der Berufungsgründe beschränkte Parteistellung Umfang der Abänderungsbefugnis Reformatio in peius

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1999090150.X00

Im RIS seit

29.11.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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