TE UVS Wien 2003/04/11 03/P/36/3522/2002

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Veröffentlicht am 11.04.2003
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch sein Mitglied Mag. Fritz über die Berufung des Herrn Mag. Christian S, vertreten durch Rechtsanwältin, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Josefstadt, vom 16.1.2002, Zl. S 85874/J/00 Je, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, entschieden:

Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.

Gemäß § 65 VStG wird dem Berufungswerber kein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.

Text

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Josefstadt, vom 16.1.2002 wurde der Berufungswerber (Bw) schuldig erkannt, er habe am 24.6.2000 um 08:50 Uhr in Wien, S-gasse, als Lenker des Kraftfahrzeuges mit dem Kennzeichen W-82 das Fahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (0,41 mg Alkohol/pro 1 Liter Atemluft) gelenkt. Der Bw habe dadurch § 5 Abs 1 Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960) iVm § 99 Abs 1b StVO 1960 verletzt. Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über den Bw gemäß § 99 Abs 1b StVO 1960 eine Geldstrafe in der Höhe von 581,-- Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: sieben Tage) verhängt. Gleichzeitig wurden die vom Bw zu ersetzenden Verfahrenskosten mit 58,10 Euro bestimmt. Zur Begründung führte die Erstbehörde im Wesentlichen aus, der Schuldspruch stütze sich auf die Anzeige vom 24.6.2000, die von zwei Sicherheitswachebeamte anlässlich der Verkehrsunfallaufnahme verbunden mit dem durchgeführten Alkomattest (dieser habe einen Wert von 0,41 mg/l ergeben) erstattet worden sei. Am 2.10.2000 sei der Bw unter der Aktenzahl Kr 582/J/00 gemäß §§ 88 Abs 1 iVm 81 Abs 2 (richtig: Z 2) StGB, 94 StGB beim Bezirksanwalt beim BG Josefstadt via StA Wien zur Anzeige gebracht und das Verwaltungsstrafverfahren wegen § 5 Abs 1 StVO 1960 mittels Aktenvermerks vom 2.10.2000 gemäß § 30 Abs 2 VStG bis zur rechtskräftigen Erledigung des gerichtlichen Strafverfahrens ausgesetzt worden. Mit Schreiben vom 24.4.2001 vom BG Josefstadt zur Zl. 14 U 448/00d (142 BAZ 89814/00) sei mitgeteilt worden, dass der Strafantrag wegen § 88 zu § 81 (2) (richtig: §§ 88 Abs 1 und 3 iVm § 81 Z 2) StGB zurückgezogen worden sei. Es lägen somit keine Hinderungsgründe des § 99 Abs 6 lit c StVO 1960 mehr vor, da es durch die Zurückziehung des Strafantrages zu keiner diesbezüglichen Verurteilung gekommen sei und somit keine in die Zuständigkeit der Gerichte fallende strafbare Handlung (fahrlässige Körperverletzung unter Einfluss von Alkoholisierung im Sinne des § 81 Z 2 StGB) vorgelegen sei. Der Bw bestreite die ihm angelastete Verwaltungsübertretung nicht und sei dieser Umstand als mildernd und einsichtig gewertet worden. Der Erstbehörde erscheine daher ausnahmsweise die Verhängung der gesetzlichen Mindeststrafe als noch vertretbar.

In seiner gegen dieses Straferkenntnis innerhalb offener Frist erhobenen Berufung (wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung) brachte der Bw vor, es läge ein Verstoß gegen den Grundsatz des Doppelbestrafungsverbotes vor, zumal der Strafantrag des BG Josefstadt zurückgezogen worden sei und daher auch keine Verwaltungsstrafe über ihn verhängt werden dürfe.

Die Erstbehörde forderte vom BG Josefstadt den dortigen Gerichtsakt zur Zl. 14 U 448/00d (142 BAZ 89814/00) zur Einsichtnahme an (Teile des Gerichtsaktes wurden kopiert und angeschlossen).

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat erwogen:

Wer sich in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand befindet, darf gemäß § 5 Abs 1 StVO 1960 ein Fahrzeug weder lenken noch in Betrieb nehmen. Bei einem Alkoholgehalt des Blutes von 0,8 g/l (0,8 Promille) oder darüber oder bei einem Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 mg/l oder darüber gilt der Zustand einer Person jedenfalls als von Alkohol beeinträchtigt. Gemäß § 99 Abs 1b StVO 1960 begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 581,-- Euro bis 3.633,-- Euro, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von einer bis sechs Wochen, zu bestrafen, wer in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt.

Gemäß § 99 Abs 6 lit c StVO 1960 liegt eine Verwaltungsübertretung nicht vor, wenn eine Tat nach diesem Bundesgesetz oder nach den §§ 37 und 37a FSG den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht.

Gemäß § 88 Abs 1 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen, wer fahrlässig einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt.

Gemäß § 88 Abs 3 StGB ist in den im § 81 Abs 1 Z 1 bis 3 bezeichneten Fällen der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. Gemäß § 81 Abs 1 Z 2 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen, wer fahrlässig den Tod eines anderen herbeiführt, nachdem er sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch Genuss von Alkohol oder den Gebrauch eines anderen berauschenden Mittels in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt hat, obwohl er vorhergesehen hat oder hätte vorhersehen können, dass ihm eine Tätigkeit bevorstehe, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet sei.

Gemäß § 34 Abs 2 StPO können die Staatsanwälte, falls dem Beschuldigten mehrere strafbare Handlungen zur Last liegen, von der Verfolgung einzelner absehen oder unter Vorbehalt späterer Verfolgung zurücktreten (§ 363 Abs 1 Z 3):

1. wenn das voraussichtlich weder auf die Strafen oder sichernden Maßnahmen noch auf die mit der Verurteilung verbundenen Rechtsfolgen wesentlichen Einfluss hat;

2. wenn der Beschuldigte wegen der übrigen strafbaren Handlungen an eine ausländische Behörde ausgeliefert wird und die im Inlande zu erwartenden Strafen oder sichernden Maßnahmen gegenüber denen, auf die voraussichtlich im Ausland erkannt werden wird, nicht ins Gewicht fallen.

Nimmt der Staatsanwalt später die vorbehaltene Verfolgung wieder auf, so ist ein abermaliger Vorbehalt wegen einzelner strafbarer Handlungen unzulässig.

Nach Art 4 7. ZPEMRK darf niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde der Bw einer Übertretung des § 5 Abs 1 StVO 1960 schuldig erkannt, weil er zur Tatzeit an der Tatörtlichkeit ein näher bezeichnetes Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt habe. Basierend auf der im Akt einliegenden Verkehrsunfallanzeige stellte die Staatsanwaltschaft Wien beim BG Josefstadt den Antrag auf Bestrafung des Bw wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung. Der Bw habe die erforderliche Sorgfalt und Aufmerksamkeit im Straßenverkehr außer Acht gelassen, im alkoholisierten Zustand ein Fahrzeug gelenkt, sei nach rechts abgebogen und mit der rechts am Fahrzeug vorbeifahrenden Radfahrerin Katharina W kollidiert, wodurch Genannte zu Sturz gekommen und leicht verletzt worden sei (Tatfolgen: Prellung des Kopfes, Zerrung im Bereich der BWS, Prellung des rechten Ellenbogens sowie des linken Oberschenkels). Als anzuwendende Gesetzesstellen sind in diesem Strafantrag § 88 Abs 1 und Abs 3 (§ 81 Z 2 StGB) angeführt. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19.12.2000 (Zl. 2 d E VR 8329/00, Hv 4923/00) wurde der Bw wegen Vergehens eines tätlichen Angriffs auf einen Beamten nach § 270 Abs 1 StGB und wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB schuldig erkannt und über ihn eine Strafe von 60 Tagessätzen in der Höhe von ATS 600,-- (zusammen ATS 36.000,--; für den Fall der Uneinbringlichkeit 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. Wie nun das BG Josefstadt der Erstbehörde am 24.4.2001 mitgeteilt hat, ist der Strafantrag wegen § 88 Abs 1 und Abs 3 (§ 81 Z 2) StGB wegen des zuletzt genannten Urteiles aus dem Grundes des § 34 Abs 2 StPO zurückgezogen worden. Die Erstbehörde hat daraus geschlossen, es lägen nunmehr keine Hinderungsgründe nach § 99 Abs 6 lit c StVO 1960 mehr vor, weil es durch die Zurückziehung des Strafantrages zu keiner Verurteilung gekommen sei und somit keine in die Zuständigkeit der Gerichte fallende strafbare Handlung vorgelegen sei.

Damit ist die Erstbehörde nicht im Recht:

Auch die Erstbehörde geht davon aus, dass infolge der im gegenständlichen Fall anzuwendenden Subsidiaritätsklausel des § 99 Abs 6 lit c StVO 1960 die dem Bw im gegenständlichen Fall zur Last gelegte Verwaltungsübertretung (§ 5 Abs 1 StVO 1960) nur dann von der Verwaltungsstrafbehörde zu ahnden ist, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit des Gerichtes fallenden strafbaren Handlung bildet. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt dargelegt, dass nur im Falle einer verurteilenden Entscheidung durch das Strafgericht eine Bindung der Verwaltungsstrafbehörde in der Frage besteht, ob ein gerichtlich zu ahndender Tatbestand vorliegt, der die Ahndung als Verwaltungsübertretung ausschließt. Bei Freispruch oder Einstellung des Verfahrens hat eine selbständige Prüfung durch die Verwaltungsstrafbehörde zu erfolgen, ob sie zur Ahndung zuständig ist (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 8.10.1990, Zl. 90/19/0036). Die Erstbehörde hat nun in Verkennung der Rechtslage allein aus der Zurückziehung des Strafantrages im Grunde des § 34 Abs 2 StPO darauf geschlossen, dass keine in die Zuständigkeit der Gerichte fallende strafbare Handlung vorgelegen sei.

Die Bestimmung des § 34 Abs 2 StPO beinhaltet eine Durchbrechung des an sich gemäß § 34 Abs 1 StPO

vorherrschenden Legalitätsprinzips und erteilt den Strafverfolgungsbehörden nur eine rein interne Ermächtigung, in gewissen, in den in der bezogenen Gesetzesstelle vorgesehenen Fällen von der Verfolgung strafbarer Handlungen abzusehen (siehe Mayerhofer-Rieder, StPO, 3. Auflage, Anmerkung 1 zu § 34). Der Staatsanwalt kann, wenn dem Beschuldigten mehrere Taten zur Last liegen, von der Verfolgung einzelner Taten absehen, wenn sich das auf die Strafe, Maßnahmen und Rechtsfolgen, die der Beschuldigte wegen anderer Taten zu erwarten hat, nicht wesentlich auswirken wird (§ 34 Abs 2 Z 1 StPO). § 34 Abs 2 StPO stellt eine Zweckmäßigkeitsvorschrift zur Förderung der Raschheit von Strafverfahren dar. Neben einem schweren Delikt fallen ein leichtes oder mehrere leichte und neben zahlreichen Delikten einige mehr nicht ins Gewicht. Ihre Aufklärung und Aburteilung soll das übrige Verfahren nicht verzögern (vgl. Foregger/Fabrizy, StPO, 8. Auflage, S 73f).

Entgegen der Auffassung der Erstbehörde kann aus einer Zurücklegung der Anzeige aus dem Grunde des § 34 Abs 2 StPO daher keineswegs der Schluss gezogen werden, dass der Beschuldigte die Tat nicht begangen habe oder auch nur, dass der Verdacht nicht bestätigt habe werden können (vgl. dazu z.B. das Erkenntnis des VwGH vom 13.5.1998, Zl. 97/01/0933). Eine Zurückziehung des Strafantrages aus dem Grunde des § 34 Abs 2 StPO ist auch nicht mit einer Verfügung des Staatsanwaltes nach § 90 StPO vergleichbar, die an ihn gelangte Anzeige zurückzulegen, kommt es doch dazu dann, wenn der Staatsanwalt ? von vornherein oder nach Durchführung von Vorerhebungen ? erkennt, dass die Anzeige haltlos, die angezeigte Tat nicht strafbar oder nicht verfolgbar ist (vgl. dazu das Erkenntnis des VwGH vom 23.11.2001, Zl. 98/02/0287).

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die dem Bw mit dem angefochtenen Straferkenntnis angelastete Tat von der gerichtlich nach §§ 88 Abs 1 und Abs 3 (iVm § 81 Z 2 StGB) strafbaren und mit Freiheitsstrafe bedrohten Tat umfasst wird. Mit Rücksicht auf § 81 Z 2 StGB bildete das Lenken des Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand auch in der im Strafantrag der Staatsanwaltschaft Wien umschriebenen Tatanlastung ein bedeutsames tatbestandliches Qualifikationskriterium (vgl. zum Ganzen auch das Erkenntnis des VfGH vom 5.12.1996, Zlen. G 9/96 u.a.).

Da § 99 Abs 6 lit c StVO 1960 nur darauf abstellt, dass eine Tat nach diesem Bundesgesetz (etwa nach § 5 Abs 1 StVO 1960) den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht, liegt daher entgegen der Auffassung der Erstbehörde auch dann, wenn es zu keiner gerichtlichen Verurteilung kommt, weil z.B. die Anzeige aus dem Grunde des § 34 Abs 2 StPO zurückgelegt worden ist, keine von der Verwaltungsstrafbehörde zu ahndende Verwaltungsübertretung vor.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass der Berufung Folge zu geben, das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das gegen den Bw (wegen einer Übertretung des § 5 Abs 1 StVO 1960) geführte Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG einzustellen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 65 VStG.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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