TE UVS Wien 2004/01/29 02/13/6598/2003

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.01.2004
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Betreff

Versuchte Vorführung zur Unterbringung mit tödlichem Ausgang. Freiheitsentziehung im Hinblick auf vertretbar anzunehmende psychische Erkrankung sowie Selbst- und Fremdgefährdung rechtmäßig. Handfesselung rechtmäßig, weil vorangegangenes Verhalten eine Gefährdung beim Transport im Rettungsfahrzeug befürchten ließ; außerdem wurde sie vom Notarzt als erforderlich bezeichnet.

Nachfolgende Fixierung am Boden ? gefesselt, in Bauchlage, durch 6 Polizisten und 3 Sanitäter unter massivem Kraftaufwand und Gewichtseinsatz, teilweise auf dem Betroffenen stehend ? rechtswidrig, ebenso die nachfolgende Fußfesselung am bereits Reglosen. Rechtswidrige Misshandlungen.

Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch sein Mitglied Dr. Helm über die Beschwerde der Frau Natalie K, vertreten durch Rechtsanwältin, gemäß Art 129 a Abs 1 Z 2 B-VG wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen ihren Ehegatten, Herrn Cheibani W, durch dessen versuchte zwangsweise Vorführung nach dem Unterbringungsgesetz am 15.7.2003 in Wien, welche mit dem Tod des Betroffenen geendet hat, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung am 4. und am 11.12.2003 sowie am 15. und am 29.1.2004 entschieden und diese Entscheidung mündlich verkündet:

I. Gemäß § 67c Abs 3 AVG wird in nachstehenden Punkten der Beschwerde Folge gegeben und die Maßnahme für rechtswidrig erklärt:

a) der nach Art und Dauer unverhältnismäßigen, lebensgefährdenden Fixierung des Ehegatten der Beschwerdeführerin am Boden;

b) der Fußfesselung, unbeschadet der ursprünglich gegebenen Voraussetzungen, in Anbetracht ihres Zeitpunkts und der konkreten Umstände ihrer Durchführung unter Außerachtlassung des körperlichen Zustandes des Betroffenen;

c) der Misshandlung des zu Boden gedrückten Betroffenen durch mehrere Faustschläge gegen Kopf, Nacken- und oberen Rückenbereich, samt der die Schläge begleitenden Beschimpfung.

II. Im übrigen, insbesondere was die Freiheitsentziehung zum Zwecke der Unterbringung sowie die Handfesselung anbelangt, wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat der Beschwerdeführerin zu Handen ihrer Vertreterin Euro 610,-- für Schriftsatzaufwand, Euro 755,-- für Verhandlungsaufwand und Euro 13,-- für Stempelgebühren, insgesamt sohin Euro 1.378,-- an Aufwandersatz, binnen 14 Tagen nach Zustellung der schriftlichen Ausfertigung bei sonstigem Zwang zu leisten.

Text

1. Mit Schriftsatz vom 26.8.2003, zur Post gegeben am selben Tage und sohin rechtzeitig, erhob die Einschreiterin durch ihre rechtsfreundliche Vertreterin Beschwerde gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG, worin sie zum Sachverhalt vorbringt:

?Die BF war die Ehegattin des Cheibani W und lebte in aufrechter Ehe mit diesem an der Adresse der Beschwerdeführerin. Cheibani W stand nie in psychiatrischer Behandlung. Es lag keine nach außen zu Tage tretende psychische Erkrankung vor. Er war ca. 1,80 m groß und wog ca. 65 kg.

Cheibani W ist anlässlich einer Amtshandlung, bei welcher unmittelbarer behördliche Befehls- und Zwangsgewalt ausgeübt wurde, am 15.7.2003, vermutlich um 06.00 Uhr morgens im AKH verstorben. Nach Angaben des während der Amtshandlung anwesenden Notarztes sei Cheibani W bereits gegen 01:24 Uhr bei Reanimationsmaßnahmen im Rettungstransportwagen klinisch tot gewesen.

Cheibani W, welcher im ?Afrika Kulturdorf" in Wien S-park beschäftigt gewesen war, hielt sich bereits am 14.7.2003 im Afrika Kulturdorf auf. Nach übereinstimmenden Angaben von Menschen, die an diesem Tag bzw. in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli mit ihm zu tun hatten, war W nicht in bester psychischer Verfassung, er wirkte traurig bzw. niedergeschlagen und führte Selbstgespräche. Gegen Mitternacht kam es zu einem verbalen Streit mit einem der Leiter des Afrika Kulturdorfes Mag. Erfried M, der dazu führte, dass besagter M um 00:34 am 15.07.2003 den Notruf der Rettung anrief und weitere 4 bis 5 Minuten später den Notruf der Polizei kontaktierte. Dabei äußerte er sich gegenüber der Rettung dahingehend, dass ein Kollege aus dem Dorf ?komplett durchdreht" sei. Weiters gab er an, dass er glaube, dass dieser unter schwersten Drogen stünde und nicht mehr er selbst wäre. Ca. 5 min später gab er gegenüber der Polizei an, dass er von Cheibani W attackiert werde, er selbst im Auto sitze, aber dieser ?komplett verrückt" sei. Er würde brüllen und auf das Auto von M einschlagen. Um ca. 00:40 Uhr trafen die ersten 2 Streifenwagen der Bundespolizeidirektion Wien sowie um ca. 00:43 Uhr Noteinsatzfahrzeug sowie Rettungstransportwagen der Wiener Rettung am S-park beim Afrika Kulturdorf ein.

Beim Eintreffen der ersten Sicherheitswachebeamten fanden diese Cheibani W in Bauchlage am Boden liegend vor. Mehrere Zeugen bestätigen, dass das Hemd des W blutverschmiert war. Zum Zeitpunkt, als Rettungstransportwagen und Noteinsatzfahrzeug um 00:43 Uhr am Ort des Geschehens eintrafen, stand W bereits wieder, wobei er von SicherheitswachebeamtInnen umringt war. Sowohl der eintreffende Notarzt als auch die mit diesem eintreffenden Sanitäter nahmen wahr, dass W zu diesem Zeitpunkt tanzte und sang bzw. begann, sich auszuziehen. Auf Aufforderung der SicherheitswachebeamtInnen zog er sich jedoch wieder an. Er wird von den meisten ZeugInnen zu diesem Zeitpunkt als zwar aufgeregt, jedoch zugänglich bzw. kooperativ wahrgenommen. Der Notarzt plante, W, der sich zu diesem Zeitpunkt relativ ruhig verhielt, Psychopax-Tropfen zu verabreichen. Bei einem Gespräch zwischen einer der am Einsatz beteiligten SicherheitswachebeamtInnen (glaublich zu diesem Zeitpunkt Leiterin der Amtshandlung) und dem Notarzt wurde übereingekommen, dass W keine Psychopax-Tropfen verabreicht würden, damit dieser im ?Ist-Zustand" einem Amtsarzt zwecks möglicher Unterbringung nach dem Unterbringungsgesetz vorgeführt werden könne. Die Polizeibeamtin gab bei einer Einvernahme wörtlich an: ?dass wir noch überlegen, ob wir W dem Amtsarzt vorführen und ob er freiwillig mitfährt" (221 Ur 270/03g Bd.

II AS 255 des LG f Strafs Wien). Seitens der Sicherheitswachebeamtin wurde die Gabe von Beruhigungsmittel aus oben angeführtem Grund abgelehnt.

In der Folge wollten die Organe der Sicherheitswache offenbar gemäß § 46 SPG iVm § 9 Abs 2 UbG vorgehen, W wurde auf die zwischenzeitig herbeigebrachte Tragbahre bäuchlings gelegt, wobei er zu diesem Zeitpunkt bereits mit Handfesseln am Rücken geschlossen war. Mehrere Zeugen sagen diesbezüglich aus, dass W sich freiwillig auf die Tragbahre gelegt hat.

Sodann erfolgte eine weitere Fixierung in der Höhe der Unterschenkel des W mittels eines im Transportrettungswagen mitgeführten Gurtes. Zu diesem Zeitpunkt war W laut Aussagen des ihn anschnallenden Sanitäters vollständig ruhig. Als der Rettungstransportwagen bereits im Begriff war, unter Begleitung von Sicherheitswachebeamten ins Otto Wagner Spital zu fahren, gelang es W offenbar, sich vom Gurt, mit welchem er bäuchlings auf der Tragbahre fixiert war, zu befreien und sprang aus dem seitlich noch offenen Wagen.

Wegen widersprüchlicher Zeugenaussagen, welche bereits zum Großteil vom Büro für Interne Angelegenheiten/BMI im Zuge von Vorerhebungen durch die Staatsanwaltschaft Wien einvernommen worden sind, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit sagen, ob die Motivation von W lediglich die war, aus dieser Situation zu flüchten oder ob er tatsächlich, wie von einigen Sicherheitswachebeamten sowie Sanitätern ausgesagt wird, diese attackieren wollte. Er wurde jedenfalls in der Folge sofort von mehreren SicherheitswachebeamtInnen sowie unter Mithilfe von Sanitätern zu Boden gebracht und zwischen Rettungstransportwagen und Noteinsatzfahrzeug bäuchlings am Boden fixiert. Im Zuge der ?Zu Boden-Bringung" hatte W einen der beteiligten Sicherheitswachebeamten, nämlich Alen O, offenbar durch Zugreifen mit einer der mit Handfesseln am Rücken geschlossenen Hände am Oberarm leicht verletzt.

Nachdem W von wahrscheinlich 6 SicherheitswachebeamtInnen sowie mindestens 2 Sanitätern teils durch Füße teils durch Knieeinsatz am Boden fixiert war, wurde ihm vom Notarzt intramuskulär eine Ampulle mit 5 mg Haldol verabreicht. Kurz nach Verabreichen diese Spritze, war von W keinerlei Bewegung mehr wahrnehmbar.

Zu Beginn der Fixierung am Boden war seitens eines der Sicherheitswachebeamten (männlich) zu hören, wie dieser zu W sagte ?Du Sau gibst noch immer keine Ruhe".

Ebenfalls zu Beginn der Fixierung wurde W von einem der Sicherheitswachebeamten mit geballter Faust 2 mal auf den Hinterkopf, von einem anderen mehrmals in den Rückenbereich geschlagen.

Über den Zeitraum von etwa 4,5 bis 5 Minuten dieser Art der Fixierung liegt ein Amateurvideo vor, welches derzeit dem Gerichtsakt beiliegt. Auf diesem Video ist zu sehen, dass jedenfalls zwei Sanitäter sowie die Sicherheitswachebeamtin mit z.T. beiden Füßen bzw. jedenfalls einem Knie (die Beamtin) unter Einsatz des Körpergewichts den W belasten. Ein weiterer Beamter (vermutlich Le) befindet sich mit einem Knie auf dem Oberkörper des W. Diese Art der Fixierung ? nämlich ein ?zu Boden-Drücken" mit Körpergewicht ? hält die gesamte Dauer der Fixierung, also beinahe 5 min an. Von einem Beamten wird überdies angegeben, dass er den Kopf und Nackenbereich von W durchgehend während der Fixierung niedergedrückt hielt.

Nach ca. 6 Minuten nach Verabreichen der Spritze ist auf diesem Video ein weiterer Sanitäter erkennbar, der kurz einen Fuß des W hält, diesen jedoch wieder loslässt, nach dem keinerlei Reaktion von W feststellbar ist. Danach wurden von einem der Sicherheitswachbeamten am völlig reglosen Mann Fußfesseln angebracht.

Während der gesamten Videoaufnahme ist nicht ersichtlich, dass es seitens der Sicherheitswachebeamten zu irgendwelchen Schritten zur Überprüfung des physischen Zustandes von W gekommen ist. Während dieser gesamten Zeit wird auch weder der danebenstehende Notarzt noch einer der Sanitäter von irgendeinem der SWB aufgefordert, die Vitalfunktionen des W zu überprüfen.

Nach ca. 6 Minuten nach Verabreichen der Spritze wurde W von den Sicherheitswachebeamten auf die bereitstehende Tragbahre gelegt. Da der Kopf in die entgegengesetzte Richtung gebracht werden musste, wurde W umgedreht, wobei er zu diesem Zeitpunkt jedenfalls schon ohne Bewusstsein war. Es vergingen eine halbe bis ¾ Minute, bis W die Handfesseln abgenommen wurden und er in der Folge auf den Rücken verbracht werden konnte, damit Wiederbelebungsmaßnahmen ergriffen werden konnten.

Zu diesem Zeitpunkt kontrollierte der Notarzt erstmals Atmung und Puls und war weder Puls fühlbar noch Atmung zu diesem Zeitpunkt vorhanden. In der Folge wurde W in das Rettungsauto verbracht und dort durch Sanitäter und Notarzt erfolglos die Reanimation versucht."

Die Beschwerdeführerin beantragt daher, festzustellen, . dass Cheibani W durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien am 15.7.2003 durch die Fixierung am Boden, durch deren Art und Weise sowie deren Dauer in seinem Recht auf Leben gem. Art 2 EMRK verletzt wurde;

. dass während dieser Fixierung dadurch, dass seitens der Organe der Bundespolizeidirektion Wien keine ausreichenden Schritte zur Überwachung der Vitalfunktionen von Cheibani W vorgenommen wurden bzw. weder Sanitäter noch Notarzt durch die Organe der Bundespolizeidirektion Wien zur Überwachung derselben aufgefordert wurden, [jener] in seinem Recht auf Leben gem. Art 2 EMRK verletzt wurde;

. dass Cheibani W durch das Anlegen der Handfesseln im Zuge der versuchten Verbringung ins Otto Wagner Spital am 15.7.2003 durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien in seinem Recht, keiner unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung gem. Art 3 EMRK unterzogen zu werden, verletzt wurde; . dass Cheibani W durch die Art und Weise und die Dauer der Fixierung am Boden in seinem Recht, keiner unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung gem. Art 3 EMRK unterzogen zu werden, verletzt worden ist;

. dass Cheibani W durch die Faustschläge und Schläge sowie die Beschimpfung während der Fixierung in seinem Recht, keiner unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung gem. Art 3 EMRK unterzogen zu werden, verletzt worden ist;

. dass das Anlegen von Fußfesseln bei Cheibani W ihn ebenfalls in seinem Recht, keiner unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung gem. Art 3 EMRK unterzogen zu werden, verletzt hat;

. dass der [Ehegatte der] Beschwerdeführer[in] dadurch, dass zum Zeitpunkt des Anlegens von Handfesseln und versuchter Verbringung ins Otto Wagner Spital die Voraussetzungen für diese Verbringung nicht vorlagen, in seinem Recht auf persönliche Freiheit gem. Art 5 Abs 1 lit e EMRK iVm Art 2 Abs 1 Z 5 PersFrSchG [verletzt worden ist];

und die bezughabenden Verwaltungsakte kostenpflichtig für rechtswidrig zu erklären.

2. Die belangte Behörde legte mit Schreiben vom 17.10.2003 den von ihrem Polizeikommissariat zu AZ Kr 1404/Ls/03

geführten Verwaltungsakt in Ablichtung vor und gab bekannt, dass das Original am 15.7.2003 der Staatsanwaltschaft Wien übermittelt worden sei; weiters in Ablichtung den von ihrem Kriminalkommissariat zu AZ 1 K 678/KO/03 geführten Verwaltungsakt unter Bekanntgabe, dass das Original am 16. bzw. 17.7.2003 der Staatsanwaltschaft Wien nachgereicht worden sei. Schließlich legte die belangte Behörde ? entsprechend dem mit Schreiben vom 10.9.2003 erteilten Auftrag ? den Erlass des Bundesministers für Inneres vom 19.9.2000, Zahl 38.201/136- II/A/00, samt der Beilage ?Dienstvorschrift AEK" vor und beantragte, die Ausnahme von der Akteneinsicht zu verfügen, da die Einsichtnahme (und sohin Kenntnisnahme über den internen Dienstgebrauch hinaus) eine Gefährdung der Aufgaben der Behörde bedeuten würde.

2.1. Unter einem erstattete die belangte Behörde zu ihrem AZ P 581/r/03 eine Gegenschrift, worin sie zum Sachverhalt auf die Anzeige bzw. Meldung vom 15.7.2003 verweist und weiter vorbringt:

?Zu ergänzen ist, dass die einschreitende wSWB die Verabreichung eines Beruhigungsmittels gegenüber dem anwesenden Notarzt keineswegs ablehnte. Es ist nicht nur gänzlich unüblich, sondern geradezu undenkbar, dass SWB als medizinisch nicht Fachkundige einem am Einsatzort anwesenden Arzt irgend welche fachlichen Anordnungen oder Verbote zu erteilen. Vielmehr äußerte die Beamtin Bedenken, die der Arzt gelten ließ.

Die Fixierung des Gatten der Beschwerdeführerin (in der Folge kurz: ?BF"), indem sein Oberkörper und Kopf durch Einsatz von Körpergewicht auf den Boden gedrückt wurden, dauerte nicht zwischen 4 und 5 Minuten an.

Während der Fixierung des Mannes durch SWB überprüften zwei Beamte ständig dessen Atmung und Puls.

Die Fußfesseln waren dem Mann bereits angelegt worden, als er noch um sich trat.

Der Gatte der BF wurde weder in der in der Beschwerde behaupteten Weise beschimpft, noch wurden ihm in Misshandlungsabsicht Schläge auf den Hinterkopf und auf den Rücken versetzt."

Nach ihren rechtlichen Ausführungen (unten) bringt die belangte Behörde noch vor:

?Im gegenständlichen Fall war der Gatte der BF aus dem Rettungsfahrzeug, in welches er getragen worden war, herausgesprungen und, indem er einen SWB heftig weggerempelt hatte, in Richtung Fahrbahn der Straße H-markt gelaufen. Er wurde von mehreren Personen, darunter einigen SWB, festgehalten und zu Boden gerungen. Da er sich in der Absicht, in Richtung Fahrbahn davon zu laufen, heftig zur Wehr setzte, erfolgte seine Fixierung am Boden. Der Gatte der BF versuchte weiterhin, sich loszureißen und trat dabei auch mit seinen Füßen gegen die umstehenden Personen. Um diese Tätigkeiten zu unterbinden, war es in der konkreten Situation unumgänglich, den Gatten der BF zu Boden zu drücken. Soweit dabei durch SWB ein Einsatz des Körpergewichts erfolgte, wurde dieser nicht für die in der Beschwerde behaupteten Dauer aufrecht erhalten. Wie oben dargestellt, wurden hiebei sowohl Puls als auch Atmung des Gatten der BF beobachtet. Den Tritten des Gatten der BF wurde durch das Anlegen von Fußfesseln begegnet. Aufgrund des vom Gatten der BF während und vor dem Polizeieinsatz gezeigten Verhaltens war, auch als der Mann seine Tätigkeiten kurz unterbrochen hatte, mit Grund zu befürchten, dass er diese wiederholen werde. Sobald vorhersehbar war, dass der Gatte der BF infolge der verabreichten Injektion keine tätlichen Angriffen mehr setzen würde, nahmen die Beamten ihm die Fesseln ab."

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus:

?Nahe Verwandte sind nach Auffassung des VfGH, der sich dabei auf die Judikatur des EGMR beruft, zur Erhebung einer Beschwerde, mit welcher das Recht auf Leben geltend gemacht wird, legitimiert. Dies ergebe sich aus dem spezifischen Charakter des durch Art 2 MRK geschützten Rechts, da anders eine Verletzung des Rechts auf Leben im Falle des Ablebens überhaupt nicht releviert werden könne. Es könne dem Verfassungsgesetzgeber nicht zugesonnen werden, dass er eine eigene Beschwerdeinstanz hinsichtlich verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt geschaffen hat, davon aber die Geltendmachung der Verletzung des Rechts auf Leben durch Angehörige im Fall des während der Amtshandlung eingetretenen Todes generell ausschließen habe wollen (VfGH 06.03.2001, B 159/00).

Beachtlich ist, dass sich der VfGH mit seinen Ausführungen grundsätzlich auf das Recht nach Art 2 MRK bezieht. In der zitierten Judikatur heißt es weiter, der UVS sei zuständig, über von nahen Angehörigen diesbezüglich behauptete, den Verstorbenen betreffende Rechtsverletzungen (Art 2 und Art 3 MRK) zu erkennen, sofern der durch die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt Betroffene während der Amtshandlung verstorben ist. (Für eine Beschwerdelegitimation hinsichtlich weiterer Rechte, etwa durch des Rechts auf Schutz der persönlichen Freiheit, bleibt bei dieser Judikatur kein Raum.) Damit ist klar gestellt, das die nahen Angehörigen beschwerdelegitimiert sind, wenn der von der Amtshandlung Betroffene während derselben verstirbt und der Schutz des Rechts auf Leben geltend gemacht werden soll. Hingegen ist die Beschwerdelegitimation der nahen Angehörigen hinsichtlich Art 3 MRK ? nicht zuletzt mit Rücksicht auf die einschränkende Judikatur des EGMR ? davon abhängig, ob das behauptete, an sich dem Art 3 widersprechende Handeln mit dem Tod in engem Zusammenhang steht. Nur dann ist der ?spezifische Charakter" des geschützten Rechts gegeben, der eine Ausnahme von der Regel, wonach nur existierende Personen im Rechtssinn, also Lebende, Beschwerde erheben können. Der EGMR hat es bei Befassung mit dieser Problematik (vgl. Frowein/Peukert, EMRK, 2. Auflage, Kehl 1996, Seite 532f) für zulässig erachtet, dass Erben bzw. nahe Verwandte ein Verfahren fortsetzen, wenn sie ein berechtigtes Interesse daran haben, insbes. wenn sie aufgrund ihrer Erbenstellung im Hinblick auf die durch behauptete Konventionsverletzungen entstandenen Nachteile ihrerseits als beschwert anzusehen sind und/oder wenn die Beschwerde allgemeine Bedeutung hat.

Hiebei ist zunächst anzumerken, dass es sich um Fälle der Fortsetzung eines vom Verstorbenen angestrengten Verfahrens handelte. In diesen Fällen war daher der eigene Wille des direkt Betroffenen, ein Beschwerdeverfahren in Gang zu setzen, bereits durch seine eigene Beschwerdeerhebung manifestiert. Im Gegensatz dazu ist dies in der vorliegenden Angelegenheit nicht der Fall. Die diesbezügliche Judikatur ist daher nicht ohne Einschränkung auf die vorliegende Beschwerde anwendbar.

Im Übrigen ist auszuführen:

Ein berechtigtes Interesse im Sinn der obigen EGMR-Judikatur wurde dann als gegeben erachtet, wenn die behauptete Verletzung materiellen Schaden bewirkte, der auch die Erben belastet, so etwa bei Verletzungen des Eigentumsrechts oder Verletzungen der angemessenen Dauer und der Fairness von Verfahren, deren Ausgang für die Vermögenslage des Beschwerdeführers wesentliche Bedeutung hat. Diese Überlegungen treffen im vorliegenden Fall ? soweit die Beschwerde außer Art 2 MRK noch weitere Rechte releviert ? nicht zu, weshalb ein berechtigtes Interesse der nahen Angehörigen hier nicht vorliegt. Die gegenständliche Beschwerde hat ? soweit sie über das Recht auf Leben hinausgeht ? auch keine allgemeine Bedeutung im obigen Sinn. Das Anlegen von Fußfesseln und das behauptete Versetzen von einigen Schlägen auf Hinterkopf und Rücken stehen in keinerlei Zusammenhang mit dem Tod des Gatten der BF, der lt. Berichten an einer Herz-Kreislauf-Schwäche, verursacht durch einen physiologischen Defekt des Herzens, verstorben ist. Auch das Anlegen von Handfesseln und das behauptete Beschimpfen des BF, soweit beides unter dem Aspekt des Art 3 MRK in Beschwerde gezogen wird, sind nicht geeignet, eine allgemeine Bedeutung der Beschwerde zu begründen.

(Was die behaupteten Beschimpfungen betrifft, ist überdies auf die Judikatur des VfGH hinzuweisen (etwa VfGH 29.9.1992, B 590/89- 34), wonach solche Handlungen nicht als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anzusehen sind.)"

Es wird daher beantragt, die Beschwerde hinsichtlich der Fixierung des Gatten der Beschwerdeführerin am Boden als unbegründet abzuweisen und, soweit sie über die Geltendmachung einer Verletzung des Rechts auf Leben hinausgeht, die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen, samt Kostenzuspruch.

2.2. Hiezu erstattete die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 17.11.2003 eine Stellungnahme, worin sie mitteilt, dass sich der vom Bundesminister für Inneres übermittelte Erlass bereits im Akt des beim Landesgericht für Strafsachen Wien anhängigen Strafverfahrens zur Zahl 221Ur 344/03 i befinde, daher der Beschwerdeführerin zugänglich, und überdies durch den Erlass 27.600/1054-II/A/3/02 außer Kraft gesetzt sei. Zum Sachverhalt, wie von der belangten Behörde ausgeführt, wird hinsichtlich der Anzeige vom 15.07.2003 wie folgt Stellung genommen:

?Die Anzeige des Polizeikommissariats, wurde

(naturgemäß) vor Bekanntwerden der Tatsache, dass es zu einem wesentlichen Zeitabschnitt des nunmehr beschwerdegegenständlichen Vorfalles Videoaufnahmen gibt, verfasst. Mehrere zentrale Aussagen in dieser Anzeige wie: ?Nur unter Anwendung von Körperkraft konnte er auf der Transportliege in Bauchlage gebracht werden" sowie weiter ?Dennoch stellte W sein renitentes Verhalten nicht ein, sodass er am Boden fixiert werden musste. Weitere Stkws wurden zur Unterstützung angefordert. Nun erst konnte W nicht nur die Handfesseln, sondern auch die Fußfesseln angelegt werden" sowie weiters: ?Der RD-Arzt .... injizierte .... ein Beruhigungsmittel. W beruhigte sich scheinbar

und wurde mittels Transportliege in den Rettungswagen gebracht. Dort verlor er das Bewusstsein. Die Fesseln wurden sofort abgenommen....." werden von ZeugInnenaussagen bzw. den Videoaufnahmen wiederlegt. Zahlreiche Zeugenaussagen so wie die beispielsweise des Sanitäters Stefan L (Strafakt Band II AS 1 55), des Sanitäters Markus J (Band II AS 167) sowie die des beim Vorfall anwesenden Notarztes (Band II AS 133) bestätigen, dass die Sicherheitswachebeamtin die Verabreichung eines Beruhigungsmittels sehr wohl ablehnte. Richtig ist natürlich, dass der Arzt das aus medizinischer Sicht Notwendige hätte tun müssen und keine rechtliche Grundlage für etwaige Verbote durch die SicherheitswachebeamtInnen existieren.

Die Dauer der Fixierung des Gatten der BF am Boden beträgt nach den Aufzeichnungen allein am Video 4,5 Minuten, wobei dazu angemerkt wird, dass auf dem Video nicht der Beginn der Fixierung zu sehen ist (siehe auch Band II des Strafaktes, ?Strafanzeige" AS 27, 29).

Aus dem Video ist auch ersichtlich, dass der Gatte der BF zum Zeitpunkt, als ihm die Fußfesseln angelegt wurden, bereits völlig regungslos ist.

Zu den behaupteten Schlägen wird auf das nunmehr im Strafakt befindliche Gutachten des Instituts für Gerichtliche Medizin, ON 37, verwiesen, in welchem ?Weichteilbeschädigungen ?in der Kopfschwarte und im oberen Nackenbereich objektiviert" sind (AS 395 des Strafaktes)."

In rechtlicher Hinsicht führt die Beschwerdeführerin durch ihre rechtsfreundliche Vertreterin aus:

?Zu den rechtlichen Ausführungen der Behörde in Hinblick auf die Beschwerdelegitimation der BF hinsichtlich der Beschwerdepunkte Art 3 und Art 5 EMRK wird darauf hingewiesen, dass im von der Behörde zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ausdrücklich Art 2 und Art 3 EMRK Erwähnung finden.

....

Die Aufzählung von Art 2 und Art 3 EMRK erfolgt in diesem Erkenntnis nur beispielhaft und spricht der Verfassungsgerichtshof von ?den Verstorbenen betreffenden Rechtsverletzungen". Im Gegensatz zur Rechtsanschauung der belangten Behörde bleibt aus der Perspektive der BF unter Heranziehung dieses Erkenntnisses sehr wohl der Raum, auch andere den Verstorbenen betreffende Rechtsverletzungen geltend zu machen, da sonst eine umfassende Kontrolle der Verwaltung im Falle des Versterbens während eines Aktes unmittelbare verwaltungsbehördlicher Befehls und Zwangsgewalt ausgeschaltet würde. Überdies stehen alle gerügten Verletzungen im engen Zusammenhang mit dem Tod des Gatten der BF."

2.3. Mit Schreiben vom 10.9.2003 wurde die Magistratsabteilung 15 um sachverständige Auskunft darüber ersucht, ob nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft Erkenntnisse vorliegen, wonach eine Fixierung von Menschen in Bauchlage zum Erstickungstod (?positional asphyxia", ?sudden restraint death") führen kann. Gegebenenfalls wurde um Bekanntgabe von Quellen unter Angabe des Zeitpunktes der Veröffentlichung ersucht. Die Magistratsabteilung 15 hat hierauf mehrere Studien mit Begleitschreiben vom 7.10.2003 als vorläufiges Ergebnis ihrer Literaturrecherche samt einer Stellungnahme ihres Lungenfacharztes vorgelegt; die Literaturrecherche wurde über weiteres, mit Schreiben vom 24.10.2003 ergangenes Ersuchen, noch um weitere Publikationen ergänzt, welche mit Antwortschreiben vom 26.11.2003 übermittelt wurden.

3. Am 4.12.2003 fand die öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien statt, zu der die Beschwerdeführerin mit ihrer rechtsfreundlichen Vertreterin, der Vertreter der Bundespolizeidirektion Wien und die Zeugen Mag. Markus Hu, Mag. Erfried M, Elena A, Alameldin Ham, Dr. Alois Kr, Alen O, Johann G und Brigitte Ba ladungsgemäß erschienen sind; die drei zuletzt Genannten konnten aus Zeitgründen erst am folgenden Verhandlungstag befragt werden. Der Zeuge Ham wurde unter Beiziehung von Herrn Fadel F als Dolmetsch für die arabische Sprache einvernommen.

Die Verhandlung wurde am 11.12.2003 fortgesetzt; hiebei wurden die drei zuletzt genannten Zeugen ebenso befragt wie die weiteren Beamten der belangten Behörde Hut Le, Rüdiger B und Günter H. Alle sechs verweigerten jedoch trotz ausführlicher Belehrung die Aussage generell sowie die Beantwortung einzelner, konkreter Fragen, ohne ihre Verweigerung im Sinne des § 49 Abs 4 AVG begründen zu können. Sie wurden daher nach Erstattung der Anzeige an die Disziplinarbehörde nochmals vorgeladen. Noch am 11.12.2003 wurden die Zeugen L, J und Ha einvernommen und die Einvernahme des Zeugen We begonnen. Fortgesetzt wurde seine Einvernahme am 15.1.2004, ferner wurden zu diesem Termin die Zeugen Roswitha St, Peter Sv und Cornelia Th, die beiden letztgenannten Beamte der belangten Behörde, einvernommen. Die sechs Beamten, die die Aussage am 11.12.2003 verweigert hatten, wurden nochmals befragt, verweigerten jedoch neuerlich die Aussage generell und auf konkrete Fragen ebenso wie die Auskunft darüber, inwiefern sie sich durch die Beantwortung der konkreten Fragen der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung aussetzen könnten. Letztlich wurden am 29.1.2004 der Zeuge Rudolf Ho einvernommen, das Beweisverfahren geschlossen und der Bescheid mündlich verkündet.

3.1. Auf Grund der Einvernahme der genannten Zeugen, soweit sie aussagewillig waren, der vorgelegten Verwaltungsakten, der wesentlichen Teile des Gerichtsaktes des Landesgerichtes für Strafsachen Wien zur GZ 221 Ur 344/03 i (einschließlich der Videoaufnahme Mag. Hus), welche dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien über Ersuchen in Kopie übermittelt worden sind, der weiteren, von den Parteien in der Verhandlung vorgelegten Unterlagen, sowie der von der Magistratsabteilung 15 auf Grund ihrer Literaturrecherche im Volltext vorgelegten Studien samt der Stellungnahme ihres Lungenfacharztes, hat der Unabhängige Verwaltungssenat Wien folgenden Sachverhalt festgestellt und als erwiesen angenommen:

3.1.1. Die Beschwerdeführerin war vor dessen Tod aufrecht mit Herrn Cheibani W, geboren am 20.12.1969 in Ka (Mauretanien), verheiratet. W war zuletzt in einem im Wiener S-park errichteten Afrikadorf beschäftigt und hielt sich auch in der Nacht vom 14. auf den 15.7.2003 dort auf. Der Leiter des Afrikadorfes, Mag. Erfried M, hatte in den 14 Tagen zuvor bereits wiederholt an W Gemütszustände wahrgenommen, die er nicht zu deuten wusste und die sich in Streit mit anderen Mitarbeitern und M äußerten. Bei einer dieser Gelegenheiten hatte sich M bereits persönlich bedroht gefühlt und die Polizei gerufen.

In der gegenständlichen Nacht beobachtete M eine Meinungsverschiedenheit zwischen seinen Mitarbeitern Ham und W, wobei der letztere so aufgebracht und erregt auf M wirkte, dass dieser den Eindruck hatte, W benötige psychiatrische Hilfe. Er rief daher nach Rücksprache mit Ham die Rettung an. Als kurz danach W schreiend mit erhobenen Händen auf ihn zukam, wich ihm M aus, sperrte den Bürocontainer zu und wollte das Afrikadorf mit seinem Auto, in welchem bereits seine Lebensgefährtin Elena A wartete, verlassen. Als er bereits den Schranken geöffnet hatte und ins Auto eingestiegen war, kam W neuerlich in äußerst erregtem Zustand auf ihn zu und versuchte offenbar, ins Auto zu gelangen und ihn am Wegfahren zu hindern, indem er sich schreiend auf die Motorhaube warf, aufs Autodach und auf die Scheiben schlug und einen Einkaufswagen gegen das Heck stieß. M rief hierauf zweimal die Polizei über sein Mobiltelefon und fuhr langsam aus dem S-park in Richtung H-markt. W, der bereits das Schloss mit einem mitgeführten Schlüssel beschädigt hatte, versuchte mitzulaufen, hielt dabei die Türöffnerklappe fest und brach sie in der Folge ab; sodann fiel er zu Boden und verletzte sich dadurch.

3.1.2. Um 0.41 Uhr des 15.7.2003, M erreichte gerade die Straße, trafen etwa gleichzeitig ein Notarztwagen, ein Rettungstransportwagen und der Streifenwagen Cä 4 (Ba und H) H-markt ein, kurz danach der Streifenwagen Cä 2 (G, B). Ba und H begaben sich sogleich zu W, der inzwischen aufgestanden war und, wie H beobachtete, nur schwer Luft bekam. Sekunden später kam auch G zu W und hielt diesen zurück, als er auf M zugehen wollte, wobei Ws Blut aus den vor Einlangen der Polizei erlittenen Verletzungen auf Gs Kleidung gelangte. Während dieser M aufforderte, weiterzufahren, langte auch B bei W ein. Als letztlich auch die Besatzung des Streifenwagens Cä 1 (O und Le) hinzukam, ging G zu M, um ihn über den Grund seiner Anrufe zu befragen. Die übrigen Beamten stellten sich mit etwas Abstand rund um W auf, um diesen zu beruhigen und daran zu hindern, zu M zu gelangen. Währenddessen entfernte sich H, um mit dem Notarzt Dr. Kr zu sprechen, welcher zunächst mit den Sanitätern in der Nähe der beiden Fahrzeuge stehen geblieben war; vor ihren Füßen war nämlich ein blutverschmierter Stein zu liegen gekommen, der aus Richtung W ein Auto, offenbar jenes von M, mit hörbarem Knall getroffen hatte. Mit H gingen sie dann zu W. Dieser hatte in der Zwischenzeit seine Tasche ausgeleert, seine Oberbekleidung ausgezogen, war herumgetanzt und hatte Worte unverständlichen Sinngehalts von sich gegeben. Dem vom Afrikadorf herbeigekommenen Ham wurde Gelegenheit gegeben, mit W zu reden, was diesen offenbar beruhigte. Davor hatte er sich in einem sehr aufgebrachten Zustand befunden, jedoch gegenüber den Beamten keinerlei Angaben über M und die dessen Hilferuf auslösenden Vorgänge gemacht; schon deshalb musste den Beamten sein Verhalten irrational erscheinen.

Zwischenzeitlich hatte sich Ba mit G ins Einvernehmen gesetzt, welcher von M eine Darstellung der Vorfälle erhalten hatte. Nachdem Sanitäter und der Notarzt H zu W begleitet hatten, ging H wieder zu G. W steigerte sich mittlerweile wieder in einen Erregungszustand hinein. Dr. Kr wollte W Psychopax-Tropfen in etwas Trinkwasser verabreichen, unterließ dies jedoch über Ersuchen der Zeugin Ba, weil diese W in unverändertem Zustand dem Amtsarzt vorführen wollte. Letztlich schlug ein Beamter ? dabei möglicherweise den ursprünglichen Vorschlag des Notarztes aufgreifend ? vor, W direkt ins psychiatrische Krankenhaus zu bringen. Dieser befand sich deutlich erkennbar in einem außergewöhnlichen Erregungszustand, welcher in Verbindung mit der Darstellung Ms und As bei keinem der Anwesenden von Polizei und Rettung ernstliche Zweifel daran aufkommen ließ, dass W psychisch schwer beeinträchtigt war. Einige der Anwesenden gingen ? wie bereits M in seiner Darstellung ? von einer Psychose aus, We war sich dessen sogar sicher. Für Dr. Kr war eine Psychose nicht auszuschließen, jedenfalls bedurfte Ws Erregungszustand aus seiner medizinischen Sicht dringend einer Behandlung, was er den Beamten auch zu verstehen gab. Wie die Sanitäter bestand er darauf, dass Polizeibeamte im Rettungstransportwagen mitfahren sollten.

3.1.3. Gemeinsam versuchten die Sanitäter und Sicherheitswachebeamten W nunmehr zu bewegen, in den Rettungstransportwagen einzusteigen. W beruhigte sich wieder und ging mit ihnen mit, flüchtete aber kurz vor der bereits herausgebrachten Transportliege auf die Fahrbahn H-markt, in deren zweiter Spur er eingeholt und zum Zurückgehen bewegt werden konnte. Dr. Kr erachtete die Fesselung des Patienten an den Händen zu dessen eigener Sicherheit und jener der begleitenden Sanitäter während des Transports für erforderlich und teilte dies den Polizeibeamten mit. W setzte sich sodann freiwillig auf die aus dem Rettungsauto geschobene Transportliege und wehrte sich erst, als seine Hände am Rücken gefesselt wurden. Er wurde dann umgedreht und bäuchlings auf die Liege gelegt, seine Unterschenkel wurden mit einem Gurt an der Liege fixiert und er schließlich von hinten ins Rettungsauto geschoben. Dessen seitliche Schiebetüre blieb offen, der Zeuge B stellte sich daneben auf. Die Beamten besprachen sich kurz miteinander und kamen zu dem Schluss, dass ein Streifenwagen allein zur Begleitung genügen werde. Es wurde vereinbart, dass Cä 2 diese Aufgabe übernehmen solle; die anderen beiden Funkmittel meldeten ihren Einsatz als beendet und sich bereit zur Übernahme weiterer Aufträge. Dieser Zeitpunkt wurde im Einsatzleitsystem der belangten Behörde mit 1.01 Uhr registriert.

3.1.4. In dem Moment sprang W, der sich inzwischen umgedreht und den Beingurt abgestreift hatte, durch die seitliche Schiebetüre aus dem Rettungsauto, stieß B mit dem Kopf zur Seite und versuchte, in Richtung des unmittelbar des vor dem Rettungsauto abgestellten Notarztwagens laufend, an diesem vorbei entweder auf die Straße oder zu Herrn M zu gelangen; letzterer hatte sein Fahrzeug einige Meter entfernt in dieser Richtung abgestellt und befand sich in der Nähe. Noch bevor W zum Notarztwagen gelangt war, wurde er von den herbeieilenden Polizeibeamten aufgehalten, gegen die Wand des Rettungsautos gedrückt und sogleich zu Boden gebracht. Dabei gelang es ihm, den Zeugen O auf irgendeine Weise am Oberarm zu fassen, wobei diesem leichte Verletzungen zugefügt wurden. Der ganze Vorgang spielte sich innerhalb der Distanz von der seitlichen Schiebetüre des Rettungsautos bis zum davor abgestellten Notarztwagen ab und benötigte weniger als eine Minute, zumal W zwischen beiden Fahrzeugen zu Boden gebracht wurde.

Er wurde nunmehr auf den Bauch liegend in folgender Weise fixiert:

Le drückte ihn am Rücken zu Boden, wobei er auch sein linkes Knie zur Hilfe nahm, sich mit dem rechten Bein außen abstützte und solcherart mit nahezu seinem gesamten Körpergewicht auf den Brustkorb Ws Druck ausübte. B drückte mit beiden Händen den rechten Arm des am Rücken gefesselten W nieder, O die rechte Schulter; beide befanden sich mit den Füßen auf dem Boden. G drückte den Kopf seitlich nieder, J stellte sich zumindest zeitweise wohl mit beiden Beinen, jedenfalls aber mit nahezu seinem gesamten Körpergewicht auf den linken Oberschenkel Ws, We fixierte mit einem Bein den linken Unterschenkel, L, H und Ba fixierten in ähnlicher Weise das rechte Bein Ws. Dabei wurde nach Fußfesseln gerufen, möglicherweise liefen einzelne Beamte kurz weg, um nach solchen zu sehen, gleichzeitig wurde der Notarzt aufgefordert, W eine Spritze zu geben. Während der Vorbereitungen, nachdem sich Dr. Kr für Haldol entschieden und Ha beauftragt hatte, die Spritze aufzuziehen, forderte Ba über Funk Fußfesseln an.

Da es nicht gelang, den Gürtel Ws zu lockern und die Hose hinunterzuziehen, schnitt L mit einer Schere die Hose im Bereich der rechten Gesäßhälfte auf. Dr. Kr übernahm die Spritze, prüfte den Inhalt und begab sich zu Ws Körpermitte, um die Spritze zu setzen. Danach reichte er die Spritze Ha zur Versorgung und begab sich zum Kopfende Ws, um diesen zu beobachten, was ihm jedoch nur eingeschränkt möglich war, da sich mittlerweile wieder sechs Polizeibeamte und drei Sanitäter auf und über W befanden. Ba stellte sich gleich nach Verabreichung der Spritze mit beiden Beinen auf W im Bereich des rechten Oberschenkels und hielt sich zur Wahrung ihres Gleichgewichtes mit einer Hand an L, mit der anderen zumindest teilweise an J fest. Dieser wiederum musste sich zur Wahrung seines Gleichgewichtes am Notarztwagen abstützen, da er sich, wenn schon nicht durchgehend mit beiden Beinen, so doch mit dem linken Standbein auf Ws Oberschenkel befand.

In der Anfangsphase, unmittelbar nach dem Zu-Boden-Bringen Ws, ist noch denkbar, dass dieser versucht haben könnte, die Unterschenkel nach oben zu bewegen, bis er in der beschriebenen Weise an den Beinen fixiert wurde. Spätestens ab dem Zeitpunkt, als Ba Fußfesseln anforderte, war er im wörtlichen Sinne am Boden fixiert, versuchte aber möglicherweise noch aktiv, dieser Fixierung und den damit verbundenen Restriktionen seiner Atmung auszuweichen. Vorstellbar ist weiters noch, dass er während der Injektion allfällige, geringe Bewegungsspielräume sichtbar ausgenützt hat; die danach wieder vervollständigte Fixierung erlaubte es jedoch den beteiligten Beamten und Sanitätern im besten Falle, ansatzweise Kopf- und Kieferbewegungen sowie Muskelanspannungen wahrzunehmen, welche jedoch ?

insbesondere in der gegebenen Situation ? keineswegs ohne weiteres als aktive Gegenwehr qualifiziert werden konnten. Da Bewegungen bereits kurz nach Verabreichung der Haldol-Spritze nicht mehr erkennbar waren, nahm H seinen Fuß von Ws Bein, kniete sich zu dessen rechten Fuß und hielt diesen nur mehr mit den Händen.

Festgestellt wird weiters, dass zu dem Zeitpunkt, als W zu Boden gebracht war und mit dem Bauch am Boden lag, einer der im Bereich des Kopfes oder Rückens befindlichen Beamten ihm mehrere Schläge mit der Faust gegen seinen Hinterkopf, Nacken und oberen Rückenbereich versetzte, wobei er mehrmals rief ?Diese Sau!" oder ?Du Sau!" und etwa ?Gibst du noch immer keine Ruhe?". Weitere Schläge in diesen Bereich erhielt W nach der Spritze, kurz bevor er in Reglosigkeit verfiel.

In der Folge trafen dann mit den Fußfesseln die zwei Streifenwagen

An 1 und An 2 ein, welche über Funk die Anforderung von Fußfesseln durch Ba mitgehört und danach noch gehört hatten, dass die von der zentralen Einsatzleitung vorgeschlagenen Wagen Se 4 (Alarmabteilung) und Ta 5 (Diensthundeabteilung) erst verzögert zufahren konnten. Sie hatten sich daher angeboten, zumal sie sich in der Nähe des Einsatzortes befanden. Von der Anforderung der Fußfesseln an gerechnet, benötigte An 2 wenigstens zwei Minuten bis zum Einsatzort, An 1 ein bis zwei Minuten; jedoch liegen zwischen dem Zeitpunkt, als An 1 die Anforderung von Fußfesseln mithörte, und jenem Zeitpunkt, in dem dass vom Zeugen Mag. Hu aufgenommene Videoband einsetzt, wobei der Zeuge Sv mit Kollegen sprechend im Bild sichtbar wird, ebenfalls nicht unter zwei Minuten.

3.1.5. Eineinhalb Minuten nach der zuletzt beschriebenen Szene, in welcher das Videoband Mag. Hus einsetzt, sind die von Sv herbeigeholten Fußfesseln angelegt, 55 Sekunden später wird W auf die Transportliege gelegt, dazwischen wird ? beginnend mit einer Minute nach Einsetzen des Videobandes, also (mindestens) nach drei Minuten Fixierungsdauer die Belastung des Körpers Ws sukzessive verringert, jedoch befindet sich bis zum Schluss (zwei Minuten 25 Sekunden nach Einsetzen des Videos, also mindestens vier Minuten 25 Sekunden nach Beginn der Fixierung) der Beamte Le mit dem größten Teil seines Körpergewichtes auf dem Rücken von W, und bis wenige Sekunden davor fixieren außerdem noch O und B im Bereich des Oberkörpers.

Zum Zeitpunkt des Anlegens der Fußfesseln zeigte W bereits 1 ½ Minuten unzweifelhaft, mit größter Wahrscheinlichkeit aber schon erheblich länger, keinerlei Regung mehr. Spätestens auf der Liege, noch vor neuerlicher Verschaffung Ws in den Rettungswagen, stellte Dr. Kr den klinischen Tod fest und forderte die Exekutivbeamten zur Abnahme der Handfesseln auf; als diese nach längerer Verzögerung endlich abgenommen waren, leitete er im Rettungswagen Wiederbelebungsmaßnahmen ein.

Die unterstützenden Kräfte der Alarm- und der Diensthundeabteilung trafen um 1.07 bzw. 1.08 Uhr (Zeit nach Einsatzleitsystem) ein, wobei der zuletzt genannte Zeitpunkt spätestens drei Minuten und 50 Sekunden nach Beginn der Videoaufnahme entspricht, welche somit im Zeitraum zwischen 1.04 und 1.05 Uhr (der Einsatzleitzentrale) eingesetzt haben muss. Festgestellt wird überdies, dass die oben im Detail beschriebene Art der Fixierung lebensgefährlich ist, also grundsätzlich geeignet, jemanden zu töten. Zur Relevanz dieser Feststellung wird auf die rechtliche Beurteilung (Punkt 3.3.) verwiesen.

3.2. Zu diesen Feststellungen ist der Unabhängige Verwaltungssenat Wien auf Grund folgender Beweisergebnisse gelangt:

3.2.1. Die Ereignisse vor Eintreffen von Beamten der Sicherheitsexekutive sind nur soweit entscheidungsrelevant, als sie von den Zeugen M und A den eingetroffenen Beamten glaubhaft berichtet wurden. Beide Zeugen wirkten im unmittelbaren Eindruck glaubwürdig und ernstlich um die Wahrheitsfindung bemüht, auch unter Mitberücksichtigung der Darstellung des Zeugen Ham konnte die von ihnen vorgenommene Bewertung von Ws Verhalten grundsätzlich nachvollzogen werden und ist somit anzunehmen, dass ihre, alle wesentlichen Punkte umfassende, Darstellung des vorangegangenen Verhaltens von W auf die Beamten ebenso glaubwürdig und nachvollziehbar wirkte. Sie konnten daher vertretbarer Weise davon ausgehen, dass sich die Ereignisse vor ihrem Eintreffen in der Tat etwa so abgespielt hatten wie unter

3.1.1. festgestellt.

Was die Zeugnisse über das Verhalten Ws nach Eintreffen von Rettungs- und Notarztwagen sowie der Exekutivbeamten anbelangt, so sind drei von den Sanitätern sowie der Notarzt eher vorsichtig mit der Verwendung des Wortes Psychose, L hatte zwar ?schon den Eindruck". Lediglich We ? auch sonst als einziger unter den Sanitätern willens, sich klar festzulegen ? war auf Grund seiner Erfahrung mit psychotischen Patienten sicher, es mit einer Psychose zu tun zu haben. Allerdings ist der Aussage der übrigen Sanitäter und insbesondere des Arztes immerhin zu entnehmen, dass sie eindeutig von einem psychischen Geschehen mit Krankheitswert ausgegangen sind, also zumindest von einem außergewöhnlichen und behandlungsbedürftigen

Erregungszustand. Auch die übrigen Zeugen berichten von Auffälligkeiten, welche den Schluss auf eine psychische Erkrankung rechtfertigen, wobei eine andere Bewertung derselben Verhaltensweisen ? so schließt der Zeuge Ho vorrangig auf eine Berauschung ? diese Auffälligkeiten durchaus bestätigt. Den nur schriftlichen vorliegenden Aussagen der sechs hauptbeteiligten Exekutivbeamten ist zu entnehmen, dass sie sowohl nach dem Einsatzgrund ? beruhend auf dem Anruf Ms ? und Ms Bericht, als auch auf Grund ihrer persönlichen Wahrnehmungen von einer Psychose oder einem gleichwertigen Krankheitsbild ausgingen. Dies ist auch plausibel, hatten sie doch von einer Unterbringung gegenüber einer Festnahme (im Hinblick auf die §§ 105 und 125, allenfalls auch 107 StGB) keinerlei Vorteile zu erwarten. Es spricht somit alles dafür, dass die Zeugen das Verhalten Ws im Wesentlichen zutreffend wiedergegeben haben.

3.2.2. Hingegen neigen bei den folgenden Ereignissen die jeweils hauptbeteiligten Zeugen ersichtlich dazu, das Verhalten Ws zu übertreiben und dramatisieren. Dies lässt sich zunächst sehr gut für die Handfesselung demonstrieren, an der ja die Exekutivbeamten hauptbeteiligt, die Rettungsleute dagegen nur im Umfeld tätig waren. Bereits aus den schriftlich vorliegenden Aussagen vor dem Büro für interne Angelegenheiten des Bundesministerium für Inneres ergibt sich ? soweit sie von den Sanitätern stammen ? ein eher kooperatives Verhalten Ws angesichts der bereit gestellten Transportliege, während die Exekutivbeamten heftigen Widerstand behaupten (und zwar nicht erst beim Anlegen der Handfesseln selbst, wo auch andere Zeugen dies angeben). Vielmehr soll sich W demnach schon gegen das Verbringen auf die Transportliege zur Wehr gesetzt haben, was mit den Darstellungen der Sanitäter und des Arztes nicht vereinbar ist. Diese erkennen Widerstand erst gegen die Fesselung, dann zum Teil auch massiv, Dr. Kr erwähnt sogar Beißversuche. Niederschriftliche Aussagen von Exekutivbeamten vor dem BMI/BIA (insb. die Hs) vermitteln den Eindruck, W sei in Panik geraten, als er realisierte, dass er auf die

Psychiatrie gebracht werde. Unter diesen Umständen könnte er sich durchaus bei der Fesselung, bereits auf der Liege, mit allen noch verbleibenden Mitteln zur Wehr gesetzt haben; allerdings ist darauf hinzuweisen, dass als einzige Spur von Ws Gegenwehr ? entstanden bei der Vereitelung seines nachfolgenden Fluchtversuchs ? Blutunterlaufungen in Form von Fingerabdrücken auf O' Arm polizeiamtsärztlich objektiviert werden konnten. Dass der Notarzt Handfesseln für nötig gehalten und die Fesselung verlangt hatte, wurde von ihm selbst eingeräumt; auch die Sanitäter hatten nach ihrem Verständnis mit den Exekutivbeamten eine Sicherung Ws während des Transports, vorzugsweise durch Mitfahren von Beamten im Rettungstransportwagen, vereinbart.

3.2.3. Aufgrund der oben angestellten Überlegungen kann davon ausgegangen werden, dass die Beamten bei der nachfolgenden Fixierung am Boden den Widerstand Ws in ähnlicher Weise übertrieben haben, wie in ihrer Beschreibung seines Verhaltens vor der Handfesselung. In dieser Phase gilt das auch für die Sanitäter, von denen drei an der Fixierung ja unmittelbar beteiligt waren. Dies ist nicht nur eine naheliegende Annahme, sondern wurde in der mündlichen Verhandlung deutlich, als die zunächst eher allgemeinen, aber dramatisch klingenden Angaben über den Widerstand Ws bei genauerer Befragung nach und nach zurückgenommen wurden. Selbst der Zeuge We, welcher im Vergleich mit seinen Kollegen einige Offenheit an den Tag legte und ? im krassen Gegensatz etwa zu Ha ? nicht ständig den Eindruck vermittelte, seine Aussage sei vorwiegend von Opportunitätserwägungen bestimmt, ist hier nicht auszunehmen. Weder die Sanitäter noch Dr. Kr konnten bei ihrer Einvernahme in der öffentlichen mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erklären, wie die meisten der ursprünglich behaupteten Widerstandshandlungen mit der gleichzeitig von W

eingenommenen Position und der Fixierung vereinbar seien; häufig scheiterten sie bereits an der näheren Beschreibung dieser Handlungen selbst. Der objektivierbare Rest besteht in möglichen Bewegungen der Unterschenkel ganz am Anfang, bevor auch diese fixiert sind; sodann in einem Sich-Winden samt Kopf- und allenfalls auch Kieferbewegungen; letztlich nur mehr im Spannungsgrad der Muskulatur.

Wenn in diesem Zusammenhang Zeugen von Beißversuchen sprechen, so war eine deutliche Unterscheidbarkeit vom bloßen Luftschnappen unter den Bedingungen der Fixierung sicherlich nicht mehr gegeben. Die Erklärungen für die von diesen Zeugen bevorzugte Interpretation sind daher zumindest teilweise ebenso in der Psychologie zu suchen, wie für die, den realen statistischen Hintergrund bei allem berechtigten Selbstschutzbedürfnis wohl deutlich übersteigende Angst vor Ansteckung mit Aids. Aus den Aussagen der Sanitäter und des Arztes lässt sich entnehmen, dass diese Angst den massiven Gewalteinsatz bei der Fixierung offenbar mit motiviert hat.

3.2.4. Wie der Ehegatte der Beschwerdeführerin am Boden fixiert worden ist, ergibt sich in erster Linie aus dem von Mag. Hu angefertigten Videoband, dessen Richtigkeit außer Zweifel steht. Dass Ba wenigstens zeitweise mit beiden Beinen auf W gestanden ist, lässt sich der Aussage J' ebenso entnehmen wie dem Umstand, dass sie sich bei Einsetzen der Videoaufnahme an L und wohl auch an J festhält. Was diesen betrifft, so spricht die Anfangssequenz der Aufnahme ebenfalls für beidbeiniges Stehen auf der fixierten Person; jedenfalls ist ihr aber zu entnehmen, dass es sich bei dem eindeutig auf W befindlichen Bein von J um dessen Standbein handelt, auf welchem fast das gesamte Körpergewicht lastet, weshalb sich J noch am Notarztwagen abstützen muss. Die Position Les ist ebenfalls gut zu erkennen, wobei die Frage, ob sich sein linkes Knie auf Ws Rücken befindet, von ihm selbst vor dem BMI/BIA positiv beantwortet worden ist. O und B sind zeitweise bei der Fixierung im Bereich der rechten Schulter und des rechten Oberkörpers (oder Armes) sichtbar, wobei sich ihre Füße mutmaßlich am Boden befinden. G wird vor dem Aufstehen vom Notarztwagen verdeckt.

In Verbindung mit der Anzeige bzw. der Meldung Gs vom 15.7.2003, aber auch vor dem Büro für Interne Angelegenheiten des Innenministeriums getätigten Aussagen der sechs hauptbeteiligten Polizeibeamten, ergibt sich darüber hinaus, dass die auf dem Video erkennbare Art der Fixierung nicht nur während der Aufnahmedauer angewendet worden ist, sondern bereits davor, nämlich ? abgesehen vielleicht von der unmittelbaren Anfangsphase, also den ersten Sekunden, nachdem W zu Boden gebracht worden war ? praktisch während der gesamten Fixierungsdauer. Die Meldung und Anzeige Gs nennen alle an der Fixierung beteiligten Beamten unter Bezugnahme auf den von ihnen fixierten Körperbereich Ws genau so, wie die beteiligten Beamten noch auf dem Video zu erkennen sind; das Video bietet allerdings den Vorteil, exakt zu zeigen, in welcher Art und Weise die Fixierung des jeweiligen Körperbereichs erfolgte. Der Meldung Gs ist nicht zu entnehmen, dass an dieser Form der Fixierung bis zum Abtransport Wesentliches geändert worden wäre. Zudem wird die Fixierung in Gs Meldung bereits beschrieben, bevor von der Anforderung weiterer Kräfte via Funkleitstelle zur Unterstützung die Rede ist; auch bevor die Injektion und die Fußfesselung erwähnt werden (wenn auch in vertauschter Reihenfolge, wie sich aus dem Vergleich mit dem Videoband zweifelsfrei ergibt). Freilich ist anzunehmen, dass etwa der Sanitäter L, als er die Hose Ws aufschnitt, diesen nicht gleichzeitig

mit voller Kraft fixieren konnte, und dass die Zeugin Ba während der Injektionsphase den Oberschenkel Ws ein Stück weiter unten fixierte oder gar kurzfristig die Fixierung unterbrach. Abgesehen von

diesen Details gibt es jedoch keinen Grund zur Annahme, dass sich an dieser Form der Fixierung seit dem Zeitpunkt ihrer erstmaligen Vornahme bis zu den auf dem Videoband sichtbaren Abfolgen etwas Wesentliches geändert hätte.

3.2.5. Zur Dauer der Fixierung in der festgestellten Form sind schon aus den erwähnten Beweismitteln wesentliche Hinweise zu gewinnen. Für die auf dem Videoband sichtbare Phase braucht dies nicht näher erläutert zu werden, es bedarf hiezu lediglich der Zeitmessung. Aufschlüsse hinsichtlich der Fixierungsdauer davor sind aber durchaus bereits aus der Meldung Gs sowie den schriftlich vorliegenden Aussagen der sechs hauptbeteiligten Beamten zu gewinnen, wenn man ins Kalkül zieht, dass sich diese Beamten auf Grund des Ausgangs der Amtshandlung genötigt gesehen haben, der Gegenwehr Ws breitesten Raum zu widmen. Aus dieser ausführlichen Darstellung der Gegenwehr kann ? selbst wenn man von deren Übertreibung absieht ? nicht auch auf einen längeren Zeitbedarf geschlossen werden, ging es den Beamten doch dabei in erster Linie darum, die Art und Weise ihrer späteren Fixierungsmethode entsprechend detailreich zu rechtfertigen. Läßt man Spekulationen über den möglichen Zeitbedarf der dargestellten Gegenwehrhandlungen beiseite und betrachtet vorrangig die Angaben über gleichzeitiges eigenes oder Kollegenverhalten in den niederschriftlichen Aussagen der sechs hauptbeteiligten Beamten, so ergibt sich daraus, dass W nach seinem Sprung aus dem Rettungswagen innerhalb weniger Sekunden zu Boden gebracht und in Bauchlage gedreht worden ist (so wird er etwa beim Hinzukommen Gs, der sich wenige Meter entfernt bei M befunden hatte, bereits wieder festgehalten). Es steht darüber hinaus mit der Lebenserfahrung in Einklang, dass ein auf dem Rücken Gefesselter unschwer durch entschlossenen Zugriff ? in diesem Fall von O ? aus dem Gleichgewicht gebracht werden kann. Der geringe Zeitbedarf ergibt sich ferner aus dem sehr kurzen, von W zurückgelegten Weg; schließlich auch aus den Angaben unbeteiligter Zeugen (M, Ho).

Noch relevanter für die Beurteilung der Dauer der vorgenommenen Fixierung ist die Abfolge von Geschehnissen in der Meldung Gs sowie in den niederschriftlich vorliegenden Aussagen. Dabei tut es keinen Abbruch, dass ein Detail dieser Abfolge offensichtlich unzutreffend wiedergegeben worden ist, nämlich, dass die Fußfesselung vor der Injektion stattgefunden habe. Freilich kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um eine bewusste Falschangabe handelt, die G aus irgend einem Grund für zweckmäßig gehalten haben mag. Wie aber seiner Reaktion (wie der eines weiteren Kollegen) anlässlich der Präsentation des Videos vor dem Büro für Interne Angelegenheiten zu entnehmen ist, kann er sich auch schlicht und einfach geirrt haben, was zwanglos dadurch erklärbar ist, dass nach den Fußfesseln aus der ?Menge" (Zitat H bei der Einvernahme vor dem BIA, mehrfach gebraucht für die an der Fixierung Beteiligten) offenbar früher geschrieen worden ist als nach der Spritze, und G nicht nur nach seinem eigenen Bekenntnis den Kopf Ws fixierte und zu den Vorgängen weiter unten am Körper Ws wenig Sicht hatte, vielmehr hatte er darüber hinaus auch keinerlei Überblick mehr über das Gesamtgeschehen. Zu verweisen ist insbesondere auf seine niederschriftliche Aussage vor dem BIA nach Vorführung des Videobandes, wonach er ?eine Fixierung auf diese Art nicht machen würde".

Diese Überlegungen sprechen dafür, dass W in der Tat zuerst von den sechs Beamten und drei Sanitätern am Boden fixiert worden ist, sodann die Unterstützung gerufen wurde ? was G zweifellos hörte, wenn er es schon nicht sah ?, wobei auch Fußfesseln angefordert wurden, welche aber deutlich später erst angelegt wurden, und dass im Anschluss daran die Vorbereitung der Spritze von G beobachtet wurde. Auch im Hinblick auf das Videoband ist es durchaus möglich, dass G vor, während und nach der Injektion die Sicht auf Unterleib und Füße Ws verdeckt war, und zwar bis zu dem Zeitpunkt, in welchem auf dem Videoband sichtbar wird, dass sich G aufrichtet. Das ist bezeichnender Weise kurz nach dem Abschluss des Anlegens der Fußfesseln.

Geht man somit aber davon aus, dass W bereits zu einem Zeitpunkt in der auf dem Videoband sichtbaren massiven Art am Boden fixiert war, bevor die Verstärkung und die Fußfesseln angefordert worden und die Spritze samt der vorbereitenden Tätigkeiten gesetzt worden sind; geht man im Einklang mit den schriftlich vorliegenden Aussagen der Beamten ferner davon aus, dass es nach der Spritze noch etwas gedauert habe, bis W in völlige Reglosigkeit verfallen ist (wenn auch wesentlich kürzer, als fast alle Zeugen angeben), so kann auf keinen Fall von einem Zeitbedarf unter zwei Minuten für die Phase von Beginn der massiven Fixierung (vor der Anforderung der Unterstützung samt Fußfesseln, vor der Injektion) bis zum Einsetzen der Videoaufnahme ausgegangen werden. Zeigt doch bereits das erste Bild des Videos eine Situation, in der Ruhe nicht gerade eben erst eingekehrt ist: Der Notarzt befindet sich bei Einsetzen des Videos bereits wieder in der Nähe des Kopfes, von einer Versorgung der Spritze ist nichts zu sehen, der Beamte Sv von der An 1-Besatzung erweckt nach seiner Körperhaltung ebenfalls nicht den Eindruck, als sei er gerade erst ins Bild gekommen, und der Beamte H hält bereits mit den Händen den rechten Fuß Ws, wobei er sich ebenfalls in einer konstanten, ruhigen Position befindet.

3.2.6. Die niederschriftlich vorliegende Aussage Hs vor dem BIA ist in diesem Zusammenhang nicht unwesentlich, erhellt aber durchaus noch weitere Zusammenhänge. H schildert verschiedentlich Beobachtungen über andere und deren Interaktionen, welche den übrigen Zeugen offenbar nicht besonders aufgefallen sind, wiewohl diesen Wahrnehmungen einiger Erklärungswert für das Verhalten von Beteiligten und den Verlauf der Amtshandlung zukommt. Ob dies einer besonderen Beobachtungsgabe zu verdanken ist oder schlicht dem Umstand, dass sich H an der gesamten Amtshandlung eher nur am Rande beteiligt hat, ist hier nicht zu untersuchen. Jedenfalls ist er der einzige, der zu Anfang bei W Atemnot wahrnimmt. Weiters schildert er die offenbar grundlegenden Koordinationsmängel zwischen Notarzt und Rettungsmannschaft einerseits sowie den Exekutivbeamten andererseits als einziger in einer Weise, die eine geeignete Erklärung für den weiteren Ablauf darstellen könnte. So beobachtet er einen Dialog zwischen Le und Dr. Kr und teilt hierauf die Beobachtung mit: ?Es kam wirklich so rüber, dass Le die Diagnose stellte und erst daraufhin der Notarzt tätig wurde...". Davor berichtet er, der Notarzt habe den Eindruck gemacht, wie wenn den Beamten die Amtshandlung gehören würde und er nicht wisse, was er da eigentlich solle. Auf Grund dessen haben sich H und seine Kollegen ratlos gefühlt, weil sie nach dem Zustand Ws davon ausgegangen seien, dass es sich hier um eine tobende Psychose handeln würde und sich eigentlich erwarteten, dass die Initiative vom Arzt ausgehen solle.

Dieser Beschreibung wechselseitigen Unverständnisses und völlig fehlender Koordination ist aus der Sicht des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien nichts hinzuzufügen; es würde sich ins Bild fügen, wenn sich die beiderseitige Ratlosigkeit sodann noch über die Dauer der Fixierung Ws bis zu jener Geste des Notarztes fortgesetzt hätte, mit der dieser ? wie auf dem Video nach zwei Minuten und fünf Sekunden ersichtlich ? die Rettungsliege herbeiwinkt. Der mangelnde Überblick Gs, des mutmaßlichen Leiters der Amtshandlung, über das Gesamtgeschehen wurde bereits erwähnt, ebenso wurde auf die mehrfache Verwendung des Begriffs ?Menge" durch H zur Beschreibung seiner, mit Unterstützung der Sanitäter amtshandelnden Kollegen hingewiesen. Das Beweisverfahren hat auch nicht ergeben, dass irgendein anderer der tätig gewordenen Exekutivbeamten willens oder in der Lage gewesen wäre, das erforderliche Mindestmaß an Organisiertheit unter den beteiligten Exekutivbeamten zu wahren. Letztlich ist Hs Aussage aber auch für Ablauf und Dauer der Fixierung relevant, weil H zuerst angibt, das rechte Fußgelenk Ws mit seinem rechten Fuß fixiert zu haben, daraufhin erwähnt er die Spritze und stellt dann als einziger der beteiligten Beamten folgendes fest: ?Nach auffallend kurzer Zeit wirkte offensichtlich die

Spritze, weil die Gegenwehr abrupt aufhörte". Drei Sätze später gibt er an ?Nachdem ich keine Gegenwehr mehr spürte, nahm ich den Fuß von seinem Bein und sicherte nur mehr mit beiden Händen sein rechtes Bein". Eben diese von ihm zuletzt angegebene Position ist auf dem Video bereits von Anfang an ersichtlich.

3.2.7. Zu den Angaben der Beamten, einschließlich Hs, vor dem Büro für interne Angelegenheiten des Innenministeriums über die von ihnen durchgeführte Pulsmessung und sonstige Überwachung von Lebensfunktionen ist an dieser Stelle zu bemerken, dass sie nicht nur in Anbetracht des Ausganges der Amtshandlung, sondern auch unter Berücksichtigung der offenkundig zur Verschleierung des Vorfalles gedachten Angaben in der Anzeige, nicht glaubhafter sind als diese. Da die offenbar bewussten Falschangaben durch das Videoband eindeutig als solche erwiesen werden (vgl. nur als markantestes Beispiel die Angabe: ?im Rettungsfahrzeug verlor W das Bewusstsein, ..."), ist davon auszugehen, dass die Aussagen betreffend die angebliche Überprüfung von Vitalfunktionen Ws ebenfalls vor allem dem Zweck dienen, das diesbezügliche Fehlverhalten der Beamten zu vertuschen. Eine Konkretisierung dieser sehr allgemeinen, nur schriftlich vorliegenden Behauptungen in der öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte wegen der Aussageverweigerung der Beamten nicht erzielt werden. Generell ist jedoch nicht nachvollziehbar, wie unter den Bedingungen der auf dem Video ersichtlichen massiven Fixierung der Puls, aber auch die Atmung, von den beteiligten Beamten als Laien hätten angemessen überprüft werden können, ohne die Fixierung erheblich zu lockern. Schließlich lässt sich aus dem Videoband nichts entnehmen, was als hinreichender Versuch der Überprüfung der Vitalfunktionen gedeutet werden könnte.

3.2.8. Die niederschriftlichen Angaben der Beamten und Sanitäter betreffend die Dauer des behaupteten Widerstandes vor und nach der Spritze können allenfalls in der Relation zueinander Aufschlüsse erbringen; hinsichtlich des absoluten Zeitmaßes sind sie aber größtenteils überhöht. Vor allem ergibt sich dies aus dem Vergleich mit den im Einsatzleit

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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