TE Vwgh Erkenntnis 2001/10/23 2000/11/0017

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Veröffentlicht am 23.10.2001
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Index

90/01 Straßenverkehrsordnung;
90/02 Führerscheingesetz;

Norm

FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §7 Abs3 Z3;
FSG 1997 §7 Abs5;
StVO 1960 §4 Abs1 lita;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der Dr. M in J, vertreten durch Dr. Gerda Schildberger, Rechtsanwalt in 8600 Bruck an der Mur, Mittergasse 4, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 20. Dezember 1999, Zl. 11-39-877/99-1, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund ist schuldig, der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Judenburg vom 30. September 1999 wurde gemäß § 24 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Z. 2, § 7 Abs. 1 und Abs. 3 und § 25 Abs. 3 FSG die der Beschwerdeführerin erteilte Lenkberechtigung für Kraftfahrzeuge der Klasse B vorübergehend auf die Dauer von drei Monaten, gerechnet ab Rechtskraft des Bescheides, entzogen und gleichzeitig ausgesprochen, dass "zumindest vor Ablauf dieser Zeit keine Lenkberechtigung erteilt werden" dürfe.

Mit dem nun angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 20. Dezember 1999 wurde die von der Beschwerdeführerin dagegen erhobene Berufung abgewiesen.

Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides lag der von der Behörde verfügten Maßnahme zu Grunde, dass die Beschwerdeführerin am 14. Juli 1999 um 18.40 Uhr auf der S 6 in Leoben auf der Richtungsfahrbahn Bruck an der Mur, in Richtung Leoben einen näher bezeichneten Pkw gelenkt habe und dabei auf Grund ihrer eigenen Unachtsamkeit, nachdem sie in einer (in ihrer Fahrtrichtung gesehen) Rechtskurve mit dem Pkw geradeaus gefahren sei, die aus Leitbaken und Haberkornhüten bestehende Absicherung der auf Höhe Kilometer 87,158 in Bau befindlichen Notausfahrt durchstoßen habe. Anschließend sei die Beschwerdeführerin mit dem Pkw auf die Richtungsfahrbahn St. Michael geraten und habe ihre Fahrt dort auf dem linken Fahrstreifen über eine Strecke von 395 m fortgesetzt. Die belangte Behörde führte aus, dass das Verhalten der Beschwerdeführerin "zweifelsfrei" als bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 FSG gelte und "dessen Wertung im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht nur für die Entziehung der Lenkberechtigung an sich, sondern auch für die Dauer dieser Maßnahme entscheidend" sei. Das Verhalten der Beschwerdeführerin sei außerdem geeignet, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen und sei daher nach Ansicht der Berufungsbehörde als schwer wiegend und verwerflich anzusehen. Die Erstbehörde sei daher berechtigt gewesen, bei der Beschwerdeführerin den Mangel an Verkehrszuverlässigkeit anzunehmen und ihr die Lenkberechtigung zu entziehen, wobei das Zeitausmaß "auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen" sei, und diese Zeit nicht kürzer als drei Monate sein dürfe.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der die Beschwerdeführerin die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Dagegen hat sich die Beschwerdeführerin mit ihrem Schriftsatz vom 20. Juni 2000 geäußert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des FSG lauten (auszugsweise):

"§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 5) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit gefährden wird, insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr, Trunkenheit oder einen durch Suchtgift oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand.

...

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

...

3. als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung von Verkehrsvorschriften ein Verhalten setzt, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat; als Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, gelten insbesondere erhebliche Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit vor Schulen, Kindergärten und vergleichbaren Einrichtungen sowie auf Schutzwegen oder Radfahrerüberfahrten, das Übertreten von Überholverboten bei besonders schlechten oder bei weitem nicht ausreichenden Sichtverhältnissen oder das Fahren gegen die Fahrtrichtung auf Autobahnen;

...

(5) Für die Wertung der in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.

...

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

...

§ 25.

...

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen. ... ."

Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht die Feststellung im angefochtenen Bescheid, dass sie die entgegengesetzte Richtungsfahrbahn auf dem linken Fahrstreifen über eine Strecke von 395 m befahren habe. Damit ist vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache gemäß § 7 Abs. 3 Z. 3 FSG auszugehen, weil das Fahren gegen die Fahrtrichtung auf Autobahnen eines der aufgezählten Beispiele für ein Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, darstellt. Im Rahmen der gemäß § 7 Abs. 5 leg.cit. vorzunehmenden Wertung hatte die Behörde insbesondere auch die näheren Umstände der von der Beschwerdeführerin gesetzten Tat und das von ihr in der seither verstrichenen Zeit gesetzte Verhalten zu berücksichtigen. Die belangte Behörde verwies diesbezüglich auf die Ausführungen der Erstbehörde. Diese ging davon aus, dass die Beschwerdeführerin - ihren eigenen Angaben nach - sofort nach dem Unfall auf den Pannenstreifen nach rechts fahren wollte, da sie dort keinen sah, weiterfuhr, durch ein entgegenkommendes Fahrzeug feststellte, dass sie sich auf der Gegenfahrbahn befand, und daraufhin ganz rechts in ihrer Fahrtrichtung gesehen zur Leitplanke hinfuhr. Für sie sei somit ein gewisser Reaktionszeitraum auf Grund dieses Vorfalles notwendig gewesen, um die "neue Situation bewußt" wahrnehmen zu können. Danach habe sie möglichst versucht, mit ihrem Fahrzeug kein Hindernis auf der Autobahn darzustellen und war "unmittelbar nach dem Durchbrechen der Baken bemüht, eine hiefür vorgesehene Abstellfläche, einen Pannenstreifen etc. anzufahren".

Zwar erfolgt das Befahren einer Autobahn gegen die Fahrtrichtung wohl in der Regel unter besonders gefährlichen Verhältnissen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 11. April 2000, Zl. 99/11/0351, mit weiteren Nachweisen), und es trifft im vorliegenden Fall zu, dass die Beschwerdeführerin schon auf Grund des § 4 Abs. 1 lit. a StVO 1960 die Verpflichtung gehabt hätte, unmittelbar an der Unfallstelle anzuhalten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1994, Zl. 92/03/0269), und das Verhalten der Beschwerdeführerin - zumindest für die relativ kurze Strecke von nicht ganz 400 m - objektiv geeignet war, andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden. Es ist aber zu den Umständen des vorliegenden Falles auch zu berücksichtigen, dass das Abkommen auf die Gegenfahrbahn - was auch die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht widerlegt hat - nicht durch vorbedachtes und rücksichtsloses Verhalten geschah, sondern die Beschwerdeführerin als Folge eines (wenngleich selbst verschuldeten) Unfalles auf sie geriet und dann die Fahrt kurzfristig in der Meinung fortsetzte, sie könne eine geeignete Ausweichmöglichkeit aufsuchen, um andere Verkehrsteilnehmer nicht zu gefährden. Wenn dies objektiv auch nichts an der Gefährlichkeit des Verhaltens der Beschwerdeführerin zu ändern vermag und ihr im gegebenen Zusammenhang auch eine verzögerte Reaktion vorzuwerfen ist, kann ihr Verhalten aber dennoch nicht mit der Verhaltensweise eines typischen "Geisterfahrers" verglichen werden und es ist die Verwerflichkeit ihres Verhaltens daher auch nicht in diesem besonderen Maße gegeben. Dazu kommt, dass weder im angefochtenen Bescheid noch im Bescheid der I. Instanz, auf den die belangte Behörde verwiesen hat, ein Anhaltspunkt dafür besteht, die Beschwerdeführerin wäre vor der gegenständlichen Tat oder nach dieser im Straßenverkehr auffällig in Erscheinung getreten, sodass auch ihr Wohlverhalten bei der Wertung zu berücksichtigen ist.

Dies hat die belangte Behörde, die den erstinstanzlichen Bescheid, der die Entziehungsdauer "ab Rechtskraft des Bescheides" bestimmte, nur bestätigen durfte, wenn ab Erlassung des angefochtenen Bescheides die Beschwerdeführerin noch für eine Dauer von drei Monaten als verkehrsunzuverlässig anzusehen gewesen wäre (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 24. August 1999, Zl. 99/11/0168, und vom 12. Dezember 2000, Zl. 2000/11/0238), und die mit dem angefochtenen Bescheid im Hinblick auf die Tatbegehung am 14. Juli 1999 und die Zustellung des Bescheides am 28. Dezember 1999 zum Ausdruck brachte, dass die Beschwerdeführerin für rund 8 1/2 Monate als verkehrsunzuverlässig anzusehen sei, verkannt. Demgegenüber ist der Verwaltungsgerichtshof unter Berücksichtigung der dargestellten Umstände des Falles der Auffassung, dass es zur Wiedererlangung der Verkehrszuverlässigkeit der Beschwerdeführerin nicht eines derartig langen Zeitraumes bedurfte.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 23. Oktober 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2000110017.X00

Im RIS seit

18.02.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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