TE UVS Burgenland 2006/08/29 136/11/06006

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.08.2006
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Burgenland hat durch sein Mitglied Mag. Latzenhofer über die Berufung vom 28.04.2006 des Herrn ***, geboren am ***, wohnhaft in ***, vertreten durch Herrn Rechtsanwalt *** in ***, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung vom 04.04.2005, Zl. 300-7711-2004, wegen Bestrafung nach dem Bundesstraßen-Mautgesetz zu Recht erkannt:

 

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG, § 51 Abs. 1 VStG wird der Berufung stattgegeben und das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben. Das Strafverfahren wird gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG eingestellt.

Text

Mit dem am 14.04.2006 zu Handen der rechtsfreundlichen Vertretung von Herrn *** (in der Folge Berufungswerber) zugestellten Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung vom 04.04.2005 wurde wie folgt ausgesprochen:

 

?Sie haben am 7.11.2004 um 11.00 Uhr im Gemeindegebiet von Wulkaprodersdorf, Autobahn A 3, bei Str.Km. 37,993, als Lenker des Kraftfahrzeuges mit dem Kennzeichen *** eine Bundesautobahn benutzt, ohne die zeitabhängige Maut ordnungsgemäß zu entrichten.

 

Dadurch haben Sie folgende Rechtsvorschrift verletzt:

§§ 20 Abs. 1 i. V. m. §§ 10 Abs. 1 und 11 Abs. 1 Bundesstraßen-Mautgesetz 2002

 

Gemäß § 20 Abs. 1 Bundesstraßen-Mautgesetz 2002 Geldstrafe von 400 Euro verhängt. Falls die Geldstrafe uneinbringlich ist, tritt an deren Stelle eine Ersatzfreiheitsstrafe von 30 Stunden.

 

Gemäß § 64 Abs. 2 Verwaltungsstrafgesetz haben sie als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens 10 v. H. der verhängten Geldstrafe, das sind 40,-- Euro zu bezahlen; somit haben Sie einen Betrag von insgesamt 440,-- Euro zu bezahlen.?

 

In der dagegen am 28.04.2006 eingebrachten Berufung führte der Berufungswerber im Wesentlichen aus, dass die Autobahnvignette entgegen den Behauptungen der Polizeibeamten, die dem erstinstanzlichen Straferkenntnis zugrunde gelegt wurden, nicht mittels einer ablösbaren Klarsichtfolie sondern ordnungsgemäß an der Innenseite der Windschutzscheibe des PKW des Berufungswerbers angebracht gewesen sei. Zum Beweis dafür beantragte der Berufungswerber die zeugenschaftliche Einvernahme seiner Gattin, ***, die bezeugen könne, dass die Vignette im ganzen Jahr 2004 ordnungsgemäß angebracht gewesen sei. Auch die Beifahrerin des Berufungswerbers, Frau ***, könne die ordnungsgemäße Anbringung im Zeitpunkt der angelasteten Tat bezeugen. Zu dem habe der Berufungswerber entgegen den Behauptungen der Polizeibeamten (während ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung im erstinstanzlichen Verfahren) den Polizeibeamten gestattet, die Vignette anzufassen, um deren Anbringung zu kontrollieren. Es sei den Beamten jedoch nicht gelungen, die Vignette abzulösen. Dies beweise deren ordnungsgemäße Anbringung. Daher werde die Aufhebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Strafverfahrens beantragt.

 

Hierüber hat der Unabhängige Verwaltungssenat wie folgt festgestellt und erwogen:

 

Für die Entscheidung waren folgende Rechtsvorschriften maßgeblich:

 

Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG), Stammfassung:

BGBl. Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 10/2004, Verwaltungsstrafgesetz (VStG), Stammfassung: BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 117/2002, Bundesstraßen-Mautgesetz 2002 (BMautG), BGBl. I Nr. 109/2002 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 26/2006

 

Im Einzelnen (neben den lediglich die Zuständigkeit des UVS als Berufungsbehörde begründenden § 66 Abs. 4 AVG und § 51 Abs. 1 VStG):

 

§ 45 Abs. 1 und 2 AVG, § 4, § 10 Abs. 1, § 11 Abs. 1 und § 20 Abs. 1 Bundesstraßen-Mautgesetz (zum Tatzeitpunkt 07.11.2004) lauten:

 

§ 45 AVG:

?(1) Tatsachen, die bei der Behörde offenkundig sind, und solche, für deren Vorhandensein das Gesetz eine Vermutung aufstellt, bedürfen keines Beweises.

(2) Im Übrigen hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

(3) [?]?

 

§ 10 Bundesstraßen-Mautgesetz:

?(1) Die Benützung von Mautstrecken mit einspurigen Kraftfahrzeugen und mit mehrspurigen Kraftfahrzeugen, deren höchstes zulässiges Gesamtgewicht nicht mehr als 3,5 Tonnen beträgt, unterliegt der zeitabhängigen Maut.

(2) [?]?

 

§ 11 Bundesstraßen-Mautgesetz:

?(1) Die zeitabhängige Maut ist vor der Benützung von Mautstrecken durch Anbringen einer Mautvignette am Fahrzeug zu entrichten.

(2) [?]?

 

§ 20 Bundesstraßen-Mautgesetz:

?(1) Kraftfahrzeuglenker, die Mautstrecken benützen, ohne die nach § 10 geschuldete zeitabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet zu haben, begehen eine Verwaltungsübertretung und sind mit Geldstrafe von 400 ? bis zu 4.000 ? zu bestrafen.

(2) [?].?

Dem Berufungswerber wird die Verletzung des ihn als Lenker nach § 20 Abs. 1 Bundesstraßen-Mautgesetzes 2002 treffenden Verbotes, Mautstrecken zu benützen, ohne zuvor die nach § 10 Bundesstraßen-Mautgesetz geschuldete, zeitabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet zu haben, vorgeworfen, weil er die zur Mautentrichtung vorgesehene Mautvignette nicht ordnungsgemäß am Kraftfahrzeug angebracht habe. Maßgebend für diesen Vorwurf des erstinstanzlichen Straferkenntnisses ist die zeugenschaftliche Aussage der beiden Polizeibeamten, GI ***und RI ***, die den Berufungswerber im Zeitpunkt der angelasteten Tat einer Kontrolle unterzogen haben (bzw. seinen PKW kontrolliert haben). Die Polizeibeamten gingen davon aus, dass der Berufungswerber die Mautvignette nicht unmittelbar an der Innenseite der Windschutzscheibe angebracht (angeklebt) habe. Vielmehr habe er die Vignette auf eine Klarsichtfolie aufgeklebt und jenen Teil der Folie, auf dem die Vignette klebte, auf der Innenseite der Windschutzscheibe so angebracht, dass die Vignette wieder gelöst werden kann und auf diese Weise ein- und dieselbe Vignette für mehrere Kraftfahrzeuge Verwendung finden kann.

 

Nach der gemäß § 45 Abs. 2 AVG durchgeführten, sorgfältigen Würdigung der vorhandenen Beweisergebnisse, kommt jedoch das erkennende Mitglied des Unabhängigen Verwaltungssenates zum Schluss, dass die vorhandenen Beweisergebnisse die dem erstinstanzlichen Straferkenntnis zugrunde liegenden Tatsachenannahmen nicht mit der für das Strafverfahren erforderlichen Gewissheit begründen können.

 

Zunächst ist festzuhalten, dass zur Begründung der Tatsachenannahmen des erstinstanzlichen Straferkenntnisses nur auf die Zeugenaussagen der beiden Polizeibeamten zurückgegriffen werden kann. Andere Beweismittel, die diese Tatsachenannahmen decken würden, stehen insbesondere deshalb nicht zur Verfügung, weil es die beiden Polizeibeamten unterlassen haben, vor Dienstantritt zu überprüfen, ob der von ihnen mitgeführte Fotoapparat funktionsfähig ist und aus diesem Grund während der Kontrolle des Fahrzeuges des Berufungswerbers durch die beiden Polizisten keine Fotoaufnahmen von der Anbringung der Mautvignette angefertigt werden konnten. Aus diesem Grunde steht das für Fälle dieser Art sicherlich am Besten geeignetste Beweismittel, das die Feststellung der wesentlichen Tatsachen mit der notwendigen Gewissheit erlaubt hätte, nicht zur Verfügung.

 

Die übereinstimmenden und insoferne schlüssigen Aussagen der beiden Polizeibeamten haben zunächst ergeben, dass die Polizeibeamten entgegen den nachträglichen Behauptungen des Berufungswerbers nicht die angebrachte Vignette mit ihren Händen berührt haben, um so die Anbringung zu überprüfen. Die gegenteilige Behauptung des Berufungswerbers ist demgegenüber von einem deutlichen ?Übereifer? (Tonfall, Mimik), seine eigene Position zu stärken, geprägt gewesen (was allerdings nicht notwendigerweise bedeutet, dass sämtliche Behauptungen des Berufungswerbers als unplausibel anzusehen sind).

 

Daraus folgt, dass die Beamten keine unmittelbare (physische) Wahrnehmung von der Anbringung haben konnten. Vielmehr haben die Aussagen der Beamten ergeben, dass die Anbringung der Vignette lediglich aus einer Entfernung von ca. 30 bis 50 cm, nämlich seitlich vom Sitz des Lenkers entfernt, gemacht wurden. Dieser Umstand allein begründet unter Berücksichtigung der geringen Größe der Vignette bzw. der angeblichen Folie schon Zweifel an der Richtigkeit der Sachverhaltsannahmen des erstinstanzlichen Straferkenntnisses.

 

Unter Berücksichtigung der geringen Größe der Autobahnvignette könnte das Vorliegen der von den Polizeibeamten unterstellten, manipulierten Anbringungsweise, nämlich nur dann mit Sicherheit überprüft werden, wenn die Vignette aus unmittelbarer Nähe in Augenschein genommen wird.

Ferner ist hinsichtlich der Aussagen der beiden Beamten festzustellen, dass beide Aussagen ? offenbar auf Grund eines an sich lobenswerten Diensteifers ? vom Wunsch gekennzeichnet waren, die Strafverfolgung eines mutmaßlichen Straftäters sicher zu stellen. Dies kommt etwa in der Aussage des Beamten *** zum Ausdruck, wenn er behauptet hat, bei fahrenden Fahrzeugen aus einer Entfernung zwischen 50 und 100 m erkennen zu können, ob eine Vignette an der Windschutzscheibe angebracht ist. Diese Behauptung würde geradezu übernatürliche Fähigkeiten voraussetzen. Diese Behauptung erfolgte offensichtlich im Bestreben, die Vorgangsweise der Beamten bei der Auswahl der näher zu kontrollierenden Fahrzeuge zu rechtfertigen. Insbesondere wird diese Haltung auch bei der Aussage des Beamten *** deutlich, wenn dieser aussagte, bei der Fahrzeugkontrolle zunächst einmal jedenfalls dem Fahrer des Fahrzeuges zu sagen, dass die Vignettenanbringung nicht passe, obwohl der Beamte darüber noch nicht volle Gewissheit hat. Letzteres kommt nämlich in dem Umstand zum Ausdruck, dass der Beamte Unterstetter selbst zugestanden hat, dass diese Vorhaltung lediglich ?meistens stimmt?.

 

Dieser offenbare Wunsch der Beamten für die Strafverfolgung zu argumentieren, legt zwar noch nicht nahe, dass die Beamten vorsätzlich die Unwahrheit gesagt hätten. Doch ist bei der Beweiswürdigung psychologisch zu berücksichtigen, dass wer auf Grund einer vorgefassten Meinung ein bestimmtes Ergebnis erzielen will, regelmäßig in seiner Wahrnehmung auch dadurch beeinflusst wird. Mit anderen Worten: Wer etwas unbedingt sehen will, wird es auch im Zweifel sehen. Auch daraus ergibt sich aber eine gewisse Skepsis gegenüber den Aussagen der Beamten.

 

Schließlich kommen zu diesen Bedenken noch Widersprüche zwischen den Aussagen der Beamten:

 

Der Beamte *** will eine manipulierte Anbringung der Vignette dergestalt gesehen haben, dass die Klarsichtfolie an der rechten oberen Kante der Vignette hinausragte, die Kanten der Vignetten jedoch nicht abgeschnitten worden waren. Hingegen hat der Beamte *** angeben, dass die Vignette selbst an den beiden unteren Ecken beschädigt, nämlich abgeschnitten war.

 

Der in diesem Zusammenhang vom Beamten *** mitgeteilte Hinweis, der Beamte *** habe weniger Erfahrung als er selbst, erweckt in diesem Zusammenhang besondere Zweifel an der vollständigen Zuverlässigkeit der Aussage beider Beamten. Denn dieser Hinweis auf die Erfahrung bekräftigt die bereits oben dargelegten Bedenken, die Beamten würden etwas gesehen haben, weil sie es sehen wollten. Denn die Erfahrung an sich hat mit den Möglichkeiten der Wahrnehmung eines bestimmten Objektes noch nichts zu tun (anders die Deutung der Wahrnehmung im Hinblick auf das Vorliegen bestimmten Tatsachen; hiefür ist freilich Erfahrung grundsätzlich hilfreich). Auch ein völlig unerfahrener Beamter ist in der Lage richtige Wahrnehmungen zu machen. Allerdings führt die Erfahrung, nämlich insbesondere die häufige Konfrontation mit Straftätern dazu, dass in ähnlichen Situationen, also wenn mit Personen umgegangen werde, die unter dem Verdacht einer strafbaren Handlung stehen, die Wahrnehmung insoferne ?verfälscht? werden kann, als auf Grund der früher wahrgenommenen strafbaren Handlungen in der weiteren Wahrnehmung umso eher auch wieder strafbare Handlungen ?gesehen werden können?.

 

Insgesamt ergeben sich also erhebliche Bedenken, die von der ersten Instanz aufgestellten Sachverhaltsannahmen allein auf Grund der Zeugenaussagen der beiden Polizeibeamten für wahr anzunehmen. Demgegenüber war zwar die Aussage des Berufungswerbers (die Aussagen der von ihm geltend gemachten Zeugen haben sich als nicht entscheidungsrelevant erwiesen) auch nicht besonders glaubwürdig. Der Berufungswerber hat seine Verantwortung, die Vignette ordnungsgemäß angebracht zu haben, in einer nach Tonart, Gestik und Mimik sowie Ausdrucksweise (?schwöre beim Augenlicht meiner Kinder?) stark übertriebenen Weise vorgebracht. Dies legt nahe, dass nicht alles wahrheitsgemäß war. Dennoch kann nicht ohne weiteres aus diesem Umstand darauf geschlossen werden, dass sämtliche Behauptungen des Berufungswerbers unwahr sind und deren Gegenteil wahr ist.

Bei dieser Sachlage kann keines der vorhandenen Beweismittel als ausreichend angesehen werden, um die volle Gewissheit vom Vorliegen der relevanten Tatsachen zu erlangen. Ob die Autobahnvignette manipuliert angebracht war oder nicht, lässt sich daher nach der Beweiswürdigung des erkennenden Mitglieds nicht mehr einwandfrei, nämlich im Einklang mit den Erfordernissen eines Verfahrens vor einem Gericht iSv Art 6 Abs. 1 EMRK feststellen. Denn im gerichtlichen Verfahren genügt es nicht die Wahrheit zu finden, die Wahrheit muss vielmehr in objektiv nachvollziehbarer Weise gefunden werden. Dies ist im vorliegenden Fall nicht möglich. Diese Unsicherheit wirkt sich im Strafverfahren zugunsten des Beschuldigten aus, der im Zweifel frei zu sprechen ist. Demnach konnte die angelastete Tat nicht erwiesen werden und war das Strafverfahren daher spruchgemäß einzustellen.

Schlagworte
Wahrheitsfindung
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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