TE Vwgh Erkenntnis 2001/11/20 2000/09/0018

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Veröffentlicht am 20.11.2001
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §63 Abs5;
VStG §24;
VStG §32 Abs2;
VwRallg;
ZustG §25 Abs1;
ZustG §4;
ZustG §7;
ZustG §8 Abs1;
ZustG §8 Abs2;
ZustG §8;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Bazil, über die Beschwerde des F R in Wien, vertreten durch Dr. Paul Georg Appiano und Dr. Bernhard Kramer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Bösendorferstraße 7, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 14. Dezember 1999, Zl. UVS-07/A/44/216/1999/17, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit nach dem AuslBG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die vom Beschwerdeführer gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 12. Bezirk vom 25. Januar 1999 erhobene Berufung als verspätet zurückgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde dazu aus, das erstinstanzliche Straferkenntnis sei am 23. Februar 1999 von einem Mitbewohner der Abgabestelle Wien 10., L-Gasse 1 übernommen worden. Nach den Angaben in der dagegen am 8. April 1999 eingebrachten Berufung habe der Beschwerdeführer vorgebracht, dass es sich bei der Adresse L-Gasse 1 um keine Abgabestelle gemäß § 4 ZustG handle, da er zum damaligen Zeitpunkt und auch derzeit in Wien 17., P-Gasse 5, aufhältig sei; das Straferkenntnis sei von Z. R. übernommen und an ihn weitergeleitet worden, er habe es erst am 26. März 1999 übernommen. Am 14. Dezember 1999 habe über diese Berufung eine öffentliche mündliche Verhandlung vor der belangten Behörde stattgefunden. Dem Beschwerdeführer sei mit Schreiben vom 6. August 1998 eine Aufforderung zur Rechtfertigung an die Anschrift seines Betriebes in 1120 Wien, F-Gasse 6, zugestellt worden, welche er auch mit Schreiben vom 17. August 1998 beantwortet habe. Nach § 8 Abs. 2 Zustellgesetz hätten Personen, die von einem gegen sie laufenden Verfahren Kenntnis haben und ihre Abgabestelle ändern, dies der Behörde bekannt zu geben. Im Verfahren habe sich herausgestellt, dass der Beschwerdeführer zwar an der Adresse Wien 10., L-Gasse 1 gemeldet, jedoch nicht aufhältig, an der Adresse Wien 17., P-Gasse 5 hingegen aufhältig, jedoch nicht gemeldet gewesen sei. Er habe durch sein Verhalten nicht nur seine ihn treffende Verpflichtung gemäß § 8 Zustellgesetz nicht erfüllt, sondern habe auch in Anbetracht der Nichtvornahme der Meldung in der P-Gasse sowie der - scheinbaren - aufrechten Meldung in der L-Gasse gegen Bestimmungen des Meldegesetzes verstoßen. So scheine es legitim, dass dieses Fehlverhalten ausschließlich zu Lasten des Beschwerdeführers gehe und die Behörde bei der Zustellung eines behördlichen Schreibens auf die Richtigkeit und Vollständigkeit des Melderegisters vertrauen könne. Der Beschwerdeführer sei sohin seiner ihn treffenden Verpflichtung nicht nachgekommen, weshalb die Zustellung an der Anschrift 1100 Wien, L-Gasse 1 und Übernahme durch einen Mitbewohner der Abgabestelle rechtmäßig gewesen sei und die Rechtsmittelfrist gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis am 23. Februar 1999 zu laufen begonnen und am 9. März 1999 geendet habe, womit die am 8. April 1999 eingebrachte Berufung als verspätet zurückzuweisen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensverletzungen geltend gemacht werden.

Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf rechtsrichtige Anwendung der Zustellvorschriften, insbesondere der §§ 4 und 8 ZustG sowie auf rechtsrichtige Anwendung der Bestimmungen des § 24 Abs. 1 VStG iVm §§ 63 Abs. 5 zweiter Satz "ZustG" (offenbar gemeint: AVG) über den Beginn des Laufs der Rechtsmittelfrist der Berufung durch die belangte Behörde und die "rechtsunrichtige Anwendung der Tatbestandsvoraussetzung" des § 8 Abs. 1 und 2 ZustG verletzt.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird, und legte die Verwaltungsakten vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber erwogen:

Der § 8 des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1982, in der Stammfassung bestimmt Folgendes:

"(1) Eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, hat dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.

(2) Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann."

Das in § 8 Abs. 1 ZustG normierte Tatbestandserfordernis, dass die Partei "während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat," ihre bisherige Abgabestelle ändert, setzt die Kenntnis der Partei von einem anhängigen Verfahren voraus. Das bedeutet im Falle eines Verwaltungsstrafverfahrens, dass dieses durch eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs 2 VStG eingeleitet wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. September 1991, Zl. 91/02/0078) und dass die Partei (der Beschuldigte) von der Einleitung des Verwaltungsstrafverfahrens Kenntnis erlangt hat vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. November 2000, Zl. 2000/03/0093).

Das Verwaltungsstrafverfahren gegen den Beschwerdeführer wurde durch die (ihm unter der Firmenadresse 1120 Wien, F-Gasse 6 am 11. August 1998 durch Hinterlegung zugestellte) Aufforderung zur Rechtfertigung ihm gegenüber anhängig gemacht. Seit diesem Zeitpunkt hatte der Beschwerdeführer, der der Aufforderung zur Rechtfertigung auch fristgerecht nachgekommen war, von dem gegen ihn anhängig gemachten Verwaltungsstrafverfahren Kenntnis. Ab diesem Zeitpunkt war er auch verpflichtet, im Sinne des § 8 Abs. 1 ZustG eine Änderung der Abgabestelle der Behörde zu melden. Diese Bestimmung soll die Erreichbarkeit einer am Verfahren beteiligten Person sicherstellen und die ungesäumte Fortführung des Verfahrens ermöglichen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Oktober 1993, Zl. 91/15/0098,0099), die darin normierte Verpflichtung zur Mitteilung beschränkt sich daher im Falle des Vorhandenseins mehrerer Abgabestellen im Sinne des § 4 ZustG nicht nur auf jene Abgabestelle, an die die bisherigen Zustellungen tatsächlich erfolgt sind, sondern auf alle Abgabestellen, an die Zustellungen hätten erfolgen dürfen. Unter "bisheriger Abgabestelle" im Verständnis des § 8 Abs. 1 ZustG ist jedenfalls eine solche zu verstehen, die der Beschwerdeführer während des anhängigen Verwaltungsverfahrens hatte und von der er weiß, dass sie der Behörde bekannt war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. November 2000, Zl. 2000/19/0115).

Im Beschwerdefall wäre der Beschwerdeführer daher jedenfalls verpflichtet gewesen, den Wegfall seiner Firmenadresse bekannt zu geben. Dass der Behörde auch seine (von ihm nicht genutzte) Privatadresse (1100 Wien, L-Gasse 1) bekannt war, konnte der Beschwerdeführer, dem das einzige behördliche Schriftstück vor Erlassung des gegenständlichen Straferkenntnisses, nämlich die Aufforderung zur Rechtfertigung, an seine Firmenanschrift zugestellt worden war, nicht wissen. Dies macht er zutreffend auch in der Beschwerde geltend.

Ein Vorgehen nach § 8 Abs 2 ZustG kommt dann nicht in Betracht, wenn der Beschwerdeführer bereits zum Zeitpunkt der Einleitung des Verwaltungsverfahrens an der von ihm genannten Anschrift keine Abgabestelle mehr hatte, da damit jedenfalls von einer "Änderung der bisherigen Abgabestelle" während des Verfahrens keine Rede sein kann vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 1996, Zl. 95/20/0129). Stellt sich im Rahmen der Zustellung etwa heraus, dass an der von der Partei genannten Anschrift schon von Anfang an keine Abgabestelle bestand, so liegt weder eine Änderung der Abgabestelle vor noch kommt - mangels Rechtslücke - eine analoge Anwendung von § 8 Abs 2 ZustG in Betracht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 1996, Zl. 95/20/0129). Eine Verpflichtung zur Bekanntgabe der Änderung der Abgabestelle im Sinne des § 8 Abs. 2 ZustG trifft somit nur jene Partei, deren Anschrift sich während des Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ändert.

Dies ist im Beschwerdefall nicht gegeben, da das von der belangten Behörde durchgeführte Ermittlungsverfahren ergeben hat, dass sich der Beschwerdeführer bereits im Zeitpunkt der Zustellung der Aufforderung zur Rechtfertigung, nämlich seit Mai 1998, unter der Anschrift Wien 17., P-Gasse 5 aufgehalten hatte, sich also auch dort seine Abgabestelle im Sinne des § 4 ZustG befunden hat. Eine Hinterlegung nach § 8 Abs. 2 ZustG wäre daher in Ermangelung einer Änderung der Abgabestelle an der (der Behörde bekannten) Anschrift Wien 10, L-Gasse 1, nicht zulässig gewesen.

Die Behörde erster Instanz hat aber auch von ihrer Befugnis zur Hinterlegung gemäß § 8 Abs. 2 ZustG gar nicht Gebrauch gemacht. Weder unter der Anschrift L-Gasse 1 noch unter der Anschrift F-Gasse 6 wurde die gegenständliche Postsendung (das erstinstanzliche Straferkenntnis) ohne vorangehenden Zustellversuch hinterlegt. Die Zustellung erfolgte vielmehr an einem anderen Ort als der Abgabestelle im Sinne des § 4 ZustG durch Übernahme durch einen "Mitbewohner", so dass gemäß § 7 ZustG die Zustellung erst als in dem Zeitpunkt vollzogen gilt, in dem das Schriftstück der Person, für die es bestimmt ist (Empfänger) tatsächlich zugekommen ist. Das war im Beschwerdefall der 26. März 1999. Für eine analoge Anwendung des § 8 Abs. 2 ZustG auch auf jene Fälle, in denen den Empfänger an einer im Sinne des § 7 ZustG mangelhaften Zustellung zwar ein Verschulden trifft, jedoch keine Hinterlegung nach § 8 Abs. 2 ZustG erfolgt ist, es vielmehr lediglich um die Frage der Rechtzeitigkeit der eingebrachten Berufung geht, entbehrt es der gesetzlichen Grundlage.

Da die belangte Behörde diese Rechtslage verkannt hat, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 20. November 2001

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Analogie Schließung von Gesetzeslücken VwRallg3/2/3 Berufungsverfahren Zustellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2000090018.X00

Im RIS seit

05.03.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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