TE Vwgh Erkenntnis 2001/12/20 97/08/0424

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Veröffentlicht am 20.12.2001
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §24 Abs1;
AlVG 1977 §24 Abs2;
AlVG 1977 §24;
AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §47 Abs1;
AlVG 1977 §47;
AVG §56;
AVG §68 Abs1;
AVG §68 Abs2;
AVG §69;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Dr. B in A, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in B, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses in Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 23. Mai 1997, GZ. LGS600/LA2/1218/1997-Dr.J/Fe, betreffend Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von S 12.500,-- ( EUR 908,41) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. a) Über die frühere Arbeitgeberin des als Leiter der Personalabteilung tätigen Beschwerdeführers, die Maschinenfabrik

L. Gesellschaft m.b.H., wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Leoben vom 2. September 1994 der Konkurs eröffnet. Am 10. Oktober 1994 erfolgte die Gründung des Vereins "Regionale Wirtschafts- und Beschäftigungsinitiative Bezirk Liezen" (WBL), dem die Funktion eines regionalen Trägervereins für die Regionalstiftung Liezen als Arbeitsstiftung im Sinne des § 18 Abs. 6 AlVG zukam.

Das Dienstverhältnis des Beschwerdeführers mit der Gemeinschuldnerin endete am 1. Jänner 1995.

Mit Schreiben vom 13. April 1995 wandte sich die WBL an die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark und teilte mit, dass der Beschwerdeführer am 9. Jänner 1995 mit dem Vorhaben in die Arbeitsstiftung eingetreten sei, sich als Rechtsanwalt selbstständig zu machen. Der Beschwerdeführer strebe an, seine Konzipientenzeit im Rahmen eines Volontariats durchzuführen. Eine Anwaltskanzlei in Bad Ischl habe sich bereit erklärt, ihm auf dieser Basis eine Ausbildung zu ermöglichen. Es werde ersucht, den Sachverhalt eingehend zu prüfen und zu erwägen, dem Beschwerdeführer "im Rahmen der Stiftung zumindest eine zweijährige Konzipiententätigkeit" zu ermöglichen.

In einem weiteren Schreiben an die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 15. Mai 1995 teilte die WBL mit, dass - ohne eine Anerkennung der Maßnahme im Sinn des § 18 Abs. 6 AlVG durch die Landesgeschäftsstelle abzuwarten - bereits eine Volontariatsvereinbarung getroffen worden sei. Der Beschwerdeführer habe seine Tätigkeit in der Kanzlei Dris. M. bereits am 1. April 1995 aufgenommen. Es werde gebeten, bei einer Lösung "ohne Nachteile für die Beteiligten" behilflich zu sein.

Die zwischen der WBL und dem Rechtsanwalt Dr. M getroffene und auch vom Beschwerdeführer unterschriebene Volontariatsvereinbarung vom 5. April 1995 lautet:

"1. Ziel

Der (Beschwerdeführer), im folgenden Schulungsteilnehmer genannt, steht in einem Betreuungsverhältnis zur WBL und hat sich im Rahmen der dadurch gegebenen Möglichkeiten für eine Ausbildung zum Rechtsanwalt entschieden.

Um nun die von der Rechtsanwaltsordnung vorgeschriebene praktische Erfahrung sammeln zu können, wird M. (Rechtsanwalt Dr. M.) den Schulungsteilnehmer in seiner Anwaltskanzlei als Konzipient anmelden und dem Schulungsteilnehmer die zur Ablegung der Rechtsanwaltsprüfung notwendige Praxis und Unterweisung angedeihen lassen. Festgehalten wird, daß der Schulungsteilnehmer auch im Zuge der Tätigkeiten in einer Rechtsanwaltskanzlei Reisen ins Ausland unternehmen muß. Wenn diese länger als zwei Werktage dauern, verpflichtet sich der Schulungsteilnehmer, dies vorher im Büro der WBL bekanntzugeben.

2. Kostenübernahme

Die WBL finanziert dem Schulungsteilnehmer über die gesamte Dauer des Volontariats das Schulungsarbeitslosengeld zuzüglich dem Stipendium gemäß den entsprechenden Vereinbarungen. Der Schulungsteilnehmer ist für die Dauer des Volontariats im Rahmen der Stiftung sozialversichert und stellt keine Entgeltansprüche an

M. Die WBL übernimmt des weiteren Seminarkosten sowie Reisekosten zu den Seminaren soweit diese im Projektkonzept angeführt und genehmigt wurden. Festgehalten wird, daß das WBL keine wie immer gearteten Forderungen (Rückforderungen) an M. stellen wird.

3. Theoretische Ausbildung

Da der Schulungsteilnehmer auch von der Rechtsanwaltskanzlei vorgeschriebene Kurse bzw. Seminare besuchen muß, wird er die dafür benötigte Zeit M. vorher bekanntgeben und den Kursbesuch mit

M. abstimmen. Die Kosten für die vorgeschriebenen Seminare werden im Rahmen des WBL-Betreuungsverhältnisses von WBL getragen und belasten M. in keinster Weise.

4. Vollauslastung

Da zur Erfüllung der gesetzlichen Bestimmungen des ALVG die Betreuung innerhalb der Arbeitsstiftung eine Vollauslastung des Betreuten bewirken muß, benötigt die Arbeitsstiftung zur Verwaltung der An- und Abwesenheit des Schulungsteilnehmers die diesbezügliche Information von M. M. erklärt sich daher bereit, die An- und Abwesenheit des Schulungsteilnehmers zu bestätigen und monatlich mit WBL abzustimmen.

5. Dauer der Vereinbarung

Diese Vereinbarung erlangt nach Unterfertigung der Vertragspartner ihre Gültigkeit und läuft vom 01.04.1995 über einen Zeitraum von 4 Jahren bis zur Eintragung des Schulungsteilnehmers in die Rechtsanwaltsliste.

Einvernehmlich wird festgehalten, dass M. diese Vereinbarung unter Einhaltung einer Kündigungszeit von drei Monaten zum jeweils Monatsletzten kündigen kann."

Der Beschwerdeführer wurde bei der oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer als Rechtsanwaltsanwärter angemeldet und erhielt von dieser am 3. April 1995 die "kleine Legitimationsurkunde".

b) Mit dem an die WBL gerichteten Bescheid vom 21. Juni 1995 sprach die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark unter anderem antragsgemäß aus, dass die - tatsächlich nur auf den Beschwerdeführer zugeschnittene - Maßnahme

"Praktikum Rechtsanwalt Dr. M. (Dauer: ca. drei Monate) ... insoweit als Maßnahme im Sinne des § 18 Abs. 6 und 7 AlVG anerkannt" werde, "als jeweils solche Arbeitslose in die anerkannten Maßnahmen einbezogen werden, bei denen das Arbeitsmarktservice unter Bedachtnahme auf die bisherige Ausbildung, Qualifikation und Berufslaufbahn sowie die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes eine positive arbeitsmarktpolitische Stellungnahme abgegeben hat und die Stiftung bei der Erstellung der Karrierepläne die Vollauslastung garantiert".

Zur Begründung führte die Landesgeschäftsstelle aus, dass sich gemäß § 18 Abs. 5 AlVG die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes um Zeiten, in denen der Arbeitslose an einer Maßnahme im Sinn des § 18 Abs. 6 AlVG teilnehme, höchstens um 156 Wochen verlängere. Die WBL habe aus Anlass der Insolvenz der Firma Maschinenfabrik

L. Ges.m.b.H. die "Regionalstiftung Liezen" als Einrichtung bereitgestellt und ein Konzept für die Planung und Durchführung von Maßnahmen sowie Richtlinien für die Betreuung der Stiftungsteilnehmer erstellt. Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Liezen habe eine positive arbeitsmarktpolitische Stellungnahme abgegeben.

c) Nach Einschaltung der Volksanwaltschaft und in weiterer Folge der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales durch den die Nichtauszahlung des "Schulungsarbeitslosengeldes" ab Ende Juni 1995 beanstandenden Beschwerdeführer erließ die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark am 18. April 1997 an die WBL (nunmehr "Regionalmanagement Bezirk Liezen") folgenden Bescheid:

"Der Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 21. 6. 1995 ... wird gemäß § 68 Abs. 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) dahingehend abgeändert, als die Maßnahme 'Praktikum RA Dr. M.'

(Dauer ca. drei Monate) gestrichen wird."

Begründend führte die genannte Landesgeschäftsstelle aus, dass Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen sei, gemäß § 68 Abs. 2 AVG aufgehoben oder abgeändert werden könnten. Ausbildungsverhältnisse, die ihrem Inhalt nach Dienstverhältnisse seien, könnten nicht als Maßnahmen im Sinne des § 18 Abs. 6 AlVG gelten und seien daher aus dem Maßnahmenkatalog zu streichen.

2. a) Bereits am 3. Jänner 1995 hatte der Beschwerdeführer an die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Liezen unter Vorlage von Arbeitsbescheinigungen einen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt. Mit Bescheid vom 17. Jänner 1995 sprach die regionale Geschäftsstelle aus, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld wegen "Urlaubsabfindung bzw. Urlaubsentschädigung" vom 1. bis 2. Jänner 1995 ruhe. Am selben Tag teilte die regionale Geschäftsstelle dem Beschwerdeführer gemäß § 47 Abs. 1 AlVG mit, dass sein Anspruch auf Arbeitslosengeld ab dem 3. Jänner 1995 (mit einem voraussichtlichen Ende am 31. März 1995) anerkannt werde. Dem Beschwerdeführer wurde das Arbeitslosengeld (nach dem zugehörigen "Zahlungs- und Verrechnungsauftrag" vom 12. Jänner 1995) bis zum 31. März 1995 ausbezahlt.

In dem am 29. Mai 1995 verfassten "Beiblatt zum Antrag auf Arbeitslosengeld gemäß § 18 Abs. 5 AlVG (Arbeitsstiftung)" teilte die WBL der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice mit, dass der Beschwerdeführer die genehmigte Schulungsmaßnahme "Praktikum Rechtsanwalt Dr. M." in der Zeit vom 1. April 1995 bis 30. Juni 1995 besuche. In Kenntnis der Umstände dieser Tätigkeit bezahlte die regionale Geschäftsstelle (wie sich auch aus dem dazugehörigen "Zahlungs- und Verrechnungsauftrag" vom 27. Juni 1995 und aus der Mitteilung an den Beschwerdeführer gemäß § 47 Abs. 1 AlVG vom 29. Juni 1995 ergibt) Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. April 1995 bis zum 30. Juni 1995.

Mit Schreiben vom 6. Juli 1995 teilte das Bundessozialamt (Aussenstelle Leoben) dem Arbeitsmarktservice Liezen mit, dass dem Beschwerdeführer Insolvenz-Ausfallgeld für Kündigungsentschädigung für die Zeit vom 1. Dezember 1994 bis 31. Jänner 1995 und für Urlaubsentschädigung/Urlaubsabfindung für 92 Werktage ab 1. Februar 1995 zuerkannt worden sei. Einer Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle an den Beschwerdeführer vom 17. Juli 1995 zu Folge stellen die Zahlungen für die Zeit vom 3. Jänner 1995 bis zum 18. Mai 1995 eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung als Vorschuss auf die Kündigungsentschädigung und für die Zeit vom 19. Mai 1995 bis 30. Juni 1995 das Arbeitslosengeld dar. Ein Bescheid über das Ruhen des Arbeitslosengeldes i.S. des § 16 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 lit. k und l AlVG wurde nach dem Inhalt der Verwaltungsakten nicht erlassen.

b) Mit Schreiben vom 18. April 1997 teilte die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Liezen mit, eine aufsichtsbehördliche Überprüfung durch das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales habe ergeben, dass

"das dreimonatige Praktikum in der Kanzlei Dr. M. nicht hätte bewilligt werden dürfen, da es sich dem Inhalt nach um ein Dienstverhältnis gehandelt hat. Die Landesgeschäftsstelle wurde daher vom BMAGS angewiesen, den Maßnahmenbescheid abzuändern. Dieser (der oben genannte Bescheid vom 18. April 1997 an die WBL) liegt bei. Die RGS Liezen wird ersucht, den Bezug des Schulungsarbeitslosengeldes ab 1. 4. zu widerrufen (Bescheid-Muster liegt bei)."

Daraufhin richtete die regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Liezen am 23. April 1997 an den Beschwerdeführer folgenden Bescheid:

"Ihr Anspruch auf Schulungsarbeitslosengeld wird für die Zeit vom 01.04. bis 30.06.1995 gem. § 24 Abs. 2 in Verbindung mit § 12 Abs. 3 lit. a Arbeitslosenversicherungsgesetz ... widerrufen.

Begründung:

(...)

Sie standen in der Zeit vom 03.01 bis 30.06.1995 im Bezug des Arbeitslosengeldes bzw. Schulungsarbeitslosengeldes, welches Ihnen in der Zeit vom 03.01.1995 bis 18.05.1995 als Vorschuß auf die Kündigungs- bzw. Urlaubsentschädigung gezahlt wurde. Das von Ihnen in der Zeit vom 01.04. bis 30.06. bezogene Schulungsarbeitslosengeld war gewährt worden, da Sie in der Kanzlei Dr. M. ein Praktikum absolvierten.

Wie nun die aufsichtsbehördliche Prüfung durch das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, das sich aufgrund Ihrer Eingabe an die Volksanwaltschaft mit dem Fall befaßt hat, ergeben hat, lag während des sogenannten Praktikums Arbeitslosigkeit nicht vor.

Sie waren nämlich bereits zu Beginn dieses sogenannten Praktikums als Rechtsanwaltswärter tätig und auch in der Liste eingetragen.

(...)

Da somit eine wesentliche Voraussetzung für den Bezug des Schulungsarbeitslosengeldes nicht erfüllt war, war dieses zu widerrufen.

Eine Rückforderung der Leistung wird nicht vorgenommen, da Rückforderungsgründe nicht zu Tage getreten sind."

c) Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung, die er - dem angefochtenen Bescheid zu Folge - im Wesentlichen darauf stützte, dass die Ausbildung zum Rechtsanwalt als Maßnahme im Sinn des § 18 Abs. 6 AlVG genehmigt worden sei und dass es sich dabei nicht um ein Dienstverhältnis gehandelt habe. Er beantragte die Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides sowie die "Feststellung des Anspruches auf Schulungsarbeitslosengeld für die Zeit vom 1.4.1995 bis 1.10.1996".

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge und führte aus:

"Kernfrage der gegenständlichen Angelegenheit ist die Frage, ob die in der Zeit vom 1.4. bis 30.6.1995 absolvierte Tätigkeit in der Kanzlei Dr. M. tatsächlich als das von der Stiftung beantragte 'Praktikum' oder vielmehr bereits als Teil Ihrer Ausbildung zum Rechtsanwalt im Rahmen eines Dienstverhältnisses betrachtet werden muß.

Die Frage wurde dahingehend beantwortet, als durch die Eintragung in die Liste der Rechts-anwaltsanwärter Ihre Ausbildung, während der Sie von Ihrem Arbeitgeber 'angemessen zu entlohnen' gewesen wären, bereits begonnen hat. Die Auffassung, daß das Schulungsarbeits-losengeld eben diese angemessene Entlohnung darzustellen vermag, kann von der Berufungs-behörde nicht geteilt werden. Das Arbeitslosengeld ist eine Leistung zur Existenzsicherung während der Arbeitslosigkeit, allenfalls auch während einer Ausbildung im Rahmen einer Schule oder eines geregelten Lehrganges. Besteht die Ausbildung jedoch im Rahmen eines Dienstverhältnisses bei dem Entgeltansprüche gegenüber dem 'Ausbildner' bestehen, so kann ein behaupteter Verzicht auf diese Ansprüche nichts daran ändern, daß inhaltlich ein Dienstverhältnis vorliegt und daher eine zentrale Anspruchsvoraussetzung nicht gegeben ist.

Der Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Liezen mußte daher bestätigt und der Berufung in diesem Punkt der Erfolg versagt werden.

Was den zweiten Berufungsantrag - nämlich Feststellung des Anspruches auf Schulungsarbeitslosengeld über die fragliche Zeit hinaus - anlangt, wird dazu ausgeführt, daß diese Frage nicht berufungsgegenständlich war und daher ein weiteres Eingehen auf diesen Punkt unterbleiben kann."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer ab dem 1. April 1995 in der Kanzlei Dr. M. eine ihn voll auslastende Tätigkeit als Rechtsanwaltsanwärter (mit "kleiner Legitimationsurkunde") aufnahm. Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Liezen war über die näheren Umstände dieser Tätigkeit spätestens seit dem Schreiben der WBL vom 15. Mai 1995 informiert.

Die belangte Behörde vertrat in der Begründung des Widerrufsbescheides die Auffassung, durch die Eintragung des Beschwerdeführers in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter per 3. April 1995 habe die "Ausbildung ... bereits begonnen". Es habe sich nicht lediglich um ein "Praktikum", sondern um eine Ausbildung "im Rahmen eines Dienstverhältnisses" mit Entgeltansprüchen gehandelt, woran der "Verzicht auf diese Ansprüche" nichts ändern könne. Arbeitslosigkeit sei daher nicht vorgelegen.

Der Beschwerdeführer macht geltend, durch die Ausbildung in der Kanzlei Dr. M. seien die Voraussetzungen für die Ausübung des Anwaltsberufes geschaffen worden. Die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter sei notwendige Voraussetzung gewesen, um überhaupt die Ausbildung bei einem Anwalt absolvieren zu können. Aus den Bestimmungen der Rechtsanwaltsordnung ergebe sich unzweifelhaft "der Ausbildungscharakter der Anwärterjahre". Die belangte Behörde habe es jedoch unterlassen festzustellen, "dass die Ausbildung des Beschwerdeführers eine Umschulungsmaßnahme darstellt, wodurch die Bestimmung des § 12 Abs. 5 AlVG zur Anwendung zu bringen gewesen wäre". Die Nichtanerkennung der Maßnahme im Sinne des § 18 Abs. 6 AlVG stelle "einen glatten Gesetzesbruch dar". Die Annahme der belangten Behörde, bei seiner Tätigkeit für den Rechtsanwalt Dr. M. handle es sich um ein Dienstverhältnis, sei durch nichts begründet, denn die "Verwendung" eines Rechtsanwaltsanwärters bei einem Rechtsanwalt setze keineswegs ein Dienstverhältnis voraus.

Im vorliegenden Fall kann auf sich beruhen, ob es sich bei der Tätigkeit des Beschwerdeführers als Rechtsanwaltsanwärter um eine "Umschulungsmaßnahme", um eine - die Arbeitslosigkeit ausschließende - praktische Ausbildung i.S. des § 12 Abs. 3 lit. f AlVG oder um ein - die Arbeitslosigkeit ebenfalls ausschließendes - Dienstverhältnis mit einem die Geringfügigkeitsgrenze i.S. des § 12 Abs. 6 lit. a AlVG übersteigenden Entgeltanspruch gehandelt hat, weil schon die Voraussetzungen für einen Widerruf des gemäß § 47 AlVG zuerkannten Arbeitslosengeldes nicht erfüllt sind.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde lediglich über den Widerruf der Zuerkennung der Leistung entschieden. Die Rückforderung der empfangenen Leistung ist nicht Gegenstand des Verfahrens.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 31. Mai 2000, Zl. 96/08/0258, mit den Voraussetzungen für die Einstellung einer Leistung gemäß § 24 Abs. 1 AlVG einerseits und den Widerruf einer Leistung gemäß § 24 Abs. 2 AlVG andererseits befasst und ist dabei in Auseinandersetzung mit der Vorjudikatur zu dem Ergebnis gekommen, Leistungen seien (unabhängig von der tatsächlichen Auszahlung) auch für Zeiträume, die in der Vergangenheit liegen, einzustellen und nicht zu widerrufen, wenn der Grund für die Einstellung nicht auf die Zuerkennung der Leistung zurückwirkt, sondern im nachträglichen Wegfall einer Leistungsvoraussetzung besteht. Die Einstellung der Leistung für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum sei somit weder "begrifflich unmöglich" noch vom Unterbleiben einer tatsächlichen Auszahlung abhängig. Überdies werde der Leistungsbezieher durch den Ausspruch einer Einstellung statt eines Widerrufes oder umgekehrt nicht in seinen Rechten verletzt. Damit wurde klargestellt, dass der inhaltliche und auch zeitliche Bezugspunkt der Formulierungen des § 24 Abs. 1 und 2 AlVG "die Entscheidung über den Antrag" ist.

Bei einer Einstellung des Arbeitslosengeldes gemäß § 24 Abs. 1 AlVG kommt es auf den "Wegfall" bzw. auf die "Änderung" von Umständen nach der "Entscheidung" an. Waren diejenigen Umstände, die eine Zuerkennung des Arbeitslosengeldes ausschließen, schon vor der Entscheidung über den Antrag eingetreten, stellen sie sich aber erst nach ihr heraus, so liegt hingegen ein Fall des Widerrufs des Arbeitslosengeldes gemäß § 24 Abs. 2 AlVG vor. "Nachträglich herausstellen" bedeutet im Sinne des § 24 Abs. 2 AlVG, dass der Behörde das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für das Arbeitslosengeld nach der Zuerkennung erstmals bekannt geworden ist.

Der Schutz, welchen § 24 AlVG der Partei vor einem willkürlichen Widerruf gewährter Geldleistungen gewähren soll, ersetzt in jenen Fällen, in denen eine Leistung ohne Erlassung eines Bescheides (§ 47 AlVG) antragsgemäß zuerkannt wurde, bis zu einem gewissen Grad die fehlende Rechtskraft. Auch dieser Schutz (und auch die Rechtskraft im Falle der bescheidmäßigen Zuerkennung) wird aber insoweit durchbrochen, als eine auch rückwirkende Korrektur der Leistung ohne Bindung an die strengen Voraussetzungen des § 69 AVG zulässig ist. Als Minimum an Voraussetzungen für eine rückwirkende Korrektur der Leistung muss aber - im Sinne des Gesetzeswortlautes - gelten, dass sich der Widerrufsgrund - aus welchen Gründen immer - erst nachträglich herausgestellt hat. Von dieser Voraussetzung ist zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nur dann abzusehen, wenn zugleich ein Rückforderungsgrund i.S. des § 25 Abs. 1 AlVG vorliegt: in jenen Fällen, in denen der Gesetzgeber sogar die Rückforderung zuerkannter Leistungen erlaubt (also den Schutz des guten Glaubens nicht gewährt), und § 25 Abs. 1 AlVG für die Rückforderung des Überbezuges die Richtigstellung der Leistung (bis hin zum Widerruf) voraussetzt, muss nämlich der Widerruf immer jedenfalls dann zulässig sein, wenn auch ein Rückforderungsgrund vorliegt. Dies ist z.B. dann denkbar, wenn zwar die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Leistung von Anfang an nicht vorlagen, zugleich aber der Empfänger der Leistung erkennen musste, dass die Leistung nicht gebührte.

Der Wortlaut des § 24 Abs. 2 AlVG (in Zusammenschau mit § 25 Abs. 1 AlVG) schließt aber eine Auslegung aus, nach welcher es der Behörde möglich wäre, eine von ihr ohne Erlassung eines Bescheides (§ 47 AlVG) gewährte Leistung auch dann nach Belieben rückwirkend zu widerrufen, wenn die Gewährung der Leistung erfolgte, obwohl deren Voraussetzungen nach der Aktenlage im Gewährungszeitpunkt offenkundig nicht vorlagen, sich deren Fehlen also nicht erst nachträglich herausgestellt hat und auch ein Rückforderungsgrund nach § 25 AlVG nicht vorliegt (vgl. das Erkenntnis vom 14. März 2001, Zl. 2000/08/0178).

Im vorliegenden Fall waren der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Liezen im Zeitpunkt der Mitteilung über die Zuerkennung und der Auszahlung des Arbeitslosengeldes an den Beschwerdeführer (27. Juni 1995 bzw. 29. Juni 1995) die wesentlichen Umstände seiner Tätigkeit als Rechtsanwaltsanwärter im hier gegenständlichen Zeitraum vom 1. April bis 30. Juni 1995 nach der Aktenlage bereits bekannt. Von einem im Sinne des § 24 Abs. 2 AlVG "nachträglichen Herausstellen" von Umständen, die der Gewährung des Arbeitslosengeldes entgegenstanden, kann sohin keine Rede sein. Eine nachträgliche Änderung von (rechtlichen) Umständen kann schließlich nicht darin erblickt werden, dass die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark mit Bescheid vom 18. April 1997 die mit ihrem Bescheid vom 21. Juni 1995 genehmigte Maßnahme "Praktikum RA Dr. M. (Dauer ca. drei Monate) gestrichen" hat, denn die Abänderung oder Aufhebung eines Bescheides nach § 68 Abs. 2 AVG wirkt - ungeachtet der Frage ihrer Rechtmäßigkeit - nicht zurück, sondern ex nunc (vgl. das Erkenntnis vom 24. Februar 1998, Zl. 96/09/0152), sodass die belangte Behörde bei der Beurteilung des Anspruches des Beschwerdeführers auf eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung betreffend den gegenständlichen, vor dem 18. April 1997 liegenden Zeitraum nach wie vor davon auszugehen hat, dass sich die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes um Zeiten, in denen der Beschwerdeführer an einer Maßnahme im Sinne des § 18 Abs. 6 AlVG teilgenommen hat, gemäß § 18 Abs. 5 AlVG verlängert.

Die Voraussetzungen für einen Widerruf der Leistung gemäß § 24 Abs. 2 AlVG sind daher nicht erfüllt.

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Der Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Soweit sich der Beschwerdeführer in der Beschwerde (auch) gegen eine Nichtzuerkennung des Arbeitslosengeldes für den Zeitraum ab dem 1. Juli 1995 wendet, ist er mit der belangten Behörde darauf zu verweisen, dass bereits die erstinstanzliche Behörde den über den 30. Juni 1995 hinausgehenden Anspruch auf Arbeitslosengeld keiner Beurteilung unterzogen hat. Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich aber zu dem Hinweis veranlasst, dass zwar für die Anerkennung von Ansprüchen nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz in § 47 Abs. 1 AlVG die Form einer bloßen Mitteilung vorgesehen ist, bei Nichtzuerkennung, Einstellung oder Widerruf einer zunächst zuerkannten Leistung auf Grund der Annahme, eine Anspruchsvoraussetzung sei weggefallen oder von Anfang an nicht vorgelegen, ein - nicht nur wie hier auf den Zeitraum der Erbringung einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung beschränkter - Bescheid zu erlassen ist (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 8. September 1998, Zl. 98/08/0151).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994 im Rahmen des gestellten Begehrens.

Wien, am 20. Dezember 2001

Schlagworte

Eintritt und Umfang der Rechtswirkungen von Entscheidungen nach AVG §68 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Maßgebender Bescheidinhalt Inhaltliche und zeitliche Erstreckung des Abspruches und der Rechtskraft Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1997080424.X00

Im RIS seit

07.05.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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