TE Vwgh Erkenntnis 2001/12/21 2000/19/0073

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Veröffentlicht am 21.12.2001
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §13 Abs1;
AVG §66 Abs4;
FrG 1997 §10 Abs1 Z2;
FrG 1997 §14 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde der am 15. Februar 1952 geborenen F T in S, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh und Dr. Hanno Lecher, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. Oktober 1999, Zl. 124.105/6- III/11/99, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin richtete am 30. März 1998 an die Bezirkshauptmannschaft Bregenz ein Schreiben, in dem dargelegt wird, der Ehemann der Beschwerdeführerin sei nach Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des auf Grund des Assoziationsabkommens zwischen der EWG und der Türkei eingerichteten Assoziationsrates in den österreichischen Arbeitsmarkt integriert. Die Beschwerdeführerin verfüge über ein vom 10. November (richtig: Dezember) 1997 bis zum 9. März 1998 gültiges "Touristenvisum". Es werde beantragt, der Beschwerdeführerin eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen, und zwar in jeder in Betracht kommenden Rechtsform, also über eine Feststellung der Assoziationsintegration, in eventu als Aufenthaltssichtvermerk.

Mit Bescheid vom 10. Juli 1998 wies die Bezirkshauptmannschaft Bregenz namens des Landeshauptmannes von Vorarlberg den als auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gewerteten Antrag der Beschwerdeführerin gemäß §§ 7 Abs. 3, 10 Abs. 1 Z. 2 und 17 des Fremdengesetzes 1997 (FrG 1997) ab. In der dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, sie habe mit ihrem Antrag primär beantragt festzustellen, dass ihr nach Assoziationsrecht ein Aufenthaltsrecht zukomme, eventualiter habe sie beantragt, jenen Aufenthaltstitel nach dem Fremdengesetz zu erteilen. Die Bezirkshauptmannschaft Bregenz habe über den Primärantrag nicht entschieden.

Der Bundesminister für Inneres gab der Berufung mit Bescheid vom 4. September 1998 gemäß § 66 Abs. 4 AVG statt und behob den erstbehördlichen Bescheid ersatzlos. In der Begründung wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe am 30. März 1998 einen Antrag auf Feststellung ihrer Assoziationsintegration und nur einen Eventualantrag auf Erteilung eines Aufenthaltssichtvermerkes gestellt. Die Behörde erster Instanz hätte zuerst über den Antrag auf Feststellung der Assoziationsintegration der Beschwerdeführerin bescheidmäßig absprechen müssen, ehe sie auf den Eventualantrag einging.

Mit Bescheid vom 30. März 1999 erließ die Bezirkshauptmannschaft Bregenz (namens des Landeshauptmannes von Vorarlberg) einen Bescheid mit folgendem Kopf und Spruch:

"Bescheid

Frau TOSUN Fatma, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Wilfried Ludwig Weh hat am 30.3.1998 bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz, einen Antrag auf Feststellung der Assoziationsintegration gestellt.

Über diesen Antrag ergeht auf Grund der Verordnung des Landeshauptmannes über die Ermächtigung der Bezirkshauptmannschaften zur Entscheidung nach dem Fremdengesetz 1997, LGBl. Nr. 80/1997, folgender

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 3 des Bundesgesetzes über die Einreise, den Aufenthalt und die Niederlassung von Fremden (Fremdengesetz 1997 - FrG) BGBl. I Nr. 1997/75 wird der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung abgewiesen."

In der Begründung wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei mit einem Reisevisum "C", gültig vom 10. Dezember 1997 bis zum 9. März 1998, in das österreichische Bundesgebiet eingereist und halte sich seitdem in Österreich auf. Dieses Reisevisum "C" stelle jedoch kein Bleiberecht im Sinne des § 30 Abs. 3 FrG 1997 dar. Der Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 regle nicht den Familiennachzug, sondern nur die beschäftigungsrechtliche Stellung der Familienangehörigen, die auf Grund anderer Rechtsgrundlagen der Mitgliedstaaten die Genehmigung erhalten haben, zu einem türkischen Arbeitnehmer zu ziehen. Dieser Beschluss könne daher nicht zur Begründung eines "rechtmäßigen Aufenthaltsrechts" herangezogen werden.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde vom Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 30. August 1999 gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen.

Die Bezirkshauptmannschaft Bregenz wies in weiterer Folge mit Bescheid vom 7. September 1999 namens des Landeshauptmannes von Vorarlberg den als Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gewerteten Eventualantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 2 erster Satz FrG 1997 ab.

Die dagegen erhobene Berufung wies der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 27. Oktober 1999 gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit §§ 10 Abs. 1 Z. 2 und 14 Abs. 2 FrG 1997 ab. In der Begründung führte der Bundesminister für Inneres nach Wiedergabe des Ganges des Verwaltungsverfahrens aus, die Bezirkshauptmannschaft Bregenz habe mit Bescheid vom 7. September 1999 den Eventualantrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung abgewiesen. Auf Grund eines vom 27. April 1999 bis 27. April 2005 gültigen Aufenthaltsverbotes gegen die Beschwerdeführerin liege zunächst ein zwingender Versagungsgrund gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 FrG 1997 vor. Es stehe weiters fest, dass die Beschwerdeführerin mit einem bis 9. März 1998 gültigen Reisevisum "C" nach Österreich eingereist sei. Seither halte sie sich durchgehend im Bundesgebiet auf. Diese Tatsache werde von ihr in keiner Weise bestritten. Demnach liege ein zwingender Versagungsgrund gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG 1997 vor. Da die Beschwerdeführerin noch nie im Besitz eines Aufenthaltstitels für Österreich gewesen sei, sei ihr Antrag als Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung zu werten, den sie gemäß § 14 Abs. 2 FrG 1997 vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus hätte stellen müssen. Zum Zeitpunkt der Antragstellung am 30. März 1998 habe sich die Beschwerdeführerin jedoch im Inland aufgehalten. Ein Eingehen auf eventuelle private und familiäre Interessen der Beschwerdeführerin erübrige sich, weil das Vorliegen des Versagungsgrundes nach § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG 1997 "einen zulässigen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Grundrecht darstellt".

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof. Nachdem dieser mit Beschluss vom 6. März 2000, B 1980/99-3, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und sie mit Beschluss vom 25. April 2000, B 1980/99-6, dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hatte, wurde sie von der Beschwerdeführerin ergänzt.

Mit Erkenntnis vom 13. Dezember 2001, Zl. 2000/21/0211, wurde der erwähnte Berufungsbescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. August 1999 vom Verwaltungsgerichtshof wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die vorliegende Beschwerde erwogen:

Wie der Verwaltungsgerichtshof ua. im hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 1997, Zl. 96/19/2048, dargelegt hat, liegt die Besonderheit eines Eventualantrages, wie ihn die Beschwerdeführerin unstrittig gestellt hat, darin, dass er unter der aufschiebenden Bedingung gestellt wird, dass der Primärantrag erfolglos bleibt. Wird ein Eventualantrag vor dem Eintritt des Eventualfalles erledigt, so belastet dies die Erledigung mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 20. Februar 1990, Zl. 89/01/0114, und vom 12. September 1997, Zl. 96/19/1468).

Gemäß § 42 Abs. 3 VwGG tritt durch die Aufhebung eines angefochtenen Bescheides die Rechtssache in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Bescheides befunden hatte. Auf Grund dieser (Rück)Wirkung seiner Erkenntnisse hat der Verwaltungsgerichtshofes bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides davon auszugehen, dass jedenfalls seit der durch das erwähnte hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2001, Zl. 2000/21/0211, erfolgten Aufhebung des Bescheides des Bundesministers für Inneres vom 30. August 1999 im Zeitpunkt der Entscheidung der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 7. September 1999 über den als Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gewerteten Eventualantrag der Beschwerdeführerin kein rechtskräftiger Abspruch über deren primären Antrag auf Feststellung ihrer Aufenthaltsberechtigung mehr vorlag. Der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 7. September 1999 ist daher mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit belastet. Durch die mit dem angefochtenen Bescheid vorgenommene Abweisung der Berufung der Beschwerdeführerin, welche die aufgezeigte Unzuständigkeit der Erstbehörde nicht beseitigt, ist jener mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes behaftet. Die Beschwerdeführerin wurde dadurch in ihrem Recht auf Einhaltung der Zuständigkeitsordnung verletzt. Diese Verletzung der Behördenzuständigkeit war vom Verwaltungsgerichtshof ungeachtet einer Möglichkeit der Verletzung sonstiger subjektiv-öffentlicher Rechte von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. hiezu ebenfalls das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 1997, Zl. 96/19/2048, mwN).

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Von der Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 21. Dezember 2001

Schlagworte

Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH Allgemein Besondere Rechtsgebiete Inhalt der Berufungsentscheidung Kassation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2000190073.X00

Im RIS seit

03.04.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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