TE Vwgh Erkenntnis 2002/1/25 99/02/0041

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Veröffentlicht am 25.01.2002
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1 idF 1996/201;
AlVG 1977 §8 Abs1 idF 1994/314;
AlVG 1977 §8 Abs2 idF 1994/314;
AVG §39 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll sowie Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde des T R in K, vertreten durch Dr. Horst Wendling, Rechtsanwalt in Kitzbühel, Kirchplatz 1, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom 19. Oktober 1998, Zl. LGSTi/V/1212/3715 20 04 72-704/1998, betreffend Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 12. August 1998 stellte das Arbeitsmarktservice Kitzbühel fest, dass der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, BGBl. Nr. 609/1977 (AlVG) den Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 10. August bis 20. September 1998 verloren habe. Über die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung entschied die belangte Behörde gemäß § 56 AlVG mit dem angefochtenen Bescheid vom 19. Oktober 1998 wie folgt:

"1.) Der Tatbestand gemäß § 10 Absatz 1 AlVG wurde erfüllt.

2.) Auf Grund der am 27. 8. 1998 erfolgten Arbeitsaufnahme konnte die Ausschlußfrist gemäß § 10 Absatz 2 AlVG teilweise nachgesehen werden, weshalb Ihnen das Arbeitslosengeld vom 10. 8.

1998 bis 18. 8. 1998 (9 Tage) wieder zuerkannt wird."

     Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid

erhobene Beschwerde erwogen:

     Die belangte Behörde ging in der Begründung des angefochtenen

Bescheides davon aus, dass die Behörde erster Instanz den Beschwerdeführer am 6. August 1998 als Kommissionierer mit zumindest kollektivvertraglicher Entlohnung zur Firma S. in W. mit Arbeitsantritt am 10. August 1998 habe vermitteln können. Der Beschwerdeführer habe die Annahme dieser Arbeit aber zufolge einer vor der Behörde erster Instanz am 11. August 1998 aufgenommenen Niederschrift mit der Begründung verweigert, dass von K. nach W. keine gute (Verkehrs)Verbindung bestehe und er Farbverkäufer gelernt hätte. Auch würde man bei der Firma S. nach drei Monaten "rausgeschmissen"; der Beschwerdeführer habe weiters angegeben, von der Firma Si. nach sechs Monaten gekündigt worden zu sein. Demgegenüber sei die dem Beschwerdeführer vorgeschlagene Beschäftigung im Sinne des § 9 AlVG zumutbar gewesen, sodass er eine Beschäftigungsaufnahme bei der Firma S. zumindest hätte versuchen können, um seine Arbeitslosigkeit zu beenden. Einer - im Hinblick auf die von ihm in seiner Berufung geltend gemachten gesundheitlichen Einwände - seitens der Behörde erster Instanz ergangenen Vorladung zum Amtsarzt sei der Beschwerdeführer nicht gefolgt, sodass eine gesundheitliche Untersuchung nicht habe durchgeführt werden können. Im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer während der Ausschlussfrist eine Beschäftigung angenommen habe, habe spruchgemäß eine teilweise Nachsicht gewährt werden können.

Die §§ 8 und 9 AlVG in der Fassung BGBl. Nr. 314/1994 lauten (auszugsweise):

"§ 8. (1) Arbeitsfähig ist, wer nicht invalid beziehungsweise nicht berufsunfähig im Sinne der für ihn in Betracht kommenden Vorschriften der §§ 255, 273 beziehungsweise 280 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes ist.

(2) Der Arbeitslose ist, wenn sich Zweifel über die Arbeitsfähigkeit ergeben, verpflichtet, sich auf Anordnung der regionalen Geschäftsstelle ärztlich untersuchen zu lassen. Weigert er sich, dieser Anordnung Folge zu leisten, so erhält er für die Dauer der Weigerung kein Arbeitslosengeld.

...

§ 9. (1) Arbeitswillig ist, wer bereit ist,

-

eine durch die regionale Geschäftsstelle vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder

-

sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- und umschulen zu lassen oder

-

an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen oder

-

von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und

-

auch sonst alle gebotenen Anstrengungen von sich aus unternimmt, eine Beschäftigung zu erlangen, soweit ihm dies nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.

(2) Zumutbar ist eine Beschäftigung, die den körperlichen Fähigkeiten des Arbeitslosen angemessen ist, seine Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist und dem Arbeitslosen eine künftige Verwendung in seinem Beruf nicht wesentlich erschwert. Die letzte Voraussetzung bleibt bei der Beurteilung, ob die Beschäftigung zumutbar ist, außer Betracht, wenn der Anspruch auf den Bezug des Arbeitslosengeldes erschöpft ist und keine Aussicht besteht, dass der Arbeitslose in absehbarer Zeit in seinem Beruf eine Beschäftigung findet.

(3) Eine Beschäftigung außerhalb des Wohn- oder Aufenthaltsortes des Arbeitslosen ist zumutbar, wenn hiedurch die Versorgung seiner Familienangehörigen, zu deren Unterhalt er verpflichtet ist, nicht gefährdet wird und am Orte der Beschäftigung, wenn eine tägliche Rückkehr an den Wohnort nicht möglich ist, entsprechende Unterkunftsmöglichkeiten bestehen.

..."

§ 10 AlVG in der Fassung BGBl. Nr. 201/1996 lautet (auszugsweise):

"§ 10. (1) Wenn der Arbeitslose

- sich weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, oder

...

verliert er für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für

die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

..."

Der Beschwerdeführer hat in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid unter Vorlage einer ärztlichen Bestätigung geltend gemacht, es sei ihm aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich, einen Arbeitsplatz in W. anzunehmen. Der daraufhin an ihn gerichteten Vorladung zum Amtsarzt ist er nicht nachgekommen; eine Aufforderung, anzugeben, warum er diesen Termin nicht wahrgenommen habe, blieb unbeantwortet. Ein Nachweis über die Zustellung der Vorladung zum Amtsarzt erliegt in den Verwaltungsakten nicht, die Aufforderung zur Rechtfertigung wurde laut dem in den Verwaltungsakten aufscheinenden Rückschein der Post durch Hinterlegung zugestellt. Anlässlich einer Vorsprache bei der Behörde erster Instanz gab der Beschwerdeführer an, keines der beiden Schreiben erhalten zu haben.

Aus der Vorladung zum Amtsarzt kann geschlossen werden, dass die Behörde im Sinne des § 8 AlVG die Frage der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers für klärungsbedürftig erachtete. Diese Auffassung steht in Übereinstimmung mit der hg. Rechtsprechung, derzufolge es im Fall des Auftretens von Zweifeln daran, ob ein Arbeitsloser arbeitsfähig ist (zu solchen Zweifeln bestand unter Berücksichtigung der diesbezüglichen mit einer ärztlichen Bestätigung belegten Behauptungen des Beschwerdeführers durchaus Anlass), Aufgabe der Behörden der Arbeitsmarktverwaltung ist, von Amts wegen darüber selbständig - auf entsprechenden Gutachten aufbauende - Feststellungen zu treffen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 8. Juni 1993, Zl. 92/08/0212, und vom 16. Februar 1999, Zl. 96/08/0083). Abgesehen davon, dass die belangte Behörde keine Ermittlungen darüber anstellte, ob dem Beschwerdeführer die Vorladung zum Amtsarzt überhaupt zugekommen ist, wäre sie auch für den Fall einer nachweislichen Zustellung dieser Vorladung nur berechtigt gewesen, gemäß § 8 Abs. 2 AlVG den Beschwerdeführer für die Dauer einer (unentschuldigten) Weigerung, sich der ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, vom Bezug des Arbeitslosengeldes auszuschließen (vgl. in diesem Zusammenhang das hg. Erkenntnis vom 16. Februar 1999, Zl. 99/08/0003). Für den aus dem angefochtenen Bescheid entnehmbaren Schluss, auf Grund der - von der belangten Behörde angenommenen - Verweigerung dieser Untersuchung könne auf die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers und damit auf die Zumutbarkeit der ihm angebotenen Beschäftigung geschlossen werden, bietet das Gesetz keine Grundlage.

Erst bei Vorliegen eines entsprechenden, die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers bestätigenden ärztlichen Gutachtens wäre die belangte Behörde rechtlich in die Lage versetzt gewesen, die in der Begründung des angefochtenen Bescheides enthaltene Feststellung über die Zumutbarkeit der dem Beschwerdeführer angebotenen Beschäftigung zu treffen und ausgehend davon eine Weigerung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG ihrer Entscheidung über den Anspruchsverlust auf Arbeitslosengeld zugrunde zu legen.

Da die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage derartige Ermittlungen unterlassen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Der angefochtene Bescheid musste daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 25. Jänner 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1999020041.X00

Im RIS seit

23.04.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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