TE Vwgh Erkenntnis 2002/1/29 2001/05/0933

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Veröffentlicht am 29.01.2002
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Index

41/02 Melderecht;

Norm

MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Pallitsch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger-Heis, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. März 2000, Zl. 600.492/6-II/13/00, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Gemeinde Bad Gleichenberg, 2. Dipl. Ing. Siegfried Loos, 8344 Bad Gleichenberg, Gleichenberg Dorf 147), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenersatzbegehren der erstmitbeteiligten Partei wird abgewiesen.

Begründung

Der am 14. Jänner 1965 in Feldbach geborene, ledige Zweitmitbeteiligte war von November 1995 bis Anfang Dezember 1998 mit Hauptwohnsitz (siehe § 23 Abs. 1 des im Beschwerdefall anzuwendenden Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992 in der Fassung des Hauptwohnsitzgesetzes, BGBl. Nr. 505/1994; in der Folge kurz:

MeldeG) in Wien VIII., Josefstädter Straße und mit weiterem Wohnsitz in Graz, Hans Brandstättergasse gemeldet. Seit 4. Dezember 1998 ist er mit Hauptwohnsitz in Bad Gleichenberg, Gleichenberg Dorf 147 und mit weiterem Wohnsitz in Wien, wo er eine Mietwohnung bezogen hat, gemeldet.

Der beschwerdeführende Bürgermeister beantragte mit Eingabe vom 2. Oktober 1999 gemäß § 17 Abs. 2 Z. 2 MeldeG die Einleitung eines Reklamationsverfahrens zur Entscheidung darüber, ob der Zweitmitbeteiligte, der in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters mit Hauptwohnsitz angemeldet ist, dort weiterhin den Hauptwohnsitz hat.

Der Zweitmitbeteiligte führte in seiner Stellungnahme aus, die Wohnsitznahme in Wien sei erforderlich gewesen, um seine Ausbildung (Praxiszeit als Ziviltechniker) abzuschließen. Ein "Naheverhältnis" zu Wien bestehe nicht. Seine sozialen und kulturellen Interessen lägen in seiner Heimatgemeinde Gleichenberg Dorf; dort sei er Mitglied des örtlichen Kulturkreises und Sportklubs; er werde den Kanzleisitz für sein Architekturbüro in seiner Heimatgemeinde begründen. Seine Freizeit verbringe er immer in Bad Gleichenberg. Im Erhebungsblatt zur Feststellung des Hauptwohnsitzes ergänzte der Zweitmitbeteiligte seine Angaben dahingehend, dass er den größeren Teil des Jahres in Wien verbringe, zum Wochenende und im Urlaub jedoch in Bad Gleichenberg wohne; mit dem bevorstehenden Ausscheiden aus dem Architekturbüro in Wien, werde er seinen Arbeitsplatz nach Bad Gleichenberg verlegen. Gesellschaftliche Anknüpfungspunkte seien in Wien kaum vorhanden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes des Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in Bad Gleichenberg ab. Das Ermittlungsverfahren habe gezeigt, dass der Schwerpunkt der beruflichen Lebensbeziehungen des Zweitmitbeteiligten in Wien, der familiäre und gesellschaftliche Schwerpunkt der Lebensbeziehungen hingegen in Bad Gleichenberg liege, wo er sich regelmäßig aufhalte. In Bad Gleichenberg lebe er bei seinen Eltern; er sei in seiner Heimatgemeinde Mitglied im örtlichen Kulturkreis und Sportklub. Der Zweitmitbeteiligte habe in seiner Stellungnahme das "überwiegende Naheverhältnis" zu Bad Gleichenberg eindeutig dargelegt. Auf Grund des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens und einer Gesamtbetrachtung der Lebensbeziehungen des Zweitmitbeteiligten reiche der Ausbildungsplatz allein nicht aus, um den Hauptwohnsitz in Bad Gleichenberg, der den Mittelpunkt der familiären und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen darstelle, aufzuheben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Die mitbeteiligten Parteien erstatteten ebenfalls Gegenschriften und beantragten wie die belangte Behörde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof im Geltungsbereich der auch im Beschwerdefall anzuwendenden Rechtslage des Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992, in der Fassung BGBl. Nr. 352/1995, ausgeführt, dass im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt (wird), ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG 1991) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u. a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher - wie auch den Erläuterungen der Regierungsvorlage zur Meldegesetznovelle, BGBl. Nr. 505/1994 (GP XVIII RV 1334), zu entnehmen ist - vor allem folgende Bestimmungskriterien maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften. Durchaus möglich ist, dass am Hauptwohnsitz - und damit beim Mittelpunkt der Lebensbeziehungen - wenige oder gar keine beruflichen Lebensbeziehungen bestehen (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 31. August 1999, Zl. 99/05/0076). Diese Regelung hat auch durch die Anfügung des Abs. 8 im § 1 MeldeG mit der Novelle vom 30. März 2001, BGBl. I Nr. 28/2001, keine inhaltliche Änderung erfahren, weil damit nur die in der vorzitierten Regierungsvorlage angeführten Kriterien in Gesetzesform gegossen worden sind.

Für das vom Verfassungsgerichtshof in seinem obzitierten Erkenntnis vom 26. September 2001 als verfassungskonform bewertete Reklamationsverfahren gilt daher, dass nur die im § 17 Abs. 3 MeldeG angeführten Beweismittel zulässig sind; die Parteien trifft eine besondere Mitwirkungspflicht. Die am Reklamationsverfahren beteiligten Bürgermeister dürfen nur Tatsachen geltend machen, die sie in Vollziehung eines Bundes- oder Landesgesetzes ermittelt haben und die keinem Übermittlungsverbot unterliegen.

Um dem Ziel des Reklamationsverfahrens gemäß § 17 Abs. 3 MeldeG - "die Richtigkeit einer von einem Meldepflichtigen vorgenommenen Erklärung seines Hauptwohnsitzes im öffentlichen Interesse zu hinterfragen" (siehe das bereits zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001) - nachkommen zu können, hat sohin die Behörde (§ 17 Abs. 1 MeldeG) in ihrer Entscheidung für die Beurteilung des Mittelpunktes der Lebensbeziehungen des Betroffenen als wesentliches Tatbestandsmerkmal seines Hauptwohnsitzes gemäß § 1 Abs. 7 MeldeG eine Gesamtbetrachtung seiner beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen vorzunehmen. Diesen Anforderungen wird das Ermittlungsverfahren nur dann entsprechen, wenn die Behörde jedenfalls die oben wiedergegebenen, nunmehr im § 1 Abs. 8 MeldeG, BGBl. Nr. 28/2001, für den Mittelpunkt der Lebensbeziehungen eines Menschen angeführten Kriterien berücksichtigt hat. Hiefür stehen der Behörde die im § 17 Abs. 3 MeldeG (abschließend) aufgezählten Beweismittel zur Verfügung. Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich in diesem Zusammenhang der vom Verfassungsgerichtshof in dessen Erkenntnis vom 26. September 2001 vertretenen Auffassung an, dass die dort normierte besondere Mitwirkungspflicht der Parteien, insbesondere des Betroffenen, deren Verpflichtung einschließt, zu strittigen Umständen in Form verbindlicher und nachvollziehbarer Erklärungen und Erläuterungen Stellung zu nehmen. Die belangte Behörde hat daher in diesem Rahmen den maßgebenden Sachverhalt (§ 37 AVG) zu ermitteln und die vorliegenden Beweise auch zu würdigen (§ 45 Abs. 2 AVG). In diesem Zusammenhang weist der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, dass das subjektive Kriterium des "überwiegenden Naheverhältnisses" nur dann entscheidend ist, wenn ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnsitze des Betroffenen Mittelpunkte der Lebensbeziehungen darstellen (siehe das hg. Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935), die vom Betroffenen vorgenommene Bezeichnung des Hauptwohnsitzes allein also nicht jedenfalls maßgeblich ist.

Der Verfassungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargelegt, dass eine "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig ist; der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 17 Abs. 3 MeldeG bewusst die in Rede stehenden Unschärfen in Kauf genommen, um im gegebenen Zusammenhang bestimmte behördliche Vorgangsweisen hintanzuhalten, die bei Geltung des Prinzips der Unbeschränktheit der Beweismittel nach § 46 AVG denkbar oder möglicherweise sogar geboten wären.

Im Beschwerdefall steht fest, dass der Zweitmitbeteiligte in Wien zwar einer Beschäftigung nachgeht, dort aber nur aus beruflichen Gründen eine Unterkunft hat. Seine Wohnung in Wien dient im Wesentlichen nur als Ausgangspunkt für den Weg zur Arbeitsstätte an diesem Wohnsitz, weil die tägliche Anreise vom Hauptwohnsitz in der Steiermark zum Arbeitsplatz zu beschwerlich wäre. Dass der Zweitmitbeteiligte die Wiener Wohnung auch aus anderen, für die Begründung eines Hauptwohnsitzes entscheidungswesentlichen, Gründen angeschafft hätte (in Frage kämen hier die im § 1 Abs. 8 MeldeG angeführten Kriterien zwecks Begründung gesellschaftlicher und/oder wirtschaftlicher Lebensbeziehungen), ist nicht hervorgekommen. Auf den Zweitmitbeteiligten treffen daher die vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0945, zum sog. "Wochenpendler" entwickelten Kriterien zu, weshalb auf dieses Erkenntnis zu Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird.

Der angefochtene Bescheid erweist sich aus diesen Gründen frei von Rechtsirrtum. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Ein Anwendungsfall des § 47 Abs. 4 VwGG liegt nicht vor (vgl. hiezu den hg. Beschluss vom 9. Oktober 2001, Zl. 2001/05/0255). Das Kostenersatzbegehren des erstmitbeteiligten Bürgermeisters war abzuweisen, weil er nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war (§ 49 Abs. 1 VwGG idF der Novelle BGBl. I Nr. 88/1997).

Wien, am 29. Jänner 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001050933.X00

Im RIS seit

11.04.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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