TE Vwgh Erkenntnis 2002/2/20 98/12/0444

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Veröffentlicht am 20.02.2002
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Index

L24009 Gemeindebedienstete Wien;
63/02 Gehaltsgesetz;

Norm

DO Wr 1994 §32 Abs1;
GehG 1956 §13 Abs3 Z2 impl;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Germ und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Julcher, über die Beschwerde der S in W, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stubenring 20, gegen den Bescheid des Berufungssenates der Stadt Wien vom 10. September 1998, Zl. MA 2/243/97, betreffend Verlust des Diensteinkommens, Hemmung des Laufes der Dienstzeit und Verlust der Ruhegenussfähigkeit von Zeiten, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinen Spruchabschnitten I. bis III. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Stadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die 1956 geborene Beschwerdeführerin steht als Kanzleioffizialin seit 1. Dezember 1974 in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Stadt Wien; sie war im maßgebenden Zeitraum als Kanzleibeamtin im Geriatriezentrum Am Wienerwald diensteingeteilt.

Auf Grund wiederholter, länger dauernder Abwesenheiten vom Dienst - so etwa vom 16. Mai bis 31. Juli 1994 wegen Krankheit, (vom 1. bis 15. August 1994 wegen Urlaubes), vom 16. August bis 20. November 1995 wegen Krankheit, vom 22. November 1995 bis 29. Februar 1996 wegen Krankheit - veranlasste die Dienstbehörde erster Instanz (Magistratsabteilung 2-Personalamt) die Einholung amtsärztlicher Gutachten zur Beurteilung der Dienstfähigkeit der Beschwerdeführerin. Die im Jahre 1995 eingeholten Gutachten der amtsärztlichen Untersuchungsstelle gelangten jeweils zum Schluss, dass der "Krankenstand seit 16.8.1994 ... gerechtfertigt" sei; ebenso gelangte die Amtsärztliche Untersuchungsstelle im Gutachten vom 3. Jänner 1996 zum Schluss, dass der "Krankenstand" gerechtfertigt sei. Eine ersprießliche Dienstleistung als Kanzleioffizialin sei auf Grund des bestehenden Überforderungssyndromes, ausgeprägter Arbeitsunlust sowie "fehlender therapeutischer Complaince" nicht zu erwarten, jedoch werde die Einholung eines Klinikgutachtens über die Arbeitsfähigkeit empfohlen.

Auf Grund eines psychiatrischen Befundes vom 30. Jänner sowie eines orthopädischen Befundes vom 7. Februar 1996 gelangt die Amtsärztliche Untersuchungsstelle in ihrem Gutachten vom 14. Februar 1996 zu folgendem Schluss:

"Auf Grund des aktuellen orthopädischen und psychiatrischen Befundes ist Frau H. ab sofort für körperlich leichte Tätigkeiten ohne Heben und Tragen von Lasten über 5 kg sowie ohne Überkopfarbeiten dienstfähig.

Ein weiterer Krankenstand ist nicht gerechtfertigt.

..."

Hierauf forderte die erstinstanzliche Behörde die Beschwerdeführerin mit Erledigung vom 22. Februar 1996 (zugestellt am 29. Februar 1996) zum Dienstantritt auf. Am 1. März 1996 trat die Beschwerdeführerin ihren Dienst an, war jedoch ab 4. März 1996 wiederum wegen Krankheit vom Dienst abwesend, um am 11. März 1996 neuerlich ihren Dienst anzutreten.

In der hierauf mit der Beschwerdeführerin am 11. März 1996 aufgenommenen Niederschrift gab sie auf Vorhalt des letzten amtsärztlichen Gutachtens an, dass sie dieses für unrichtig befinde, da sie sich nicht dienstfähig fühle. Sie könne längere Zeit weder sitzen noch gehen noch stehen.

Ab 12. März 1996 war die Beschwerdeführerin wiederum vom Dienst abwesend. In der mit ihr am 25. März 1996 aufgenommenen Niederschrift gab sie an, seit etwa drei Monaten ein Stechen im Ohr zu haben. Dieses Leiden habe sie am 11. März 1996 nicht angegeben, es hindere sie jedoch daran, ihren Dienst zu versehen. Am 11. März 1996 habe sie in ihrer Dienststelle Papiere geordnet; diese Tätigkeit habe sie im Sitzen verrichtet.

Nach HNO-fachärztlicher Untersuchung gelangte die Amtsärztliche Untersuchungsstelle in ihrem Gutachten vom 4. April 1996 zu folgendem Schluss:

"Auf Grund der klinischen Untersuchung und der ha. HNOfachärztlichen Begutachtung ergibt sich keine Änderung zum Vorgutachten vom 14.2.1996. Dieses bleibt inhaltlich voll aufrecht."

Hierauf forderte wiederum die Dienstbehörde erster Instanz die Beschwerdeführerin mit Erledigung vom 30. April 1996 (zugestellt am 7. Mai 1996) zum Dienstantritt auf.

Die Beschwerdeführerin trat am 8. Mai 1996 ihren Dienst an, war jedoch ab 9. Mai 1996 neuerlich vom Dienst wegen Krankheit abwesend.

In der mit ihr am 25. Juni 1996 aufgenommenen Niederschrift gab sie an, dass sie sich im "Krankenstand" befinde, derzeit jedoch keine Behandlungen mache. Zusätzlich habe sie Rheumatismus bekommen, auch die Leberwerte seien erhöht. Weiters legte sie der Dienstbehörde erster Instanz fachärztliche Befunde und eine vom praktischen Arzt Dr. H. am 24. Juni 1996 ausgestellte "ärztliche Bescheinigung" vor, wonach sie in seiner Behandlung stehe und vom 25. Juni voraussichtlich bis einschließlich 9. Juli 1996 verhindert sei, Dienst zu versehen.

In dem hierauf eingeholten Gutachten vom 10. Juli 1996 kam die Ärztliche Untersuchungsstelle zu folgendem Schluss:

"Der Krankenstand seit 9.5.1996 ist nicht gerechtfertigt.

Die leicht erhöhten Leberwerte sind durch eine ernährungsbedingte Fettleber verursacht.

Der angegebene Rheumatismus kann auf Grund der klinischen Untersuchung und der vorgelegten Laborbefunde nicht verifiziert werden. Es zeigen sich positive Rheumafaktoren bei negativem ASO-Titer und normaler Blutsenkung, sodass derzeit sicherlich kein aktiver rheumatischer Prozess vorliegt.

Die diskrete Zuckerstoffwechselstörung (Zufallsbefund im Labor) ist durch Gewichtsreduktion und Diät einzustellen und stellt ebenfalls keinen Dienstunfähigkeitsgrund dar.

Zusammenfassend ist die krankheitsbedingte Abwesenheit vom Dienst seit 9.5.96 auch unter Berücksichtigung der neuen Leiden nicht gerechtfertigt.

Frau Haider ist weiterhin eingeschränkt dienstfähig, wobei das Heben und Tragen von Lasten über 5 kg sowie Überkopfarbeiten zu vermeiden sind."

Hierauf räumte die Dienstbehörde erster Instanz mit Erledigung vom 16. Juli 1996 (zugestellt am 19. Juli 1996) der Beschwerdeführerin zur gutachtlichen Schlussfolgerung, dass die krankheitsbedingte Abwesenheit vom Dienst nicht gerechtfertigt wäre, Gehör ein und forderte sie zum Dienstantritt auf.

In ihrer Eingabe vom 20. Juli 1996 wendete sich die Beschwerdeführerin dagegen, seit 9. Mai 1996 eigenmächtig vom Dienst abwesend gewesen zu sein. Sie sei weiterhin krankgeschrieben, habe die Krankmeldungen immer pünktlich abgegeben und sei den Forderungen nach Dienstantritt auch nachgekommen. Laut dem beigelegten Gutachten eines Facharztes sei die Beschwerdeführerin nicht dienstfähig, weil sie nicht sitzen könne. Der Eingabe waren Kopien eines radiologischen Befundes und einer Stellungnahme eines Facharztes für Orthopädie und orthopädische Chirurgie angeschlossen, wonach bei der Beschwerdeführerin mehrfache degenerative Veränderungen in allen Wirbelsäulenabschnitten bestünden, die dem beiliegenden Röntgenbefund entnommen werden mögen. Die Beschwerdeführerin könne wegen der mehrfachen Beschwerden nicht längere Zeit sitzen.

In der am 23. Juli 1996 mit der Beschwerdeführerin aufgenommenen Niederschrift gab sie an, es sei richtig, dass sie vom 9. Mai bis 21. Juli 1996 im "Krankenstand" gewesen sei, sie habe am 22. Juli 1996 um 7.30 Uhr den Dienst angetreten und um

10.30 Uhr wieder verlassen, weil sie nicht in der Lage gewesen sei, längere Zeit zu sitzen "(Schmerzen in der Halswirbelsäule)". Auf Vorhalt des amtsärztlichen Gutachtens vom 10. Juli 1996 gab sie an, dass das Gutachten unrichtig sei, weil sie nicht längere Zeit sitzen könne. Ihre frühere Tätigkeit habe aus Kopierarbeiten (im Stehen) bestanden, was ihr jedoch zu anstrengend gewesen sei, da sie weder das Kopierpapier habe heben noch die erforderliche Zeit habe stehen können. Am 22. Juli 1996 habe sie Schlichtarbeiten in sitzender Haltung verrichtet.

Anlässlich ihrer Einvernahme wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert, den Dienst am 24. Juli 1996 anzutreten.

Mit Erledigung vom 4. März 1997 räumte die Dienstbehörde erster Instanz der Beschwerdeführerin neuerlich Gehör betreffend ihre verfahrensgegenständlichen Abwesenheiten vom Dienst ein.

In ihrer Eingabe vom 27. April 1997 bestreitet sie, eigenmächtig und unentschuldigt vom Dienst fern geblieben zu sein, und bringt vor, fachärztliche Gutachten über ihren Gesundheitszustand und laufend Krankmeldungen erbracht zu haben. Der Eingabe war ein "ärztliches Artest" des praktischen Arztes Dr. H. vom 2. April 1997 sowie neurologisch-psychiatrische, klinisch psychologische und orthopädische Befunde angeschlossen.

Mit Bescheid vom 24. Juli 1997 sprach die Dienstbehörde erster Instanz wie folgt ab:

"Gemäß § 32 Abs. 1 der Dienstordnung 1994 (DO 1994) haben Sie für die Zeiträume vom 4. März 1994 bis 10. März 1996, vom 12. März 1996 bis 7. Mai 1996 und vom 9. Mai 1996 bis 21. Juli 1996 sowie am 23. Juli 1996 den Anspruch auf Ihr Diensteinkommen verloren.

II.

Gemäß § 32 Abs. 1 DO 1994 gebührt Ihnen am 11. März 1996 das Gehalt des Schemas II, Verwendungsgruppe C, Dienstklasse III, Gehaltsstufe 12 mit dem Vorrückungsstichtag 22. Jänner 1996, am 8. Mai 1996 das Gehalt des Schemas II, Verwendungsgruppe C, Dienstklasse III, Gehaltsstufe 12 mit dem Vorrückungsstichtag 18. März 1996, am 22. Juli 1996 und ab 24. Juli 1996 das Gehalt des Schemas II, Verwendungsgruppe C, Dienstklasse III, Gehaltsstufe 12 mit dem Vorrückungsstichtag 1. Juni 1996.

III.

Gemäß § 6 Abs. 2 der Pensionsordnung 1995 (PO 1995) sind die im Punkt I. angeführten Zeiträume keine ruhegenussfähigen Dienstzeiten zur Stadt Wien."

Begründend führte die Dienstbehörde erster Instanz nach Wiedergabe des § 32 Abs. 1 der Dienstordnung 1994 und geraffter Darstellung des bisherigen Verfahrensganges aus, dass, da die von der Beschwerdeführerin bis dato vorgebrachten Einwende als laienhaftes Vorbringen und die von ihr vorgelegten ärztlichen Gutachten mangels Schlüssigkeit nicht geeignet seien, die amtsärztlichen Gutachten vom 14. Februar, 4. April und 10. Juli 1996 zu entkräften, davon auszugehen sei, dass ihr Fernbleiben vom Dienst weder gerechtfertigt noch entschuldigt sei. Nach weiterer Wiedergabe des § 32 Abs. 2 leg. cit. sowie des § 6 Abs. 2 der Pensionsordnung 1995 schließt die Dienstbehörde erster Instanz damit, dass spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in der sie sich im Wesentlichen gegen die Annahme einer eigenmächtigen und nicht gerechtfertigten Abwesenheit vom Dienst wendet. Sie sei jeder Aufforderung zum Dienstantritt nachgekommen. Unverständlich sei, wieso etwa das amtsärztliche Gutachten vom 14. Februar 1996 zur Überzeugung komme, ein weiterer Krankenstand sei nicht gerechtfertigt, wo die monatelang vorangegangenen Krankenstände offenbar nicht beanstandet worden seien. Es fehle jeglicher Hinweis darauf, weshalb die vorangegangenen "Krankenstände" gerechtfertigt, die nachfolgenden jedoch nicht mehr gerechtfertigt wären. Insbesondere sei von keiner Besserung des Zustandes der Beschwerdeführerin die Rede.

Auf Grund der zahlreichen von ihr vorgelegen Privatgutachten namhafter Fachärzte sei ersichtlich, dass die diversen behandelnden Ärzte geschlossen der Meinung gewesen seien, die Beschwerdeführerin wäre dienstunfähig. Nach auszugsweiser Wiedergabe der von ihr vorgelegten Befunde und Gutachten brachte sie weiters vor, bei einer derartigen Fülle von Gutachten und Testergebnissen sei die Unterstellung eines laienhaften Vorbringens merkwürdig. In Anbetracht der divergierenden Gutachten wäre es - gerade im Zuge eines amtswegigen Verfahrens - Aufgabe der Behörde gewesen, "Übergutachter" zu befragen. Keinesfalls könne man mit dem bloßen Hinweis "die vorgelegten ärztlichen Gutachten sind mangels Schlüssigkeit nicht geeignet, die amtsärztlichen Gutachten zu entkräften" das Auslangen finden, ohne sich mit der Fülle der Privatgutachten auseinander zu setzen.

Als Beilage legte die Beschwerdeführerin wiederum die Kopien der von ihren behandelten Ärzten erstellten Befunde und Gutachten bei.

Mit dem angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde in teilweiser Stattgebung der Berufung und Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides wie folgt ab:

"I.

Gemäß § 32 Abs. 1 der Dienstordnung 1994 (DO 1994) haben Sie für die Zeiträume vom 4. März 1996 bis 10. März 1996, vom 12. März 1996 bis 7. Mai 1996 und vom 9. Mai 1996 bis 21. Juli 1996 den Anspruch auf Ihr Diensteinkommen verloren.

II.

Gemäß § 32 Abs. 2 DO 1994 gebührt Ihnen am 11. März 1996 das Gehalt des Schemas II, Verwendungsgruppe C, Dienstklasse III, Gehaltsstufe 12 mit dem Vorrückungsstichtag 22. Jänner 1996, am 8. Mai 1996 das Gehalt des Schemas II, Verwendungsgruppe C, Dienstklasse III, Gehaltsstufe 12 mit dem Vorrückungsstichtag 18. März 1996 und ab 22. Juli 1996 das Gehalt des Schemas II, Verwendungsgruppe C, Dienstklasse III, Gehaltsstufe 12 mit dem Vorrückungsstichtag 1. Juni 1996.

III.

Gemäß § 6 Abs. 2 der Pensionsordnung 1995 (PO 1995) sind die im Punkt I. angeführten Zeiträume keine ruhegenussfähigen Dienstzeiten zur Stadt Wien.

IV.

Es wird festgestellt, dass Frau Susanne Haider gemäß § 32 Abs. 1 DO 1994 für den 23. Juli 1996 den Anspruch auf ihr Diensteinkommen nicht verloren hat."

Nach zusammengefasster Darstellung des Verfahrensablaufes und auszugsweiser Wiedergabe des § 32 der Dienstordnung 1994 sowie des § 6 der Pensionsordnung 1995 führt die belangte Behörde (unter Erörterung der Rechtzeitigkeit der Berufung) im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführerin am 23. Juli 1996 der Ladung der Dienstbehörde erster Instanz ordnungsgemäß Folge geleistet habe, sodass sie nicht eigenmächtig und unentschuldigt dem Dienst ferngeblieben und den Anspruch auf Diensteinkommen nicht verloren habe. Unbestritten sei, dass die Beschwerdeführerin jeder Aufforderung zum Dienstantritt nachgekommen und ihre "Krankenstände" bescheinigt habe. Jedoch bleibe die Prüfung der Frage offen, ob sie auf die Richtigkeit der ärztlichen Bestätigung habe vertrauen dürfen. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes sei das Fernbleiben des Arbeitnehmers vom Dienst nicht nur dann entschuldigt, wenn er - objektiv betrachtet - arbeitsunfähig gewesen sei, also infolge seiner Erkrankung nicht oder doch nur mit der Gefahr der Verschlechterung seines Zustandes fähig gewesen wäre, seiner bisher ausgeübten - oder sonst nach dem Arbeitsvertrag zu verrichtenden - Tätigkeit nachzukommen, sondern auch dann, wenn von einem zur Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit berufenen Arzt diese bejaht worden sei, obwohl objektiv dazu keine Veranlassung gegeben gewesen wäre, er aber auf die Richtigkeit der ausgestellten ärztlichen Bestätigung habe vertrauen dürfen. Dem Arbeitnehmer müsse in dieser Situation der gute Glaube zugebilligt werden, sich für arbeitsunfähig zu halten, wenn der Arzt zu dieser Feststellung gelange. Dem Arbeitgeber stehe dagegen aber das Recht zu, den Beweis dafür anzutreten, dass der Arbeitnehmer trotz Vorlage einer entsprechenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung arbeitsfähig gewesen sei und davon auch Kenntnis gehabt habe oder nach den Umständen des Falles offenbar hätte haben müssen. Dieser Grundsatz sei überdies dahingehend relativiert, dass der Arbeitnehmer auf die Richtigkeit einer ärztlichen Bestätigung dann nicht vertrauen dürfe, wenn diese im Wesentlichen nur auf Grund seiner eigenen Angaben über seine Beschwerden ausgestellt worden sei. Diese Grundsätze seien sinngemäß auch im Bereich der öffentlich-rechtlichen Bediensteten zu beachten. Mit amtsärztlichem Gutachten vom 14. Februar 1996 sei bereits die Dienstfähigkeit der Beschwerdeführerin festgestellt worden; hievon habe sie Kenntnis gehabt. Die von ihr in weiterer Folge vorgebrachten neuen Leiden seien objektiv nicht nachvollziehbar gewesen. Die ärztlichen Bestätigungen seien demnach im Wesentlichen nur auf Grund ihrer Angaben und Beschwerden ausgestellt worden, weshalb die Beschwerdeführerin auf deren Richtigkeit nicht habe vertrauen dürfen und ihr Fernbleiben vom Dienst trotz Vorlage der ärztlichen Bescheinigungen nicht gerechtfertigt gewesen sei.

Die von ihr vorgelegten ärztlichen Unterlagen seien nicht geeignet, die schlüssigen und widerspruchsfreien Gutachten der amtsärztlichen Untersuchungsstelle vom 14. Februar, 4. April und 10. Juli 1996 zu entkräften. Ein von einem tauglichen Sachverständigen erstelltes, mit den Erfahrungen des Lebens und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch stehendes Gutachten könne in seiner Beweiskraft nur durch ein gleichwertiges Gutachten bekämpft werden. Die Beschwerdeführerin habe gegen die schlüssigen und widerspruchsfreien Sachverständigengutachten den Gegenbeweis durch ein fachlich fundiertes Gutachten zu erbringen gehabt. Keine der von der Beschwerdeführerin vorgelegten ärztlichen Unterlagen stelle ein Gutachten im Rechtsinn dar, weil das Gutachten eines Sachverständigen aus einem Befund und dem Urteil, dem Gutachten im engeren Sinn, zu bestehen habe. Hiebei habe der Befund all jene Grundlagen und die Art ihrer Beschaffung zu nennen, die für das Gutachten, das auf den Befund stützende Urteil, erforderlich seien. Dieses Urteil müsse so begründet sein, dass es auf seine Schlüssigkeit hin überprüft werden könne.

Die belangte Behörde hege keine Zweifel an der Unbefangenheit der amtsärztlichen Gutachter. Der Beschwerdeführerin wäre es freigestanden, ein Gutachten eines Sachverständigen ihres Vertrauens beizubringen. Ein Anlass zur Beiziehung eines nichtamtlichen Sachverständigen habe nicht bestanden.

Da die amtsärztlichen Gutachten vom 14. Februar, 4. April und 10. Juli 1996 schlüssig und widerspruchsfrei seien, seien die Schlussfolgerungen dieser Gutachten als richtig anzusehen, weshalb auch keine Voraussetzung für die Beiziehung eines nichtamtlichen Sachverständigen gegeben gewesen sei. Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin lägen keine divergierenden Gutachten (Amtsgutachten - "Privatgutachten") vor, weil die von ihr vorgelegten ärztlichen Unterlagen keine Gutachten im Rechtsinn seien.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt wird.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Die Beschwerdeführerin legte mit ihren Schriftsätzen vom 4. Juni 1999 und 14. September 2000 "trotz Kenntnis des bestehenden Neuerungsverbotes" weitere Befunde, Gutachten und sonstige Urkunden vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin sieht sich durch den - offenkundig jedoch nur in den Punkten I. bis III. - angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Diensteinkommen sowie dem damit verbundenen Recht auf Festsetzung des Vorrückungsstichtages sowie auf Ruhegenussfähigkeit der beschwerdegegenständlichen Zeiträume verletzt.

Unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bringt sie vor, dass die belangte Behörde gegen den Grundsatz der Offizialmaxime und gegen die Verfahrensbestimmung des § 8 Abs. 1 DVG verstoßen habe. Ob eine Erkrankung Dienstunfähigkeit des Beamten bedinge, sei nach der Lage des konkreten Falles von der Dienstbehörde zu beurteilen und dann gegeben, wenn der Beamte wegen konkret bei ihm gegebener Folgen einer Erkrankung den an seinem augenblicklichen Arbeitsplatz an ihn konkret gestellten dienstlichen Anforderungen nicht entsprechen könne. Daher komme es darauf an, worin die Tätigkeiten bestünden, deren Ausübung angesichts der seinerzeitigen tatsächlichen Verwendung zu den Dienstpflichten des Beamten gehörten und welche Tätigkeiten bei seinem Gesundheitszustand zumutbar gewesen seien. Die Gegenüberstellung dieser beiden Gruppen ermögliche erst die der Behörde allein obliegende Lösung der Rechtsfrage, ob ein ausreichender Entschuldigungsgrund für ein Fernbleiben vom Dienst bestanden habe oder nicht. Die belangte Behörde habe diese Gegenüberstellung nicht durchgeführt. Auch in den eingeholten amtsärztlichen Gutachten finde sich dafür kein Substrat und keine Basis.

Schon mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf:

Gemäß § 32 Abs. 1 erster Satz des Gesetzes über das Dienstrecht der Beamten der Bundeshauptstadt Wien (Dienstordnung 1994 - DO 1994), LGBl. Nr. 56, verliert ein Beamter, der eigenmächtig und unentschuldigt dem Dienst fernbleibt, für die Dauer einer solchen Abwesenheit den Anspruch auf sein Diensteinkommen.

Nach Abs. 2 dieser Bestimmung hemmt die Zeit des eigenmächtigen und unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst in der Dauer von mehr als drei Tagen den Lauf der Dienstzeit.

Nach § 6 Abs. 2 zweiter Satz des Gesetzes über das Pensionsrecht der Beamten der Bundeshauptstadt Wien, ihrer Hinterbliebenen und Angehörigen (Pensionsordnung 1995 - PO 1995), LGBl. Nr. 67, ist die Zeit eigenmächtigen und unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst in der Dauer von mehr als drei Tagen von der ruhegenussfähigen Dienstzeit ausgenommen.

Im Beschwerdefall ist zunächst strittig und zu beurteilen, ob die belangte Behörde zu Recht davon ausgegangen ist, dass die Beschwerdeführerin in der Zeit vom 4. bis 10. März 1996, vom 12. März bis 7. Mai 1996 und vom 9. Mai bis 21. Juli 1996 eigenmächtig und unentschuldigt den Dienst ferngeblieben ist; davon ist die Rechtmäßigkeit der in den Punkten I. bis III. des Spruches des angefochtenen Bescheides angegebenen (weiteren) Rechtsfolgen abhängig.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 21. Februar 2001, Zl. 98/12/0219 (mwN), zur Frage der eigenmächtigen und unentschuldigten Abwesenheit vom Dienst im Sinn des § 32 DO 1994 ausgeführt, es sei richtig, dass eine ärztliche Bescheinigung die Abwesenheit eines Beamten vom Dienst nicht an sich zu einer gerechtfertigten mache. Ob eine Erkrankung Dienstunfähigkeit des Beamten bedinge, sei nach der Lage des konkreten Falles von der Dienstbehörde zu beurteilen und dann gegeben, wenn der Beamte wegen konkret bei ihm gegebener Folgen einer Erkrankung den an seinem augenblicklichen Arbeitsplatz an ihn konkret gestellten dienstlichen Anforderungen nicht entsprechen könne. Daher komme es drauf an, worin die Tätigkeiten bestünden, deren Ausübung angesichts der seinerzeitigen tatsächlichen Verwendung zu den Dienstpflichten des Beamten gehörten, und welche Tätigkeiten bei seinem Gesundheitszustand zumutbar gewesen seien. Erst die Gegenüberstellung dieser beiden Gruppen ermögliche die der Behörde allein obliegende Lösung der Rechtsfrage, ob ein ausreichender Entschuldigungsgrund für ein eigenmächtiges Fernbleiben vom Dienst bestanden habe oder nicht.

Diesen Anforderungen wird das im Beschwerdefall durchgeführte behördliche Verfahren nicht gerecht. Weder der erstinstanzliche noch der angefochtene Bescheid enthalten die im Sinn der wiedergegebenen Rechtsprechung erforderliche Gegenüberstellung der an die Beschwerdeführerin an ihrem Arbeitsplatz gestellten Anforderungen mit der bei ihr - unter Berücksichtigung ihrer auch amtsärztlich anerkannten gesundheitlichen Einschränkungen - noch gegebenen Einsatzfähigkeit. Insbesondere die belangte Behörde stützte sich im Wesentlichen nur auf die von ihr angenommene Schlüssigkeit der amtsärztlichen Gutachten vom 14. Februar, 4. April und 10. Juli 1996 und deren mangelnde Erschütterung durch die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Beweismittel, ohne jedoch eigene Feststellungen zur konkreten Einsatzfähigkeit der Beschwerdeführerin zu treffen, wie dies die Beschwerde zutreffend aufzeigt.

Ob die Erkrankung bzw. die gesundheitlich bedingte Einschränkung der Einsetzbarkeit der Beschwerdeführerin ihre Dienstunfähigkeit im angegebenen Zeitraum bewirkt haben oder nicht, ist als Rechtsfrage durch die Dienstbehörde zu beurteilen. Diese Beurteilung setzt eine verfahrensrechtlich unbedenkliche Feststellung und Gegenüberstellung der von der Beschwerdeführerin an ihrem Arbeitsplatz zu erbringenden Tätigkeiten mit den von ihr auf Grund ihres eingeschränkten gesundheitlichen Zustandes noch ausübbaren Verrichtungen voraus; dies ist jedoch im vorliegenden Fall unterblieben.

Im Hinblick auf die aufgezeigten Verfahrensmängel war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001, BGBl. II Nr. 501. Die im Betrag von S 2.500,-- entrichtete Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG war im Betrag von EUR 181,68 zuzusprechen.

Wien, am 20. Februar 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1998120444.X00

Im RIS seit

08.05.2002

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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