TE Vfgh Erkenntnis 1999/3/11 V61/98

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Veröffentlicht am 11.03.1999
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art18 Abs2
Halte- und ParkverbotsV des Magistrats der Stadt Wien vom 08.03.82 betr Wien 8. Florianigasse 1
StVO 1960 §94f Abs1 litb Z2

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit eines Halte- und Parkverbots in der Nähe mehrerer Justiz- und Behördengebäude wegen Verletzung des Anhörungsrechts der gesetzlichen Interessenvertretung der Rechtsanwälte

Spruch

Die Verordnung des Magistrates der Stadt Wien vom 8. März 1982, Z MA 46 V8-2/82, soweit damit

"in Wien 8., Florianigasse 1, das Halten und Parken für Fahrzeuge aller Art, MO - FR (w) 7 - 17 Uhr, ausgenommen Ladetätigkeit mit Lastkraftfahrzeugen auf einer Länge von 20 m verboten (wurde)",

war gesetzwidrig.

Die Wiener Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Magistrat der Stadt Wien erließ am 8. März 1982 unter Berufung auf die §§43 Abs1 litb und 94d StVO 1960 folgende Verordnung:

"In Wien 8., Florianigasse 1, ist das Halten und Parken für Fahrzeuge aller Art, MO - FR (w) 7 - 17 Uhr, ausgenommen Ladetätigkeit mit Lastkraftfahrzeugen auf einer Länge von 20 m verboten."

Diese Verordnung wurde durch Aufstellen der Verbotszeichen gemäß §52 lita Z13b StVO 1960 mit entsprechender Zusatztafel kundgemacht.

2. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 17. Jänner 1996 befand der Unabhängige Verwaltungssenat Wien den Beteiligten, der zum Zeitpunkt der Beschwerdeeinbringung Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in Wien war, gemäß §24 Abs1 lita StVO 1960 schuldig, am 31. März 1995 um 15.33 Uhr in Wien 8., Florianigasse 1, ein Kraftfahrzeug im Bereich des Vorschriftszeichens "Halten und Parken verboten" ("Ladezone"), abgestellt zu haben, ohne eine Ladetätigkeit vorzunehmen, wodurch ein berechtigter Fahrzeuglenker am Zufahren zur Ladezone gehindert wurde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die zu B951/96 protokollierte Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher der Beteiligte als Beschwerdeführer die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums "bzw. Nichtbestrafung aufgrund einer gesetzwidrigen Verordnung" sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung geltend macht. Die angewendete Verordnung sei nämlich nicht ordnungsgemäß im Landesgesetzblatt für Wien kundgemacht und zudem ohne Anhörung der Kammern der freien Berufe erlassen worden. In unmittelbarer Nähe des von der Verordnung umfaßten Bereiches befänden sich Gerichtsgebäude, die Notariatskammer und andere Behörden sowie die Kanzleien mehrerer Rechtsanwälte. Die Interessen seiner Berufsgruppe seien durch die Verordnung betroffen, weshalb die Verletzung der Anhörungspflicht einen Formmangel darstelle, der die Gesetzwidrigkeit der Verordnung bewirke. Die Anbringung von Verkehrszeichen in Tafelform sei zudem lediglich ein Indiz für eine Verordnung, nicht aber für deren Rechtsmäßigkeit.

Die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrheit des Eigentums wurde in der Beschwerde nicht näher konkretisiert.

3. Der Verfassungsgerichtshof teilte die Bedenken des Beteiligten ob der Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Magistrates der Stadt Wien vom 8. März 1982 und leitete gemäß Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen das gegenständliche Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit jenes Teiles der Verordnung ein, soweit "in Wien 8., Florianigasse 1, das Halten und Parken für Fahrzeuge aller Art, MO - FR (w) 7 - 17 Uhr, ausgenommen Ladetätigkeit mit Lastkraftfahrzeugen auf einer Länge von 20 m verboten (wird)".

4.a. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien erstattete eine Äußerung, in der auf die im Verfahren zu B951/96 vorgelegte Gegenschrift verwiesen und im wesentlichen das Vorliegen einer spezifischen Interessenbetroffenheit der Berufsgruppe der Rechtsanwälte durch die gegenständliche Verordnung bestritten wird.

b. Der Magistrat der Stadt Wien verteidigt in seiner Äußerung die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnung. Eine spezifische Interessenbetroffenheit der Berufsgruppe der Rechtsanwälte liege schon mangels Nähe der gegenständlichen Halteverbotszone zu einem mehrere Behörden beherbergenden Gebäude nicht vor, komme doch keinem der in der Nähe der Halteverbotszone gelegenen Gerichte oder Magistratsdienststellen jene Multifunktionalität zu, wie sie etwa dem Justizpalastgebäude eigen sei. Durch die lediglich im Nahebereich von Gerichten und Ämtern gelegene Halteverbotszone werde den Rechtsanwälten die Ausübung ihres Berufes weder besonders erschwert noch unmöglich gemacht. Gerade in Wien käme man angesichts der Fülle der in manchen Bezirken in einem unmittelbaren örtlichen Naheverhältnis zueinander stehenden Gerichts- und Verwaltungsgebäude sonst zu dem Ergebnis, daß in großen Teilen Wiens immer die Interessenvertretung der Rechtsanwälte vor Erlassung straßenpolizeilicher Verordnungen gehört werden müßte. Diese weitreichende Beteiligung gesetzlicher Interessenvertretungen an Verfahren zur Erlassung verkehrsbeschränkender Verordnungen sei vom Gesetzgeber jedoch nicht gewollt.

Gemeinsam mit dieser Äußerung wurde dem Verfassungsgerichtshof die Verordnung des Magistrates der Stadt Wien vom 26. März 1997, Z MA 46-V-8-635/97, kundgemacht am 5. Mai 1997 durch Aufstellen der Verbotszeichen gemäß §52 lita Z13b StVO 1960, übermittelt, mit der in Wien 8., Florianigasse 1, das Halten und Parken mit Fahrzeugen aller Art auf einer Länge von 15 m von der Gehsteigvorziehung bis zur Hauseinfahrt von Mo.-Fr. (werktags) in der Zeit von 8.00 bis 12.00 Uhr, davon ausgenommen die Ladetätigkeit mit Lastfahrzeugen, verboten wurde. Der Magistrat der Stadt Wien beantragt daher die Feststellung, daß die Verordnung des Magistrats der Stadt Wien vom 8. März 1982 nicht gesetzwidrig war.

c. Die Wiener Landesregierung schließt sich in ihrer Äußerung ausdrücklich dem Antrag und den Ausführungen des Magistrats der Stadt Wien an.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Das Verordnungsprüfungsverfahren ist zulässig. Die in Prüfung stehende Verordnung bildet eine der Rechtsgrundlagen des angefochtenen - keinem weiteren Rechtszug unterliegenden - Berufungsbescheides; sie ist demnach auch bei Fällung des Erkenntnisses über die vom Beschwerdeführer erhobene Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG anzuwenden und somit in dieser Beschwerdesache präjudiziell im Sinne des Art139 Abs1 Satz 1

B-VG.

2. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes sind begründet.

§94f Abs1 litb Z2 StVO 1960 schreibt zwingend vor, daß die Gemeinde (§94d StVO 1960) vor Erlassung einer entsprechenden Verordnung - außer bei Gefahr im Verzuge - dann, wenn Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe berührt werden, die gesetzliche Interessenvertretung dieser Berufsgruppe anzuhören hat. Wird diese Anhörungspflicht verletzt, haftet der Verordnung ein formaler Mangel an. Sie ist - wegen Verstoßes gegen §94f Abs1 litb Z2 StVO 1960 - gesetzwidrig (vgl. VfSlg. 5784/1968, 9818/1983, 11920/1988, 13783/1994, 14053/1995, 14439/1996, ua.).

Dies trifft hier wegen der verabsäumten Anhörung der gesetzlichen Interessenvertretung der Rechtsanwälte zu.

Bereits in VfSlg. 5784/1968 hat der Verfassungsgerichtshof angenommen, daß "das Interesse einer Berufsgruppe ... jedenfalls dann berührt (wird), wenn durch eine Verkehrsbeschränkung die Ausübung des betreffenden Gewerbes erschwert oder gar unterbunden wird".

Im Zusammenhang mit einer Halteverbotsverordnung in Wien 1., Schmerlingplatz, vor dem Wiener Justizpalastgebäude (vgl. VfSlg. 9818/1983) sah der Verfassungsgerichtshof "mit Rücksicht auf den Bestimmungszweck des Justizpalastes und angesichts der dort gegebenen örtlichen Verhältnisse berufliche Interessen (jedenfalls) der Rechtsanwälte im allgemeinen - und nicht nur etwa des einen oder anderen Angehörigen dieses Berufstandes - iS einer Erschwerung der Berufsausübung" berührt, "(d)enn die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes erfordert in nicht unwesentlichem Umfang den Besuch dieses mehrere teils zentrale Justizbehörden beherbergenden Gebäudes und läßt insoweit besonderen Bedarf an Parkplätzen in der unmittelbaren Umgebung des Schmerlingplatzes enstehen".

Eine ähnliche Situation ist auch im vorliegenden Fall gegeben. In unmittelbarer Nähe des von der gegenständlichen Verordnung umfaßten Teiles der Florianigasse befinden sich das Landesgericht für Strafsachen Wien mit der Justizanstalt Wien, das Bezirksgericht Josefstadt, das Arbeits- und Sozialgericht Wien, die Österreichische Notariatskammer und mehrere Dienststellen des Magistrats der Stadt Wien. Diese durch die räumliche Konzentration zentraler Justiz- und Behördengebäude und die örtlichen Verhältnisse gekennzeichnete Situation ist mit jener dem zitierten Erkenntnis zugrundeliegenden Situation um den Wiener Justizpalast vergleichbar.

Es kann daher auch hier nicht zweifelhaft sein, daß die gegenständliche Halte- und Parkverbotsverordnung jedenfalls die beruflichen Interessen der Rechtsanwälte im allgemeinen - und nicht nur etwa jener Rechtsanwälte, die im Umkreis der unteren Florianigasse ihren Kanzleisitz haben - im Sinne einer Erschwerung der Berufsausübung "berühren" mußte, erfordert doch die Ausübung des Berufes des Rechtsanwaltes in nicht unwesentlichem Umfang das Aufsuchen der oben genannten Einrichtungen und läßt insoweit besonderen Bedarf an Parkplätzen in deren unmittelbarer Umgebung entstehen.

Dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien, der der Begründung des Prüfungsbeschlusses zu entnehmen vermeint, daß die im näheren Umkreis der Verordnung befindlichen Rechtsanwaltskanzleien allein die spezifische Interessenbetroffenheit der Rechtsanwälte begründete, wird ausdrücklich entgegengehalten, daß - wie im Prüfungsbeschluß zutreffend ausgeführt - die spezifische Interessenbetroffenheit der Rechtsanwälte durch Konzentration von Gerichts- und Behördengebäuden auf engstem Raum begründet wurde. Für die verordnungserlassende bzw. die belangte Behörde wird es daher in Hinkunft gerade nicht notwendig sein, "(abzuschätzen), ab welcher Anzahl von Rechtsanwaltskanzleien in welchem Umkreis nun eine solche Interessenbetroffenheit begründet wird".

Unter diesen Umständen - Gefahr im Verzuge wurde nicht geltend gemacht und lag, wie der Akteninhalt zeigt, auch tatsächlich nicht vor - ergibt sich, daß die Verordnung nicht gesetzmäßig zustandegekommen ist. Da sie infolge der vom Magistrat der Stadt Wien erlassenen Verordnung vom 26. März 1997 derzeit nicht mehr in Kraft steht, hatte der Verfassungsgerichtshof gemäß Art139 Abs4 B-VG lediglich auszusprechen, daß diese Norm gesetzwidrig war.

3. Die Verpflichtung der Wiener Landesregierung zur Kundmachung erfließt aus Art139 Abs5 B-VG.

4. Dieses Erkenntnis wurde gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefällt.

Schlagworte

Verordnungserlassung, Straßenpolizei, Halte(Park-)verbot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:V61.1998

Dokumentnummer

JFT_10009689_98V00061_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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