TE Vwgh Erkenntnis 2002/3/20 98/03/0351

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Veröffentlicht am 20.03.2002
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Index

L92059 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Wien;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §13 Abs1;
AVG §37;
SHG Wr 1973 §4;
SHG Wr 1973 §6;
SHG Wr 1973 §8 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Bernegger, Dr. Riedinger und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde des GM in Wien, vertreten durch Dr. Erich Rene Karauscheck, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Biberstraße 15, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 2. Juli 1998, Zl. MA 12-10350/98A, betreffend Sozialhilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 12, Sozialreferat für den 2. Bezirk, vom 11. März 1998 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung einer Mietbeihilfe von S 704,-- bzw. S 928,-- und einer Heizbeihilfe von S 404,-- monatlich für den Zeitraum 1. Feber 1997 bis 31. Dezember 1997 gemäß §§ 4, 8, 12 und 13 sowie 37 a des Wiener Sozialhilfegesetzes LGBl. Nr. 11/1973 i.d.F. LGBl. Nr. 29/1997 (WSHG), und §§ 1, 4 und 5 der Verordnung der Wiener Landesregierung vom 23. Feber 1973, LGBl. Nr. 13/1973 i. d.F. LGBl. Nr. 77/1995, abgewiesen. Begründet wurde dieser Bescheid im Wesentlichen damit, dass der Antrag auf Zuerkennung einer Mietbeihilfe und einer Heizbeihilfe durch den Beschwerdeführer am 7. November 1997 beim Sozialreferat eingebracht worden sei. Die Behörde habe den Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass er die notwendigen Unterlagen - wie etwa den Mietvertrag - nachzureichen habe, widrigenfalls sein Antrag abgelehnt werde. Die erforderlichen Unterlagen seien der Erstbehörde aber erst im Jänner 1998 vorgelegt worden, daher habe bis zur Vorlage der Unterlagen keine Zuerkennung der Mietzinsbeihilfe erfolgen können. Darüber hinaus sei für den Zeitraum von Feber 1997 bis Antragstellung im November 1997 eine Miet- und Heizbeihilfe keinesfalls zu gewähren, weil grundsätzlich für die Vergangenheit keine Sozialhilfeleistung gewährt werden könne.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 2. Juli 1998 gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Sie begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, eine Grundlage für die Gewährung von Mietbeihilfe (und Heizbeihilfe) sei bis zum Antrag am 7. November 1997 nicht gegeben gewesen, weil der Beschwerdeführer erst an diesem Tag bei der Behörde diesbezüglich vorgesprochen habe. Gemäß § 4 des Wiener Sozialhilfegesetzes bestehe kein Anspruch auf Gewährung von Sozialhilfe für die vor diesem Tag liegende Vergangenheit. Sowohl bei seiner Antragstellung am 7. November 1997 als auch danach (am 5. Dezember 1997) sei ihm nachweislich zur Kenntnis gebracht worden, dass ihm die Beihilfen erst gewährt werden könnten, wenn er die nötigen Unterlagen, wie etwa den Mietvertrag, vorgelegt habe. Die Unterlagen, nämlich die "Urteile des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 2.4.1991 und des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 20.9.1984", habe der Beschwerdeführer erst im Jänner 1998 beigebracht, sodass ihm auch gestützt auf § 37 a des Wiener Sozialhilfegesetzes die Beihilfen nicht gewährt hätten werden können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes des Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, mit der der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Für den Beschwerdefall sind folgende Bestimmungen des WSHG

von Bedeutung:

"Vorbeugende und nachgehende Hilfe

§ 4. Sozialhilfe ist nicht nur zur Beseitigung einer bestehenden Notlage, sondern auch vorbeugend zu gewähren, wenn dadurch einer drohenden Notlage entgegengewirkt werden kann. Die Sozialhilfe ist auch nach Beseitigung der Notlage fortzusetzen, wenn das notwendig ist, um die Wirksamkeit der geleisteten Hilfe zu sichern oder Rückschläge zu vermeiden.

...

Einsetzen der Sozialhilfe

§ 6. Die Sozialhilfe hat rechtzeitig einzusetzen. Sie ist auch ohne Antrag des Hilfe Suchenden zu gewähren, sobald Tatsachen bekannt werden, die eine Hilfeleistung erfordern.

Anspruch

§ 8. (1) Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes hat nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen dieses Abschnittes, wer den Lebensbedarf für sich und die mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält.

...

Lebensbedarf

§ 11. (1) Zum Lebensbedarf gehören 1. Lebensunterhalt,

2. Pflege, 3. Krankenhilfe, 4. Hilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen, 5. Hilfe zur Erziehung und Erwerbsbefähigung.

(2) Der Lebensbedarf kann in Form von Geldleistungen, Sachleistungen oder persönlicher Hilfe gesichert werden.

Lebensunterhalt

§ 12. Der Lebensunterhalt umfasst insbesondere Unterkunft, Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat, Beheizung, Beleuchtung, Kochfeuerung und andere persönliche Bedürfnisse. Zu den persönlichen Bedürfnissen gehört auch die Pflege der Beziehungen zur Umwelt und die Teilnahme am kulturellen Leben in angemessenem Ausmaß.

Geldleistungen

§ 13 (1) Die Bemessung von Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes hat unter Anwendung von Richtsätzen zu erfolgen. Die Richtsätze sind durch Verordnung der Landesregierung festzusetzen.

...

(6) Der nicht durch den Richtsatz gedeckte Bedarf im Rahmen des Lebensunterhaltes, insbesondere die Unterkunft, Bekleidung, Hausrat und Beheizung ist durch zusätzliche Geld- oder Sachleistungen zu decken, deren Ausmaß nach den Erfordernissen des einzelnen Falles zu bemessen ist. Bei alten oder erwerbsunfähigen Beziehern wiederkehrender monatlicher Geldleistungen zur Sicherung des Lebensbedarfes kann dieser Bedarf durch einen Zuschlag zum Richtsatz pauschal abgedeckt werden. ...

§ 37a. ...

(2) Wenn ein Hilfesuchender ohne triftigen Grund einer schriftlichen Aufforderung zum Erscheinen zu einer ärztlichen Untersuchung nicht entspricht oder sich weigert, die zur Durchführung des Verfahrens unerlässlichen Angaben zu machen, kann die Hilfeleistung abgelehnt oder solange eingestellt werden, bis er dem Auftrage nachkommt. Er muss auf die Folgen seines Verhaltens nachweislich aufmerksam gemacht worden sein. Eine Nachzahlung für die Zeit der Ablehnung oder Einstellung der Hilfeleistung unterbleibt. ..."

In § 5 der Verordnung der Wiener Landesregierung betreffend die Festsetzung der Richtsätze in der Sozialhilfe, LGBl. Nr. 13/1973, in der Fassung der jeweils anzuwendenden Novelle - hier von der Behörde genannt die Novelle LGBl. Nr. 77/1995 - finden sich die näheren Regelungen über die Abdeckung des Bedarfes des Hilfesuchenden, insoweit er nicht durch den Richtsatz gedeckt wird, im Besonderen der Mietbeihilfe und der Heizbeihilfe.

Der Beschwerdeführer rügt, dass die belangte Behörde die ursprüngliche Antragstellung vom 17. Feber 1997 sowie die besonderen aus der Regelungsmaterie des Wiener Sozialhilfegesetzes erwachsenden materiellrechtlichen wie verfahrensrechtlichen Rechtsschutzgarantien außer Betracht gelassen habe und bringt vor, er habe sowohl im Antrag selbst als auch durch seine persönliche Aussage die Voraussetzungen zur Gewährung von Miet- und Heizbeihilfe bereits am 17. Feber 1997 hinreichend unter Beweis gestellt, sodass der Antrag vom 17. Feber 1997 bereits einen Antrag auf Gewährung von Miet- und Wohnbeihilfe umfasst habe bzw. ein solcher von der Behörde im Sinne des § 6 WSHG als gestellt anzunehmen gewesen wäre und überdies ihn die Behörde entsprechend anleiten hätte müssen.

Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Feber 2002, Zl. 98/03/0130) ist vom allgemeinen Rechtsgrundsatz auszugehen, wonach Anträge im Allgemeinen nur pro futuro wirken. Soll ein Antrag auch auf einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt wirken, muss ausdrücklich eine Normengrundlage dafür vorhanden sein. Bei der Hilfegewährung nach dem Wiener Sozialhilfegesetz ist - ausgehend von § 4 WSHG - grundsätzlich situationsbezogen auf die aktuelle Notlage abzustellen. Die Gewährung von Leistungen für die Vergangenheit scheidet aus, es sei denn, dass Umstände der Vergangenheit eine aktuelle oder unmittelbar drohende Notlage bedingen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 23. Juni 1998, Zl. 97/08/0114, m.w.H.). Dies hat die Behörde zunächst zutreffend erkannt.

Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass es für die Gewährung von Sozialhilfe nach dem Wiener Sozialhilfegesetz keines förmlichen Antrages des Hilfesuchenden bedarf, um ihn in den Genuss von Sozialhilfeleistungen kommen zu lassen. Es trifft den Hilfesuchenden zwar jedenfalls eine Mitwirkungspflicht, die Tatsachen, die eine Hilfeleistung von Seiten des Sozialhilfeträgers erforderlich machen, der Behörde zur Kenntnis zu bringen, um sie in die Lage zu versetzen, die näheren Umstände, aus denen das Bestehen des Anspruches abgeleitet werden kann, zu ermitteln. Dies ist in der Regel Aufgabe des Hilfesuchenden, weil er über die näheren Umstände seiner Bedürftigkeit am Besten Bescheid weiß, und sich die Behörde ohne seine Mitwirkung nicht oder nur sehr schwer davon Kenntnis verschaffen kann. Diese Mitwirkung an der Sachverhaltsfeststellung erschöpft sich aber weder in einer förmlichen Antragstellung, noch setzt sie diese voraus. Wenn die Behörde daher aus anderen Quellen Kenntnis von der Notlage des Hilfesuchenden haben kann, so hat sie die Sozialhilfe gegebenenfalls zu gewähren (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. September 1995, Zl. 94/08/0099).

Dies hat die Behörde verkannt. Der Beschwerdeführer hat bereits anlässlich seiner Antragstellung im Feber 1997 beantragt, ihm eine "Geldaushilfe für LB", also Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes, zu gewähren, sodass entgegen der Auffassung eine förmliche Einschränkung des Antrages ausschließlich auf Gewährung einer "Richtsatzdifferenz" nicht gegeben war. Bereits damals stellte er dar, dass er, gemeinsam mit einer weiteren namentlich bezeichneten Person Hauptmieter einer Wohnung sei, die mit einer Etagenheizung ausgestattet sei, und deren Mietkosten S 1.409,-- monatlich betrügen. Nach den im Verwaltungsakt erliegenden Stellungnahmen und Ermittlungen im "Sozialverfahren" sei die Wohnung "mit Handschlag" (also ohne schriftlichen Mietvertrag) vermietet worden. Ferner hat der Beschwerdeführer schon damals eine Reihe von Unterlagen vorgelegt, unter anderem auch ein Protokoll einer Tagsatzung vor dem Bezirksgericht Donaustadt, aus dem Hinweise zu dem vom Beschwerdeführer behaupteten Mietverhältnis abgeleitet werden können. Insbesondere hat das Bezirksgericht Donaustadt darin die Aussage des Antragsgegners des Beschwerdeführers in der dort gegenständlichen Mietsache protokolliert, die Hinweise für einen seinerzeit (mündlich) abgeschlossenen Mietvertrag mit dem Beschwerdeführer ergibt. Wenn daher die belangte Behörde, wie sie im angefochtenen Bescheid darlegte, vom Beschwerdeführer die Vorlage eines (schriftlichen) Mietvertrages verlangte, hat sie übersehen, dass nach den auf Grund des ersten Antrages des Beschwerdeführers durchgeführten Ermittlungen der Erstbehörde ein schriftlicher Mietvertrag nicht existiert. Darüber hinaus hätte sie schon die damals vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen in die Lage versetzt, allfällige weitere Ermittlungen durchzuführen. So hätte sie etwa den im Protokoll namentlich genannten Antragsgegner des Beschwerdeführers oder die vom Beschwerdeführer genannte Mitbewohnerin der in Rede stehenden Wohnung zum Mietverhältnis und die für die Wohnung zu bezahlenden Aufwendungen befragen können.

Da die belangte Behörde somit jedenfalls bereits auf Grund der Antragstellung im Feber 1997 zu solchen Ermittlungen in der Lage war, ist ihre Auffassung, der Beschwerdeführer sei einer ihm im Grunde des § 35a WSHG zukommenden Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen, verfehlt. Darüber hinaus vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen, welche nicht schon auf Grund der seinerzeit vorgelegten Unterlagen zu gewinnende Aufschlüsse die belangte Behörde aus den im Jänner 1998 beigebrachten Unterlagen abzuleiten in der Lage war.

Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannte, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 20. März 2002

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1998030351.X00

Im RIS seit

06.06.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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