TE Vwgh Erkenntnis 2002/3/22 98/21/0012

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Veröffentlicht am 22.03.2002
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §67;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde des E, geboren am 25. Oktober 1977, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 24. November 1997, Zl. Fr 1181/1997, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid stellte die belangte Behörde gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, fest, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer in seiner angeblichen Heimat Liberia gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei. Nach der Begründung dieses Bescheides habe der Beschwerdeführer im Asylverfahren bzw. zu seinem Antrag nach § 54 Abs. 1 FrG vorgebracht, er wäre während des Krieges in Liberia von Leuten des Charles Taylor rekrutiert worden und hätte sich dieser Gruppe im Jahre 1989 angeschlossen. Im Juli 1996 hätte er diese Gruppe verlassen, da er nicht habe kämpfen wollen und wäre deshalb von den Angehörigen dieser Gruppe verfolgt worden. Die Flucht von dieser bewaffneten Gruppe sei ihm während der Unterbrechung einer Fahrt gelungen, bei welcher er in ein anderes Camp hätte überstellt werden sollen. Der Beschwerdeführer vermute, dass den anderen Soldaten seine Abwesenheit erst kurz vor der Weiterfahrt aufgefallen wäre, weil die anwesenden Personen in der Regel vor der Abfahrt kontrolliert worden wären. Es gäbe aber eine Spezialtruppe, welche geflüchtete Soldaten auffinden und töten würde. Zur Frage, wie diese Gruppe den Beschwerdeführer in Liberia hätte finden können, obwohl er keinen Ausweis gehabt habe, habe der Beschwerdeführer angegeben, dass er im Falle seiner Erkennung hätte getötet werden können oder wieder zwangsrekrutiert worden wäre.

Mit diesen Angaben habe der Beschwerdeführer, so die belangte Behörde, das Bestehen einer Bedrohung im Sinn des § 37 FrG nicht glaubhaft machen können. Der Beschwerdeführer habe keine Bescheinigungsmittel dafür vorgelegt, dass er überhaupt Mitglied der bewaffneten Rebellengruppen des Charles Taylor gewesen sei. Seine Behauptungen vor der Asylbehörde seien widersprüchlich, weil er dort einerseits angegeben habe, sich im Jahre 1989 dieser Gruppe "angeschlossen" zu haben, was die belangte Behörde als freiwillige Teilnahme werte, und andererseits ausgesagt habe, von der Gruppe des Charles Taylor "rekrutiert" worden zu sein. Schließlich kämen noch die "eigenartig anmutenden Umstände" der Flucht des Beschwerdeführers hinzu, nach denen der Beschwerdeführer während einer Rast hätte flüchten können, "ohne dass dieser bemerkenswerte Umstand jemand aufgefallen wäre". Die Angaben des Beschwerdeführers seien daher als absolut unglaubwürdig anzusehen, zumal sie den allgemeinen Erfahrungswerten und logischen Denkgesetzen widersprächen und im Übrigen nicht belegbar seien. Aber selbst unter der Annahme, dass der Beschwerdeführer in den seinerzeitigen Bürgerkriegswirren in Liberia durch Rebellengruppen bedroht worden wäre, könne nicht von einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung im Sinn des § 37 FrG ausgegangen werden. Die politische Situation in Liberia habe sich nämlich dahingehend geändert, dass Charles Taylor seit 1997 Staatspräsident von Liberia sei, weshalb davon auszugehen sei, er habe den Kampf um die Macht im Land beendet. Im vorliegenden Fall fänden sich daher keine konkret nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer wegen seiner angeblichen seinerzeitigen Weigerung im Falle seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat bedroht wäre, zumal nach Ansicht der belangten Behörde "jegliche konkrete Nachvollziehbarkeit für eine entsprechende Verfolgungsmotivation fehlt". Dem Jahresbericht 1997 von Amnesty International sei im Übrigen zu entnehmen, dass die staatliche Autorität in Liberia, welche durch die internationalen ECOMOG-Truppen unterstützt werde, in der Lage und willens sei, Übergriffe "bewaffneter Rebellengruppen auf Zivilisten" zu ahnden, sodass sich der Beschwerdeführer bei Rückkehr nach Liberia unter den Schutz der dortigen Staatsgewalt stellen könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Im Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen und von der Behörde das Vorliegen konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 leg. cit. die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2001, Zl. 96/21/1111).

Gegen die Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid wendet die Beschwerde ein, die belangte Behörde habe keine relevanten Argumente dafür liefern können, warum sie den Angaben des Beschwerdeführers keine Glaubwürdigkeit geschenkt hat. Tatsächlich hat die belangte Behörde, wie dargelegt, dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Wesentlichen deshalb die Glaubwürdigkeit versagt, weil sich dieser in Bezug auf seine Rekrutierung widersprochen hätte und weil die Umstände seiner Flucht nach Ansicht der belangten Behörde "eigenartig anmuten". Diese Beweiswürdigung hält der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Überprüfung auf ihre Schlüssigkeit (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) nicht stand. Es kann dahingestellt bleiben, ob sich die protokollierten Angaben des Beschwerdeführers (er habe sich einerseits der Gruppe des Charles Taylor "angeschlossen" bzw. sei andererseits "rekrutiert" worden) tatsächlich widersprechen, hat doch die Frage des Zustandekommens der vormaligen Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur Truppe des Charles Taylor (der die belangte Behörde nicht schon wegen der unterbliebenen "Vorlage" von Bescheinigungsmittel die Glaubwürdigkeit versagen durfte) nur nebensächliche Bedeutung gegenüber der im vorliegenden Fall maßgeblichen Frage der Desertion des Beschwerdeführers aus dieser Soldatengruppe. Soweit die belangte Behörde jedoch den Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Desertion die Glaubwürdigkeit versagt, weil es nicht den Erfahrungen entspreche, dass dieser bemerkenswerte Umstand niemandem aufgefallen wäre, so zeigt sie damit keine Unstimmigkeit in den Angaben des Beschwerdeführers auf, weil die Desertion auch nach der Vermutung des Beschwerdeführers den anderen Soldaten aufgefallen sei. Dass dies erst kurz vor der Abfahrt registriert worden sei, weil die Anwesenheit der Soldaten in der Regel erst vor der Abfahrt kontrolliert worden sei, kann vor dem Hintergrund der zu diesem Zeitpunkt bereits mehrjährigen Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur Soldatengruppe nicht im Widerspruch mit den "allgemeinen Erfahrungswerten und logischen Denkgesetzen" erkannt werden.

Der Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid kommt im vorliegenden Fall Relevanz zu. Die belangte Behörde hat, wie erwähnt, unter Zugrundelegung von Länderberichten zur Situation in Liberia festgestellt, dass aufgrund geänderter politischer Verhältnisse "Zivilisten" vor Übergriffen bewaffneter Rebellengruppen durch die staatliche Autorität Liberias geschützt würden. Sie hat jedoch - wie die Beschwerde zu Recht ins Treffen führt - Ermittlungen darüber unterlassen, ob die Regierung unter Charles Taylor diesen Schutz auch solchen Personen gewährt, die (wie der Beschwerdeführer auch für seine Person behauptet und wie durch die aufgezeigte Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht widerlegt ist) gerade aus der Rebellengruppe des Charles Taylor desertiert sind. Hätte die belangte Behörde Ermittlungen zu diesem Punkt angestellt, so kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie zu einem für den Beschwerdeführer günstigen Verfahrensergebnis gelangt wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG unterbleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 22. März 2002

Schlagworte

Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Allgemein Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1998210012.X00

Im RIS seit

03.06.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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