TE Vwgh Erkenntnis 2002/4/16 2000/20/0166

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Veröffentlicht am 16.04.2002
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des S J in Wien, geboren am 31. Dezember 1979, vertreten durch Dr. Ulla Heindl, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Praterstraße 68, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. Dezember 1999, Zl. 213.628/0-XII/37/99, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 8. Mai 1999 in das Bundesgebiet ein und stellte an diesem Tag einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 16. Juni 1999 führte der Beschwerdeführer aus, sein Vater sei von der Civil Defense Force (CDF) verdächtigt worden, die Rebellen zu unterstützen. Im Februar 1999 sei sein Vater von Mitgliedern der CDF misshandelt und sodann verhaftet worden. Der Beschwerdeführer habe keine Informationen mehr über ihn. In der Folge seien Mitglieder der CDF mehrmals gekommen und hätten den Beschwerdeführer über seinen Vater verhört. Er sei um seine Sicherheit besorgt gewesen. Außerdem hätten auch die Rebellen den Beschwerdeführer rekrutieren wollen, doch habe er sich dem widersetzen können. In der Folge sei dem Beschwerdeführer mit der Hilfe eines Freundes seines Vaters die Flucht gelungen.

Mit Bescheid vom 18. August 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz ab und erklärte gemäß § 8 Asylgesetz seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Sierra Leone für zulässig. Begründend führte die erstinstanzliche Behörde aus, dass der Beschwerdeführer glaubwürdig sei, doch liege kein Fluchtgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vor. Dazu komme, dass in Sierra Leone nunmehr Frieden herrsche und eine Gefahr, in Bürgerkriegshandlungen verwickelt zu werden, ausgeschlossen werden könne.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, sein Vater sei "eminent" politisch tätig gewesen und habe zwischen den Streitparteien vermitteln wollen. Der Beschwerdeführer sei über die politischen Tätigkeiten allerdings nicht näher eingeweiht gewesen. Dennoch hätte er befürchten müssen, von der CDF ebenfalls verhaftet zu werden, schon wegen der Verwandtschaft mit seinem Vater. Die Berufung spricht in diesem Zusammenhang von "Sippenhaftung". Der Friedenszustand in Sierra Leone sei sehr "brüchig", und es würden noch "offene Rechnungen beglichen".

In der mündlichen Verhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat am 6. Dezember 1999 führte der Beschwerdeführer ergänzend aus, dass er sich am meisten vor der CDF und der lokalen Polizei fürchte. Deren Mitglieder seien furchtbar brutal und hätten auch seinen Vater vor seiner Verhaftung zusammengeschlagen, und auch der Beschwerdeführer sei von ihnen geschlagen worden. Er sei immer wieder gefragt worden, wo sein Vater das Geld und die Waffen für die Rebellen versteckt habe. Die CDF sei überzeugt gewesen, dass der Beschwerdeführer in alles eingeweiht gewesen sei. Als die Angehörigen der CDF gesagt hätten, dass sie nochmals kämen, habe er die Flucht ergriffen. Es gebe noch keinen tatsächlichen Frieden in Sierra Leone. Dazu legte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung Unterlagen über einen Bericht von Amnesty International (London) vor und gab an, dass er in Freetown nicht sicher wäre. In Freetown herrsche größte Brutalität, es fänden Vergewaltigungen und Entführungen sowie mutwillige Tötungen statt.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Nach der Begründung wurden die Angaben des Asylwerbers für glaubwürdig gehalten, jedoch liege keine "aktuelle staatliche Verfolgungsgefahr" vor; im Hinblick auf eine (vermutete) Unterstützung der Rebellen sei auf Grund des nunmehr unterzeichneten Waffenstillstandsvertrages und Friedensvertrages, welcher eine Machtbeteiligung der RUF vorsehe, eine solche nicht erkennbar. Hinsichtlich der Feststellungen zur allgemeinen Lage in Sierra Leone wurden nach der Begründung des angefochtenen Bescheides von der belangten Behörde zwar etliche Unterlagen, die im Rahmen der Berufungsverhandlung Erörterung gefunden hatten, herangezogen, nicht jedoch der vom Beschwerdeführer bei der Berufungsverhandlung ins Treffen geführte Bericht von Amnesty International. Hingegen wurde auf ein Telefax vom 14. Oktober 1999 verwiesen, in dem das Generalkonsulat der Republik Sierra Leone in Wien mitgeteilt habe, dass derzeit eine Regierung aus Vertretern der ehemaligen Rebellen sowie der gewählten Regierung im Amt sei und im Land, auch abgesichert durch starke ECOMOG-Truppen sowie UNO-Beobachter, Friede herrsche. Vereinzelt komme es zu Plünderungen von Hilfskonvois durch hungernde, noch nicht abgerüstete ehemalige Rebellen. Die Regierung übe im gesamten Land die Kontrolle aus, unterstützt von ECOMOG-Truppen. Die belangte Behörde kam darauf aufbauend zu dem Ergebnis, dass, selbst wenn im Fluchtzeitpunkt eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention bestanden haben sollte, im Hinblick auf die geänderten Verhältnisse in Sierra Leone das gegenständliche Vorbringen nicht mehr zur Anerkennung als Flüchtling führen könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde führt aus, dass die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers ursprünglich "möglicherweise" vorgelegen sei. Insoweit sie diese für den Zeitpunkt der Berufungsentscheidung verneint, stützt sie sich der Sache nach auf Art. 1 Abschnitt C Z. 5 der Genfer Flüchtlingskonvention. Dies erfordert allerdings, dass die Umstände in dem Heimatland des Asylwerbers grundlegende Veränderungen erfahren haben, auf Grund derer man annehmen kann, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht mehr länger besteht. Eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren aber keine wesentliche neue Lage mit sich brachte, reicht nicht aus, um diese Bestimmung zum Tragen zu bringen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 30. November 2000, Zl. 98/20/0441). Die belangte Behörde hat es jedoch unterlassen, Ermittlungen dahingehend anzustellen, ob die Veränderung der Lage in Sierra Leone nachhaltig war. Der angefochtene Bescheid enthält dazu keine Ausführungen.

Die belangte Behörde geht im Übrigen von der Glaubwürdigkeit der Ausführungen des Beschwerdeführers aus. Sie gründet ihre Entscheidung darauf, dass nach dem Friedensabkommen vom 7. Juli 1999 keine Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer mehr bestünde.

Um diese Auffassung der belangten Behörde zu stützen, hätte es jedoch noch weiterer Ermittlungen bedurft. Als einzige Quelle betreffend die Lage in Sierra Leone nach dem Friedensvertrag vom 7. Juli 1999 hat die belangte Behörde ihrer Entscheidung das Telefax des Generalkonsulates der Republik Sierra Leone vom 14. Oktober 1999 zu Grunde gelegt. Sie ist nicht näher auf den bereits erwähnten Bericht von Amnesty International eingegangen, der vom 1. Dezember 1999 datiert. Aus diesem Bericht ist entnehmbar, dass trotz des Friedensabkommens anhaltend Kämpfe stattfinden. Die belangte Behörde wäre daher verhalten gewesen, weitere Ermittlungen über die tatsächliche Lage in Sierra Leone anzustellen. Im Hinblick auf das als glaubwürdig beurteilte Vorbringen des Beschwerdeführers, dass er auf Grund der politischen Tätigkeit seines Vaters gefährdet wäre, ist auch von einer ihn spezifisch treffenden Gefahr auszugehen, sodass insbesondere zu klären gewesen wäre, ob für die von der CDF wegen Beziehungen zu den Rebellen vormals verfolgten Personen tatsächlich keine Verfolgung mehr zu befürchten ist. Dabei wäre insbesondere zu berücksichtigen gewesen, dass die geltend gemachte Bedrohung vorn regierungsfreundlichen Einheiten ausgegangen sein soll und der Beschwerdeführer also nicht darauf verwiesen werden könnte, dass etwa Freetown (nach der - insoweit allerdings allen anderen Quellen widersprechenden - Auskunft des Generalkonsulates in Wien sogar das ganze Land) unter Kontrolle der Regierung stehe und somit "befriedet" sei. Entscheidend wäre gewesen, ob das von der belangten Behörde ins Treffen geführte Friedensabkommen entgegen den ausdrücklichen Behauptungen des Beschwerdeführers so weitgehend umgesetzt wurde, dass Feindseligkeiten der CDF gegenüber einer eines Naheverhältnisses zu den Rebellen beschuldigten Person nicht mehr zu erwarten waren. Hierüber hätte die belangte Behörde, sofern die ihr vorliegenden Berichte darüber nicht Auskunft gaben, erforderlichenfalls auch gezielte Anfragen an geeignete Stellen wie etwa den UNHCR richten müssen.

Da somit der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf und somit auch Verfahrensvorschriften verletzt wurden, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Das sich auf den Ersatz von

Barauslagen sowie von Umsatzsteuer beziehende Mehrbegehren war abzuweisen, weil diese mit dem pauschalierten Schriftsatzaufwand bereits abgedeckt sind.

Wien, am 16. April 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000200166.X00

Im RIS seit

01.07.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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