TE Vwgh Erkenntnis 2002/7/4 2001/11/0107

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Veröffentlicht am 04.07.2002
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Index

90/02 Führerscheingesetz;

Norm

FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §7 Abs3 Z4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der T, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 19. März 2001, Zl. RU6-St-O-0019/1, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung und Aufforderung zur Abgabe des Führerscheines, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 10. April 2000 langte bei der Bezirkshauptmannschaft Mödling ein von der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis übermitteltes Straferkenntnis dieser Behörde vom 5. April 2000 ein, mit dem die Beschwerdeführerin schuldig erkannt wurde, sie habe am 22. Oktober 1999 um 8.50 Uhr als Lenkerin eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw auf der A 8 an einer näher angegebenen Stelle die auf Autobahnen erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h um 51 km/h überschritten und dadurch § 20 Abs. 2 StVO 1960 übertreten.

Mit Schreiben vom 13. April 2000 hielt die Bezirkshauptmannschaft Mödling der Beschwerdeführerin den Vorfall vom 22. Oktober 1999 sowie ihre Annahme, daraus ergebe sich die Verkehrsunzuverlässigkeit der Beschwerdeführerin, vor und gab dieser Gelegenheit zur Stellungnahme.

Mit Schriftsatz vom 26. April 2000 nahm die (mittlerweile anwaltlich vertretene) Beschwerdeführerin Stellung und bestritt eine Geschwindigkeitsübertretung im zur Last gelegten Ausmaß.

Die Bezirkshauptmannschaft Mödling teilte der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 7. November 2000 mit, das Entziehungsverfahren, das auf Grund des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis vom 5. April 2000 eingeleitet worden sei, sei eingestellt worden. Im Falle der Beschwerdeführerin lägen außer der erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung keine weiteren Übertretungen auch nicht zusätzlich besonders gefährliche Verhältnisse vor, weiters sei seit der Delikthandlung mehr als ein Jahr vergangen, in dem sie keine weiteren ihre Verkehrszuverlässigkeit ausschließenden Handlungen gesetzt habe, weshalb nicht mehr angenommen werden müsse, dass sie wegen ihrer Sinnesart die Verkehrssicherheit durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr gefährde. Das Führerscheinentziehungsverfahren sei somit einzustellen gewesen. Die Zustellung dieses Schreibens an die Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters erfolgte nach der Aktenlage am 9. November 2000.

Mit Bescheid vom 9. Jänner 2001 entzog die Bezirkshauptmannschaft Mödling der Beschwerdeführerin die Lenkberechtigung für Kraftfahrzeuge der Klasse B auf die Dauer von zwei Wochen. Als Rechtsgrundlagen waren § 24 Abs. 1 und § 26 Abs. 3 FSG angegeben.

Die dagegen erhobene Berufung wurde vom Landeshauptmann von Niederösterreich mit Bescheid vom 19. März 2001 abgewiesen, der erstbehördliche Bescheid jedoch dahin abgeändert, dass der Beschwerdeführerin - abgesehen von der Entziehung der Lenkberechtigung - aufgetragen wurde, ihren Führerschein unverzüglich ab Rechtskraft des Bescheides bei der Bezirkshauptmannschaft Mödling oder beim Gendarmerieposten Maria Enzersdorf am Gebirge abzugeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Die im Beschwerdefall einschlägigen Bestimmungen des FSG lauten (auszugsweise):

"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),

...

Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 5) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit gefährden wird, insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr, Trunkenheit oder einen durch Suchtgift oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand.

...

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

...

4. die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 40 km/h oder außerhalb des Ortsgebietes um mehr als 50 km/h überschritten hat und diese Überschreitung mit einem technischen Hilfsmittel festgestellt wurde;

...

(5) Für die Wertung der in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.

...

5. Abschnitt

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung

Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

... .

...

Dauer der Entziehung

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen.

...

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen. Wurden begleitende Maßnahmen gemäß § 24 Abs. 3 angeordnet, so endet die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der Anordnung.

Sonderfälle der Entziehung

§ 26.

...

(3) Im Falle der erstmaligen Begehung einer in § 7 Abs. 3 Z 4 genannten Übertretung - sofern die Übertretung nicht geeignet war, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern begangen wurde (§ 7 Abs. 3 Z 3) oder auch eine Übertretung gemäß Abs. 1, 2 oder 4 vorliegt - hat die Entziehungsdauer zwei Wochen, bei der zweiten Begehung einer derartigen Übertretung innerhalb von zwei Jahren ab der ersten Begehung sechs Wochen zu betragen.

...

(7) Eine Entziehung gemäß Abs. 3 und 4 darf erst ausgesprochen werden, wenn das Strafverfahren in erster Instanz durch Strafbescheid abgeschlossen ist. ... .

..."

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 17. Dezember 1998, Zl. 98/11/0227, unter Rückgriff auf seine Judikatur zum KFG 1967 (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 25. August 1998, Zl. 97/11/0213, und vom 28. November 1996, Zl. 96/11/0254), mit näherer Begründung, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, dargelegt hat, rechtfertigt ein Delikt im Sinn des § 7 Abs. 3 Z. 4 FSG jedenfalls dann nicht mehr die Entziehung der Lenkberechtigung der betreffenden Person, wenn zwischen der Tat und der Einleitung des Entziehungsverfahrens mehr als ein Jahr verstrichen und die betreffende Person in dieser Zeit im Verkehr nicht nachteilig in Erscheinung getreten ist. Dieser Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt die Vorstellung zu Grunde, dass eine Entziehung der Lenkberechtigung wegen der in Rede stehenden Übertretungen nur dann in Frage kommt, wenn das Entziehungsverfahren im Sinne des zuvor Gesagten rechtzeitig eingeleitet wurde und vor Erlassung des Entziehungsbescheides noch anhängig war.

Im Beschwerdefall ist es unstrittig, dass die Erstbehörde das Entziehungsverfahren zunächst innerhalb der vom Verwaltungsgerichtshof genannten einjährigen Frist ab der (von der Erstbehörde und auch der belangten Behörde) als erwiesen angenommenen Tatbegehung eingeleitet hat. Die Erstbehörde hat freilich, wie oben dargestellt, das Entziehungsverfahren formlos eingestellt. Dieses Verfahren war ein amtswegiges Verfahren, in dem kein Anspruch der Beschwerdeführerin oder sonstiger Personen auf Erlassung eines Bescheides bestand. Das Entziehungsverfahren konnte daher jederzeit eingestellt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Jänner 1996, Zl. 95/07/0085). Eine nach außen in Erscheinung tretende Form einer derartigen Verfahrenseinstellung ist in den Verwaltungsverfahrensgesetzen nicht vorgesehen. Die Erstbehörde hat vorliegendenfalls in ihrem Schreiben vom 7. November 2000 an die Beschwerdeführerin ausdrücklich mitgeteilt, dass sie das Entziehungsverfahren eingestellt habe. Sie hat somit in einer auch nach außen hin in erkennbaren Weise kundgetan, dass das Entziehungsverfahren nicht mehr weitergeführt werde. Angesichts dessen kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass das Verfahren zur Entziehung der Lenkerberechtigung der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der - erst nach Ablauf der oben genannten Frist von einem Jahr erfolgten - Erlassung des erstbehördlichen Bescheides noch anhängig im obigen Sinn war (vgl. auch dazu - bezogen auf eine auf bereits anhängige Verfahren abstellende Übergangsbestimmung der Kärntner Abfallwirtschaftsordnung - das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom 25. Jänner 1996).

Die Erstbehörde hat ihren Entziehungsbescheid vom 9. Jänner 2001 zu einem Zeitpunkt erlassen, als sie der Beschwerdeführerin bereits ausdrücklich mitgeteilt hat, dass sie das ursprünglich eingeleitete Entziehungsverfahren nicht mehr weiterzuführen gedenke. Die Entziehung erweist sich nach dem bisher Gesagten, weil das Entziehungsverfahren im Zeitpunkt der Erlassung des erstbehördlichen Bescheides nicht mehr anhängig und die erwähnte einjährige Frist bereits abgelaufen war, als rechtswidrig.

Indem die belangte Behörde, anstatt den erstbehördlichen Bescheid ersatzlos zu beheben, die darin ausgesprochene Entziehung der Lenkberechtigung der Beschwerdeführerin bestätigte und der Beschwerdeführerin überdies die Abgabe des Führerscheins auftrug, belastete sie ihrerseits ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Der angefochtene Bescheid war aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001, BGBl. II Nr. 501.

Wien, am 4. Juli 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001110107.X00

Im RIS seit

20.09.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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