TE Vwgh Erkenntnis 2002/7/9 2000/01/0436

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Veröffentlicht am 09.07.2002
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §6 Z1;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des am 2. Dezember 1953 geborenen HK in S, vertreten durch Dr. Gerhard Othmar Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 7. September 2000, Zl. 209.431/13-XI/34/00, betreffend § 6 Z 1 und § 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein aus dem Kosovo stammender Staatsangehöriger der Bundesrepublik Jugoslawien und Angehöriger der albanischen Volksgruppe, gelangte am 20. Oktober 1997 in das Bundesgebiet und beantragte die Gewährung von Asyl; den vorgelegten Verwaltungsakten ist zu entnehmen, dass das Bundesasylamt, Außenstelle Linz, mit Bescheid vom 25. Juni 1998 gemäß § 6 Z 2 und 3 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) einen Asylantrag vom 29. April 1998 abwies. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Am 4. September 1998 brachte der Beschwerdeführer einen weiteren Asylantrag (und Erstreckungsanträge für seine Frau und seine zwei Kinder) ein. Im Zuge seiner Einvernahme am 15. September 1998 gab er vor dem Bundesasylamt, Außenstelle

Salzburg, zu seinem Asylantrag an:

"F: Halten Sie sich seit Ihrer Asylantragstellung vom 29.4.1998 ständig im Bundesgebiet auf?

A: Ja. Ich habe seither das österreichische Bundesgebiet zu keinem Zeitpunkt verlassen.

F: Sind die von Ihnen seinerzeit geltend gemachten

Fluchtgründe nach wie vor aufrecht?

A: Ja, das sind sie.

F: Haben Sie sonst noch Fluchtgründe vorzubringen, die seit Ihrer obzit. Asylantragstellung neu entstanden sind bzw. neu hinzugekommen sind?

A: Mein Haus ist bis auf die Grundmauern zerstört, mein Bruder wurde verletzt und mein Onkel wurde umgebracht. Diesbezüglich lege ich einen entsprechenden Zeitungsausschnitt vor, dieser wird zum Akt genommen.

F: Betraf das nur Ihre Familie oder das ganze Dorf?

A: Das ganze Dorf, es traf alle Dorfbewohner. Meine Kinder

sind verängstigt, Sie können auch die Kinder fragen, die haben das gesehen.

Unsere Familie lebte zusammen, das betrifft mich persönlich, von einer Schwägerin mit ihren vier Kindern weiß ich nichts. Mein ermordeter Onkel wurde erst jetzt gefunden, ich kann nicht mehr zurück, ich bitte die österreichischen Behörden, dass ich hier in Österreich bleiben kann. Das sind meine Fluchtgründe, mehr kann ich nicht angeben.

F: Was würde Ihnen passieren, wenn Sie nach Hause

zurückkehren müssten?

A: Die hätten mich umgebracht.

F: Warum wären Sie umgebracht worden?

A: Weil ich für die Schulen vieles organisiert habe. Das habe ich in Linz schon erzählt, aber dort wurde mir erzählt, dass ich lüge."

Weiters brachte sein rechtsfreundlicher Vertreter am 15. Oktober und 12. November 1998 umfangreiche Schriftsätze ein, in denen im Wesentlichen auf die Gefahr einer Verfolgung des Beschwerdeführers und seiner Familie durch serbische Behörden wegen ihrer Herkunft hingewiesen wurde.

Mit Bescheid vom (richtig:) 15. März 1999 wies das Bundesasylamt, Außenstelle Salzburg, den Asylantrag vom 4. September 1998 wegen entschiedener Sache zurück. Der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) hob den Zurückweisungsbescheid mit Bescheid vom 21. April 1999 ersatzlos auf.

Hierauf wurde der Beschwerdeführer am 30. Juni 1999 vom Bundesasylamt, Außenstelle Salzburg, neuerlich einvernommen und gab auf Befragen an:

"F: Haben Sie nun auf Grund der Lage im Kosovo und nach Vorhalt der Beilage A noch etwas zu Ihrem Asylverfahren vorzubringen?

A: Ich gebe dazu an, dass mir die Sachlage bekannt ist. Man spricht sehr viel darüber, aber es existiert noch gar nichts. Alle die vorher im Amt waren, sind jetzt auch wieder im Amt.

F: Haben Sie Ihrem Asylbegehren noch etwas anzufügen?

A: Ich habe vier Kinder, die im Kosovo waren. Ich weiß aber

dzt. nicht, wo diese sind. Ich weiß auch nicht wovon ich Leben soll, wenn ich jetzt wieder in den Kosovo zurückkehre. Mein Haus ist zerstört. In ca. 6 Monaten könnte ich wieder zurückkehren.

Ich bin verfolgt. In meinem Dorf ist die UCK. Ich habe organisiert. Ich war einer der ersten, die in meinem Dorf organisiert haben.

F: Von wem werden Sie verfolgt?

A: Ich werde von den Serben verfolgt. Von den Albanern nicht.

F: Wegen welchen Deliktes werden Sie verfolgt?

A: Ich habe an Demonstrationen teilgenommen, ich werde keines

konkreten Deliktes verfolgt.

Vorhaltung: Es wurde Ihnen die Beilage A zur Kenntnis gebracht. Eine Verfolgung, wie Sie es angeben kann dzt. im Kosovo nicht festgestellt werden. Wie erklären Sie sich dazu?

A: Es werden jetzt die Serben, die vorher meine Landsleute erschossen haben, umgebracht. Dies ist normal. Auch ich würde vier bis fünf Serben umbringen, wenn ich jetzt nach Hause komme und feststellen würde, dass meine Kinder nicht mehr da sind.

Ich bin mit meinen Nerven völlig fertig und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich jetzt zurückkehren würde. Ich brauche noch etwas Zeit um zurückzukehren.

F: Haben Sie noch abschließend etwas zu sagen?

A: Nein.

Anmerkung des Rechtsvertreters:

Ich ersuche um eine Frist von 10 Tagen um eine weitere

Stellungnahme einzubringen."

Am 12. Juli und 12. August 1999 brachte der Rechtsfreund des Beschwerdeführers weitere Schriftsätze ein, in denen die aktuelle Gefahr einer Verfolgung des Beschwerdeführers und seiner Familie behauptet wurde.

Mit Bescheid vom 18. Oktober 1999 wies das Bundesasylamt, Außenstelle Salzburg, den Asylantrag vom 4. September 1998 gemäß § 6 Z 1, 2 und 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und sprach gemäß § 8 AsylG die Feststellung aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die "BR Jugoslawien Provinz Kosovo" zulässig sei. Begründend führte die Erstbehörde zusammengefasst aus, die Angaben des Beschwerdeführers und seines ausgewiesenen Vertreters entsprächen im Zeitpunkt der Entscheidung offensichtlich nicht den Tatsachen. Die ins Treffen geführte Verfolgungssituation im Kosovo habe für den Beschwerdeführer nie bestanden. Er und seine Familie seien bereits vor einer Verfolgungsgefahr ausgereist. Nunmehr sei eine Verfolgungssituation - wie vom Beschwerdeführer und seinem Vertreter angegeben - nicht mehr feststellbar und widerspreche eindeutig offensichtlich den Tatsachen.

In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung verwies der Beschwerdeführer auf mangelnde Lebensgrundlagen im Kosovo und brachte insbesondere vor, dass der Kosovo keinesfalls endgültig befriedet sei. Polizeiliche Strukturen hätten nicht aufgebaut werden können und zwischen den beiden Volksgruppen gebe es noch immer bewaffnete Auseinandersetzungen.

Im Rahmen der mündlichen Berufungsverhandlung am 4. April 2000 vor der belangten Behörde gaben der Beschwerdeführer ("AW (H)") und seine Frau ("AW (D)") an:

"VL: Warum stellten Sie ursprünglich einen Asylantrag das

erste mal?

AW (H): Es herrschte Krieg im Kosovo.

AW (D): Es begann Krieg in Lubiceve, es wurde das Dorf zerstört.

VL: Haben Sie den Inhalt des Vorhalts verstanden? AW (H): Nein, nicht bekommen. Den hat der Anwalt bekommen.

...

VL: Was sagen Sie dazu?

AW (H): Teilweise entspricht das der Wahrheit, teilweise nicht. Wie Ihnen bekannt ist, bin ich seit 1997 nicht mehr im Kosovo gewesen, daher kann ich das nicht abschätzen. Ich habe selten tel. Kontakt mit meinem Bruder. Mehr weiß ich nicht.

AW (D): Ich bin nicht im Kosovo gewesen, ich möchte nicht lügen. Nach Infos meines Onkels, der sich in Österreich aufhält, ist alles vermint, auch die Gärten, es gibt kein Wasser, keinen Strom.

VL: Wissen Sie durch die spärlichen Anrufe, ob es in Ihrem Heimatdorf noch serbische Polizei oder serbische Panzer oder Kriegshandlungen gibt?

AW (H): Serben gibt es noch, aber jede Nacht werden Menschen getötet. Das weiß ich nicht, ob es serb. Polizei oder Panzer gibt.

AW (D): Ich weiß nicht.

VL: Was glauben Sie, was würde ihnen passieren, wenn sie in den Kosovo zurückkämen?

AW (H): Mir passiert gar nichts, ich gehe aber nicht zurück. Dort gibt es Minen, dort gibt es alles, meine zwei Söhne sind - ich weiß es aber nicht - verschwunden. Von meinem Onkel habe ich dem BAS Beweismittel gegeben.

Es gibt Serben dort. Kein Haus, kein Hab und Gut. Mein Leben wird in Gefahr sein von Minen, von Serben. Es gibt Serben, die in den orthodoxen Kirchen versteckt sind. Es passieren viele Verbrechen. Von der Hälfte meiner Familie weiß ich nichts, auch mein Bruder nicht. Viele Leute wissen von ihren Familien nichts. Es kann sein dass sie getötet wurden oder verbrannt sind oder weggegangen sind.

AW (D): Die Kinder sind noch von den Kosovo-Erlebnissen traumatisiert. Sie besuchen hier die Schule. Wenn sie Polizisten sehen, zittern sie vor Angst und kehren traumatisiert nach Hause zurück. Ich bitte sie, helfen sie mir, es gibt keine Sicherheit für mich und meine Kinder im Kosovo. Es ist alles vermint. Ich bin am Ende, sie können mich und meine Kinder retten. Auch mir persönlich geht es nicht gut, ich kann die ganze Nacht nicht schlafen, habe Alpträume. Ich konnte bisher nicht untersucht werden, denn ich habe keine Krankenversicherung. Wir sind arme Leute, wir brauchen ihre Unterstützung.

VL: Wissen sie, dass die EU den Wiederaufbau unterstützt? AW (H): Aus dem Fernsehen habe ich das gehört, durch Medien. AW (D): Ich auch. Es geht mir nicht gut.

...

VL an Gattin: Haben Sie noch etwas vorzubringen?

AW (D): Ich bitte sie, retten sie meine beiden Kinder.

...

VL: Waren sie bei der UCK?

AW (H): Ja, war ich.

VL: Auch bei der LDK?

AW (H): Nein. Der Volksbewegung gehörte ich an, der Vorläuferorganisation der UCK. Unsere UCK befand sich in meinem Heimatdorf und war geheim. ..."

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 1 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die autonome Provinz Kosovo der Bundesrepublik Jugoslawien zulässig sei. Begründend führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verfahrensganges und der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens aus, der Beschwerdeführer habe lange in Österreich und in der Schweiz als Gastarbeiter gearbeitet, sei seit 1996 in der Gemeinde Prizren im Kosovo wohnhaft gewesen und habe dort ein Cafe betrieben. Im Jahre 1997 habe er in Subotdika die Grenze nach Ungarn überqueren wollen und sei in das Blickfeld der serbischen Polizei geraten, weil er ein "Organisator" gewesen sei und im September 1996 an einer Demonstration teilgenommen hätte. Er sei allerdings wieder nach Prizren zurückgekehrt und habe dort unbehelligt weiter sein Cafe betrieben. Im Oktober 1997 habe er den Kosovo verlassen, weil er laut eigenen Angaben seinen größten Vermögensanteil in Österreich gehabt habe.

Der Beschwerdeführer sei in seiner Heimat Mitglied der UCK gewesen und werde daher von den Albanern nicht verfolgt. Seit 1998 befinde sich der Beschwerdeführer ständig in Österreich. Am 17. April 1998 sei er vom Landesgericht Salzburg wegen Schlepperei zu 6 Monaten unbedingter und 12 Monaten bedingt nachgesehener Haft verurteilt worden.

Zur allgemeinen Situation im Kosovo würden folgende Feststellungen getroffen:

"Ab 20.3.1999 (Abzug der OSZE-Beobachter aus dem Kosovo) bzw. 24.3.1999 (Beginn der NATO-Luftangriffe in der BR Jugoslawien) kam es im Kosovo zu massiven gegen die gesamte kosovo-albanische Bevölkerung gerichteten Verfolgungshandlungen, die von der Staatsregierung - soweit nicht unmittelbar angeordnet - zumindest geduldet wurden. Insgesamt wurden ca. 800.000 Kosovo-Albaner zum Verlassen ihres Landes gezwungen, mehrere tausend Personen albanischer Abstammung wurden - ohne unmittelbaren Zusammenhang mit den Kampfhandlungen - mit Duldung der jugoslawischen Behörden getötet. Das Eigentum der Kosovo-Albaner wurde mit Duldung der staatlichen Behörden weitgehend zerstört oder entwendet.

Am 9.6.1999 wurde zwischen der 'International Security Force (KFOR)' und der Bundesrepublik Jugoslawien ein 'militärischtechnisches Abkommen' ('Military Technical Agreement') abgeschlossen, das die Errichtung einer internationalen Friedenstruppe (KFOR) im Kosovo und den Abzug sämtlicher jugoslawischer Streitkräfte aus dem Kosovo und einer angrenzenden Sicherheitszone bis zum 20.6.1999 vorsieht. In Entsprechung dieses Abkommens hat die BR Jugoslawien sämtliche Streitkräfte fristgerecht bis zum 20.6.1999 aus dem Kosovo abgezogen. Im Kosovo wurde die internationale Friedenstruppe KFOR stationiert, die gemäß dem zitierten militärisch-technischen Abkommen im Kosovo ohne Beschränkung tätig werden kann und die Befugnis hat, alle nötigen Maßnahmen zur Herstellung und Aufrechterhaltung der Sicherheit für alle Bürger des Kosovo sowie zum Schutz der provisorischen internationalen Zivilverwaltung zu treffen ...

...

Derzeit stellt sich die Sicherheitssituation im Kosovo - kurz zusammengefasst - wie folgt dar:

1. Polizei:

Im Kosovo gewährleisten derzeit ca. 50.000 Soldaten der KFOR ca. 2400 von ursprünglich vorgesehenen 6000 Polizisten der UNMIK Police (internationale zivile Polizeieinheit) die Sicherheit im Kosovo. Entsprechend der UN-Resolution 1244 übernimmt KFOR dort, wo die UNMIK Police noch nicht ausreichend präsent ist, die Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit, sohin auch die polizeilichen Agenden. Mittlerweile leben 75 % der Bevölkerung in Gebieten, in denen die UNMIK-Polizei für die Sicherheitsverwaltung zuständig ist. Der Tätigkeitsbereich erstreckt sich auf Pristina und Prizren, zum Teil auch auf Mitrovica, Gujilane und Urosevac. Die UNMIK-Polizei kann Untersuchungen führen, Festnahmen durchführen und betreibt in Pristina und Prizren auch Gefängnisse.

...

...Rückkehr von Flüchtlingen

Es kann somit festgestellt werden, dass es derzeit und in weiterer Zukunft mit hinreichender Sicherheit auszuschließen ist, dass es im Kosovo erneut zu Massenvertreibungen, Tötungen und Misshandlungen von albanischen Volkszugehörigen durch den serbischen Staat kommt. Die Bedrohungssituation ist nach der tatsächlichen und nachhaltigen Übernahme der Hoheitsgewalt durch UNMIK und KFOR im Kosovo - entsprechend der UN-Resolution 1244 - infolge des gänzlichen Abzuges der serbischen Sicherheitskräfte, sohin auf Grund zur Gänze geänderter Verhältnisse, weggefallen, sodass für den Berufungswerber nunmehr die Möglichkeit besteht, ohne Risiko in den Kosovo zurückzukehren. Militärgerichte hätten keinerlei Zugriffsmöglichkeit auf den Berufungswerber.

..."

Vor dem Hintergrund der Feststellungen stehe fest, dass auf Grund der völlig geänderten Umstände im Kosovo Angehörige der albanischen Volksgruppe keine staatlichen Repressionsmaßnahmen oder Bedrohungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu befürchten hätten. Nach Ansicht der belangten Behörde sei auf Grund obiger Feststellungen jedwede staatliche Verfolgung durch serbische Gerichte oder Verwaltungsbehörden oder Sicherheitskräfte weggefallen und es sei somit einem Angehörigen der Volksgruppe der Kosovo-Albaner auch aus der objektiven Sicht einer mit Vernunft begabten Person zumutbar, in das Gebiet des Kosovo zurückzukehren. Da die Provinz Kosovo auf Grund obiger Feststellungen nicht mehr von Behörden der Bundesrepublik Jugoslawien, sondern ausschließlich von UNMIK kontrolliert und gemeinsam mit KFOR verwaltet werde und zudem sämtliche, die kosovo-albanische Bevölkerung diskriminierenden Bestimmungen außer Kraft gesetzt worden seien, bestehe für den Beschwerdeführer kein Grund mehr, im Falle einer Rückkehr in seine Heimatprovinz Kosovo eine ethnisch motivierte, der Bundesrepublik Jugoslawien zurechenbare Verfolgung zu befürchten. Die grundlegenden politischen Veränderungen in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers hätten dazu geführt, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung weggefallen sei und eine Anerkennung als Flüchtling im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention nicht mehr in Betracht komme.

Nach Ansicht der belangten Behörde seien im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen des § 6 Z 1 AsylG erfüllt, zumal der Beschwerdeführer selbst angegeben habe, von den Serben nicht verfolgt zu werden. Der vollständige Abzug der serbischen Verbände im Zusammenwirken mit der militärischen Präsenz der KFOR und der Zeitdauer des UN-Sicherheitsratsmandates ließen ab dem 20. Juni 1999 eine weitere asylrelevante Verfolgung von Angehörigen der albanischen Volksgruppe im Kosovo durch "Serbien" bzw. die Bundesrepublik Jugoslawien als nachhaltig unwahrscheinlich erscheinen. Damit bestünden die für die Ansehung als Flüchtling im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK in der Vergangenheit vorgelegenen Umstände nicht mehr. Wegen der geänderten politischen Verhältnisse im Kosovo sei auch kein sonstiger Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat gegeben.

Weiters begründete die belangte Behörde ihre Feststellung nach § 8 AsylG.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

§ 6 AsylG lautet:

"Offensichtlich unbegründete Asylanträge

§ 6. Asylanträge gemäß § 3 sind als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat

1. sich dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lässt, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht oder

2. die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist oder

3. das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht oder

4. die Asylwerber an der Feststellung des maßgebenden Sachverhalts trotz Aufforderung nicht mitwirken oder

5. im Herkunftsstaat auf Grund der allgemeinen politischen Verhältnisse, der Rechtslage und der Rechtsanwendung in der Regel keine begründete Gefahr einer Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe besteht."

Wie auch die belangte Behörde bereits im angefochtenen Bescheid darlegte und aus den ErläutRV 686 BlgNR 20. GP 19 hervorgeht, orientiert sich die Bestimmung des § 6 AsylG im Wesentlichen an der Entschließung der für Einwanderung zuständigen Minister der Europäischen Gemeinschaften über offensichtlich unbegründete Asylanträge vom 30. November und 1. Dezember 1992. Ein Asylantrag soll demnach "nur dann als offensichtlich unbegründet abgewiesen werden, wenn eine Verfolgungsgefahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (eindeutig) ausgeschlossen werden kann".

Die belangte Behörde stützte die Abweisung des Asylantrages im Spruch des angefochtenen Bescheides ausdrücklich nur auf § 6 Z 1 AsylG. Bei der Prüfung, ob ein Fall des § 6 Z 1 AsylG vorliegt, ist von den Angaben des Asylwerbers auszugehen und auf deren Grundlage zu beurteilen, ob sich diesem Vorbringen mit der erforderlichen Eindeutigkeit keine Behauptung im Sinne einer im Herkunftsstaat drohenden Verfolgung entnehmen lässt. Unter "Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Die Anwendung des § 6 Z 1 AsylG setzt im Sinne dieses Verständnisses des Verfolgungsbegriffes voraus, dass dem Vorbringen des Asylwerbers offensichtlich keine Behauptungen zu einer ihm drohenden Verfolgung, also eines ungerechtfertigten Eingriffes der genannten Art, zu entnehmen sind. Im Hinblick auf das bereits mehrfach betonte "Offensichtlichkeitskalkül" kann dabei auch die unzureichende Intensität des drohenden Eingriffes nur zur Subsumtion des Vorbringens unter § 6 Z 1 AsylG führen, wenn der Fall in dieser Hinsicht völlig eindeutig ist und keine Abgrenzungsfragen aufwirft (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0531, mwN).

Im vorliegenden Fall begründete der Beschwerdeführer seinen Asylantrag vom 4. September 1998 zusammengefasst mit der Behauptung einer ethnisch motivierten Zerstörung der Lebensgrundlagen seiner Familie und seiner Verfolgung wegen seiner Tätigkeit für die UCK. In der mündlichen Verhandlung vom 4. April 2000 führte er unter anderem aus, sein Leben werde in Gefahr sein "von Minen, von Serben"; es gebe Serben, die in den orthodoxen Kirchen versteckt seien; es passierten viele Verbrechen. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde ließen sich dem Vorbringen des Beschwerdeführers unter dem Blickwinkel des § 6 Z 1 AsylG demnach Behauptungen im Sinne einer im Herkunftsstaat drohenden Verfolgung entnehmen, die auch noch im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides aufrecht waren. Vom "offensichtlichen" Fehlen solcher Behauptungen kann nicht die Rede sein. Der Umstand, dass auf Grund nachträglich eingetretener Veränderungen die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgung nach Ansicht der belangten Behörde ab 20. Juni 1999 "nicht mehr" zu befürchten war, entkleidete noch nicht das Vorbringen des Beschwerdeführers der Behauptung einer Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat.

Soweit die belangte Behörde auf Grund umfangreicher Ermittlungsergebnisse von geänderten Verhältnissen und einem nunmehr ausreichenden Schutz durch UNMIK und KFOR im Kosovo ausgeht, vermag dies eine Abweisung nach § 6 Z 1 AsylG nicht zu rechtfertigen. Diese Begründungsteile könnten allenfalls unter dem Gesichtpunkt einer Prüfung nach § 7 AsylG Bedeutung erlangen (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, mwN).

Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Ein Ersatz von

"Barauslagen für Fotokopien" konnte nicht zuerkannt werden, weil dieser bereits vom Pauschalbetrag für den Schriftsatzaufwand umfasst ist.

Wien, am 9. Juli 2002

Schlagworte

Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000010436.X00

Im RIS seit

18.09.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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