TE Vwgh Erkenntnis 2002/9/12 2001/20/0245

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Veröffentlicht am 12.09.2002
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
22/01 Jurisdiktionsnorm;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
61/04 Jugendfürsorge;

Norm

ABGB §215a;
AsylG 1991 §13;
AsylG 1997 §25 Abs2;
JN §66 Abs2;
JN §67;
JWG 1989 §4 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. März 2001, Zl. 220.651/0- XIV/08/01, betreffend Zurückweisung einer Berufung als unzulässig (mitbeteiligte Partei: L S in Wien, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von 934,16 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. Dezember 2000 wurde der Asylantrag des am 21. November 2000 in das Bundesgebiet eingereisten Mitbeteiligten, der indischer Staatsangehöriger ist, gemäß § 4 Abs. 1 Asylgesetz 1997 als unzulässig zurückgewiesen. In diesem Bescheid ist festgehalten, dass der 1985 geborene minderjährige Mitbeteiligte durch die "Jugendwohlfahrt der BH Baden, Schwartzstraße 50" vertreten wird.

Mit Schreiben des Bundesasylamtes vom 22. Dezember 2000 an die "Jugendwohlfahrt der Bezirkshauptmannschaft Baden" wurde bekannt gegeben, dass der Mitbeteiligte für den 4. Jänner 2001 zum Bundesbetreuungstermin geladen worden sei. "Laut AIS-Auszug" habe er jedoch bereits am 20. Dezember 2000 die Betreuungsstelle ohne Abmeldung verlassen. Bis dato sei keine neue Abgabestelle des Mitbeteiligten bekannt. Es bleibe somit abzuwarten, ob er am 4. Jänner 2001 zu seinem Ladungstermin erscheine.

Der Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. Dezember 2000 wurde dem Mitbeteiligten "vertreten durch Jugendwohlfahrt BH Baden, Schwartzstraße 50" (mit Begleitschreiben des Bundesasylamtes vom 22. Dezember 2000) übermittelt und von dieser Bezirkshauptmannschaft laut dem im Akt befindlichen Rückschein am 27. Dezember 2000 übernommen.

Mit Schriftsatz vom 5. Jänner 2001 erhob die Bezirkshauptmannschaft Baden, Jugendabteilung, Berufung gegen diesen Bescheid, da er falsch zugestellt worden sei. Der Mitbeteiligte habe schon am 20. Dezember 2000 die Betreuungsstelle Traiskirchen ohne Bekanntgabe einer Meldeadresse verlassen. Der gewöhnliche Aufenthalt sei ebenfalls nicht bekannt gewesen. Erst am 4. Jänner 2001 habe er den Meldezettel vorgelegt, mit dem bestätigt werde, dass er seit dem 29. Dezember 2000 in Wien, F.-Gasse 13/1/9, gemeldet sei. Der angefochtene Bescheid sei jedoch schon am 27. Dezember 2000 zugestellt worden, zu einem Zeitpunkt, als der neue Aufenthaltsort des Mitbeteiligten noch nicht bekannt gewesen sei und ebenso nicht ein für seine Vertretung zuständiger Jugendwohlfahrtsträger. Die Bezirkshauptmannschaft Baden sei zum Zeitpunkt der Bescheidzustellung auf Grund des unbekannten Aufenthaltes des Mitbeteiligten nicht zuständig gewesen.

Mit Schriftsatz ebenfalls vom 5. Jänner 2001 erhob auch der Magistrat der Stadt Wien gegen den Bescheid des Bundesasylamtes, der dem Magistrat der Stadt Wien am 5. Jänner 2001 zugestellt worden sei, "innerhalb offener Frist" Berufung. In dieser Berufung wird auf die Zuständigkeit des Jugendwohlfahrtsträgers nicht eingegangen. Bekämpft wird ausschließlich die in der Sache getroffene Entscheidung des Bundesasylamtes.

Mit Schreiben an die belangte Behörde vom 12. Februar 2001 brachte das Bundesasylamt zum Ausdruck, dass der Bescheid vom 21. Dezember 2000 am 27. Dezember 2000 der Jugendwohlfahrt der Bezirkshauptmannschaft Baden als zuständiger Vertreterin rechtswirksam zugestellt worden sei. Erst zwei Tage später, nämlich am 29. Dezember 2000, habe sich der Mitbeteiligte in Wien amtlich gemeldet. Er habe zwar am 20. Dezember 2000 die Betreuungsstelle Traiskirchen verlassen, abgemeldet sei er jedoch erst mit 27. Dezember 2000 worden.

In einem weiteren Schreiben an die belangte Behörde vom 26. Februar 2001 führte das Bundesasylamt aus, dass der Mitbeteiligte die Betreuungsstelle Traiskirchen offensichtlich schon vor dem 27. Dezember 2000 verlassen habe, jedoch sei im Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides keine neue Adresse bekannt und eruierbar gewesen. Er sei unbekannten Aufenthaltes gewesen. Die Zustellung des Bescheides an die Bezirkshauptmannschaft Baden sei daher rechtmäßig erfolgt.

Der Mitbeteiligte gab vor dem Magistrat der Stadt Wien am 21. Februar 2001 niederschriftlich an, er habe die Betreuungsstelle Traiskirchen am 20. Dezember 2000 verlassen und sei direkt nach Wien gereist. Er habe dort in der Gebetsstätte der Inder übernachtet. Dort habe er dann Inder getroffen, die ihm eine Wohngelegenheit in der F.-Gasse angeboten hätten. Am 29. Dezember 2000 habe sich der Mitbeteiligte dort angemeldet. Er sei also seit 20. Dezember 2000 in Wien aufhältig.

Den Verwaltungsakten ist weiter zu entnehmen, dass die Bezirkshauptmannschaft Baden den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. Dezember 2000 mit Telefax vom 5. Jänner 2001 dem Magistrat der Stadt Wien übermittelt hat.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 14. März 2001 wies die belangte Behörde die Berufung des Mitbeteiligten vom 5. Jänner 2001 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. Dezember 2000 gemäß § 63 Abs. 5 AVG als unzulässig zurück. Der Bescheidbegründung ist entnehmbar, dass damit über die durch den Magistrat der Stadt Wien erhobene Berufung abgesprochen wurde. Auch der Beschwerdeführer geht davon aus. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Aktenvermerk (richtig: Schreiben) der Behörde erster Instanz vom 22. Dezember 2000 (gerichtet an die Bezirkshauptmannschaft Baden) zu entnehmen sei, dass dem Bundesasylamt, Außenstelle Traiskirchen, bereits am 22. Dezember 2000 bekannt gewesen sei, dass der Mitbeteiligte laut AIS-Auszug schon am 20. Dezember 2000 die Betreuungsstelle ohne Abmeldung verlassen habe. Eine neue Abgabestelle des Mitbeteiligten sei nicht bekannt gewesen. Aus der Niederschrift vom 21. Februar 2001 gehe hervor, dass der Mitbeteiligte seit 20. Dezember 2000 in Wien aufhältig gewesen sei und sich demnach zum fraglichen Zeitpunkt nicht mehr im Zuständigkeitsbereich der Bezirkshauptmannschaft Baden befunden habe. Dennoch sei der Bescheid vom 21. Dezember 2000 am 27. Dezember 2000 an den nicht mehr zuständigen Jugendwohlfahrtsträger, Bezirkshauptmannschaft Baden, zugestellt worden. Zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides an die Bezirkshauptmannschaft Baden sei der Mitbeteiligte nicht mehr im Zuständigkeitsbereich dieser Bezirkshauptmannschaft aufhältig gewesen. Die Bezirkshauptmannschaft Baden sei somit nicht mehr für die Vertretung des minderjährigen Mitbeteiligten zuständig gewesen. Eine neue Abgabestelle sei nicht ausgeforscht worden, sondern der Bescheid des Bundesasylamtes sei an den - wie der Behörde bekannt gewesen sei - nicht mehr zuständigen Vertreter zugestellt worden. Eine Heilung dieses Zustellmangels durch die Übermittlung einer Faxkopie vom nicht mehr zuständigen Jugendwohlfahrtsträger, der Bezirkshauptmannschaft Baden, an den nunmehr zuständigen Vertreter, den Magistrat der Stadt Wien, sei ebenfalls nicht zu Stande gekommen. Als Empfänger sei auf dem Bescheid des Bundesasylamtes der nicht mehr zuständige Jugendwohlfahrtsträger bezeichnet gewesen. Auch im Sinne des § 9 Zustellgesetz sei der Zustellmangel nicht saniert worden, da lediglich eine Kopie des Bescheides durch einen privaten Dritten (die Bezirkshauptmannschaft Baden) an den nunmehr zuständigen Jugendwohlfahrtsträger in Wien übermittelt worden sei. Außerdem scheide eine solche Heilung aus, weil dem Bundesasylamt der tatsächlich zuständige Vertreter des minderjährigen Mitbeteiligten mangels weiterer Ermittlungen zur Ausforschung des nunmehr zuständigen Jugendwohlfahrtsträgers nicht bekannt gewesen sei und somit die Zustellung des Bescheides an die Bezirkshauptmannschaft Baden nicht habe rechtswirksam sein können. Da der den Asylantrag zurückweisende Bescheid somit nicht rechtswirksam erlassen worden sei, sei die dagegen gerichtete Berufung als unzulässig zurückzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Amtsbeschwerde erwogen:

Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass die Bezirkshauptmannschaft Baden als Empfänger des Bescheides des Bundesasylamtes vom 21. Dezember 2000 bezeichnet war. Unstrittig ist weiters, dass die Übernahme der Bescheidausfertigung durch diese Bezirkshauptmannschaft am 27. Dezember 2000 erfolgte. Zutreffend wird schließlich weder in der Beschwerde noch in der Gegenschrift des Mitbeteiligten vom 21. Mai 2001 behauptet, dass etwa ein nach den Bestimmungen des Zustellgesetzes heilbarer Zustellmangel vorliege. Ebenso wird nicht bestritten, dass der Magistrat der Stadt Wien zum Zeitpunkt der Einbringung der Berufung am 5. Jänner 2001 als gesetzlicher Vertreter des Mitbeteiligten tätig werden konnte.

Umstritten ist lediglich, ob die ursprünglich zuständige Bezirkshauptmannschaft Baden im Zeitpunkt der Übernahme des Bescheides des Bundesasylamtes noch zur Wahrnehmung der gesetzlichen Vertretung des minderjährigen Mitbeteiligten berufen war und folglich tauglicher Empfänger des genannten Bescheides sein konnte. Der vorliegende Fall unterscheidet sich somit von jenem, der dem hg. Erkenntnis vom 16. Oktober 1996, Zl. 94/01/0587 (zu § 13 Abs. 2 Asylgesetz 1991), zugrunde lag: Damals war nämlich eine Zustellung an eine Bezirkshauptmannschaft erfolgt, die nach den Ausführungen in diesem Erkenntnis jedenfalls auch zuvor keine entsprechende Zuständigkeit gehabt hatte. Auch im hg. Beschluss vom 6. Oktober 1999, Zl. 98/01/0443, war ein anderer Sachverhalt zu beurteilen, insofern damals nämlich keinerlei Aufenthalt des minderjährigen Asylwerbers mehr in Österreich gegeben war, weshalb auch kein Jugendwohlfahrtsträger für ihn mehr eine Beschwerde erheben konnte.

Gemäß § 25 Abs. 2 Asylgesetz sind mündige Minderjährige, deren Interessen von ihren gesetzlichen Vertretern nicht wahrgenommen werden können, berechtigt, Anträge zu stellen. Gesetzlicher Vertreter wird mit Einleitung eines Verfahrens der örtlich zuständige Jugendwohlfahrtsträger. Sobald für solche Jugendliche ein gesetzlicher Vertreter gemäß § 95 Abs. 3 Fremdengesetz (FrG) einzuschreiten hat, wird er auch Vertreter nach diesem Bundesgesetz. § 95 Abs. 3 Fremdengesetz sieht vor, dass minderjährige Fremde, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und deren Interessen von ihrem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können, im eigenen Namen nur Verfahrenshandlungen zu ihrem Vorteil setzen können. Gesetzlicher Vertreter wird mit Einleitung eines solchen Verfahrens der Jugendwohlfahrtsträger der Hauptstadt des Bundeslandes, in dem sich der Minderjährige aufhält. Wäre demnach dieselbe Behörde für das fremdenpolizeiliche Verfahren und die Vertretung zuständig, so wird der sonst örtlich nächstgelegene Jugendwohlfahrtsträger gesetzlicher Vertreter.

§ 25 Abs. 2 Asylgesetz selbst enthält keine Regelung, welcher Jugendwohlfahrtsträger örtlich zuständig ist. Abgesehen von dem hier mangels Einleitung eines Verfahrens nach dem FrG (arg.:

"Sobald ... einzuschreiten hat," in § 25 Abs. 2 dritter Satz AsylG) nicht in Betracht kommenden Fall, dass sich die gesetzliche Vertretung nach § 25 Abs. 2 dritter Satz AsylG iVm § 95 Abs. 3 FrG

richtet, regelt § 25 Abs. 2 Asylgesetz auch nicht, unter welchen Voraussetzungen die Zuständigkeit eines Jugendwohlfahrtsträgers auf einen anderen Jugendwohlfahrtsträger übergeht. Zur Beantwortung beider Fragen ist daher auf andere Rechtsvorschriften zurückzugreifen, deren Vorhandensein vom Asylgesetz vorausgesetzt wird und an die dieses durch den Verweis auf die "örtliche Zuständigkeit" offensichtlich anknüpft. Entgegen der Auffassung von Wessely, Zur Vertretung des Minderjährigen im Asylverfahren, ZUV 1999/1, 19f, stellt § 25 AsylG insofern keine abschließende Regelung dar. Derartiges kann auch den Materialien zur Vorgängerbestimmung des § 13 AsylG 1991 (RV 270 BlgNR 18. GP, abgedruckt auch bei Steiner, Asylrecht '92, 70) nicht entnommen werden.

Nach § 25 Abs. 2 AsylG wird der örtlich zuständige Jugendwohlfahrtsträger zum gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen für den Teilbereich der Vertretung im Verfahren über dessen Asylantrag, und ihm fallen somit insoweit privatrechtliche Aufgaben (im Rahmen der Obsorge) zu. Es ist daher auf § 215a ABGB, der nach den Gesetzesmaterialien (RV 172 BlgNR 17. GP 23) "die örtliche Zuständigkeit des Jugendwohlfahrtsträgers und deren Übertragung" regelt, zurückzugreifen (ohne nähere Begründung aA Wessely, aaO, 20). Diese Bestimmung lautete in der hier anzuwendenden Fassung (vor dem KindRÄG 2001, BGBl. I Nr. 135/2000):

"§ 215a. Sofern nicht anderes angeordnet ist, fallen die Aufgaben dem Jugendwohlfahrtsträger zu, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt, mangels eines solchen im Inland seinen Aufenthalt hat. Wechselt der Minderjährige seinen Aufenthalt in den Sprengel eines anderen Jugendwohlfahrtsträgers, so kann der Jugendwohlfahrtsträger seine Aufgaben dem anderen mit dessen Zustimmung übertragen. Hievon ist das Gericht zu verständigen, wenn es mit Angelegenheiten des Minderjährigen bereits befasst war."

In der Lehre ist umstritten, ob sich § 215a zweiter Satz ABGB auch auf einen "Wechsel" des gewöhnlichen Aufenthalts bezieht oder ob in diesem Fall ein Zuständigkeitsübergang ex lege nach dem ersten Satz dieser Bestimmung eintritt (vgl. den bei Stabentheiner in Rummel ABGB3, Rz 4 zu § 215a, auch mit Nachweisen aus der Rechtsprechung wiedergegebenen Meinungstand; ohne Bezugnahme auf § 215a ABGB für einen Zuständigkeitsübergang ex lege auch:

Schmid/Frank, Asylgesetz 1997, 340f; Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 1997, Praxiskommentar, 319f).

Aus der (zivilgerichtlichen) Rechtsprechung ist im gegebenen Zusammenhang auf den Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 20. April 1993, 1Ob647/92, zu verweisen, dem der Fall zugrundelag, dass ein Minderjähriger seinen bisherigen gewöhnlichen Aufenthalt in Wien aufgegeben und in Wiener Neudorf einen (neuen) gewöhnlichen Aufenthalt begründet hatte. Dazu führte der Oberste Gerichtshof mit Bezug auf § 215a ABGB aus:

"Diese Bestimmung knüpft im ersten Satz somit in erster Linie an den gewöhnlichen Aufenthalt (§ 66 Abs. 2 JN) des Minderjährigen im Inland, und erst bei dessen Fehlen an den (schlichten) Aufenthalt (§ 67 JN) im Inland an, sodaß im vorliegenden Fall davon auszugehen ist, daß infolge Verlegung des gewöhnlichen Aufenthaltes des Minderjährigen nach Wiener Neudorf der für diesen Ort zuständigen Bezirkshauptmannschaft-Mödling-Jugendabteilung die Aufgaben des Jugendwohlfahrtsträgers zufallen, wie dies Schwimann für den Fall der Verlegung des gewöhnliches Aufenthaltes als zwingend ansieht (Schwimann, ABGB Praxiskommentar, Rz 3 aE zu § 215a). Der zweite Satz dieser Bestimmung sieht für den (hier nicht vorliegenden) Fall des schlichten Aufenthaltswechsels des Minderjährigen in den Sprengel eines anderen Jugendwohlfahrtsträgers (den Hauptfall wird etwa eine vorübergehende auswärtige Unterbringung zu Berufsausbildungszwecken darstellen) die im Einvernehmen der Jugendwohlfahrtsträger vorzunehmende Übertragung der Aufgaben und im dritten Satz deren Mitteilung an das bereits befaßte Gericht vor."

Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich dieser Auffassung an, wobei ergänzend anzumerken ist, dass "Jugendwohlfahrtsträger" das jeweilige Bundesland ist (vgl. § 4 Abs. 1 JWG 1989), was nunmehr auf Grund der diesbezüglichen Änderungen durch das KindRÄG 2001 in Bezug auf § 215a ABGB noch verdeutlicht wurde (vgl. dazu die Erläuterungen zur RV 296 BlgNR 21. GP). Der zweite Satz des § 215a ABGB regelt demnach den Zuständigkeitsübergang bei einem Wechsel des Aufenthalts des minderjährigen Kindes nicht abschließend. Während nach dem ersten Satz des § 215a ABGB eine Änderung der Zuständigkeit des Jugendwohlfahrtsträgers ex lege eintritt, ergänzt der zweite Satz des § 215a ABGB diese Regelung um die Möglichkeit (arg: "kann") der Zuständigkeitsübertragung für den Fall, dass die bisherige Zuständigkeit eines Jugendwohlfahrtsträgers infolge Weiterbestehens der zuständigkeitsbegründenden Umstände in Bezug auf diesen aufrecht bleibt.

Der zweite Satz des § 215a ABGB setzt nämlich voraus, dass dem ursprünglich zuständigen Jugendwohlfahrtsträger auch nach dem Wechsel des "Aufenthaltes" weiterhin eine Zuständigkeit zukommt, da er sonst "seine Aufgaben" nicht "übertragen" könnte. Anders als der erste Satz des § 215a ABGB regelt der zweite Satz dieser Bestimmung eben kein "Zufallen" sondern ein "Übertragen" der Zuständigkeit, weshalb er auch keine unter die salvatorische Klausel des ersten Satzes zu subsumierende Sonderregelung darstellen kann.

Verlegt daher ein Minderjähriger, der im Sprengel eines Jugendwohlfahrtsträgers einen gewöhnlichen Aufenthalt hat (etwa - wie im oben zitierten Beispiel des Obersten Gerichtshofes - zu Ausbildungszwecken) seinen (schlichten) Aufenthalt in den Sprengel eines anderen Jugendwohlfahrtsträgers, so kann der (bisher und weiterhin) kraft (aufrecht erhaltenen) gewöhnlichen Aufenthalts zuständige Jugendwohlfahrtsträger seine Aufgaben dem anderen mit dessen Zustimmung übertragen. Hat jedoch - wie im Beschwerdefall - nur ein (schlichter) Aufenthalt bestanden und wird dieser unter Aufgabe des bisherigen verlegt, so fällt die Zuständigkeit kraft Gesetzes (§ 215a erster Satz ABGB) dem Jugendwohlfahrtsträger des neuen Aufenthaltsortes zu.

Jugendwohlfahrtsträger ist im Übrigen, wie erwähnt, das Land.

§ 4 Abs. 2 Jugendwohlfahrtsgesetz 1989 sieht vor, dass die Landesgesetzgebung bestimmt, welche Organisationseinheiten die Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt zu besorgen haben. Im vorliegenden Fall eines Aufenthaltswechsels in ein anderes Bundesland braucht auf die Zuständigkeit einzelner Organisationseinheiten desselben Landes jedoch nicht eingegangen zu werden.

Geht man von den Feststellungen der belangten Behörde aus, die insoweit auf den Angaben des Mitbeteiligten bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 21. Februar 2001 beruhen, so folgt daraus in rechtlicher Hinsicht, dass der Mitbeteiligte am 27. Dezember 2000 nur mehr in Wien einen Aufenthalt, hingegen in Niederösterreich weder einen gewöhnlichen noch einen schlichten Aufenthalt hatte. Damit waren die Voraussetzungen für eine aufrechte Zuständigkeit des bisherigen Jugendwohlfahrtsträgers und folglich für die Möglichkeit eines Zuständigkeitsüberganges kraft (privatrechtlicher) Einigung zwischen den befassten Jugendwohlfahrtsträgern - worauf sich die Beschwerde im Übrigen auch nicht beruft - nicht gegeben.

Soweit als Verfahrensrüge geltend gemacht wird, die belangte Behörde hätte den Mitbeteiligten im Rahmen einer mündlichen Verhandlung selbst vernehmen müssen, fehlt es nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes an geeigneten Anhaltspunkten für die Möglichkeit, dass dies zu anderen als den getroffenen Feststellungen geführt hätte.

Da der angefochtene Bescheid somit zutreffend von der Unzuständigkeit der Bezirkshauptmannschaft Baden zur Wahrnehmung der gesetzlichen Vertretung des Mitbeteiligten im Zeitpunkt der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides ausging, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Die Umrechnung der entrichteten Stempelgebühren richtet sich nach § 3 Abs. 2 Z 2 Eurogesetz, BGBl. I Nr. 72/2000.

Wien, am 12. September 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001200245.X00

Im RIS seit

09.01.2003

Zuletzt aktualisiert am

22.09.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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