TE Vwgh Erkenntnis 2002/9/17 2001/01/0531

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Veröffentlicht am 17.09.2002
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57;
MRK Art3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des KA in Wien, geboren am 22. November 1976, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Oktober 2001, Zl. 223.660/0-XII/37/01, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt 2. (Entscheidung nach § 8 AsylG) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Sierra Leone und am 27. Februar 2001 in das Bundesgebiet eingereist, beantragte die Gewährung von Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab er im Wesentlichen an, die Sprachen "SOSO" und Englisch zu sprechen. Er sei 1998 von den Rebellen der "United Front" zum Beitritt gezwungen worden und habe für sie gegen die Regierung und gegen die ECOMOG kämpfen müssen. Schließlich sei ihm die Flucht aus der Rebellentruppe gelungen, im Fall einer Rückkehr nach Sierra Leone befürchte er als ehemaliges Mitglied der Rebellengruppe umgebracht oder allenfalls vor Gericht gestellt zu werden.

Das Bundesasylamt sowie - nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung, der der Beschwerdeführer unentschuldigt ferngeblieben ist - die belangte Behörde gingen davon aus, dass die Angaben des Beschwerdeführers, er sei Staatsangehöriger von Sierra Leone, unglaubwürdig seien. Die belangte Behörde begründete dies - neben dem Hinweis auf geographische Wissenslücken und Fehlbezeichnungen durch den Beschwerdeführer - u. a. damit, dass der Beschwerdeführer über keine Sprachkenntnisse in Mende verfüge, obwohl er gemäß seinen Behauptungen aus dem Kenema-District stamme, in dem Mende die "hauptsächliche Verständigungssprache" sei, weshalb bezüglich einer dort gelebt habenden Person gewisse Sprachkenntnisse in Mende vorausgesetzt werden müssten. Sowohl das Bundesasylamt als auch die belangte Behörde wiesen daher den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab; weiter stellten sie gemäß § 8 AsylG - die belangte Behörde iVm § 57 FrG - fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei.

Über die gegen den Berufungsbescheid der belangten Behörde erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die Beschwerde muss insoweit, als sie sich gegen die Abweisung des Asylantrages richtet (Spruchpunkt 1. des bekämpften Bescheides), erfolglos bleiben, weil die Beweiswürdigung der belangten Behörde der auf eine Schlüssigkeitsprüfung beschränkten Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof - auch bei Bedachtnahme auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde - standhält. Der Beschwerde ist insbesondere, soweit sie argumentiert, die Muttersprache des Beschwerdeführers sei Mende und dieser spreche perfekt Mende, zu entgegnen, dass der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt nach seinen Sprachkenntnissen befragt wurde und dabei ausdrücklich erklärte, er spreche "SOSO" - so habe er sich mit seinem Vater und innerhalb des Dorfes unterhalten - und - dies sei die Unterrichtssprache in der Schule gewesen - Englisch. Dass er auch Mende spreche, war seinen Angaben nicht ansatzweise zu entnehmen.

Hinsichtlich der behördlichen Entscheidung nach § 8 AsylG ist zunächst auf die Berufungsergänzung des Beschwerdeführers vom 18. August 2001 zu verweisen. Darin wird auf jenes Papier der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 21. Mai 2001 Bezug genommen, welches auszugsweise schon im hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2001/01/0597, wiedergegeben ist (siehe im Einzelnen dort). Weiters wird aus einem Bericht des (deutschen) Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Düsseldorf, vom 21. Juni 2001 wie folgt zitiert:

"Abgesehen von der nach wie vor prekären Sicherheitslage, die von einem ständigen Wechsel zwischen Waffenstillstandsabkommen und Verhandlungen einerseits und dem Wiederaufflackern von Kämpfen und Übergriffen auf Zivilpersonen andererseits gekennzeichnet ist, führt insbesondere die katastrophale Versorgungslage zur Annahme eines Abschiebungshindernisses. Die neunjährigen Kampfhandlungen haben zu einem vollständigen Zusammenbruch der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur geführt. (...) Die Situation hat sich zusätzlich dadurch dramatisch verschärft, dass in den letzten Monaten zu den 340.000 Binnenflüchtlingen noch ca. 50.000 Rückkehrer aus Guinea gekommen sind, die aufgrund der Rebellenangriffe in Guinea in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Die Aufnahmekapazitäten der Stadt Freetown sind bis aufs Äußerste angespannt und die Flüchtlingssituation im Dreiländereck Guinea, Liberia, Sierra Leone bezeichnet der UNHCR als die schlimmste Flüchtlingssituation der Welt. Rückkehrer aus Europa würden, über die außerordentlich harten Bedingungen für die verbliebene Bevölkerung hinaus, aufgrund fehlender Einbindung in familiäre und soziale Strukturen vor Ort zusätzlichen Problemen und Schwierigkeiten ausgesetzt sein. Bei der aufgezeigten Sachlage ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller im Falle einer Rückkehr nach Sierra Leone zum jetzigen Zeitpunkt alsbald schwerste Verletzungen oder sogar den Tod erleiden würde."

Unabhängig von diesem Vorbringen hätte sich die belangte Behörde aus den im schon erwähnten hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, auf das insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, näher dargestellten Gründen umfassend - auch unter Beachtung humanitärer Aspekte - mit der aktuellen Lage in Sierra Leone auseinander setzen und allgemein darauf abstellen müssen, ob eine Abschiebung des Beschwerdeführers dorthin - abgesehen von den außerdem zu berücksichtigenden Fällen einer drohenden Todesstrafe - mit Österreichs Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK vereinbar wäre. Demgegenüber hat sich die belangte Behörde mit einer bloßen Betrachtung der "Sicherheitslage" begnügt und schon im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer jedenfalls in dem von der Staatsregierung und den UNAMSIL-Truppen kontrollierten Gebiet (das seien Freetown und große Teile der Süd- und Ostprovinz) vor den Rebellen Zuflucht suchen könne und dort keinen extremen Bürgerkriegsgefahren ausgesetzt wäre, seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Sierra Leone für zulässig erachtet.

In seinem Ausspruch nach § 8 AsylG (Spruchpunkt 2.) war der bekämpfte Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, während die Beschwerde im Übrigen (siehe oben) gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Ein weiterer Kostenersatz unter dem Titel von Umsatzsteuer steht neben dem Pauschbetrag für den Schriftsatzaufwand nicht zu.

Wien, am 17. September 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001010531.X00

Im RIS seit

07.11.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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