TE Vwgh Erkenntnis 2002/9/17 2001/01/0516

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.09.2002
beobachten
merken

Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57 Abs1;
MRK Art3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des OF in Wien, geboren am 5. Mai 1982, vertreten durch Dr. Farid Rifaat, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. Oktober 2001, Zl. 219.481/8-XII/37/01, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Sierra Leone und am 17. August 2000 in das Bundesgebiet eingereist, beantragte die Gewährung von Asyl. Er gab an, in Peyima geboren worden zu sein und dort zuletzt an der Adresse Kissy Street 26 gewohnt zu haben.

In der Niederschrift über seine Einvernahme durch das Bundesasylamt ist zum Punkt "Militärdienst" festgehalten: "05/2000 - 07/2000, einf. Soldat in Tumbodu". Als "Sichtb. Merkmale" sind vermerkt: "... an der re. und li. Wange jeweils eine 1 cm lange Narbe und an der li. Bauchseite unzählige 0,5 cm lange senkrechte Narben (Stammeszeichen aus dem Chiefdom Kamara)". Im Übrigen gestaltete sich die Einvernahme des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgrund gemäß der in den Verwaltungsakten erliegenden

Niederschrift wie folgt:

"Dem AW werden bei der Einvernahme einige Fragen zu seinem

Land gestellt.

Frage: Sprechen Sie eine Stammessprache?

Antwort: Nein.

Frage: Welche Farbe haben die Kennzeichen in Sierra Leone?

Antwort: Die Kennzeichenfarbe der Fahrzeuge in Sierra Leone

ist weiß und die Buchstaben sind schwarz.

Frage: Was kostet ein Brot in Sierra Leone?

Antwort: Cirka 300,-- Leones.

Frage: Was ist Plassas?

Antwort: Plassas ist eine Suppe, welche aus Blättern eines Baumes hergestellt wird.

Frage: Wann und wie lange dauert die Regenzeit in Sierra Leone?

Antwort: Die Regenzeit in Sierra Leone ist vom März bis Juli, im April und Mai regnet es am stärksten.

Frage: Können Sie einige Zeitungen von Sierra Leone nennen?

Antwort: In Sierra Leone gibt es folgende

Zeitschriften: Daily Times, Observer sowie Concort und New Breat.

Dem AW wird zur Kenntnis gebracht, dass seine Angaben nur zum Teil den Tatsachen in Sierra Leone entsprechen. Trotzdem bleibt er dabei, Staatsbürger dieses Landes zu sein.

Zum Fluchtgrund befragt, gibt der AW Folgendes an:

Im April 2000 kamen Angehörige des Rebellenführers Foday Sankoh in unser Dorf und töteten einige Dorfbewohner sowie meine Eltern. Ich selbst wurde von den Rebellen anschließend mitgenommen und in ein Camp nach Borkery gebracht. Dort wurde ich anschließend drei Wochen an einer Waffe ausgebildet. Anschließend war ich bis zum 01. Juli 2000 als Kämpfer für diese Rebellengruppe unterwegs und haben wir einige Dörfer, unter anderem auch mein Dorf, überfallen. Am 01.07.2000 gelang mir die Flucht aus diesem Camp und reiste ich anschließend auf dem von mir geschilderten Reiseweg bis nach Österreich.

Frage: Waren dies die Gründe, warum Sie Sierra Leone verlassen haben? Antwort: Ja.

Frage: Haben Sie den Dolmetsch bisher einwandfrei verstehen können und haben Sie das Gefühl, dass dieser Ihre Angaben richtig und vollständig wiedergibt? Wenn dies der Fall ist, dann bestätigen Sie dies mit Ihrer Unterschrift! (Unterschrift)

Frage: Haben Sie während des Kampfeinsatzes Menschen getötet?

Antwort: Vermutlich ja. Wie viele ich konkret getötet habe, kann ich jedoch nicht angeben.

Frage: Wo haben Sie sich vom 01.07. bis zu Ihrer Ausreise in Sierra Leone aufgehalten?

Antwort: Ich habe mich bis zu meiner Ausreise in Kurako, bei dieser fußamputierten Frau aufgehalten.

Frage: Warum haben Sie konkret das Land verlassen?

Antwort: Konkret habe ich das Land deshalb verlassen, weil ich einerseits bei einem Verbleib Probleme mit dem Rebellenführer Foday Sankoh befürchtete, weil ich seine Truppe ohne Zustimmung verlassen habe. Andererseits fürchtete ich mich vor den Dorfbewohnern meines Heimatortes, weil ich diese bei einem Überfall auf unser Dorf als Kämpfer für Foday Sankoh gesehen haben.

Frage: Waren Sie jemals in Haft oder wurden Sie festgenommen?

Antwort: Nein.

Frage: Hatten Sie Probleme mit den Behörden in Sierra Leone?

Antwort: Nein.

Frage: Haben Sie sonst noch etwas vorzubringen?

Antwort: Nein.

Frage: An welcher Waffe wurden Sie ausgebildet?

Antwort: Ich wurde an einem Gewehr, Marke und Type unbekannt, von den Rebellen ausgebildet.

Frage: Was befürchten Sie bei Ihrer Rückkehr nach Sierra Leone erleiden zu müssen?

Antwort: Sollte ich nach Sierra Leone eventuell zurückkehren müssen, befürchte ich einerseits von den Rebellen des Foday Sankoh und andererseits von meinen Dorfbewohnern getötet zu werden. Von den Rebellen deshalb, weil ich das Lager der Rebellen ohne Zustimmung verlassen habe und andererseits von den Dorfbewohnern, weil ich gegen diese mit den Rebellen mit Waffengewalt vorgegangen bin."

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 17. Oktober 2001 wies die belangte Behörde den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt 1.). Weiters stellte sie gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei (Spruchpunkt 2.). Die belangte Behörde führte aus, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden könne. Ebenso wenig könne festgestellt werden, dass er Staatsangehöriger von Sierra Leone sei oder dass er staatenlos sei und seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Sierra Leone gehabt habe. Seine Angaben zu seinem Herkunftsstaat seien offensichtlich falsch und es entsprächen die damit verbundenen Fluchtgründe offensichtlich nicht den Tatsachen; die Angaben zum Fluchtweg und zu den Fluchtgründen würden der Entscheidung mangels Glaubwürdigkeit nicht zu Grunde gelegt. Beweiswürdigend verwies die belangte Behörde auf die Erläuterungen des in der mündlichen Berufungsverhandlung anwesenden nicht amtlichen Sachverständigen "für die Gegebenheiten in Sierra Leone und die dort gesprochenen Sprachen". Dieser habe im Rahmen der mündlichen Berufungsverhandlung - der der Beschwerdeführer ferngeblieben sei -

dargestellt, dass es ein Dorf bzw. eine Stadt namens Peyima mit der Straßenbezeichnung Kissy Street 26 in Sierra Leone nicht gebe; er habe mitgeteilt, dass es eine Kissy Road in Freetown und eine Kissy Town Road in Bo gebe. Gemäß den weiteren Ausführungen des Sachverständigen existiere überdies - entgegen den Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt - kein Ort namens Borkery in Sierra Leone und gebe es die Zeitschrift "New Breed" seit 1994 nicht mehr in Sierra Leone; eine Zeitschrift namens "Daily Times" sei nicht vorhanden. Schließlich habe - so die belangte Behörde weiter - der Beschwerdeführer nicht erklären können, was "Plassas" bedeute, obwohl es sich dabei laut einer näher genannten Unterlage um eine Soße handle, welche in Sierra Leone typischerweise mit dem wichtigsten Grundnahrungsmittel Reis zubereitet werde und somit als Nationalgericht jedem Staatsangehörigen von Sierra Leone bekannt sein müsste. Zusammenfassend sei somit festzuhalten, dass der Beschwerdeführer über äußerst mangelhafte Kenntnisse hinsichtlich seines angeblichen Heimatstaates verfüge und sein gesamtes Vorbringen demnach, auch unter Zugrundelegung der mangelnden Schulbildung, als absolut unglaubwürdig erscheine. Der Beschwerdeführer sei nicht imstande gewesen, grundsätzliche Fragen über alltägliche Dinge zu beantworten, die jeder aus Sierra Leone stammenden Person bekannt sein müssten. Es werde daher davon ausgegangen, dass die wenigen Fakten, die der Beschwerdeführer über Sierra Leone gewusst habe, von ihm lediglich auswendig gelernt worden seien. Da der Beschwerdeführer somit offenbar nicht aus Sierra Leone stamme und auch nicht die Staatsangehörigkeit dieses Staates besitze, ergebe sich zwangsläufig, dass Sierra Leone nicht Verfolgerstaat im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention sein könne und dass demnach eine asylrelevante Bedrohung des Beschwerdeführers durch Sierra Leone nicht in Betracht komme.

Ihre Entscheidung zu § 8 AsylG begründete die belangte Behörde damit, dass eine individuell-konkrete, vom Staat geduldete Bedrohung des Beschwerdeführers jedenfalls nicht gegeben sei, da er nicht einmal seine Herkunft aus Sierra Leone habe glaubhaft machen können. Aus den Feststellungen zur allgemeinen Situation "im Heimatland des Asylwerbers" - demnach schreite die Entwaffnung der Bürgerkriegsparteien seit dem 18. Mai 2001 voran und sei die Bevölkerung in Freetown und Umgebung sowie in großen Teilen der Süd- und Ostprovinz jedenfalls vor Übergriffen der Rebellen sicher - ergebe sich im Übrigen nicht, dass infolge Zusammenbruchs der Staatsgewalt jeder nach Sierra Leone abgeschobene Fremde einer Gefahr im Sinn des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG ausgesetzt wäre. Es sei daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer jedenfalls in dem von der Staatsregierung und den UNAMSIL-Truppen kontrollierten Gebiet Zuflucht suchen könne und dort keinen extremen Bürgerkriegsgefahren ausgesetzt wäre, weshalb kein Abschiebungshindernis vorliege.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Der Beschwerdeführer wendet sich mit Recht gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde. Diese stützt sich zunächst auf die Äußerungen des beigezogenen Sachverständigen zum (angeblichen) Wohnort des Beschwerdeführers. Im Protokoll über die mündliche Berufungsverhandlung ist diese Äußerung wie folgt wiedergegeben: "Ein Dorf oder eine Stadt namens Peyima, Kissy street 26 gibt es nicht. Ich kenne nur die Kissy Road in Freetown oder die Kissy Town Road in Bo." Sollte diese Äußerung so zu verstehen sein, dass der Sachverständige die Existenz einer Adresse "Kissy Street 26" in der Stadt Peyima ausschließe - in diesem Sinn ist wohl auch die entsprechende Passage im bekämpften Bescheid zu lesen -, so stellte sich tatsächlich die Frage, auf Grund welcher Umstände der Sachverständige zu diesem Ergebnis gelangen konnte. Wie die Beschwerde richtig aufzeigt, kann schwerlich davon ausgegangen werden, dass der Sachverständige sämtliche Straßen in jedem Ort von Sierra Leone kenne. Sollte der Sachverständige hingegen zum Ausdruck gebracht haben wollen, es existiere in Sierra Leone überhaupt keine Ortschaft namens Peyima - diesen Standpunkt vertritt die belangte Behörde ausdrücklich in ihrer Gegenschrift -, so wäre auf allgemein zugängliches Kartenmaterial zu verweisen, demzufolge es sich bei Peyima um eine Ortschaft nördlich der Stadt Koido-Sefadu im Kono-District, Chiefdom Kamara, handelt. Damit korrespondieren im Übrigen die in der Niederschrift des Bundesasylamtes unter "Sichtb. Merkmale" festgehaltenen Angaben über die Stammeszeichen des Beschwerdeführers (siehe dazu eingangs). Weiter sei darauf hingewiesen, dass sich gemäß dem Kartenmaterial unweit von Peyima eine Ortschaft namens Tumbodu befindet, die der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit seinem "Militärdienst" von Mai bis Juli 2000 genannt hat. Von daher können aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer weiter ausgeführt hat, er sei von den Rebellen "in ein Camp nach Borkery gebracht" worden und daraus, dass ein Ort namens Borkery in Sierra Leone nicht existiere, keine weitreichenden Schlüsse gezogen werden. Ergänzend sei in diesem Zusammenhang noch angemerkt, dass sich offenkundig östlich von Peyima und Tumbodu eine Ortschaft namens Kurako - wo sich der Beschwerdeführer gemäß seinen Angaben nach der Flucht aus dem Camp der Rebellen aufgehalten habe - befindet.

Angesichts der eben dargestellten Aspekte kommt den - jedenfalls nur teilweise - unrichtigen Angaben des Beschwerdeführers über die Zeitschriftenlandschaft in Sierre Leone nur untergeordnete Bedeutung zu. Wenn die belangte Behörde schließlich ausführt, der Beschwerdeführer habe nicht erklären können, was "Plassas" bedeute, so ist auf die in den Verwaltungsakten erliegende Unterlage zu verweisen, wonach es sich bei "Plassas" um eine Soße aus zerstoßenen Maniokblättern, Palmöl und Cayennepfeffer handle. Davon ausgehend mag die Angabe des Beschwerdeführers, "Plassas" sei eine Suppe, welche aus Blättern eines Baumes hergestellt werde, allenfalls unpräzise sein, dass er mit dem Begriff "Plassas" nichts habe anfangen können, lässt sich jedoch nicht vertreten.

Im Ergebnis halten die von der belangten Behörde für ihre Beweiswürdigung herangezogenen Argumente damit insgesamt einer Schlüssigkeitsprüfung nicht stand. Ihre zusammenfassenden Ausführungen, der Beschwerdeführer verfüge über äußerst mangelhafte Kenntnisse hinsichtlich seines angeblichen Heimatstaates Sierra Leone und sei nicht in der Lage gewesen, Fragen über alltägliche Dinge zu beantworten, die jeder aus Sierra Leone stammenden Person bekannt sein müssten, sind - soweit es sich dabei nicht ohnehin nur um eine Folgerung aus den im einzelnen dargestellten und eben erörterten Gesichtspunkten handelt - mangels Konkretisierung einer näheren Überprüfung nicht zugänglich.

Nach dem Gesagten ist der bekämpfte Bescheid mit einem Verfahrensmangel behaftet. Dieser ist wesentlich, weil das Vorbringen des Beschwerdeführers - legte man es der Beurteilung zu Grunde - zur Gewährung von Asyl führen könnte.

Dem bekämpften Bescheid ist weiter anzulasten, dass im Rahmen der Entscheidung nach § 8 AsylG unter dem Blickwinkel des § 57 Abs. 1 FrG allgemein darauf abzustellen gewesen wäre, ob eine Abschiebung nach Sierra Leone - abgesehen von den außerdem zu berücksichtigenden Fällen einer drohenden Todesstrafe - mit Österreichs Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK vereinbar ist (vgl. dazu näher das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2001/01/0597). Die bloße Betrachtung der "Sicherheitslage" hat diesen Anforderungen nicht Rechnung getragen. Dass in der Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid von nicht vorhandenen Unterbringungsmöglichkeiten für Vertriebene, von der Überfüllung der Lager und den daraus resultierenden schlechten hygienischen Bedingungen, die zu einem Anstieg der "Infektionsraten" geführt hätten, die Rede ist, sei in diesem Zusammenhang nur der Vollständigkeit halber angemerkt. Der bekämpfte Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 17. September 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001010516.X00

Im RIS seit

07.11.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten