TE Vwgh Erkenntnis 2002/9/26 2001/06/0038

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Veröffentlicht am 26.09.2002
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Index

L80007 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Tirol;
L82000 Bauordnung;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);

Norm

ABGB §6;
BauRallg;
B-VG Art7 Abs1;
ROG Tir 1997 §10 Abs1;
VwRallg;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2001/06/0107

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lamprecht, über die Beschwerden

1. der H GmbH in B, vertreten durch Dr. Josef-M. Danler, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Colingasse 3, und 2. der Marktgemeinde Z, vertreten durch Dr. Georg Santer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Anichstraße 29, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 19. Februar 2001, Zl. Ve1-547-267/1-10, betreffend Aufhebung einer baubehördlichen Bewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführenden Parteien haben dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 623,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Bürgermeisters der zweitbeschwerdeführenden Marktgemeinde vom 2. November 2000 wurde der erstbeschwerdeführenden Gesellschaft nach Durchführung einer Bauverhandlung die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Bau- und Gartenmarktes auf dem Grundstück Nr. 594/2 der KG Z unter Auflagen erteilt. Nach dem Inhalt des Baugesuches handelt es sich bei dem bewilligten Projekt um den Neubau eines "Bau- und Gartenmarktes" samt den erforderlichen KFZ-Stellplätzen einschließlich zehn Behindertenparkplätze, der nach der Baubeschreibung eingeschossig errichtet werden und folgende Flächenverhältnisse aufweisen soll:

 

Flächenausmaß des Bauplatzes

30.146,00 m2

Ausmaß der überbauten Fläche

12.701,08 m2

Ausmaß der Baumasse gemäß § 2 Abs. 4 TVAAG

41.839,77 m3

Gesamtgeschossfläche

11.954,00 m2

Gesamtnutzfläche der Betriebsräume

11.667,29 m2.

Nach dem geltenden Flächenwidmungsplan der zweitbeschwerdeführenden Marktgemeinde liegt das Grundstück Nr. 594/2 der KG Z in als "Gewerbe- und Industriegebiet" gewidmetem Bauland.

Mit Schreiben der belangten Behörde an die beschwerdeführenden Parteien vom 29. November 2000 wurde die Einleitung des Aufhebungsverfahrens gemäß § 68 Abs. 4 AVG mitgeteilt.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid hob die belangte Behörde als Aufsichtsbehörde den Bescheid des Bürgermeisters der zweitbeschwerdeführenden Marktgemeinde vom 2. November 2000 gemäß § 113 Abs. 1 der Tiroler Gemeindeordnung 1966 in Verbindung mit § 68 Abs. 4 Z. 4 des AVG und des § 51 lit. c der Tiroler Bauordnung 1998 auf.

Nach Darstellung des bisherigen Verfahrens, wörtlicher Wiedergabe einer Stellungnahme der Fachabteilung Raumordnung-Statistik/überörtliche Raumordnung sowie den hiezu eingelangten Entgegnungen der beschwerdeführenden Parteien und Zitierung der von ihr in Anwendung gebrachten gesetzlichen Bestimmungen führte die belangte Behörde in der Sache selbst aus, aus dem Zusammenhang der §§ 108 Abs. 3 und 113 Abs. 1 der Tiroler Gemeindeordnung 1966, des § 68 Abs. 4 Z. 4 AVG sowie des § 26 Abs. 3 der Tiroler Bauordnung 1998 ergäben sich zunächst ganz allgemein zwei Voraussetzungen für eine gemeindeaufsichtsbehördliche Aufhebung eines rechtskräftigen Baubewilligungsbescheides, nämlich das Vorliegen einer im Gesetz ausdrücklich mit Nichtigkeit bedrohten Fehlerhaftigkeit des Bescheides und die Vereinbarkeit dieser Maßnahmen mit dem Grundsatz der möglichsten Schonung von Rechten Dritter.

Zum Vorliegen einer im Gesetz ausdrücklich mit Nichtigkeit bedrohten Fehlerhaftigkeit des Baubescheides sei festzustellen, dass der erstbeschwerdeführenden Gesellschaft die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Bau- und Gartenmarktes auf dem bezeichneten Grundstück (rechtskräftig) erteilt worden sei und sich das gegenständliche Grundstück im Gewerbe- und Industriegebiet im Sinne der Bestimmung des § 39 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1997 befinde. Aus den Einreichplänen und dem Bauansuchen ergäbe sich, dass die Kundenfläche des bewilligten Bauvorhabens insgesamt 10.786 m2 umfasse. Das Warenangebot des (von der "Firma H" zu betreibenden) Bau- und Gartenmarktes umfasse ein breites Sortiment aus den Bereichen Baustoffe, Innenausbau sowie Garten- und Freiraumgestaltung. Auf Grund dieses Warenangebotes sei der gegenständliche Betrieb als Betriebstyp IV laut der Anlage zu den §§ 10 und 49 TROG 1997 zu qualifizieren, der dadurch charakterisiert sei, dass er Einkaufsflächen umfasse, in denen Waren eines artverwandten Fachsortimentes angeboten werden, die in einem mehr als geringfügigen Ausmaß nach ihrer Beschaffenheit bzw. nach den Packungs- oder Gebindegrößen vom Kunden nur unter Verwendung eines Kraftfahrzeuges abtransportiert werden können. Aus der Anlage zu den §§ 10 und 49 TROG 1997 ergebe sich weiters, dass das Ausmaß der Kundenfläche eines Betriebes des Betriebstyps IV in Gemeinden mit 5.001 bis 10.000 Einwohnern (Anm.: in dieser Größenordnung bewegt sich die Einwohnerzahl der zweitbeschwerdeführenden Marktgemeinde) nur 1.500 m2 betragen dürfe, um auf einer Fläche, die nicht als Sonderfläche für Einkaufszentren gemäß § 49 TROG 1997 gewidmet sei, errichtet werden zu dürfen. Da die Kundenfläche im gegenständlichen Fall

10.786 m2 betrage, sei dieser Schwellenwert erheblich überschritten. Gemäß § 49 Abs. 1 TROG 1997 sei die Errichtung von Einkaufszentren und die Ausführung von Bauvorhaben, durch die Abstellmöglichkeiten, die für die Kunden, die Beschäftigten oder die Lieferanten von Einkaufszentren geschaffen würden, nur auf Grundflächen, die als Sonderflächen für Einkaufszentren gewidmet seien, zulässig. Da im gegenständlichen Fall eine Baubewilligung für die Errichtung eines Einkaufszentrums im Sinne der Bestimmung des § 10 TROG 1997 erteilt worden sei, obwohl das Grundstück, auf welchem dieses Bauvorhaben verwirklicht werden solle, als "Gewerbe- und Industriegebiet" und nicht als "Sonderfläche für Einkaufszentren" gewidmet sei, liege eindeutig ein Widerspruch des Bauvorhabens zum geltenden Flächenwidmungsplan vor. Dies bedeute aber, dass der Baubescheid des Bürgermeisters der zweitbeschwerdeführenden Marktgemeinde an einem im Sinne des § 53 lit. c TBO 1998 mit Nichtigkeit bedrohten Fehler leide. Insoweit entgegen gehalten werde, dass die Definition als "Einkaufszentrum" im Sinne des TROG 1997 das Vorhandensein mehrerer Betriebe voraussetze, erweise sich diese Argumentation schon deshalb als unzutreffend, weil eine derartige Auslegung im Hinblick auf die Textierung des § 10 Abs. 1 erster Satz TROG 1997 nach dem grammatikalischen Zusammenhang mit dessen Wortsinn in Widerspruch stehe. Aus der Bestimmung des § 10 Abs. 1 TROG 1997 lasse sich überdies ableiten, dass der Gesetzgeber generell von dem Fall ausgegangen sei, dass ein Einkaufszentrum ein Gebäude oder Teil eines Gebäudes sei, in welchem ein Betrieb oder Teil eines Betriebes untergebracht sei, der Waren oder Waren und Dienstleistungen anbiete und dessen Kundenfläche das in der Anlage festgelegte Ausmaß übersteige. Für den Fall des Vorliegens mehrerer Gebäude oder Teile von Gebäuden bzw. das Vorliegen mehrerer Betriebe oder Teile von Betrieben würden spezielle Regelungen getroffen. Auch sei festzustellen, dass die Umschreibung der verschiedenen Betriebstypen in der Anlage zu den §§ 10 und 49 TROG 1997 keinerlei Anhaltspunkte dafür liefere, dass ein Einkaufszentrum zwingend aus mehreren Betrieben bestehen müsse. Im Gegenteil lege unter Einbeziehung der tatsächlichen Erscheinungsformen von Handelsbetrieben mit einem entsprechenden Warenangebot vor allem die Definition der Betriebstypen I, IV und VI mit besonderer Eindringlichkeit das Gegenteil nahe. Auch aus einer historischen Betrachtung der Einkaufszentrenregelung lasse sich nichts Gegenteiliges gewinnen. Die Bestimmung des § 16b Abs. 1 TROG 1984 habe Einkaufszentren als Gebäude oder Teile von Gebäuden definiert, in denen Waren oder Waren und Dienstleistungen angeboten würden und deren Kundenfläche das in der Anlage festgelegte Ausmaß übersteige. Kundenflächen in mehreren Gebäuden seien zusammenzuzählen, wenn diese Gebäude in einem räumlichen Naheverhältnis stünden und eine funktionale Einheit bildeten. Kundenflächen mehrerer Betriebe seien zusammenzuzählen, wenn diese Betriebe eine betriebsorganisatorische Einheit bildeten. Befänden sich deren Kundenflächen in mehreren Gebäuden, so seien sie nur zusammenzuzählen, wenn die Gebäude in einem räumlichen Naheverhältnis stünden und eine funktionelle Einheit bildeten. Die jetzige raumordnungsrechtliche Einkaufszentrenregelung basiere auf der Regelung des TROG 1994, welche die mit der 6. Raumordnungsnovelle eingeführte Einkaufszentrumsregelung vollständig übernommen habe. Im Hinblick auf die zwischenzeitlich gewonnenen praktischen Erfahrungen sei jedoch eine verwaltungsökonomisch günstigere Regelungstechnik eingeführt worden. Über die bisherige Regelung hinaus seien auch bauliche Anlagen, die keine Gebäude seien, unter der Voraussetzung, dass sie mit dem Einkaufszentrum im Zusammenhang stünden, in den Einkaufszentrenbegriff einbezogen worden. Aus den "Erläuternden Bemerkungen" zum TROG 1994 ergäbe sich, dass sich die Einbeziehung baulicher Anlagen, die keine Gebäude seien, jedoch mit dem Einkaufszentrum im Zusammenhang stünden, in den Einkaufszentrenbegriff in der Praxis als erforderlich erwiesen habe, weil speziell die Kundenflächenbeschränkungen durch Verkaufstätigkeiten außerhalb des Einkaufszentrengebäudes unterlaufen worden seien. Bereits aus den "Erläuternden Bemerkungen" sei der eindeutige Wille des Gesetzgebers ersichtlich, die bisherige Einkaufszentrenregelung ohne Einschränkungen des Geltungsbereiches zu übernehmen, wobei es sogar zu einer Ausdehnung des Begriffes durch Einbeziehung von Freiflächen gekommen sei. Eine Einschränkung des Einkaufszentrenbegriffes sei seitens des Gesetzgebers daher zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt gewesen.

Zur Frage der Vereinbarkeit der Aufhebung des gegenständlichen Baubescheides mit dem Gebot der möglichsten Schonung bereits erworbener Rechte Dritter werde festgestellt, dass zwar das der Aufsichtsbehörde zustehende Ermessen nicht in der Weise ausgeübt werden dürfe, dass wegen jeder auch noch so geringfügigen Rechtswidrigkeit in rechtskräftige Bescheide eingegriffen werde. Vielmehr seien im Zuge der Ermessensübung die nachteiligen Wirkungen des Bescheides in Bezug auf das durch die verletzte Norm geschützte öffentliche Interesse gegen jene Nachteile abzuwägen, welche die Aufhebung des Bescheides in Bezug auf die durch das Prinzip der Rechtssicherheit geschützten Interessen des Dritten laut den konkret zu beurteilenden Umständen des Einzelfalles mit sich brächte. In der Regel liege es vor dem Hintergrund von Sinn und Zweck der Raumordnungsvorschriften auf der Hand, dass die Beseitigung eines gegen diese Vorschriften verstoßenden Bescheides erforderlich sei, solle nicht das öffentliche Interesse an deren Einhaltung auf unerträgliche Weise verkürzt werden. Die Errichtung des baubehördlich bewilligten Bau- und Gartenmarktes, der unzweifelhaft als Einkaufszentrum im Sinne der Bestimmung des § 10 Abs. 1 TROG 1997 zu qualifizieren sei, auf einem (bloß) als Gewerbe- und Industriegebiet gewidmeten Grundstück würde jedoch fortdauernde nachteilige Wirkungen auf die mit der Sonderflächenwidmung für Einkaufszentren verfolgten überörtlichen planerischen Zielsetzungen mit sich bringen. In diesem Zusammenhang werde auf § 10 Abs. 4 TROG 1997 verwiesen, wonach die Landesregierung in einem Raumordnungsprogramm die Grundsätze zu bestimmen habe, die bei der Widmung von Sonderflächen für Einkaufszentren zu berücksichtigen seien. Eine Widmung von Sonderflächen für Einkaufszentren im Sinne des § 49 Abs. 1 TROG 1997 sei wiederum nur zulässig, wenn die im Entwicklungsprogramm nach § 10 Abs. 4 leg. cit. aufgestellten Grundsätze erfüllt seien. Das bedeute, dass für den Bereich der Einkaufszentren ausdrücklich eine Verknüpfung zwischen örtlicher und überörtlicher Raumordnung hergestellt worden sei. Im "Allgemeinen Entwicklungsprogramm für Einkaufszentren", LGBl. Nr. 22/1992, seien von der Landesregierung Grundsätze, die bei der Widmung von Sonderflächen für Einkaufszentren zu beachten seien, festgelegt worden. Nach § 1 dieser Verordnung sei die Widmung von Sonderflächen für Einkaufszentren der Betriebstypen I bis IV und VI in bestimmt bezeichneten Gemeinden zulässig (zu denen die zweitbeschwerdeführende Marktgemeinde nicht gehört). Die Auswahl dieser Gemeinden sei - entgegen der Behauptung der zweitbeschwerdeführenden Marktgemeinde - keineswegs subjektiv erfolgt, sondern nach Erhebungen und entsprechenden Analysen. Eine 1999 neuerlich vorgenommene Überprüfung habe keine Entwicklung ergeben, die die Einbeziehung auch der zweitbeschwerdeführenden Marktgemeinde als Standortgemeinde für Einkaufszentren gerechtfertigt hätte. Die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Einkaufszentrums in der beschwerdeführenden Marktgemeinde, die nicht Standortgemeinde für Einkaufszentren sei, widerspreche sohin im wichtigen öffentlichen Interesse gelegenen überörtlichen raumordnerischen Zielsetzungen. Das bewilligte Projekt widerspreche überdies auch den Bestimmungen der §§ 3 und 4 des allgemeinen Entwicklungsprogramms für Einkaufszentren, zumal das Ausmaß der überbauten Fläche sowie der vorgesehenen Stellflächen die dort vorgesehenen Höchstmaße überschritten. Für Stellplätze sei weder die Errichtung von Tiefgaragen noch von Parkdecks vorgesehen, was überdies dem Ziel der überörtlichen Raumordnung an der sparsamen und zweckmäßigen Nutzung des Bodens widerspreche. Sohin stehe fest, dass die Errichtung des gegenständlichen baubehördlich bewilligten Einkaufszentrums mit Auswirkungen raumordnerischer Art verbunden sei, die überörtliche Interesse in überwiegendem Maße nachteilig berührten. Die Erstbeschwerdeführerin als Bauwerberin sei auch nicht schutzwürdig, da ihr bereits vor Einbringung des gegenständlichen Baubewilligungsantrages die dargelegte Problematik, insbesondere die von der belangten Behörde vertretene und nunmehr wiedergegebene Rechtsansicht, bekannt gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richten sich die vorliegenden Beschwerden, wobei jene der zweitbeschwerdeführenden Marktgemeinde zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtet, von diesem aber nach Ablehnung ihrer Behandlung auf entsprechenden Antrag mit Beschluss vom 20. Juli 2001, B 623/01-3, V 46/01-3, G 165/01-3, an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abgetreten worden war.

Beide beschwerdeführenden Parteien erachten sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf eine gesetzeskonforme Anwendung des § 10 Abs. 1 TROG 1997 bzw. Auslegung des in dieser Norm verwendeten Begriffes "Einkaufszentren" verletzt.

Als Beschwerdegrund wird inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend gemacht.

In Ausführung der Beschwerden, insbesondere jener der erstbeschwerdeführenden Partei, wird geltend gemacht, die von der belangten Behörde vorgenommene Qualifizierung des gegenständlichen Betriebes als dem Betriebstyp IV der Anlage zu §§ 10 und 49 TROG 1997 unterfallend, habe keine ausreichende Begründung. Aus grammatikalischer Sicht sei aus der vorliegenden Gesetzesfassung und der dort vorgenommenen Verwendung des Plurals der Mehrzahlumschreibung "Betrieben" der Schluss zu ziehen, dass dieses Merkmal auf eine Mehrzahl zu beziehen sei, sohin eine Mehrzahl von Betrieben vorliegen müsse, um der gesetzlichen Definition zu entsprechen. Hiezu wird auf das der Beschwerde beigelegte sprachwissenschaftliche Gutachten des Instituts für Germanistik der Universität Innsbruck vom 2. Juni 2000 Bezug genommen. Auch das ebenfalls der Beschwerde beigelegte Rechtsgutachten des o. Univ. Prof. Dr. B. Raschauer vom März 2001 komme zu dem Schluss, dass Einkaufszentren im Sinne des TROG 1997 Gebäude seien, in denen mehrere Betriebe untergebracht seien, die Waren oder Waren und Dienstleistungen anbieten. Sowohl die Wortinterpretation "im natürlichen Sinne" als auch jene nach der raumordnungsrechtlichen eigentümlichen Bedeutung des Begriffes "Einkaufszentrum" verlange das Vorhandensein einer Mehrzahl von Betrieben, sodass die Unterbringung lediglich eines Betriebes den Begriff des Einkaufszentrums nicht erfülle. Auch im Hinblick auf den Grundsatz der Baufreiheit sei aus verfassungsrechtlicher Sicht zu ergänzen, dass in einer durch die Grundrechte der Eigentumsgarantie und der Erwerbsfreiheit charakterisierten Rechtsordnung Einschränkungen der Freiheit der Sachnutzung im Zweifel nicht vermutet werden dürften und Eingriffe gesetzlich und damit gesetzlich bestimmte zu sein hätten. Aus all dem ergebe sich, dass das baubehördlich genehmigte Bauvorhaben kein Einkaufszentrum im Sinn des § 10 Abs. 1 TROG 1997 darstelle und sohin der Baubescheid mit keinem mit Nichtigkeit bedrohten Fehler behaftet gewesen sei.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt und legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 49 Abs. 1 des Tiroler Raumordnungsgesetzes, LGBl. Nr. 10/1997, in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung LGBl. Nr. 60/2000 - TROG 1997, sind die Errichtung von Einkaufszentren und die Ausführung von Bauvorhaben, durch die Abstellmöglichkeiten für die Kunden, die Beschäftigten oder die Lieferanten von Einkaufszentren geschaffen werden, nur auf Grundflächen, die als Sonderflächen für Einkaufszentren (§ 10) gewidmet sind, zulässig.

Nach § 68 Abs. 4 Z. 4 AVG, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 471/1995, können Bescheide von Amts wegen in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde als nichtig erklärt werden, wenn der Bescheid an einem durch gesetzliche Vorschrift ausdrücklich mit Nichtigkeit bedrohten Fehler leidet.

Gemäß § 53 lit. c TBO , LGBl. Nr. 15/1998 (TBO 1998), leiden Bescheide, mit denen die Baubewilligung erteilt wird, an einem mit Nichtigkeit bedrohten Fehler, wenn die Baubewilligung erteilt wurde, obwohl das betreffende Bauvorhaben dem Flächenwidmungsplan oder einem Bebauungsplan widersprochen hat (§ 26 Abs. 3 lit. a) oder obwohl ein Abweisungsgrund nach § 26 Abs. 3 lit. b oder c vorgelegen ist.

Das Vorliegen eines solchen in § 53 TBO 1998 taxativ genannten Nichtigkeitsgrundes hat zur Folge, dass der betreffende Baubewilligungsbescheid nach § 68 Abs. 4 Z. 4 AVG von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde oder im Rahmen der Gemeindeaufsicht nach § 113 Abs. 1 der Tiroler Gemeindeordnung 1966 von der Bezirksverwaltungsbehörde aufgehoben werden kann.

Zwischen den Parteien ist im Beschwerdefall unstrittig, dass es sich bei dem in Rede stehenden Bauvorhaben seinem Verwendungszweck nach um einen "Bau- und Gartenmarkt" mit einer Kundenfläche von insgesamt 10.786 m2 handelt, der (ausschließlich) von der Firma H betrieben werden soll.

Strittig ist jedoch, ob es sich bei diesem Bauvorhaben - auch in Hinblick auf dessen projektierte Größe - um ein "Einkaufszentrum" im Sinne des § 10 TROG 1997 handelt (wobei wiederum unstrittig ist, dass es im Falle der Bejahung der Eigenschaft als "Einkaufszentrum" ein solches des Betriebstyps IV der Anlage zu §§ 10 und 49 TROG 1997 wäre).

Der § 10 Abs. 1 TROG 1997 lautet:

"Einkaufszentren im Sinne dieses Gesetzes sind Gebäude oder Teile von Gebäuden einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen baulichen Anlagen, wie Verkaufszelte, Überdachungen und dergleichen, in denen Betriebe oder Teile von Betrieben untergebracht sind, die Waren oder Waren und Dienstleistungen anbieten und deren Kundefläche insgesamt das in der Anlage festgelegte Ausmaß übersteigt. Mehrere solche Gebäude oder Teile von Gebäuden einschließlich der damit in Zusammenhang stehenden sonstigen baulichen Anlagen gelten als ein Einkaufszentrum, wenn die Gebäude und sonstigen baulichen Anlagen in einem räumlichen Naheverhältnis stehen und eine funktionelle Einheit bilden. Mehrere Betriebe sind nur insoweit zu berücksichtigen als sie eine betriebsorganisatorische Einheit bilden."

Gemäß § 6 ABGB darf einem Gesetze in der Anwendung kein anderer Verstand beigelegt werden, als welcher aus der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und aus der klaren Absicht des Gesetzgebers hervorleuchtet. Das bedeutet zunächst, dass bei Interpretation des Gesetzes vom Wortlaut auszugehen ist.

Die Bauwerberin hat hiezu ein sprachwissenschaftliches Gutachten vorgelegt, das zu dem Resümee kommt, die Lesart "Betriebe" im ersten Satz des § 10 Abs. 1 TROG 1997 beziehe sich auf mehrere Objekte; auch die Wörterbücher definierten ein "Einkaufszentrum" als eine aus mehreren Betrieben bestehende Einheit. Hätte der Landesgesetzgeber einen anderen Sinngehalt unterstellen wollen, hätte er dies sprachlich eigens ausweisen müssen. Ein solcher Ausweis fehle jedoch. Auch das von der Bauwerberin vorgelegte Rechtsgutachten des Univ. Prof. Dr. B. Raschauer kommt nach Überlegungen zur Wortinterpretation, den von der belangten Behörde dargestellten allgemein-teleologischen Argumenten unter Beachtung der Grundrechte der Eigentumsgarantie und der Erwerbsfreiheit zu der Würdigung, "bei der Beurteilung der Frage, ob die Definition des Begriffs "Einkaufszentrum" in § 10 Abs. 1 TROG 1997 zur Voraussetzung habe, dass in einem Gebäude (oder in mehreren Gebäuden) eine Mehrzahl von Betrieben untergebracht seien, führe die Wortinterpretation zu einer Bejahung dieser Frage. Die systematische und die historische Interpretation böten keine in eine andere Richtung weisenden Anhaltspunkte. Das Ergebnis werde durch den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Baufreiheit untermauert.

Diesen Argumentationen vermag sich der Verwaltungsgerichtshof aus folgenden Überlegungen nicht anzuschließen:

Wenn in § 10 Abs. 1 erster Satz TROG 1997 definiert wird:

"Einkaufszentren...sind Gebäude oder Teile von Gebäuden,...in denen Betriebe oder Teile von Betrieben untergebracht sind...und deren Kundenfläche insgesamt das in der Anlage festgelegte Ausmaß nicht übersteigt", so kann aus diesen Worten nicht der Schluss gezogen werden, dass ein Einkaufszentrum nur dann vorläge, wenn darin mehr als ein Betrieb untergebracht sei, weil das Wort "Betriebe" schon deswegen verwendet wurde, weil das Definiendum auch in der Mehrzahl aufscheint. Wenn schon "Teile von Betrieben" ausreichen, um ein Einkaufszentrum im Sinne des § 10 Abs. 1 TROG 1997 auszumachen, wäre es unverständlich, würde dies bei Vorliegen eines (ganzen) Betriebes verneint. Aus dem ersten Satz des § 10 Abs. 1 TROG 1997 lässt sich daher für die von den Beschwerdeführern vertretene Interpretation in Wahrheit nichts gewinnen.

Es ist auch davon auszugehen, dass der Landesgesetzgeber eine umfassende Regelung von Verkaufsflächen einer bestimmten Größe unter Berücksichtigung der daraus abzuleitenden Auswirkungen auf die Infrastruktur der Umgebung angestrebt hat (siehe die "Erläuternden Bemerkungen" in der Regierungsvorlage zu § 16b Abs. 1 ROG 1984 idF LGBl. Nr. 76/1990 (der im Wesentlichen mit dem vorliegenden § 10 Abs. 1 TROG 1997 übereinstimmt(, 3. Blg. LT XI. GP, S. 18). Würde man die Ansicht der Beschwerdeführer teilen, hätte es im Übrigen des dritten Satzes des § 10 Abs. 1 TROG 1997 nicht bedurft, wonach "mehrere Betriebe nur insoweit zu berücksichtigen" sind "als sie eine organisatorische Einheit bilden". Aus der Verwendung des Wortes "nur" ist nicht nur abzuleiten, dass kein Einkaufszentrum vorliegt, wenn mehrere Betriebe keine organisatorische Einheit bilden, sondern auch, dass bereits ein Betrieb ein Einkaufszentrum ausmachen kann, bei mehreren Betrieben jedoch "nur", wenn diese eine organisatorische Einheit bilden. Wenn mehrere Betriebe eine Einheit bilden müssen, um als Einkaufszentrum zu gelten, so erscheint es auch sachgerecht, dass auch nur ein Betrieb ein Einkaufszentrum bilden kann. Folgte man der von den Beschwerdeführern vertretenen Interpretation, so ließe sich die Bestimmung des § 10 Abs. 1 dritter Satz TROG 1997 ohne Weiteres durch Zusammenschluss mehrerer Betriebe zu "einem Betrieb" umgehen. Solches anzuordnen kann dem Gesetzgeber jedoch nicht unterstellt werden, zumal dies zu einem gleichheitswidrigen Ergebnis führen würde. Es wäre sachlich nicht zu rechtfertigen, wenn das gesetzgeberische Ziel, die Errichtung von Verkaufsflächen ab einer bestimmten Größe an eine bestimmte Widmungsart zu binden, davon abhängig gemacht würde, dass diese - eine organisatorische Einheit im Sinne des § 10 Abs. 1 dritter Satz TROG 1997 bildenden -

Verkaufsflächen (nur) aus mehreren Betrieben oder Teilen von Betrieben bestehen.

Da die belangte Behörde in ihrem Bescheid zutreffend davon ausging, dass auch bereits ein Betrieb ein Einkaufszentrum im Sinne des § 10 Abs. 1 TROG 1997 zu bilden vermag, erweisen sich die dagegen gerichteten Beschwerden als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen waren.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Die Abweisung des Mehrbegehrens gründet sich auf den Umstand, dass die Aktenvorlage nur einfach erfolgt ist, der hierfür zuzuerkennende Aufwandersatz daher auch nur einmal zuerkannt werden kann.

Wien, am 26. September 2002

Schlagworte

Planung Widmung BauRallg3 Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 Baubewilligung BauRallg6 Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001060038.X00

Im RIS seit

29.11.2002

Zuletzt aktualisiert am

22.09.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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