TE Vwgh Erkenntnis 2002/10/22 2001/01/0365

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Veröffentlicht am 22.10.2002
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §6 Z1;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §8;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des S in L, geboren 1962, vertreten durch Dr. Wolfgang Lauß, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Europaplatz 7, gegen den am 10. Juli 2000 mündlich verkündeten und am 14. Juli 2000 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 215.954/0-VI/17/00, betreffend § 6 Z 1 und § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bosnien-Herzegowina muslimischen Glaubens, reiste am 30. Oktober 1999 in das Bundesgebiet ein und stellte am 10. November 1999 einen Asylantrag. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 2. Dezember 1999 gab er an, dass er bis 1992 im Bezirk Zvornik gelebt habe. Dieser Bezirk werde nunmehr von den Serben verwaltet; er könne dorthin nicht mehr zurückkehren. Bis 1998 sei er mit seiner Familie in Deutschland aufhältig gewesen, dann sei er wieder nach Bosnien zurückgekehrt, wo er bis zu seiner nunmehrigen Ausreise bei seinem Vater in Bare, Bezirk Tuzla, gelebt habe. Hätte er entsprechende finanzielle Mittel, so könnte er beispielsweise in Sarajevo leben. Da er jedoch kein Geld habe, könnte er "nur auf der Straße leben". Nach Zvornik könne er jedenfalls nicht zurückkehren. Hätte er genügend finanzielle Mittel besessen, hätte er in moslemische Gebiete gelangen und in Bosnien bleiben können. Schließlich führte der Beschwerdeführer noch an, er sei 1992 Zeuge gewesen, als 274 Muslime in seinem Geburtsort vom serbischen Militär erschossen worden seien. Er sei damals in der Nähe versteckt gewesen.

Mit Bescheid vom 2. März 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 1 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass dessen Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Das Bundesasylamt stellte fest, dass aus den Angaben des Beschwerdeführers ersichtlich sei, dass ein Leben für ihn und seine Familie in Bosnien-Herzegowina zwar unter den momentanen Bedingungen erschwert sei, dass aber kein völliger Entzug der Lebensgrundlage vorliege. Unter Berücksichtigung der zahlreichen Hilfsorganisationen, die in Bosnien-Herzegowina tätig seien, sei daher nicht davon auszugehen, dass Existenz und Lebensgrundlage des Beschwerdeführers in seinem Heimatland tatsächlich bedroht wären. Seine "sonstigen Angaben zu den Ausreisegründen" seien glaubwürdig gewesen. Der Beschwerdeführer habe nicht dargetan, dass er sein Heimatland wegen einer gegen ihn gerichteten, mit einem Konventionsgrund im Zusammenhang stehenden Verfolgung verlassen habe; vielmehr habe er ausgeführt, dass er dieses ausschließlich wegen der dort herrschenden wirtschaftlichen Lage verlassen habe.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer u.a. vor, dass ihm der Zugang zu seinem Heimatort, wo sich auch seine Wohnung befände, verweigert werde und die Behörden seines Heimatlandes ihn nicht in seinem Bestreben, das Leben in Bosnien-Herzegowina neu anzufangen, unterstützt hätten. Daher seien sein Leben und seine Freiheit wie auch die Zukunft seiner Kinder in Bosnien-Herzegowina bedroht.

Die belangte Behörde führte eine mündliche Berufungsverhandlung durch und wies mit dem angefochtenen Bescheid die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 1 und § 8 AsylG ab. Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer in Bare, Bezirk Tuzla, wo er mit seiner Familie von August 1998 bis September 1999 bei seinen Eltern gelebt habe, nicht verfolgt worden sei. In seinem Geburtsort Glumina, der in der "Republik Srbska" liege, seien heute noch sein Leben und seine Freiheit bedroht, nicht jedoch in der bosnisch-kroatischen Föderation der Republik Bosnien-Herzegowina. Somit sei erwiesen, dass Leben und Freiheit des Beschwerdeführers nicht im gesamten Staatsgebiet seines Herkunftsstaates bedroht seien. Für den Berufungswerber gebe es daher keine Gründe, "dass er im gesamten Staatsgebiet von Bosnien-Herzegowina Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden, oder dass er dort - bei einer allfälligen Rückkehr - einer besonderen Gefährdungslage ausgesetzt wäre." Aufgrund der näher angeführten Hilfsprogramme könne keine Rede davon sein, dass nach Bosnien-Herzegowina zurückkehrende Staatsangehörige dort keine Lebensgrundlage hätten. Da sich dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht die Behauptung entnehmen lasse, ihm würde in seinem Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention drohen, sei seine Berufung gemäß § 6 Z 1 AsylG abzuweisen gewesen. Es liege auch kein Hindernis für eine Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina vor.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die belangte Behörde hat die Abweisung des Asylantrages ausschließlich auf § 6 Z 1 AsylG gestützt. Sie hat ihrer Entscheidung die Angaben des Beschwerdeführers, sein Leben sei in einem Teil seines Herkunftsstaaates Bosnien-Herzegowina (in der Republika Srpska) noch heute bedroht, zugrunde gelegt, ist aber von der Verwirklichung des Tatbestand des § 6 AsylG erkennbar deshalb als ausgegangen, weil dem Beschwerdeführer vor der behaupteten Verfolgung durch Serben in anderen Landesteilen von Bosnien-Herzegowina eine "inländische Fluchtalternative" offen stehe.

Argumente zur regionalen Begrenztheit einer Verfolgungsgefahr und zum Vorliegen einer "inländischen Fluchtalternative" sind aber nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht geeignet, das Vorliegen der Voraussetzungen nach dieser Gesetzesstelle darzutun (vgl. etwa das Bosnien-Herzegowina betreffende hg. Erkenntnis vom 7. September 2000, Zl. 99/01/0273, sowie zuletzt z.B. die Erkenntnisse vom 20. Juni 2002, Zl. 2000/20/0502, und vom 16. Mai 2002, Zl. 2001/20/0123, mwN).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 22. Oktober 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001010365.X00

Im RIS seit

17.01.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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