TE Vwgh Erkenntnis 2002/11/12 2000/01/0086

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Veröffentlicht am 12.11.2002
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §6 Z1;
AsylG 1997 §6 Z2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des I in G, geboren 1981, vertreten durch Dr. Marie-Luise Safranek, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Mondscheingasse 6/I, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenat vom 25. November 1999, betreffend §§ 6 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist nach seinen Angaben Staatsangehöriger von Mauretanien und am 18. Juli 1999 in das Bundesgebiet eingereist. Am 20. Juli 1999 beantragte er die Gewährung von Asyl.

Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 3. November 1999 gab er als Fluchtgrund an, sein "Pflegevater", bei dem er "sehr viel" auf dem Feld habe arbeiten müssen, habe ihm wenig zu essen gegeben und ihn "immer verprügelt". Die "Pflegeeltern" hätten den Beschwerdeführer als Kind "gekauft". Er habe sich aus Angst nie an die Polizei gewandt; staatliche Behörden hätten ihn nicht verfolgt. Auch in einem anderen Teil von Mauretanien hätte er Angst gehabt, sein "Pflegevater" könne ihn finden und zurückbringen. Müsste er in sein Heimatland zurückkehren, wüsste er nicht, was sein "Pflegevater", dem er gehöre, mit ihm machen würde.

Mit Bescheid vom 10. November 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 1 und 2 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und erklärte gemäß § 8 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Mauretanien für zulässig. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers lasse sich nicht entnehmen, dass ihm in Mauretanien Verfolgung drohe; danach habe er "familiäre Schwierigkeiten". Eine Verfolgung durch staatliche Stellen habe der Beschwerdeführer ausdrücklich ausgeschlossen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer ergänzend zu seiner im erstinstanzlichen Verfahren behaupteten Fluchtgeschichte vor, sein "Pflegevater" habe ihn bis zur völligen Erschöpfung arbeiten lassen, ihm wenig zu essen gegeben und geschlagen. In Mauretanien sei Sklaverei durchaus üblich, weshalb er bei einer Rückkehr in sein Heimatland der Willkür desjenigen ausgesetzt wäre, der ihn gekauft habe. Da ihn sein "Pflegevater" schon vor seiner Flucht menschenunwürdig behandelt habe, fürchte er, dieser würde ihn bei einer Rückkehr töten. Der Beschwerdeführer könne sich auch nicht unter den Schutz der Regierung stellen, da er rechtmäßig Eigentum seines "Pflegevaters" sei und ihm von offizieller Seite niemand helfen würde.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 1 und 2 AsylG ab und sprach gemäß § 8 AsylG aus, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Mauretanien zulässig sei. Begründend führte die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht aus, dem Vorbringen des Beschwerdeführers lasse sich nicht entnehmen, dass er in seinem Heimatland planmäßig gegen seine Person gerichtete Verfolgungshandlungen von erheblicher Eingriffsintensität zu befürchten hätte. Ein Verfolgungsrisiko seitens staatlicher Behörden bestünde nicht. Die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten tristen Lebensbedingungen träfen insbesondere Kinder, Jugendliche und Frauen in nahezu allen Staaten der Dritten Welt. Der Beschwerdeführer habe keine konkreten Argumente dafür aufzuzeigen vermocht, dass seine individuelle Situation von einer "über das ortsübliche Ausmaß hinausgehenden Qualität" sei. Eine Verbindung zu einem Konventionsgrund habe nicht festgestellt werden können. Weiters habe der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen vermocht, dass er für den Fall seiner Rückkehr Gefahr liefe, im gesamten Gebiet seines Herkunftsstaates einer unmenschlichen Behandlung, Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Der Beschwerdeführer sei außerdem nicht in der Lage gewesen, seine "Nämlichkeit" mit unbedenklichen Personaldokumenten oder mit sonstigen Unterlagen bzw. auf andere geeignete Weise zu belegen, weshalb seine Identität nicht feststehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

In der Beschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, er gehöre auf Grund des Umstandes, dass er als Kind an "Pflegeeltern" verkauft worden sei, was - ebenso wie die "menschenunwürdige" Behandlung - vom Staat Mauretanien geduldet werde, einer "sozialen Gruppe" an.

Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren, von dem bei einer Entscheidung nach § 6 Z 1 und 2 AsylG auszugehen ist, sei dieser als Kind verkauft worden und stünde damit "im Eigentum" des Käufers ("Pflegevaters"). Von diesem habe er wenig zu essen bekommen; er sei von ihm geschlagen und zur Arbeit "bis zur Erschöpfung" gezwungen worden.

Mit diesen Behauptungen stellte der Beschwerdeführer aber nicht nur - wie die belangte Behörde meint - "triste Lebensbedingungen" dar, sondern eine Lebenssituation, in der er der völligen Willkür seines "Pflegevaters" ausgeliefert wäre. Sein Vorbringen hätte die belangte Behörde demnach nicht dahin werten dürfen, dem Beschwerdeführer drohe "offensichtlich" keine Verfolgung im Herkunftsstaat (§ 6 Z 1 AsylG), weil er damit Lebensumstände behauptet hat, von denen nicht gesagt werden kann, die Behauptung der Verfolgung entbehre jeder Grundlage (vgl. zum Offensichtlichkeitskalkül des § 6 AsylG das Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2001/20/0496).

Im Hinblick auf die Behauptungen des Beschwerdeführers zu seiner Verfolgung und auf sein weiteres Vorbringen, Sklaverei sei in Mauretanien durchaus üblich, hätte die belangte Behörde eine Verfolgung des Beschwerdeführers wegen Zugehörigkeit zu einer "sozialen Gruppe" in Betracht ziehen müssen und hätte nicht von vornherein annehmen dürfen, die Verfolgungsgefahr sei "offensichtlich" nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv genannten Gründe zurückzuführen (vgl. zu den Merkmalen der "sozialen Gruppe" mit Hinweisen auf internationale Judikatur und Literatur schon das Erkenntnis vom 20. Oktober 1999, Zl. 99/01/0197). In Frage käme etwa - soweit feststellbar - die Gruppe der an "Pflegeeltern" verkauften und misshandelten bzw. in Sklaverei gehaltenen Kinder (vgl. das Erkenntnis vom 9. Juli 2002, Zl. 2001/01/0281). Das Erfordernis einer Auseinandersetzung mit diesem Thema spricht aber gegen die Erfüllung des Kriteriums der "Offensichtlichkeit" nach § 6 Z 2 AsylG (vgl. das Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0497).

Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, er könne von Seiten des mauretanischen Staates keinerlei Hilfe erwarten, da Sklaverei in seinem Heimatland durchaus üblich sei (mit dem sich die belangte Behörde auf Grund ihrer unzutreffenden Rechtsansicht nicht befasste), wird auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 8. Juni 2000, Zl. 99/20/0203), wonach es für die Asylgewährung nicht darauf ankommt, dass die Verfolgungshandlung unmittelbar von staatlichen Organen aus Gründen der Konvention gesetzt wird, sondern es kann eine asylrelevante Verfolgungssituation auch dann gegeben sein, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, von "Privatpersonen" ausgehende Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden.

Mit der Aufhebung der Entscheidung der belangten Behörde über das Asylbegehren verliert auch der Ausspruch gemäß § 8 AsylG seine rechtliche Grundlage. Anzumerken ist, dass es die belangte Behörde in der Begründung dieses Spruchpunktes unterlassen hat, sich fallbezogen mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er bei seiner Rückkehr - ohne auf Grund seines sozialen Status vom mauretanischen Staat Schutz erwarten zu können - weiteren Misshandlungen bzw. einem Leben in der Sklaverei ähnlichen Verhältnissen entgegen sähe, auseinander zu setzen.

Hält die belangte Behörde schließlich im Rahmen der rechtlichen Beurteilung - beweiswürdigend - fest, die Identität des Beschwerdeführers stünde nicht mit hinreichender Gewissheit fest, weil darüber lediglich seine Aussage vorliege, ist diese Einschätzung - ohne weitere Anhaltspunkte für die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers - nicht nachvollziehbar (vgl. aber auch die an das hg. Erkenntnis vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0465, anknüpfende, mittlerweile ständige Rechtsprechung, wonach auch Personen ungeklärter Identität Abschiebungsschutz zu gewähren sein kann).

Indem die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers als "offensichtlich" nicht asylrelevant beurteilte, belastete sie ihre Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 12. November 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000010086.X00

Im RIS seit

18.02.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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