TE Vfgh Erkenntnis 2007/12/14 B579/07

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Veröffentlicht am 14.12.2007
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

EMRK Art10
DSt 1990 §1
RAO §9

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung durchVerhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegenÄußerung des Verdachts des Amtsmissbrauches eines Richters alsgegnerischer Partei in einem Zivilverfahren; inkriminierte Äußerungdes Rechtsanwaltes noch zulässiges Angriffs- und VerteidigungsmitteliSd Rechtsanwaltsordnung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Oberösterreichische Rechtsanwaltskammer ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit € 799,49 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 4. April 2006 wurde der Beschwerdeführer des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung sowie der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt und zu einer Geldbuße iHv. € 1.000,- verurteilt, weil er

        "im Verfahren ... des Landesgerichtes Linz als

Rechtsvertreter der beklagten Partei F H in einem Schriftsatz vom

14. Mai 2003 den in diesem Verfahren auftretenden Kläger Dr. E S,

Richter des ..., des Amtsmissbrauchs verdächtigt [hat], dies mit dem

Vorwurf, der Kläger habe seine Stellung als Richter ... missbraucht,

um sich rechtswidrigerweise einen Einzelgesprächsnachweis über den Mobiltelefonanschluss der K S zu beschaffen, dies entgegen dem Gebot des §9 RAO, die zur Vertretung seiner Partei dienlichen Angriffs- und Verteidigungsmittel nur insoweit zu gebrauchen, als sie seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widersprechen."

2. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: OBDK) vom 6. November 2006 keine Folge gegeben. Begründend wird unter anderem ausgeführt:

"Nach ständiger Spruchpraxis ist der Vorwurf des Missbrauchs der Amtsgewalt oder auch nur des Verdachtes eines solchen gegen einen Richter in einer schriftlichen zivilgerichtlichen Eingabe ein so schwerwiegender Vorwurf, dass ihn ein Rechtsanwalt nicht ohne eingehende Prüfung und nicht ohne entsprechende tatsächliche und rechtliche Anhaltspunkte erheben darf (OBDK 11. April 1983, AnwBl 1984, 615; OBDK 8. März 2004, 10 Bkd 5/03). Erfolgt ein solcher Vorwurf ohne ausreichende Prüfung der Sach- und Rechtslage, ist dies standeswidrig (AnwBl 1999, 323; AnwBl 2000, 96). Eine leichtfertig erstattete Anzeige macht den Rechtsanwalt jedenfalls disziplinär verantwortlich, auch wenn sie nicht wissentlich falsch erhoben wurde und auch wenn hiezu ein Klientenauftrag vorgelegen ist (AnwBl 1991, 481). Die erforderliche sorgfältige und unvoreingenommene Prüfung der Rechts- und Sachlage vor Erstattung einer Anzeige gegen einen anderen Rechtsanwalt - in gleicher Weise gegen einen Richter - ist auch dann einzuhalten, wenn ein Auftrag seitens des Mandanten zur Erstattung der Strafanzeige besteht. Die Bestimmung des §9 Abs1 RAO ermöglicht dem Rechtsanwalt nicht, unterschiedslos alle Wünsche von Klienten unumwunden zu erfüllen. Sie berechtigt lediglich dazu, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, dies jedoch nicht unter Außerachtlassung der standesrechtlichen Regeln (AnwBl 2001, 101)."

3. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freiheit der Meinungsäußerung, auf ein faires Verfahren sowie auf Freiheit der Erwerbsbetätigung geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Ausführungen des Beschwerdeführers entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof auch aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens nicht entstanden.

Der Beschwerdeführer wurde daher nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

2.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich unter anderem in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt. Begründend führt er aus, dass §9 Rechtsanwaltsordnung (im Folgenden: RAO) den Rechtsanwalt nicht nur berechtige, sondern auch verpflichte, alles vorzubringen, was zur Verteidigung seines Mandanten zweckdienlich sei. Die belangte Behörde habe §9 RAO einen rechtswidrigen Inhalt unterstellt, indem sie jede Verdachtsäußerung eines Rechtsanwaltes gegen einen Richter untersage. Die Äußerung des Beschwerdeführers im vorbereiteten Schriftsatz sei als zweckmäßiges und zulässiges Verteidigungsmittel zu werten.

2.2.1. Nach Art10 Abs1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen erfasst. Art10 Abs2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, dass die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind.

Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muss sohin, wie auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausgesprochen hat (s. zB EGMR 26.4.1979, Fall Sunday Times, EuGRZ 1979, 390; 25.3.1985, Fall Barthold, EuGRZ 1985, 173), gesetzlich vorgesehen sein, einen oder mehrere der in Art10 Abs2 EMRK genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und zur Erreichung dieses Zweckes oder dieser Zwecke "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein (vgl. VfSlg. 12.886/1991, 14.218/1995, 14.899/1997, 16.267/2001 und 16.555/2002).

2.2.2. Ein Bescheid, der in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung eingreift, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes unter anderem dann verfassungswidrig, wenn ein verfassungsmäßiges Gesetz denkunmöglich angewendet wurde. Eine denkunmögliche Gesetzesanwendung liegt auch vor, wenn die Behörde dem Gesetz fälschlicherweise einen verfassungswidrigen - hier also: die besonderen Schranken des Art10 EMRK missachtenden - Inhalt unterstellt (VfSlg. 10.700/1985, 12.086/1989, 13.922/1992, 13.612/1993, 16.558/2002, 18.001/2006).

Im vorliegenden Fall hat die OBDK folgende Äußerung des Beschwerdeführers in einem Schriftsatz vom 14. Mai 2003 als Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes sowie als Berufspflichtenverletzung qualifiziert:

"Sollte die klagende Partei tatsächlich über einen derartigen Einzelgesprächsnachweis betreffend Telefonanschluss der Frau K S verfügen, so besteht jedenfalls der dringende Verdacht, dass sich die klagende Partei widerrechtlich in den Besitz dieses Einzelgesprächsnachweises gesetzt hat.

Der Kläger ist Richter ... und hat daher entsprechende Möglichkeiten, sich gegenüber den Telefongesellschaften derartige Informationen zu beschaffen. Es besteht daher der dringende Verdacht des Amtsmissbrauches durch den Kläger und wird in weiteren Verfahren zu klären sein, auf welchem Weg sich der Kläger in den Besitz des von ihm behaupteten Einzelgesprächsnachweises gesetzt hat."

Der Verfassungsgerichtshof vermag in der Verwendung der inkriminierten Äußerung keine Berufspflichtenverletzung oder Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes zu erkennen. Die Äußerung drückt die Schlussfolgerung des Beschwerdeführers aus, dass der Kläger, wenn er tatsächlich im Besitz der Einzelgesprächsnachweise sei, sich diese mangels anderer Möglichkeiten widerrechtlich besorgt haben müsse. Der Gerichtshof ist daher der Auffassung, dass die inkriminierte Äußerung - wenn auch mit einem möglichen Wortüberschwang (vgl. VfSlg. 13.122/1992, 16.267/2001) - zulässig ist, zumal der Beschwerdeführer diese nicht unsubstantiiert erhoben hat und sie lediglich seine Meinung bzw. die seines Mandanten wiedergibt.

Nach §9 Abs1 RAO ist ein Rechtsanwalt befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und dem Gesetz nicht widerstreiten. Der Verfassungsgerichtshof, der an seiner Auffassung festhält, dass das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung besondere Zurückhaltung bei der Beurteilung einer Äußerung als strafbares Disziplinarvergehen erfordert (VfSlg. 13.122/1992, 14.006/1995), ist unter den gegebenen Umständen der Meinung, dass die inkriminierte Äußerung noch als zulässiges Angriffs- und Verteidigungsmittel iSd RAO zu werten ist. Eine verfassungskonforme Auslegung der angewendeten Rechtsvorschrift musste daher zu dem Ergebnis führen, dass das Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und ein die Ehre und das Ansehen des Standes beeinträchtigendes Verhalten nicht stattgefunden haben.

Der Beschwerdeführer wurde in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG und enthält die Kosten in der beantragten Höhe. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 133,25 enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht, Meinungsäußerungsfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2007:B579.2007

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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