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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §8;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde des MB in Wien, geboren 1976, vertreten durch Dr. Karl Muzik, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Graf Starhemberggasse 39/17, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. März 2000, Zl. 213.972/0-XI/33/99, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in seinem zweiten, die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone feststellenden Spruchpunkt wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 18. Mai 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 11. Juni 1999 gab er im Wesentlichen an, er habe den Großteil seines bisherigen Lebens in Kenema verbracht und am Wochenende immer auf der Landwirtschaft seiner Mutter in Sandaru gearbeitet. Seine Muttersprache sei Mende. Im April 1999 sei er geflohen, weil er bei landwirtschaftlichen Arbeiten zusammen mit seinem Bruder von Rebellen festgenommen worden sei. Die Rebellen hätten seinen Bruder sofort getötet; dem Beschwerdeführer sei es hingegen gelungen, zu entkommen. Er habe seiner Mutter von dem Vorfall erzählt und diese habe ihm gesagt, dass er flüchten müsse. Im Falle einer Rückkehr befürchte er die Tötung durch Rebellen.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 30. September 1999 den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone sei zulässig. Es ging vom Vorbringen des Beschwerdeführers aus und hielt diesem entgegen, die von ihm angeführten Vorkommnisse stellten keine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes dar. Was die gemäß § 8 AsylG zu treffende Entscheidung anlange, so habe sich die Lage in Sierra Leone seit den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Ereignissen wesentlich geändert. Es sei "festzustellen, dass der Bürgerkrieg in Sierra Leone beendet wurde und nunmehr Frieden herrscht". Aus welchen Unterlagen sich dies ergebe, war dem Bescheid nicht entnehmbar.
In seiner Berufung gegen diese Entscheidung führte der Beschwerdeführer u.a. Folgendes aus:
"Jüngste Pressemeldungen zeigten, dass wieder bewaffnete Auseinandersetzungen in Sierra Leone aufgetreten sind. Laut internationaler Organisationen und Institutionen ist die Tatsache belegt, dass in Sierra Leone bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen und Anarchie und Chaos an der Tagesordnung sind. Es ist also von Frieden und Ende des Bürgerkrieges in Sierra Leone - wie es in Ihrem Bescheid stand - derzeit auf keinen Fall zu sprechen."
Die belangte Behörde führte am 27. Jänner 2000 eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in deren Verlauf vor allem die Sprach- und Ortskenntnisse des Beschwerdeführers erörtert wurden. Bei der neuerlichen Darstellung seiner Fluchtgründe gab der Beschwerdeführer nun an, er sei zusammen mit seinem Bruder auf einem Fahrrad von Kenema nach Sandaru unterwegs gewesen, als Soldaten sie aufgehalten und seinen Bruder erschossen hätten.
In Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab. In Spruchpunkt II. stellte sie gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone sei zulässig. Sie ging davon aus, dass der Beschwerdeführer entgegen seinem Vorbringen nicht aus Sierra Leone stamme und die behaupteten Fluchtgründe nicht der Wahrheit entsprächen, sodass dem Beschwerdeführer nicht Asyl zu gewähren sei. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides begründete die belangte Behörde im Wesentlichen nur wie folgt:
"Wie bereits ausgeführt, konnte der Asylwerber seine Angaben nicht glaubhaft machen, womit es ihm nicht gelungen ist, die behaupteten, für eine drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig zu schildern, weshalb nach Ansicht der erkennenden Behörde der Schluss zu ziehen war, dass die Abschiebung des Asylwerbers gemäß § 8 AsylG 1997 iVm § 57 Abs. 1 und Abs. 2 FrG nach Sierra Leone zulässig ist."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde hat ihre Würdigung der Angaben des Beschwerdeführers u.a. darauf gestützt, dass dieser entgegen seiner ausdrücklichen Behauptung vor dem Bundesasylamt nicht Mende spreche und wahrheitswidrig die Frage verneint habe, ob der Weg von Kenema zu seiner Mutter in Sandaru über einen Fluss führe. Diesen Argumenten vermag die Beschwerde nichts Zweckdienliches entgegenzusetzen. Im Besonderen ist die Behauptung, der Beschwerdeführer habe geglaubt, er sei gefragt worden, ob er den Fluss "durchschwimmen" musste, was "natürlich" nicht der Fall gewesen sei, angesichts der Angaben in der Berufungsverhandlung ("Es gibt dort keinen Fluss ... Wo ich gefahren bin, war keine Brücke") nicht geeignet, die Beweiswürdigung der belangten Behörde zu erschüttern. Daraus, dass sich die belangte Behörde auch einiger weniger überzeugender Argumente bedient hat, ist für den Beschwerdeführer unter diesen Umständen nichts zu gewinnen, weshalb die Beschwerde insoweit, als sie sich gegen die Abweisung des Asylantrages richtet, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
In Bezug auf die gemäß § 8 AsylG zu treffende Entscheidung hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit einem Begründungsmangel belastet, weil ungeachtet des zitierten Berufungsvorbringens, an dem die Beschwerde festhält, keine wie immer gearteten Feststellungen über die aktuelle Lage in Sierra Leone getroffen wurden. Die in der Gegenschrift nachgetragene Behauptung, "in Freetown und Umgebung" sei es "seit Jänner 1999 durchgehend bis heute ... sicher", kommt zu spät, um den Begründungsmangel auszugleichen (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 140 ff zu § 60 AVG: "Keine Nachholung der Begründung in der Gegenschrift"), sodass sich eine Auseinandersetzung mit ihrer Aussagekraft und der auch hier fehlenden Bezugnahme auf die dem Verwaltungsgerichtshof zum Teil aus anderen Fällen bekannte Berichtslage erübrigt.
Der angefochtene Bescheid war daher in seinem zweiten Spruchpunkt gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Von der beantragten Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abzusehen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 21. November 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2000200245.X00Im RIS seit
18.02.2003